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Читать книгу: «Seine Exzellenz Eugene Rougon», страница 7

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»Komm, gib ihn her«, fiel ihr Herr de Plouguern ins Wort. »Du wirst dir die Fingernägel verderben, wenn du das in Ordnung bringen willst ... Silber ist hart, meine Kleine.«

Er hatte den Rosenkranz wieder an sich genommen, er versuchte, den Querbalken des Kreuzes geradezubiegen, behutsam, um es nicht zu zerbrechen. Clorinde weinte nicht mehr, mit starren Augen sah sie ihm gespannt zu. Auch Rougon streckte mit einem Lächeln den Kopf vor; er war von einer erbärmlichen Ungläubigkeit, in einem solchen Maße, daß das junge Mädchen schon zweimal nahe daran gewesen war, wegen unangebrachter Scherze mit ihm zu brechen.

»Donnerwetter«, sagte Herr de Plouguern halblaut, »weich ist er nicht, dein lieber Gott! Ich habe nur Angst, ihn mitten entzweizubrechen ... Du sollst deinen lieben Gott ersetzt bekommen, Kleine.«

Er machte einen neuen Versuch, das Kreuz brach glattweg durch.

»Ach, das tut mir leid!« rief er aus. »Diesmal ist es entzweigegangen.«

Rougon hatte zu lachen begonnen. Da wich Clorinde mit tiefschwarzen Augen und verzerrtem Gesicht zurück, sah die beiden starr an, stieß sie dann mit geballten Fäusten wütend weg, als wolle sie sie zur Tür hinauswerfen. Wie von Sinnen beschimpfte sie sie auf italienisch.

»Sie schlägt uns, sie schlägt uns«, sagte Herr de Plouguern fröhlich.

»Da sieht man die Früchte des Aberglaubens«, stieß Rougon zwischen den Zähnen hervor.

Der Greis hörte auf zu scherzen, zeigte plötzlich eine ernste Miene; und als der große Mann fortfuhr, lauter hergebrachte Redensarten über den verabscheuungswürdigen Einfluß des Klerus, über die erbärmliche Erziehung der katholischen Frauen, über den Niedergang des den Priestern ausgelieferten Italiens vorzubringen, erklärte er mit schroffer Stimme: »Die Religion bewirkt die Größe der Staaten.«

»Wenn sie die Staaten nicht wie ein Geschwür zerfrißt«, erwiderte Rougon. »So steht die Sache. Wenn der Kaiser die Bischöfe nicht in Schach hält, wird er es bald mit ihnen allen zu tun kriegen.«

Da wurde Herr de Plouguern seinerseits ärgerlich. Er verteidigte Rom. Er sprach von den Überzeugungen seines ganzen Lebens. Ohne Religion würden die Menschen in den Zustand wilder Tiere zurücksinken. Und er ging dazu über, die große Sache der Familie zu verteidigen. Die gegenwärtige Epoche nehme eine Wendung zum Grundschlechten; noch nie habe sich das Laster schamloser zur Schau gestellt, noch nie habe die Ruchlosigkeit solche Verwirrung in den Gewissen angerichtet.

»Reden Sie mir nicht von Ihrem Kaiserreich«, rief er schließlich. »Es ist ein Bastard der Revolution ... Oh, wir wissen Bescheid, Ihr Kaiserreich träumt von der Demütigung der Kirche. Aber wir sind auch noch da, wir werden uns nicht wie Hammel abschlachten lassen ... Machen Sie nur mal einen kleinen Versuch, mein lieber Herr Rougon, Ihre Ansichten im Senat einzugestehen.«

»Ach, antworten Sie ihm nicht mehr«, sagte Clorinde. »Wenn Sie ihn reizen, wird er schließlich noch Christus anspucken. Er ist ein Verdammter.«

Rougon gab sich besiegt, er verbeugte sich. Es entstand eine Pause. Das junge Mädchen suchte auf dem Parkett das kleine vom Kreuz abgebrochene Stück; als sie es gefunden hatte, wickelte sie es mit dem Rosenkranz zusammen sorgfältig in ein Stück Zeitung. Sie beruhigte sich.

»Hör mal, Herzchen«, begann plötzlich Herr de Plouguern, »ich habe dir noch nicht erzählt, weshalb ich hier heraufgekommen bin. Ich habe für heute abend eine Loge im PalaisRoyal36, und ich nehme dich mit.«

»Dieser Pate!« rief Clorinde aus, vor Vergnügen wieder ganz rosig geworden. »Man muß Mama wecken.«

Und sie küßte ihn, »zur Belohnung«, wie sie sagte. Lächelnd, mit ausgestreckter Hand, wandte sie sich Rougon zu und sagte mit einem köstlichen Schmollgesicht: »Sie sind mir doch nicht böse? Bringen Sie mich also nicht wieder zum Rasen mit Ihren heidnischen Ideen ... Ich werde ganz dämlich, wenn man mich mit der Religion neckt. Ich könnte meine besten Freundschaften in Gefahr bringen.«

Luigi, der einsah, daß er das Ohr an diesem Tage nicht mehr fertigmalen konnte, hatte unterdessen seine Staffelei in eine Ecke geschoben. Er griff nach seinem Hut, kam und berührte das junge Mädchen an der Schulter, um sie darauf aufmerksam zu machen, daß er weggehe. Und sie begleitete ihn bis zum Treppenabsatz, sie selber zog die Tür hinter sich und ihm zu; aber sie verabschiedeten sich so geräuschvoll voneinander, daß man einen leichten Schrei Clorindes vernahm, der sich in einem unterdrückten Lachen verlor. Als sie wieder ins Zimmer trat, sagte sie: »Ich gehe mich umziehen, es sei denn, der Pate will mich so ins PalaisRoyal mitnehmen.« Und alle drei amüsierten sich über diesen Einfall. Die Abenddämmerung war hereingebrochen. Als Rougon aufbrach, ging Clorinde mit ihm hinunter und ließ Herrn de Plouguern für einen Augenblick allein, so lange wie sie brauchte, um ein Kleid anzuziehen. Im Treppenhaus war es schon völlig dunkel. Ohne ein Wort zu sagen, ging sie so langsam voraus, daß er die leise Berührung ihres Gazeüberwurfes an seinen Knien spürte. Als sie dann vor der Tür ihres Schlafzimmers angelangt war, trat sie ein; sie machte zwei Schritte, bevor sie sich umwandte ... Er war ihr gefolgt. Dort erhellten die zwei Fenster das ungemachte Bett, die stehengebliebene Waschschüssel, die noch immer auf dem Haufen Kleidungsstücke schlafende Katze mit einem bleichen Schimmer.

»Sie sind mir nicht böse?« wiederholte sie mit fast flüsternder Stimme, wobei sie ihm die Hände hinstreckte.

Er schwor, es nicht zu sein. Er hatte ihre Hände ergriffen, ließ die seinen an ihren Armen bis über die Ellbogen hinaufgleiten, wobei er sich vorsichtig unter der schwarzen Spitze vorwärtstastete, damit seine plumpen Finger weiter gelangten, ohne etwas zu zerreißen. Sie hob die Arme ein wenig, als wünsche sie, ihm diese Bemühung zu erleichtern. Sie standen im Schatten des Wandschirms, keiner sah das Gesicht des anderen. Und in diesem Zimmer, dessen dumpfe Luft ihm das Atmen erschwerte, verspürte er wieder jenen Duft von fast zuckriger Schärfe, der ihn schon zuvor berauscht hatte. Doch sobald er über ihre Ellbogen hinaufgelangt war und seine Hände brutal wurden, fühlte er, wie sich Clorinde ihm entzog, und er hörte sie durch die hinter ihnen offengebliebene Tür rufen: »Antonia! Licht, und bringen Sie mir mein graues Kleid.«

Als sich Rougon wieder auf der Avenue des ChampsElysées befand, blieb er einen Augenblick wie betäubt stehen und atmete die frische Luft ein, die von der Höhe des ArcdeTriomphe heranwehte. Die Avenue, durch die jetzt keine Wagen mehr fuhren, ließ eine nach der anderen ihre Gasflammen aufleuchten, deren plötzliche Helligkeit das Dunkel mit einem Lauffeuer funkelnder Sterne tüpfelte. Ihm war, als habe er soeben einen Blutsturz gehabt, er strich sich mit den Händen übers Gesicht.

»Ach nein«, sagte er ganz laut, »das wäre zu dumm!«

Kapitel IV

Der feierliche Taufzug sollte um fünf Uhr vom Pavillon de l'Horloge aufbrechen. Sein vorgesehener Weg führte durch die große Allee des Tuileriengartens, über den Place de la Concorde, die Rue de Rivoli, den Place de l'Hôtel de Ville, die Pont d'Arcole, die Rue d'Arcole zum Place du Parvis.

Schon um vier Uhr hatte sich an der Pont d'Arcole eine ungeheure Menschenmenge angesammelt. In dem freien Raum, den der Fluß mitten in der Stadt geschaffen hatte, konnte eine ganze Volksmasse unterkommen.

Dort bot sich unvermittelt ein großer Ausblick, weit weg sah man die Spitze der Ile SaintLouis, über die wie ein Querbalken der schwarze Strich der Pont LouisPhilippe lief; zur Linken verlor sich der schmale Arm der Seine zwischen dicht zusammengedrängten niedrigen Gebäuden; zur Rechten tat der breitere Arm eine von blaßviolettem Dunst verhüllte Ferne auf, in der man den grünen Fleck der Räume des Port auxVins37 erkennen konnte. Dann zogen sich auf beiden Seiten, vom Quai SaintPaul bis zum Quai de la Mégisserie, vom Quai Napoléon bis zum Quai de l'Horloge, die Bürgersteige längs breiter Fahrstraßen hin, während gegenüber der Brücke der Place de l'Hôtel de Ville seine ebene Fläche dehnte. Und über diese unermeßlichen Räume spannte der Himmel, ein Junihimmel von warmer Reinheit, eine riesige Bahn seiner blauen Unendlichkeit.

Als es halb fünf schlug, wimmelte es überall von Menschen. Die Bürgersteige entlang standen nicht endende Reihen Neugieriger gegen die Brüstungen gedrückt. Ein Meer von Menschenköpfen erfüllte in immer noch wachsender Flut den Place de l'Hôtel de Ville. Gegenüber waren in den alten Häusern des Quai Napoléon in den schwarzen Lücken der weit offenen Fenster Gesichter zusammengepfercht, und sogar aus der Tiefe der dunklen, auf den Fluß zu führenden Gäßchen, der Rue Colombe, der Rue Saint Landry, der Rue Glatigny, beugten sich Frauenhauben mit im Winde flatternden Rändern vor. Die dichtbesetzte Pont NotreDame zeigte eine Reihe von Zuschauern, die Ellbogen auf den Stein gestützt wie auf den Brüstungssamt einer kolossalen Tribüne. Am anderen Ende, ganz weit fort, belebte sich die Pont LouisPhilippe mit einem Gekribbel schwarzer Punkte, während die entferntesten Fenster, die kleinen Streifen, die in regelmäßigen Abständen die gelben und grauen Fassaden des Häuserkaps an der Spitze der Insel durchbrachen, für Augenblicke von dem lichten Fleck eines Kleides erhellt wurden. Menschen standen zwischen den Schornsteinen auf den Dächern. Leute, die man nicht sah, schauten durch Operngläser hoch von ihren Terrassen am Quai de la Tournelle herab. Und das sich weithin ergießende, schräg einfallende Sonnenlicht war wie das Erschauern dieser Menge; in ihm wogte das erregte Lachen dieser Dünung von Köpfen; grellfarbige Sonnenschirme, wie Spiegel gehalten, standen gleich runden Gestirnen in dem buntscheckigen Gemisch von Frauenkleidern und Überziehern.

Doch was man von überallher sah, von den Quais, den Brücken, den Fenstern aus, das war am Horizont ein auf die kahle Mauer eines sechsstöckigen Hauses der Ile SaintLouis al fresco gemalter riesiger grauer Gehrock in Seitenansicht, den linken Ärmel im Ellbogen gekrümmt, als habe das Kleidungsstück die Haltung und die Rundungen eines Körpers bewahrt, der jetzt verschwunden war. Diese monumentale Reklame dort in der Sonne, über dem Gewimmel der Spaziergänger, gewann eine außerordentliche Bedeutsamkeit.

Ein doppeltes Spalier ermöglichte es jedoch, daß sich der feierliche Zug mitten durch die Menge fortbewegen konnte; zur Rechten reihten sich die Nationalgarden, zur Linken Soldaten der Linienregimenter. Das eine Ende dieses Spaliers verlor sich in der mit Fahnen geschmückten Rue d'Arcole, wo aus den Fenstern kostbare Stoffe hingen und in weichem Wallen an die dunklen Häuser schlugen. Inmitten der Überflutung auch des kleinsten Winkels war die leergelassene Brücke der einzige Streifen nackten Bodens, und in ihrer Leere und Leichtigkeit machte sie mit ihrem sanft geschwungenen eisernen Bogen einen seltsamen Eindruck. Unten aber, auf den steilen Uferböschungen, fing das Gedränge wieder an; sonntäglich herangeputzte Bürger hatten ihre Taschentücher ausgebreitet, hatten sich dort neben ihren Frauen hingesetzt, warteten ab und ruhten sich von einem ganzen Nachmittag des Umherschlenderns aus. Jenseits der Brücke, mitten in der verbreiterten, ganz blauen, am Zusammenfluß der beiden Arme grün moirierten Fläche des Flusses, plagte sich eine Bootsmannschaft in roten Matrosenblusen damit ab, ihr Boot durch Ruderschläge auf der Höhe des PortauxFruits38 zu halten. Außerdem war da noch dicht am Quai de Gèvres ein großes Waschschiff mit vom Wasser grün gewordenen Planken, aus dem man das Gelächter der Wäscherinnen und das Klopfen ihrer Schlegel hörte. Und die drei bis vierhunderttausend Köpfe dieser zusammengeballten Menschenmenge hoben sich zuweilen, blickten nach den Türmen von NotreDame, die ihre viereckige Masse über den Häusern des Quai Napoléon aufreckten. Die Türme, von der sinkenden Sonne vergoldet, rostfarben gegen den hellen Himmel stehend, zitterten in der Luft, ganz Klang geworden von einem ungeheuren Geläute.

Zwei oder dreimal bereits hatte blinder Alarm ein heftiges Drängen und Stoßen in der Menge verursacht.

»Ich versichere Ihnen, daß sie nicht vor halb sechs vorbeikommen werden«, sagte ein langer Kerl, der in Gesellschaft von Herrn und Frau Charbonnel vor einem Café am Quai de Gevres saß.

Es war Gilquin, Théodore Gilquin, der ehemalige Mieter der Frau Mélanie Correur, Rougons schrecklicher Freund. An diesem Tage war er ganz in gelben Zwillich gekleidet, einen kompletten Anzug für neunundzwanzig Francs, zerknittert, fleckig, an den Nähten aufgeplatzt; und dazu trug er zerrissene Stiefel, hell havannafarbene Handschuhe, einen großen Strohhut ohne Band. Wenn Gilquin Handschuhe anlegte, war er »angezogen«. Seit der Mittagszeit führte er die Charbonnels umher, deren Bekanntschaft er eines Abends bei Rougon in der Küche gemacht hatte.

»Sie werden alles sehen, meine Kinder«, wiederholte er, mit der Hand seinen langen Schnurrbart abwischend, der eine schwarze Schmarre in sein Säufergesicht zeichnete. »Sie haben sich meinen Händen anvertraut, nicht wahr? Nun gut, lassen Sie mich die Anordnung und den Verlauf des kleinen Festes regeln.«

Gilquin hatte schon drei Glas Kognak und fünf Schoppen Bier getrunken. Seit zwei vollen Stunden hielt er die Charbonnels hier unter dem Vorwand fest, daß man unter den ersten zur Stelle sein müsse. Es war ein kleines, ihm bekanntes Café, wo man, wie er sagte, ausgezeichnet aufgehoben sei; und er duzte den Kellner. In ihr Schicksal ergeben, hörten die Charbonnels ihm zu, sehr überrascht von der Weitschweifigkeit und Mannigfaltigkeit seines Geredes; Frau Charbonnel hatte nur ein Glas Zuckerwasser haben wollen; Herr Charbonnel nahm ein Glas Anisette, wie er es zuweilen im Kaufmannsklub zu Plassans tat. Unterdessen sprach Gilquin ihnen so von der Taufe, als habe er den Vormittag in den Tuilerien verbracht, um Näheres darüber zu erfahren.

»Die Kaiserin ist sehr zufrieden«, sagte er. »Sie hat eine prächtige Niederkunft gehabt. Oh, das ist eine lustige Frau! Sie werden sehen, wie stattlich sie aussieht ... Der Kaiser ist vorgestern von Nantes zurückgekommen, wohin er wegen der Überschwemmungen gefahren war ... Ach, welch ein Unglück sind solche Überschwemmungen!«

Frau Charbonnel schob ihren Stuhl zurück. Sie hatte ein wenig Angst vor der Menschenmenge, die in immer dichteren Massen an ihr vorbeiströmte.

»Wieviel Leute!« murmelte sie.

»Bei Gott«, rief Gilquin, »es sind mehr als dreihunderttausend Fremde in Paris! Seit acht Tagen bringen Sonderzüge die ganze Provinz hierher ... Sehen Sie, das dort sind Leute aus der Normandie und das dort Gascogner, und die da drüben sind aus der FrancheComté. Oh, so etwas rieche ich sofort! Ich bin ganz schön herumgekommen.«

Dann erzählte er, daß die Gerichte nicht arbeiteten, daß die Börse geschlossen sei, daß alle Behörden ihre Angestellten beurlaubt hätten. Die gesamte Hauptstadt feiere die Taufe. Und er ging dazu über, Summen zu nennen und auszurechnen, was die kirchliche Feier und die Festlichkeiten kosten würden. Der Corps législatif habe vierhunderttausend Francs bewilligt; aber das sei eine Lappalie, denn ein Stallknecht der Tuilerien habe ihm tags zuvor versichert, daß allein der Festzug annähernd zweihunderttausend Francs kosten werde. Wenn der Kaiser nicht mehr als eine Million aus der Zivilliste hinzufügen müsse, werde er sich glücklich schätzen dürfen. Die Taufausstattung allein sei hunderttausend Francs wert.

»Hunderttausend Francs!« wiederholte Frau Charbonnel verblüfft. »Aber woraus besteht sie denn? Was hat man denn bloß dazu verwendet?«

Gilquin lachte selbstgefällig. Es gebe so teure Spitzen. Er sei früher einmal Reisender in Spitzen gewesen. Und er fuhr in seinen Berechnungen fort: fünfzigtausend Francs seien ausgesetzt als Beihilfe für die Eltern ehelicher Kinder, die am selben Tage wie der kleine Prinz geboren wurden und bei denen der Kaiser und die Kaiserin Pate und Patin sein wollten; fünfundachtzigtausend Francs sollten für den Kauf von Medaillen für die Schöpfer von Kantaten, die in den Theatern gesungen würden, aufgewendet werden. Schließlich teilte er Einzelheiten über die hundertzwanzigtausend Erinnerungsmedaillen mit, die an die Gymnasiasten, an die Kinder in den Elementarschulen und den Kleinkinderbewahranstalten, an die Unteroffiziere und an die Soldaten der Pariser Garnison verteilt worden waren. Er besaß eine, er wies sie vor. Es war eine Medaille von der Größe eines Zehnsoustücks, die auf einer Seite die Profile des Kaisers und der Kaiserin zeigte, auf der anderen das des Kaiserlichen Prinzen, dazu das Datum der Taufe: 14. Juni 1856.

»Würden Sie sie mir überlassen?« fragte Herr Charbonnel.

Gilquin willigte ein.

Als ihm aber der Biedermann, in Verlegenheit wegen des Preises, ein Zwanzigsoustück gab, lehnte er es großartig ab und meinte, sie dürfe wohl kaum mehr als zehn Sou wert sein. Unterdessen betrachtete Frau Charbonnel die Profile des Kaiserpaares. Sie wurde gerührt.

»Sie sehen sehr freundlich aus«, sagte sie. »Sie wirken hier so dicht nebeneinander wie schlichte, rechtschaffene Leute ... Sehen Sie doch, Charbonnel, man könnte meinen, zwei Köpfe auf demselben Kissen, wenn man die Münze auf diese Weise anschaut.«

Dann kam Gilquin wieder auf die Kaiserin zu sprechen, deren Mildtätigkeit er pries. Im neunten Monat ihrer Schwangerschaft habe sie ganze Nachmittage auf die Gründung einer Erziehungsanstalt für arme junge Mädchen weit oben im Faubourg SaintAntoine verwendet. Soeben habe sie die Annahme von achtzigtausend Francs verweigert, die fünfsouweise im Volk gesammelt worden waren, um dem kleinen Prinzen ein Geschenk darzubringen, und dieser Betrag solle auf ihren Wunsch dazu dienen, hundert Waisenkindern eine Lehrzeit zu ermöglichen. Gilquin, schon leicht benebelt, machte schreckliche Augen, während er sich bemühte, seiner Stimme einen zarten Klang zu geben und Ausdrücke zu finden, in denen sich die Ehrfurcht des Untertanen mit der leidenschaftlichen Bewunderung des Mannes vereinte. Er erklärte, daß er zu Füßen dieser edlen Frau gern sein Leben opfern würde. Aber um ihn her erhob niemand Einspruch. Das Getöse der Volksmenge klang von weitem wie das sich in einem ununterbrochenen Geschrei ausbreitende Echo seiner Lobpreisungen. Und die Glocken von NotreDame wälzten in vollem Schwung die Lawine ihrer ungeheuren Freude über die Häuser.

»Vielleicht wäre es allmählich an der Zeit, uns einen Platz zu suchen«, meinte zaghaft Herr Charbonnel, den das Sitzen langweilte.

Frau Charbonnel war aufgestanden und raffte ihren gelben Schal um den Hals zusammen.

»Gewiß«, murmelte sie. »Sie wollten als einer der ersten da sein, und nun bleiben wir hier sitzen und lassen uns alle Leute zuvorkommen.«

Aber Gilquin wurde ärgerlich. Er schlug mit der Faust auf den kleinen Zinktisch und schimpfte. Kenne er etwa sein Paris nicht? Und während Frau Charbonnel eingeschüchtert wieder auf ihren Stuhl sank, rief er dem Kellner zu: »Jules, einen Absinth und Zigarren!«

Als er dann seinen dicken Schnurrbart in den Absinth getaucht hatte, rief er den Kellner wütend nochmals zurück.

»Machst du dich etwa über mich lustig? Nimm gefälligst diesen Schund weg und stell mir die andere Flasche hin, die von Freitag! Ich bin in Likören gereist, mein Alter. Théodore läßt sich nicht reinlegen.«

Er beruhigte sich, als ihm der Kellner, der Angst vor ihm zu haben schien, die Flasche gebracht hatte. Dann klopfte er den Charbonnels freundlich auf die Schulter, nannte sie Papa und Mama.

»Was, Mama, jucken uns die Füßchen? Warten Sie nur, Sie werden von jetzt bis heut abend genug Zeit haben, sie zu brauchen ... Nun, zum Teufel, mein Dicker, haben wir es nicht gut hier vor dem Café? Wir sitzen, wir sehen zu, wie die Leute vorbeikommen ... Ich sage Ihnen, wir haben Zeit. Lassen Sie sich etwas bringen.«

»Danke, wir sind befriedigt«, erklärte Herr Charbonnel.

Gilquin hatte sich gerade eine Zigarre angesteckt. Er lehnte sich zurück; die Daumen in den Ärmelausschnitten seiner Weste, wiegte er sich mit vorgewölbter Brust auf seinem Stuhl. Selige Zufriedenheit feuchtete seine Augen. Plötzlich kam ihm ein Einfall.

»Wissen Sie was?« rief er. »Nun, morgen früh um sieben Uhr bin ich bei Ihnen und hole Sie ab, ich werde dafür sorgen, daß Sie das ganze Fest sehen. Das ist doch nett, nicht?«

Die Charbonnels blickten einander höchst beunruhigt an. Er aber setzte lang und breit das Programm auseinander. Er hatte eine Stimme wie ein Bärenführer, der marktschreierisch seine Vorführung anpreist. Vormittags Frühstück im PalaisRoyal und Spaziergang durch die Stadt. Nachmittags auf der Esplanade des Invalides militärische Vorführungen, Klettermasten; dreihundert Ballons, die Tüten mit Bonbons mit sich führten, wollte man aufsteigen lassen und einen großen Ballon mit Zuckerzeugregen. Abends Essen bei einem ihm bekannten Weinhändler am Quai de Billy, Feuerwerk, dessen Hauptstück eine Taufkapelle darstellen solle, Bummel durch die illuminierten Straßen. Und er erzählte ihnen von dem feurigen Kreuz, das man auf dem Hôtel de la Légion d'honneur aufrichte, von dem feenhaften Palast auf dem Place de la Concorde, für den man neunhundertfünfzigtausend farbige Gläser benötigt habe, von dem Tour Saint Jacques, dessen Statue hoch droben einer brennenden Fackel gleichen werde. Als die Charbonnels noch immer zögerten, neigte er sich vor und dämpfte die Stimme.

»Auf dem Heimweg werden wir dann in einem kleinen Milchladen in der Rue de Seine Station machen, wo man eine wirklich großartige Käsesuppe bekommt.«

Da wagten die Charbonnels nicht mehr, es ihm abzuschlagen. Ihre rund gewordenen Augen drückten kindliche Neugier und kindliches Erschrecken zugleich aus. Sie fühlten, wie sie völlig abhängig wurden von diesem schrecklichen Mann. Frau Charbonnel beschränkte sich darauf, zu murmeln: »O dies Paris, dies Paris! – Da wir nun einmal hier sind, müssen wir schließlich wohl alles sehen. Aber wenn Sie wüßten, Herr Gilquin, wie ruhig wir in Plassans gelebt haben! Dort habe ich Eingemachtes, das verkommt, Konfitüren, Kirschen in Branntwein, Pfeffergürkchen ...«

»Hab nur keine Angst, Mama«, beruhigte sie Gilquin, der so vergnügt wurde, daß er sie duzte. »Du gewinnst deinen Prozeß, und dann lädtst du mich ein, ha, wir werden alle hinfahren und über das Eingemachte herfallen.«

Er goß sich ein neues Glas Absinth ein. Er war völlig betrunken. Einen Moment lang heftete er einen gerührten Blick auf die Charbonnels. Wenn es nach ihm ginge, sollte man sein Herz auf der Hand tragen. Plötzlich stand er auf, schwang seine langen Arme und rief mehrmals: »Pst! Heda!« Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig kam in einem Kleid aus taubenhalsfarbener Seide Frau Mélanie Correur vorüber. Sie wandte den Kopf; es schien sie sehr zu verdrießen, Gilquins gewahr zu werden. Dennoch überquerte sie den Fahrdamm, wobei sie sich mit der Würde einer Fürstin in den Hüften wiegte. Und als sie am Tisch stand, ließ sie sich lange bitten, ehe sie etwas annahm.

»Wie wär's mit einem Gläschen Cassis?« fragte Gilquin. »Den mögen Sie doch ... Sie erinnern sich, Rue Vanneau? Lustig ist's zugegangen zu jener Zeit! Ach, die gute dumme Correur!«

Als sie sich schließlich hinsetzte, lief ein ungeheures Jubelgeschrei durch die Menge. Wie von einem Windstoß davongewirbelt, stürmten die Spaziergänger mit dem Stampfen einer ausbrechenden Herde dahin. Die Charbonnels waren unwillkürlich aufgestanden, um einen Anlauf zu nehmen. Aber die schwere Hand Gilquins nagelte sie wieder auf ihren Stühlen fest. Er war puterrot. »Rühren Sie sich doch nicht, alle Wetter! Warten Sie auf den Befehl ... Sie sehen doch, daß all diese Dummköpfe sich unnütz die Nase einrennen. Es ist erst fünf Uhr, nicht wahr? Was jetzt kommt, ist der Kardinallegat. Auf den pfeifen wir, auf den Kardinallegaten! Ich finde es kränkend, daß der Papst39 nicht persönlich gekommen ist. Entweder man ist Pate, oder man ist es nicht, scheint mir! Ich schwöre Ihnen, daß das Knirpschen nicht vor einer halben Stunde vorbeikommt.« Allmählich verlor er in der Trunkenheit den Respekt. Er hatte seinen Stuhl umgedreht, er blies den Leuten den Rauch ins Gesicht, zwinkerte den Frauen zu und sah die Männer mit herausfordernden Blicken an. An der ein paar Schritt entfernten Pont NotreDame entstand ein Wagengedränge; die Pferde stampften vor Ungeduld, goldbestickte, mit Orden besäte Uniformen hoher Beamter und Offiziere zeigten sich an den Wagenschlägen.

»Was für eine Menge Lametta!« murmelte Gilquin mit dem Lächeln eines überlegenen Mannes.

Aber als vom Quai de la Mégisserie her ein Kupee kam, hätte er fast mit einem Satz den Tisch umgeworfen. Er schrie: »Sieh da! Rougon!«

Und stehend grüßte er mit seiner behandschuhten Hand. Dann nahm er, da er befürchtete, nicht bemerkt zu werden, seinen Strohhut und schwenkte ihn. Rougon, dessen Senatorentracht sehr beachtet wurde, ließ sich schnell tief in eine Ecke des Kupees sinken.

Da rief ihn Gilquin an, die halbgeschlossene Faust als Sprachrohr benutzend. Gegenüber auf dem Bürgersteig rottete sich die Menge zusammen, um zu sehen, auf wen dieser verteufelt lange Kerl in gelbem Zwillich es abgesehen habe. Endlich konnte der Kutscher auf sein Pferd lospeitschen, das Kupee fuhr auf die Pont NotreDame.

»Seien Sie doch still!« mahnte mit gedämpfter Stimme Frau Correur und packte Gilquin beim Arm.

Er wollte sich nicht sofort hinsetzen, sondern reckte sich in die Höhe, um dem zwischen den anderen Wagen dahinfahrenden Kupee mit dem Blick zu folgen. Und er schickte den fliehenden Rädern einen letzten Satz nach.

»O der Treulose, das kommt davon, daß er jetzt Gold auf seinem Überrock hat! Das ändert nichts daran, mein Dicker, daß du dir mehr als einmal Théodores Stiefel gepumpt hast!«

Rings um ihn her an den sechs oder acht Tischen des kleinen Cafés rissen Bürger mit ihren Damen weit die Augen auf; besonders eine Familie am Nachbartisch, Vater, Mutter und drei Kinder, hörte ihm mit tiefinteressierten Mienen zu. Entzückt davon, ein Publikum zu haben, blähte er sich auf. Langsam ließ er den Blick über die Gäste wandern und sagte, während er sich wieder hinsetzte, sehr laut: »Rougon! Den habe ich gemacht!«

Da ihn Frau Correur zu unterbrechen versucht hatte, rief er sie nun als Zeugin an. Sie wisse doch alles ganz genau! Das sei bei ihr geschehen, in der Rue Vanneau, im Hôtel Vanneau. Sie werde wohl nicht abstreiten, daß er dem da zwanzigmal seine Stiefel geliehen habe, damit er zu feinen Leuten gehen und sich an einem Haufen von Geschäften beteiligen konnte, von denen niemand etwas verstand. Rougon habe zu jener Zeit nur ein Paar alte, schiefgetretene Schuhe besessen, die kein Lumpenhändler mehr hätte haben wollen. Und er beugte sich mit Siegermiene zum Nachbartisch hinüber, zog die Familie mit ins Gespräch, rief aus: »Bei Gott, sie wird nicht nein sagen! Sie war es, die ihm in Paris das erste Paar neue Stiefel bezahlte.«

Frau Correur drehte ihren Stuhl, damit es so aussehen sollte, als gehöre sie nicht zu Gilquins Gesellschaft. Die Charbonnels saßen ganz bleich da, weil sie auf solche Art von einem Manne reden hörten, der ihnen fünfhunderttausend Francs in die Tasche schaffen sollte. Gilquin aber war einmal im Zuge, er erzählte mit unendlichen Einzelheiten von Rougons Anfängen. Sich selber nannte er einen Philosophen; er lachte jetzt, zog die Gäste der Reihe nach ins Gespräch; rauchend, spuckend, trinkend erklärte er ihnen, er sei an die Undankbarkeit der Menschen gewöhnt; ihm genüge, wenn er selber Hochachtung vor sich habe. Und er wiederholte, daß er Rougon gemacht habe. Zu jener Zeit sei er Parfümeriereisender gewesen. Aber der Handel habe infolge der Republik nicht floriert. Alle beide seien sie im selben Stockwerk fast vor Hunger krepiert. Da habe er den Einfall gehabt, Rougon dazu zu veranlassen, sich von einem Gutsbesitzer in Plassans Olivenöl schicken zu lassen; und sie hätten sich, jeder für sich, mit Ölproben in den Taschen auf die Beine gemacht und bis zehn Uhr abends das Pflaster von Paris getreten. Rougon sei nicht geschickt gewesen, dennoch habe er zuweilen schöne Aufträge mitgebracht, die er von den großen Leuten hereingeholt habe, zu denen er zur Abendgesellschaft ging. O dieser Schuft Rougon! In allerlei Dingen dümmer als eine Gans, und dabei bösartig! Wie hatte er später Théodore für seine Politik schuften lassen! Hier dämpfte Gilquin ein wenig die Stimme, blinzelte, denn schließlich hatte auch er selber zu der Clique gehört. Er habe die Kneipen vor den Toren belaufen und dort geschrien: »Es lebe die Republik!« Ei ja, man mußte schon Republikaner sein, um Leute zu werben. Das Kaiserreich sei ihm wirklich einen Blumentopf schuldig. Je nun, das Kaiserreich sage nicht einmal danke schön zu ihm. Während Rougon und seine Clique den Kuchen unter sich teilten, habe man ihn, Gilquin, wie einen räudigen Hund vor die Tür gejagt. Ihm sei es recht so, er bleibe lieber unabhängig. Eins aber bedaure er doch, nämlich daß er nicht bis ans Ende mit den Republikanern gegangen sei, um jenes ganze Lumpengesindel mit Flintenschüssen hinwegzufegen.

»Genau wie der kleine Du Poizat, der so tut, als kennt er mich nicht mehr!« sagte er abschließend. »Ein schwächlicher Kerl, dem ich öfter einmal unter die Arme gegriffen habe! Du Poizat! Unterpräfekt! Ich hab ihn im Hemd gesehen mit der großen Amélie, die ihn mit einer Ohrfeige zur Tür hinausbeförderte, wenn er nicht artig war.«

Einen Augenblick lang schwieg er, plötzlich gerührt, mit vor Trunkenheit schwimmenden Augen. Dann fing er, die Gäste um ihn her befragend, aufs neue an: »Kurz, Sie haben soeben Rougon gesehen ... Ich bin ebenso groß wie er. Ich stehe in seinem Alter. Ich schmeichle mir, einen etwas weniger schurkischen Kopf zu haben als er. Ei nun, würde ich mich nicht in einem Wagen, den ganzen Körper mit vergoldeten Dekorationsstücken behängt, besser ausnehmen als dieses dicke Schwein?«

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