Читать книгу: «Sündenrächer»

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Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

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Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

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Kapitel 30

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Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Epilog

Nachwort

Impressum neobooks

Sündenrächer

Ein Aachen-Krimi

Hansens 2. Fall

Impressum

Texte: © Frank Esser

Cover: © NaWillArt Coverdesign / www.nawillart-coverdesign.de

Lektorat: © Schoneburg. Literaturagentur und Autorenberatung

Prolog

November 1988, Grenzfluss Werra an der deutsch-deutschen Grenze

Peter Dreschers war den Plan in seinem Kopf unzählige Male durchgegangen. Jetzt sollte auf die Theorie die Praxis folgen. Und das war etwas ganz anderes. Sein Herz pochte bis zum Hals. Der Schweiß stand ihm trotz der frühwinterlichen Temperaturen auf der Stirn. Es dauerte nicht mehr lange, bis die Wachpatrouille die Stelle passieren würde, wo er sich versteckt hielt. Die beiden Grenzsoldaten bereiteten ihm allerdings die geringste Sorge. Dreschers hatte weitaus mehr Respekt vor dem Wachhund, einem Deutschen Schäferhund, der die beiden Soldaten begleitete. Deshalb musste er seinen Plan jetzt in die Tat umsetzen. Er durfte nicht länger zögern. In gebückter Haltung lief er Richtung Grenzzaun los. Den Bolzenschneider hielt er fest in seiner rechten Hand. Kaum, dass er den Maschendrahtzaun erreichte, begann er den Draht zu durchtrennen. Glücklicherweise verzichtete die DDR an diesem Teil des Grenzabschnittes auf eine Selbstschussanlage. Einen Wachturm mit Soldaten gab es auch nicht in unmittelbarer Nähe. Das hatte er natürlich gewusst. Als er gerade so viel Draht durchtrennt hatte, dass die Stelle groß genug war, um hindurchzuschlüpfen, registrierte er plötzlich Stimmen, die sich näherten. Dreschers hielt kurz inne und lauschte. Dabei wagte er kaum zu atmen. Er hatte sich nicht geirrt. In der Nähe unterhielten sich zwei Männer. Offensichtlich hatten die beiden Grenzposten ihre Runde schon wieder beendet. Ausgerechnet heute hielten sie sich nicht an den sonst üblichen Zeitplan. Aber Dreschers blieb keine andere Möglichkeit, als weiter zu machen. Andernfalls würden sie ihn auf jeden Fall schnappen. Vorsichtig bog er den Zaun auseinander. Immer darauf bedacht, so wenig Lärm wie möglich zu machen. Er war fast hindurchgeschlüpft, als ihn plötzlich der Strahl einer Taschenlampe erfasste.

»Halt! Stehen bleiben! Oder ich schieße!«, schrie einer der Soldaten.

Dreschers verharrte für einen Moment. Panisch überlegte er, ob er seine Flucht abbrechen sollte. Aber in der Sekunde, als der der monströs große Schäferhund auf ihn zustürmte, nahm er seinen ganzen Mut zusammen und drängte sich durch das Loch im Zaun.

»Halt«, schrie der Wachtposten noch einmal.

Aber Dreschers lief weiter. In Richtung des kleinen Grenzflusses Werra, über die er in die Bundesrepublik Deutschland fliehen wollte. Der Fluss führte durch die ausgiebigen Regenfälle der letzten Tage Hochwasser. Deshalb waren die schwenkbaren Metallgitter, die sich in der Mitte des Flusses befanden, um eine Flucht über das Gewässer zu verhindern, hochgezogen, damit die Sperranlage nicht durch Treibgut beschädigt wurde. Er wusste das, weil er für die Instandhaltung der Anlage verantwortlich war. Nur ein guter Schwimmer konnte es wagen, die Flucht auf diesem Weg zu versuchen. Und das war er. Immerhin hätte er es fast in die nationale Auswahl der Schwimmmannschaft der DDR geschafft. Eine Schulterverletzung hatte seine Karriere letztlich verhindert. Er hatte das Ufer der Werra fast erreicht, als er die Schüsse eines Maschinengewehrs hörte. Instinktiv warf er sich auf den Boden. Er robbte immer weiter Richtung Uferzone. Salve auf Salve flog über seinen Kopf hinweg. Dann vernahm er ein Rascheln hinter sich. Es kam schnell näher. Der Schäferhund hatte offenbar die Verfolgung aufgenommen. Die Wachsoldaten mussten ihn durch das Loch im Zaun gelassen haben. Es waren mindestens noch elf oder zwölf Meter, die Dreschers vom Flussufer trennten. Ihm war klar, dass er das unmöglich vor dem Hund schaffen konnte, wenn er bis dorthin robbte. Also nahm er sein Herz in die Hand, stand auf und rannte los. Schon wieder wurde eine Garbe auf ihn abgegeben. Im Zickzack, um den Kugeln möglichst auszuweichen, lief Dreschers Richtung Grenzfluss. Er hatte vielleicht noch knapp vier Meter zu überwinden, als der Hund zuschnappte. Er erwischte ihn an der Wade und brachte ihn aus dem Tritt. Schließlich stürzte er und überschlug sich dabei. Ein stechender Schmerz durchfuhr sein linkes Bein. Auch der Schäferhund machte bei dieser Attacke eine Rolle vorwärts, verlor kurz die Orientierung, fiel dann aber umgehend über ihn her, als er ihn wiederentdeckte. Doch diesmal war er besser auf den Angriff vorbereitet. Auf dem Boden liegend, nahm er den ungleichen Kampf mit dem Wachhund auf. Nach einer kurzen Rangelei, in der er einige Male gebissen wurde, gelang ihm schließlich mit seinem rechten Fuß ein gezielter Tritt direkt gegen die Schnauze des Hundes, der sofort jaulend von ihm abließ. Dreschers rappelte sich wieder auf und lief weiter. Den Schmerz in seinem linken Bein ignorierte er, so gut es ging. Aber auch der Schäferhund hatte sich schnell wieder erholt und umgehend die Verfolgung aufgenommen. Außerdem kamen die Grenzschützer laut schreiend immer näher. Dreschers gelang es gerade noch so, in den eiskalten Fluss zu springen, als sie eine weitere Gewehrsalve abgaben. Er sah, wie um ihn herum die Kugeln das Flusswasser peitschten, und tauchte unter. Das bitterkalte Wasser raubte ihm den Atem. Seine Haut fühlte sich an, als ob er von tausenden Nadelstichen traktiert würde. Aber auch diese Schmerzen blendete er in diesem Moment aus. Er hatte jetzt nur noch ein Ziel: das andere Ufer. Die Strömung war trotz des Hochwassers glücklicherweise nicht allzu stark, aber stark genug, um ihn von den beiden Grenzposten wegzutreiben, die immer noch gelegentlich Richtung Flussmitte schossen. Als er die Grenzsperre in der Mitte des Flusses erreichte, holte er tief Luft und tauchte hinab in die Dunkelheit, wo er zunächst jegliche Orientierung verlor. Das kalte Flusswasser brachte ihn schnell an seine Leistungsgrenze. Hinzu kam die nasse, schwere Kleidung. Wollte er nicht ertrinken, musste er sich beeilen. Auch wenn er ein guter Schwimmer war, hatte er das Unterfangen zu dieser Jahreszeit erheblich unterschätzt. Endlich ertastete er das hochgezogene Eisentor und mit zwei kräftigen Schwimmzügen gelang es ihm, unter der Grenzsperre hindurchzutauchen. Als die Lungen schon anfingen zu brennen und ihm kaum noch Luft zum Atmen blieb, tauchte Dreschers auf der anderen Seite der Sperrvorrichtung wieder auf. Er war fast mit seinen Kräften am Ende, musste jetzt aber nur noch ein paar Meter bis zum westlichen Flussufer überwinden. Vor ihm leuchteten mittlerweile Suchscheinwerfer auf. Offensichtlich war der Bundesgrenzschutz durch die Schüsse aufmerksam geworden. Mit allerletzter Kraft schaffte es Dreschers, an das Ufer zu gelangen. Völlig entkräftet und durchgefroren blieb er an der Böschung der Werra liegen.

»Willkommen in der Bundesrepublik Deutschland«, waren die letzten Worte, die er wahrnahm, bevor er in Ohnmacht fiel.

Kapitel 1

Samstag, 16. September 2017

Herbert Neumann freute sich schon seit Tagen auf seinen freien Samstag. Den Ersten seit drei Wochen. Er arbeitete als Wachmann bei der WUSA, der Wach- und Schließgesellschaft Aachen. Er bevorzugte die Nachtschichten oder die Wochenenddienste, weil er dadurch mehr Geld verdienen konnte. Da seine Frau Sonja vor gut einem Jahr gestorben war und er seitdem alleine lebte, machte ihm das auch nicht viel aus. So konnte er immerhin den einen oder anderen Euro zurücklegen. Von dem Ersparten, der Rente seiner verstorbenen Frau sowie der eigenen Pension konnte er sich in ein paar Jahren sicherlich einen angenehmen Lebensabend gönnen. Den heutigen freien Tag hatte er bisher in vollen Zügen genossen. Er war früh aufgestanden, hatte seine Wocheneinkäufe erledigt und den Rasen gemäht. Nach dem Mittagessen war er dann in den Aachener Stadtwald gefahren, um einen langen, ausgedehnten Spaziergang zu machen. So wie er es bis zu ihrem Tod auch gerne mit Sonja getan hatte. Jetzt, am frühen Abend, freute er sich auf die Sportschau. Bis zum Beginn der Sendung hatte er noch knapp zehn Minuten Zeit. Die nutzte er, um sich schnell ein paar Butterbrote zu schmieren. Er hatte es sich in seinem Fernsehsessel gemütlich gemacht und eine Flasche Bier geöffnet, als die Sendung begann. Er wollte gerade in sein mit Salami belegtes Brot beißen, da glaubte er, ein Geräusch zu hören. Er hielt kurz inne, schaltete den Ton am Fernseher mit der Fernbedienung leiser und lauschte. Aber da war nichts. Offensichtlich hatte er sich geirrt. Neumann machte den Ton an seinem TV-Gerät wieder lauter und widmete sich aufs Neue der Sportsendung. In der ersten Werbepause brachte er das schmutzige Geschirr in die Küche. Im Flur stutzte er kurz. Er hätte schwören können, dass er die Küchentür vorhin geschlossen hatte. Aber vielleicht hatte er sich auch nur geirrt. Er wurde langsam vergesslich, wie er sich eingestehen musste. Als er die Küche betrat, nahm er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Dann spürte er auch schon einen heftigen Schlag auf seinem Hinterkopf. Jäh wurde es dunkel um ihn herum.

Langsam kämpfte sich sein Bewusstsein wieder an die Oberfläche. Nur schemenhaft nahm er durch die flatternden Augenlider wahr, wo er sich befand. Er saß mitten in seinem Wohnzimmer. Sein Schädel schmerzte fürchterlich. Diverse Fragen schossen ihm durch den Kopf. Wie lange war er bewusstlos gewesen? Und was war überhaupt passiert? War er von einem Einbrecher niedergeschlagen worden? Erst jetzt bemerkte er, dass er an einen Stuhl gefesselt war. Mit Kabelbindern. Er spannte die Muskeln an und versuchte, an den Fesseln zu rütteln. Vergeblich, er war absolut bewegungsunfähig. Sein Mund war mit Klebeband zugeklebt. Und sein Oberkörper war nackt. Die Rollläden waren heruntergelassen. Nur die Leselampe neben der Couch spendete spärliches Licht. Und er war nicht allein. In seinem Fernsehsessel, etwa zwei Meter von ihm entfernt, saß ein Mann. Nicht älter als dreißig Jahre, schätzte er. Übergewichtig und irgendwie unscheinbar. Er hatte ihn noch nie gesehen. Der Fremde saß einfach nur da und beobachtete ihn. Nach schier endlosen Sekunden stand er langsam auf und kam einen Schritt auf ihn zu. Ihm fiel auf, dass der Eindringling nicht maskiert war. Auch wenn er den Mann nicht kannte, er würde ihn beschreiben und der Polizei genaue Angaben machen können. Kein gutes Zeichen. Neumann geriet allmählich in Panik. Er war kein reicher Mann. Das wenige Geld, das er angespart hatte, konnte den Unbekannten wohl kaum ernsthaft interessieren. Eine beängstigende Stille lag in dem Raum. Was immer der Eindringling von ihm wollte, er sagte kein Wort. Er stand einfach nur da und starrte ihn an. Es war offensichtlich, dass er seine Angst genoss. Dann nestelte der Mann plötzlich an seiner Hosentasche, holte ein Päckchen Zigaretten und ein Feuerzeug hervor und zündete sich eine Kippe an. Genüsslich zog er zweimal daran. Die Zigarettenpackung verschwand wieder in seiner Hosentasche. Das Zippo hielt er weiterhin in der Hand. Dann machte der Einbrecher einen Schritt auf ihn zu, beugte sich zu ihm herunter und blies ihm den Zigarettenrauch mitten ins Gesicht. Dabei lächelte er ihn an. Ein eiskalter Schauer lief Neumann über den Rücken. Noch einmal zog der Unbekannte genüsslich an seiner Zigarette und ohne Vorwarnung drückte er dann die glühende Zigarettenkippe ganz langsam auf dem Handrücken der rechten Hand aus, die an die Stuhllehne gebunden war. Ein wahnsinnig stechender Schmerz durchfuhr Neumann. Das Klebeband auf seinem Mund verhinderte, dass sein kehliger Schrei außerhalb des Wohnzimmers zu vernehmen war. Erst langsam klang der Schmerz ab und ging über in ein dumpfes, brennendes Gefühl. Aber viel Zeit zum Verschnaufen blieb ihm nicht, denn der Unbekannte hatte die Zigarette schon wieder angezündet und setzte erneut an, sie auf seiner Haut auszudrücken. Diesmal war es der Handrücken der linken Hand. Dieser Vorgang wiederholte sich mehrere Male, nun auch auf dem entblößten Oberkörper. Sobald eine Kippe abgebrannt war, zündete er schon die nächste an. Die Schmerzen, die Herbert Neumann auszuhalten hatte, waren unerträglich. Aber sein Peiniger kannte keine Gnade. Erst nach der vierten Zigarette hatte diese Tortur ein Ende. Noch ehe er gänzlich das Bewusstsein verlor, traf ihn ein harter Schlag mitten ins Gesicht. Die Nase brach mit einem lauten Knacken, Blut lief heraus und tropfte auf seinen nackten, geschundenen Oberkörper.

»Es wird nicht geschlafen, Neumann. Du sollst schließlich genießen können, was hier mit dir passiert«, verhöhnte ihn der Mann auf einmal.

Er versuchte zu antworten, aber wegen des zugeklebten Mundes kamen nur undefinierbare Laute über seine Lippen.

»Wirst du um Hilfe schreien, wenn ich das Klebeband entferne?« Herbert Neumann schüttelte den Kopf. »Also gut. Ich reiß es jetzt ab. Aber ich warne dich. Ein Mucks von dir und es knallt.«

Keine Sekunde später riss der Unbekannte ihm das Panzerband mit einer fließenden Bewegung vom Mund. Neumann schnappte nach Luft wie ein Fisch an Land. Schreien war ohnehin sinnlos, hier hörte sie niemand.

»Ich gebe Ihnen mein ganzes Geld, aber bitte hören Sie mit dieser Quälerei auf«, war das Erste, was Neumann flehend von sich gab.

Der Mann verfiel sogleich in ein langes, herzhaftes Lachen. »Du glaubst also ernsthaft, dass ich das hier wegen Kohle mache?«

Genau solch eine Antwort hatte Neumann befürchtet. Das, was hier mit ihm geschah, war geplant und nicht einfach nur spontane Willkür. Wie sollte er nur aus dieser Situation wieder herauskommen? Er setzte alles auf die Fortsetzung des Gesprächs. »Was wollen Sie dann?«

»Genugtuung.«

»Genugtuung wofür?« Neumann starrte ihn irritiert an.

»Für das Unrecht, das du mir und anderen Menschen vor langer Zeit angetan hast.«

»Ich kenne Sie doch nicht einmal. Das muss eine Verwechslung sein!«

»Oh nein. Ganz sicherlich nicht. Aber um deine Erinnerung aufzufrischen, habe ich hier etwas für dich.« Der Mann nestelte kurz an seiner Jackentasche. Dann warf er einen Gegenstand auf Neumanns Schoß. »Bist du nun immer noch davon überzeugt, dass wir uns nicht kennen?«

Er erkannte sofort, worum es sich handelte. Allerdings hatte er keine Ahnung, wie der Unbekannte in Besitz der Marke gelangt war. Sie lag doch seit Jahren unberührt in einer Schublade seines Schreibtisches im Arbeitszimmer! »Ich verstehe immer noch nicht, was das mit Ihnen zu tun haben soll? Das ist ein Relikt aus einer anderen Zeit.«

»Da hast du nicht ganz unrecht. Aber ich bin nicht hier, um zu plaudern. Schließlich habe ich heute Abend noch einiges mit dir vor.« Bevor Neumann antworten konnte, hatte der Mann ihm schon wieder den Mund zugeklebt. »Ich möchte nicht, dass du gleich die Nachbarschaft zusammenschreist«, bemerkte der Eindringling zynisch.

Dann holte er einen Hammer aus einer Sporttasche heraus, die zu seinen Füßen auf dem Boden stand. Nur einen kurzen Augenblick später sah Neumann mit aufgerissenen Augen, wie der Unbekannte mit dem Hammer zum Schlag ausholte und er spürte, wie die Kniescheibe seines rechten Beins brach. Beinahe wäre er vor Schmerz in Ohnmacht gefallen. Aber sein Peiniger hatte vorgesorgt. Ehe er kollabierte, hielt der Mann ihm ein Fläschchen Riechsalz unter die Nase. Statt in die Tiefen der Bewusstlosigkeit abzutauchen, war er wieder hellwach und musste zusehen, wie sich sein rechtes Hosenbein dunkelrot färbte. Dann wurde ihm die Kniescheibe des linken Beins zertrümmert. Anschließend das rechte und linke Handgelenk. Eine Schmerztsunami jagte den nächsten. Immer, wenn er drohte, bewusstlos zu werden, holte ihn der Unbekannte ins Hier und Jetzt zurück. Selbst wenn der Fremde ihn am Leben lassen würde, wovon er nicht ausging, würde er seinen Lebensabend wohl als Krüppel im Rollstuhl verbringen müssen, dachte er. Er wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, was ihm lieber gewesen wäre. Wenn er doch nur gewusst hätte, warum man ihm all das hier antat? Aber was auch immer der Grund des Überfalls war, das hatte niemand verdient! Und er ganz bestimmt nicht!

»Na, tut´s weh?«

Der Mann sah ihn höhnisch an. Neumann reagierte nicht, stöhnte nur vor Schmerz. Sein Kinn war auf seine nackte Brust gesunken. Plötzlich riss ihm sein Peiniger erneut das Klebeband vom Mund und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht.

»Ich habe dich was gefragt!« Seine Stimme war jetzt voller Hass.

Aber mehr als ein leise gehauchtes »Ja, es tut schrecklich weh«, brachte Neumann nicht hervor.

»Das sollte es auch! Du sollst spüren, was es heißt, zu leiden!« An der Art, wie der Mann das sagte, erkannte Neumann, dass sein Martyrium noch lange nicht zu Ende war. »Und das Beste ist, wenn man glaubt, dass es gar nicht mehr schlimmer werden kann, hat man sich meistens getäuscht«, fügte sein Peiniger hinzu, so als ob er seine Gedanken lesen konnte. »Hast du vielleicht noch irgendetwas zu sagen, bevor wir weitermachen?«

Neumann nahm seine ganze Kraft zusammen, um zu antworten. »Ich will eigentlich nur wissen, warum Sie mir das alles hier antun?«, brachte er mühselig heraus.

»Darauf musst du schon alleine kommen. Aber ich werde dir einen Hinweis geben.« Dann holte der Mann ein Foto aus seiner Sporttasche und hielt es ihm direkt vor die Nase. »Und, erinnerst du dich?«

Schwerfällig betrachtete Herbert Neumann das Foto, das der Mann in seinen Händen hielt. Es dauerte einen Moment, aber dann erkannte er die Person auf dem Bild. Die Vergangenheit hatte ihn ganz offensichtlich eingeholt. Trotzdem begriff er den Zusammenhang noch nicht. Wieder sammelte er seine Kraft, um eine Frage zu stellen. »Wer sind Sie, und was haben Sie mit der Sache von damals zu tun?«

»Sagen wir jemand, der ein Interesse daran hat, dass das Unrecht nicht ungesühnt bleiben darf. Mehr musst du nicht wissen!«

Neumann hatte einen leisen Verdacht, wovon der Mann sprach, hätte aber gerne noch mehr erfahren, doch bevor er etwas sagen konnte, wurde ihm schon wieder der Mund zugeklebt. Dann verließ der Mann das Wohnzimmer.

Kurze Zeit später kam er zurück. Er trug einen Gegenstand. Bei genauerer Betrachtung erkannte Neumann die kleine Wanne aus seiner Küche, in der er immer seine Fußbäder nach anstrengenden Schichten machte. Der Unbekannte stellte sie vor ihm auf dem Boden ab. Der Bottich war zur Hälfte mit Wasser gefüllt. Er wusste zwar nicht, was der Mann als Nächstes vorhatte. Aber er hatte Todesangst. Vor lauter Panik entleerte sich seine Blase, woraufhin ihn ein harter Schlag in die Magengegend traf. Er keuchte und hatte das Gefühl sich übergeben zu müssen. Er kämpfte dagegen an, nicht das erste Mal, seit sein Martyrium begonnen hatte. Der Mann kniete sich vor seinem Stuhl nieder und zog ihm die Hausschuhe aus. Dann die Socken. So sehr sich Neumann auch mühte, er konnte sich nicht dagegen wehren. Zu fest saßen die Fesseln. Und zu geschwächt war er mittlerweile. Der Unbekannte löste die Fußfesseln und stellte Neumanns nackten Füße in die mit Wasser gefüllte Fußwanne. Es war eiskalt. Dann band der Peiniger seine Wadenbeine mit Kabelbindern so an die Stuhlbeine, dass es ihm unmöglich war, seine Füße aus der kleinen Schüssel zu heben. Der Unbekannte stand wieder auf und holte ein Elektrogerät aus seiner Sporttasche, das er ihm direkt vors Gesicht hielt. Es handelte sich einen großen Tauchsieder, 2000 Watt stark stand auf dem Haltegriff. Neumann musste mehrmals hintereinander schlucken, Tränen rannen ihm über die Wangen. Dann holte der Unbekannte ein Verlängerungskabel aus der Tasche, steckte es in eine freie Steckdose, schloss den Tauchsieder an und legte diesen in die Wanne. Dann setzte er sich wieder hin und wartete.

Neumann wusste, was das bedeutete. Seine Füße würden in dem stetig heißer werdenden Wasser verbrühen. Ihm war diese Vorgehensweise durchaus vertraut. Auch er hatte diese Methode in seinem früheren Leben schon einmal angewandt, um einer Person Informationen zu entlocken, die sie auf keinen Fall preisgeben wollte. Er wunderte sich nur, woher sein Peiniger davon wusste. Er versuchte, seine Füße aus dem Wasser zu heben, doch vergeblich. Während die Flüssigkeit immer heißer und heißer wurde, saß der Unbekannte einfach nur da und betrachtete sein Opfer lächelnd. Mehr als eine Viertelstunde lang. Er genoss Neumanns aufsteigende Panik in vollen Zügen.

»Keine Angst, mein Lieber«, sagte der Fremde plötzlich. »Das Schlimmste hast du jetzt schon hinter dir. Was dich nun erwartet, geht schnell.«

Das waren die letzten Worte, die Herbert Neumann in seinem neunundfünfzigjährigen Leben zu hören bekam. Der Unbekannte holte einen Strick aus seiner Sporttasche und stellte sich hinter ihn. Er legte das Seil um den Hals des gefesselten Mannes, dem immer wieder der Kopf nach vorne sank. Dann zog er die Schlinge mit aller Kraft zu. Der Todeskampf dauerte etwa drei Minuten. Neumann rüttelte zunächst noch vergeblich an den Kabelbindern, dann wurde er ohnmächtig. Nach weiteren sechzig Sekunden war der Wachmann tot. Der Fremde packte den Strick, den Tauchsieder und das Verlängerungskabel wieder in seine Sporttasche. Nach einem letzten verächtlichen Blick auf sein Opfer verließ er das Haus auf dem gleichen Weg, wie er es betreten hatte. Falls ihn jemand beobachtete, würde der- oder diejenige der Polizei einen übergewichtigen Mann beschreiben. Er hatte ein paar spezielle Körperpolster angelegt und auch sein Gesicht mit Silikonpolstern und ein wenig Theaterschminke verändert. Auf dem Weg zu seinem Auto, das er in der Nähe abgestellt hatte, kamen ihm unvermittelt ein paar Tränen. Es waren Tränen der Erleichterung, aber auch der Verzweiflung. Immerhin hatte er noch nie zuvor einen Menschen gefoltert und getötet!

286,32 ₽
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280 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783742707246
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