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EHP – ORGANISATION
Hrsg. von Gerhard Fatzer in Zusammenarbeit mit
Wolfgang Looss, Sonja A. Sackmann und Sabina Schoefer
Der Autor
Edgar H. Schein, Professor emeritus der Sloan School of Management am Massachusetts Institute of Technology, wo er heute noch arbeitet. Als Schüler von Douglas McGregor und Richard Beckhard und als einer der Mitbegründer der Organisationspsychologie und der Organisationsentwicklung war er Co-Leiter von Kurt Lewins Forschungszentrum für Gruppendynamik am MIT; zahlreiche Veröffentlichungen zur Entwicklung der Prozessberatung als grundlegender Form von OE, zur Analyse und Entwicklung der Organisationskultur und zur Karriereentwicklung sowie zur Organisationspsychologie; zusammen mit Warren Bennis und Chris Argyris Trainer in den National Training Labs in Bethel; Berater von großen Konzernen, Regierungen und Führungskräften in der ganzen Welt.
1969 begründete er zusammen mit Dick Beckhard die erste Buchreihe zur Organisationsentwicklung; sowohl seine eigenen Bücher als auch die von ihm herausgegebenen Titel und die seiner Schüler sind in eine Vielzahl von Sprachen übersetzt; 1999 Mitbegründer der Zeitschrift Reflections. International Journal for Change, Learning, Dialogue, seit 2001 American Editor von Profile. Internationale Zeitschrift für Veränderung, Lernen, Dialog; Consulting Editor der Reihe EHP-Organisation. Er lebt seit seiner Emeritierung in Palo Alto, Kalifornien.
Neben dem vorliegenden Buch sind auch seine Klassiker Prozessberatung, Organisationskultur, Aufstieg und Fall von Digital Equipment Corporation, Karriereanker, Führung und Veränderungsmanagement und Prozess und Philosophie des Helfens (Führungskompetenzen I.) dem deutschsprachigen Leser zugänglich.
© 2016 für die deutsche Ausgabe
EHP – Verlag Andreas Kohlhage, Bergisch Gladbach
© 2016 by Edgar Schein
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
›Humble Inquiry: the gentle art of asking instead of telling‹
First published by Berrett-Koehler Publishers, Inc., San Francisco, CA, USA All rights reserved
Aus dem Amerikanischen von Anna Jell
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagentwurf: Gerd Struwe / Uwe Giese
– unter Verwendung eines Bildes von Claudine Fessler: ›Autofriedhof25, 2008‹, (www.c––art.ch) –
Satz: MarktTransparenz Uwe Giese, Berlin
Gedruckt in der EU
Alle Rechte vorbehalten
All rights reserved. No part of this book may be reproduced or transmitted in any form or by any means, electronic or mechanical, including photocopying, recording or by any information storage and retrieval system, without permission in writing from the publisher.
ISBN 978-3-89797-086-1 (print)
ISBN 978-3-89797-593-4 (ePub)
ISBN 978-3-89797-594-1 (PDF)
Dieses Buch ist meinen wichtigsten Lehrern und Mentoren gewidmet:
Gordon Allport, Richard Solomon, David Rioch, Erving Goffman, Douglas McGregor und Richard Beckhard
Inhalt
Zur Reihe EHP-Organisation
Über Ed Schein und Humble Inquiry (Gerhard Fatzer)
Danksagung
Einleitung: Positive Beziehungen und effektive Organisationen schaffen
1. Grundlagen und Definitionen
2. Die Praxis – Fallbeispiele
3. Der Unterschied zu anderen Arten von Fragen
4. Die Kultur des Tuns, Sagens und Belehrens
5. Status, Rang und Rollengrenzen als Hemmnisse
6. Intrapsychische Kräfte als Hemmnisse
7. Die Haltung des Humble Inquiry entwickeln
Anmerkungen
Sach- und Namenregister
Zur Reihe EHP-Organisation
Seit 1988 Ed Nevis’ Organisationsberatung erschien, stellt die Reihe wichtige Bücher zum Bereich der Organisationsentwicklung und des Change Managements sowie neue, grundlegende Texte und Übersetzungen für den deutschsprachigen Leser vor. Dabei werden unterschiedliche Interventionsformen ausführlich dargestellt, um zur Entwicklung einer Beratungswissenschaft jenseits der reinen Technikorientierung beizutragen. Die Reihe widmet sich besonders dem interkulturellen Austausch zwischen Europa, Amerika und anderen Kulturräumen.
EHP-Organisation stellt sowohl Diskussionsgrundlagen und Denkfiguren im Bereich der OE für das 3. Jahrtausend als auch historische Grundlagen der OE in ihrer Aktualität bereit. Anliegen ist es dabei, eine Reihe mit sorgfältig ausgewählten Titeln zu entwickeln, inspiriert durch die amerikanischen Kollegen und langjährigen Wegbegleiter Chris Argyris (†), Edgar H. Schein, Fred Massarik (†), Ed Nevis (†), Warren Bennis (†) und die Kollegen um Peter Senge am M.I.T., aus deren Kreis sich auch die Consulting Editors von EHP-Organisation rekrutieren.
Der verantwortliche Herausgeber der Reihe stellte mit Supervision und Beratung die Grundlagen von Supervision und Organisationsberatung dar, eines der erfolgreichsten Handbücher des Feldes. Ergänzend dazu erschien Gute Beratung von Organisationen – Supervision und Beratung 2.
Die Trias-Kompasse bilden Trends und Diskussionslinien ab und ermöglichen eine Orientierung im Feld der Organisationen und unterschiedlicher Beratungsformen (Bd. 1: Erfolgsfaktoren von Veränderungsprozessen, Bd. 2: Schulentwicklung als Organisationsentwicklung, Bd. 3: Zur Bedeutung von Kurt Lewin, Bd. 4: Nachhaltige Transformation in Organisationen).
Organisationsentwicklung für die Zukunft stellte zum ersten Mal im deutschen Sprachraum die Grundlagen der lernenden Organisation von Peter Senge u. a. vor brachte erstmals Übersetzungen von grundlegenden Arbeiten von Chris Argyris zur »eingeübten Inkompetenz« und zu »defensiven Routinen«.
Neben internationalen Autoren publizieren wichtige deutschsprachige Autorinnen und Autoren in der Reihe, wie zum Beispiel eine Autorengruppe um die VW-Coaching-Abteilung (Der Beginn von Coachingprozessen): Billmeier, Kaul, Kramer, Krapoth, Lauterbach und Rappe-Giesecke.
Wolfgang Loos stellte als erster kritische Fragen an den Coaching-Begriff, als der große Hype um den Begriff im deutschsprachigen Raum noch gar nicht richtig gestartet war: Zusammen mit Kornelia Rappe-Giesecke und Gerhard Fatzer untersuchte Looss in dem Band Qualität und Leistung von Beratung die drei Beratungsmethoden Supervision, Organisationsentwicklung und Coaching.
Loos’ Klassiker Unter vier Augen: Coaching für Manager ist bis heute eine zentrale Einführung in das Thema und blickt gleichzeitig hinter die Oberfläche der Einzelberatung von Führungskräften.
Die Reihe orientiert sich nicht an Trends, und dort, wo die Professional Community der Berater, Coaches und Supervisoren ihre eigenen Grundlagen und Methoden nicht ausreichend berücksichtigt, ist es Ziel von EHP-Organisation, Einbahnstraßen der Wahrnehmung und kulturelle Ignoranz zu unterlaufen. Es kommen die Autorinnen und Autoren zu Wort, die diesen interkulturellen Dialog praktizieren und konzeptionell untermauern.
Der Band von Fatzer / Jansen (Die Gruppe als Methode) macht die oft fehlende gruppendynamische Grundlage für die Beratung von Gruppen, Teams und Organisationen wieder zugänglich, und Fatzers Ganzheitliches Lernen führt ein in die Grundlagen von Lernender Organisation und Schulentwicklung. Ein weiteres Beispiel ist die Monographie von Albert Koopman (Transcultural Management), die als erste ein erfolgreiches interkulturelles OE-Projekt dokumentierte und daraus ein breit anwendbares Modell der interkulturellen Beratung entwickelte. Das Buch von Barbara Heimannsberg und Christoph Schmidt-Lellek (Interkulturelle Beratung und Mediation) wendet die Grundlagen der Mediation auf den interkulturellen Bereich und auf die Organisationsentwicklung an. Es erschien ein Buch, das dem Lebenswerk von Burkard Sievers gewidmet ist: Ahlers-Niemann / Beumer / Redding Mersky / Sievers: Organisationslandschaften mit einer breiten internationalen und multiprofessionellen Perspektive auf das wichtige Thema destruktiver Prozesse in Organisationen.
Eine der zentralen Interventionsformen, die EHP-Organisation berücksichtigt, ist ›Dialog‹: William Isaacs (Dialog als Kunst gemeinsam zu denken) und der Band von Christoph Mandl, Markus Hauser und Hanna Mandl (Die schöpferische Besprechung) haben hier im deutschsprachigen Raum Qualitätsstandards gesetzt. Die Autoren sind gleichzeitig Beiträger der Zeitschrift Profile. Internationale Zeitschrift für Veränderung, Lernen, Dialog/International Journal for Change, Learning, Dialogue, die mit ihrem Anliegen, das Verständnis von Menschen, Teams und Organisationen zu fördern, die Reihe EHP-Organisation ergänzt. Neue Perspektiven und Praxisbeispiele zu einem anderen wichtigen Thema der Organisationsentwicklung legten Ahlers-Niemann und Freitag-Becker vor: Netzwerke – Begegnungen auf Zeit.
Die Annäherung an eine bisher übersehene Dimension in der Führungskompetenz erarbeitete der Band Organisation und Inspiration von Fatzer / Schönberger / Schoefer.
Die Arbeit von Ed Schein stand von Anfang an im Zentrum des publizistischen Auftrags dieser Reihe, nicht nur weil er American Co-Editor ist. Zahlreiche seiner Aufsätze erschienen früh in Sammelbänden der Reihe und seine Grundlagentexte liegen alle hier vor. Prozessberatung für die Organisation der Zukunft ist einer der erfolgreichsten Bände zum Thema Organisationsentwicklung, und der Referenzcharakter von Scheins Büchern wird auch im provozierenden Buch Organisationskultur (›The Ed Schein Corporate Culture Survival Guide‹) unter Beweis gestellt. Seine Fähigkeit, auf lesbare Art komplexe Organisationszusammenhänge zu vermitteln, macht die Lerngeschichte von Digital Equipment Corporation auch zu einem Lektüregenuss (Aufstieg und Fall von Digital Equipment Corporation. DEC ist tot, lang lebe DEC), ein Fallbeispiel von erstaunlicher Aussagekraft.
Mit seinem Buch Führung und Veränderungsmanagement liegt ein Band vor, den eine Video-DVD mit einer äußerst beeindruckenden Rede Scheins ergänzt. Sein Prozess und Philosophie des Helfens (Führungskompetenzen I.), wird durch den Ihnen hier vorliegenden Band genauer gefasst und 2017 durch einen weiteren Band (Grundlegende Führungskompetenzen III.: Humble Consultation: Die Kunst unvoreingenommen zu beraten) ergänzt.
Herausgeber, Autoren und Verlag möchten Sie als LeserIn einladen, den neuen Band zusammen mit der gesamten Reihe als Möglichkeit zum Dialog innerhalb der globalen Professional Community zu verstehen.
Gerhard Fatzer
Über Ed Schein und Humble Inquiry
Ed Schein begegnete mir zum ersten Mal in den 1980er-Jahren am M.I.T. Dies war der Start einer lebenslangen intensiven Freundschaft. Humble Inquiry ist die Kulmination eines lebenslangen Prozesses des sorgfältigen Nachdenkens und Konzeptualisierens der eigenen Beratungsarbeit. Wir hatten die letzten Jahre das Vergnügen, im Rahmen von vier Trias-Konferenzen Ed Schein immer als Hauptreferent vorstellen zu können.
Ed Schein ist für seine Konzeptualisierung immer von eigenen Erlebnissen oder Fallbeispielen ausgegangen. Höhepunkt war sicher die Keynote der Konferenz 2006 an der ETH Zürich (später in Buchform: Führung und Veränderungsmanagement, 2009 zusammen mit einer DVD). Dort schildert er ausgehend von Fallgeschichten bei Digital Equipment Corporation, Ciba Geigy und Con Edison die Entstehung eines Kulturkonzepts von Teams und Organisationen.
Schein hat sich neben dem Kulturkonzept auch immer Gedanken über das Beraten und die konkreten Vorgehensweisen der Organisationsentwicklung gemacht. Dies startete 1969 mit dem Klassiker Prozessberatung, dem 1987 ein zweiter Band mit dem Fokus auf interne Berater und Führungskräfte folgte. (dt. später in einem Band: Prozessberatung für die Organisation der Zukunft, 2003).
Ed Schein begann dann dieses Konzept zu verfeinern, indem er 2009 die »Philosophie des Helfens« vorstellte (dt.: Prozess und Philosophie des Helfens, 2010). Ich kann mich erinnern, dass am GDI die Manager verschiedener Firmen wie Swisscom meinten, sie seien nicht die Therapeuten ihrer Mitarbeiter. Das ist natürlich richtig, nur hat Edgar Schein genau das auch nie gemeint. Er hat dort zum ersten Mal im Sinne einer allgemeinen Beratungsphilosophie aufgezeigt, dass die Rollen des Helfenden und des Hilfesuchenden soziologisch gesehen schwierig sind und eigentlich der kulturellen Grundannahme der meisten Manager widersprechen. Normalerweise ist der Manager ein Held und ›hat alles unter Kontrolle‹ (im Sinne von David Kantors ›Helden‹).
Jetzt setzt Schein mit der Technik des »Humble Inquiry« einen Konkretisierungsgrad hinzu.
›Humble Inquiry‹ wird übersetzt als »vorurteilsloses Befragen«. Er verwendet hier das von Chris Argyris verwendete Gegensatzpaar der Kommunikation, nämlich »Advocacy« versus »Inquiry«, Erklären versus Befragen. Dies ist eine Grundkategorie seines »Action-Ansatzes« und ist Grundlage des Dialog-Ansatzes (W. Isaacs, Dialog als Kunst gemeinsam zu denken, 2002).
Richtigerweise beschreibt er die typische amerikanische und globale Unternehmenskultur als eine »Kultur des Erklärens oder Befehlens statt der Kultur des Befragens (»Spirit of Inquiry« von Warren Bennis). Vergleiche dazu auch Scheins Bücher zu seinem Ansatz von Unternehmenskultur und der Erhebung von Unternehmenskultur (Organisationskultur, 2003; Aufstieg und Fall von Digital Equipment Corporation, 2006).
So lässt sich auch als Grundproblem in Organisationen benennen, dass die Kommunikation von unten nach ganz oben gefiltert wird. Wäre dies nicht der Fall, so könnten viele Unfälle und Katastrophen verhindert werden. Wir haben dies in unserem Buch Organisation und Inspiration (2015) am Beispiel der Katastrophen von Deep Water Horizon und Fukushima aufgezeigt.
»Humble Inquiry« zeigt die Kunst des Befragens als vollkommen neue Kommunikationsform – und sie hat das Potenzial, eine vollkommen neue Unternehmenskultur zu entwickeln. Die bekannteste Schülerin von Chris Argyris, Diana MacLain Smith, hat dies schon beschrieben (Elefants in the Room, 2012).
Zu »Humble Inquiry« als Methode und zu diesem Buch haben wir mit Ed Schein diverse Filme gedreht, die in Ausschnitten auf unserer Website www.trias.ch angesehen werden können. Dort äußert er sich zu der Frage: Was ist Humble Inquiry? Und wie wird es in Teams angewendet? Wie sieht es als Teil der Kultur eines Unternehmens aus?
Diese Trainingsfilme werden mit viel Erfolg in unseren Seminaren weltweit eingesetzt. Das Trias-Institut ist auch der deutschsprachige Anbieter des Scheinschen Prozessberatungsansatzes, in dem wir seit über 20 Jahren in Organisationsentwicklung und Prozessberatung Führungskräfte und Berater ausbilden.
Weiterführende Hinweise erschließt Ed Scheins Autobiographie, in der sich Spannendes zur Entstehung seines ganzen Gedankengebäudes von Prozessberatung und der Unternehmenskultur findet (erscheint in Kürze). Einblicke in seine Biographie finden sich auch im Buch Führung und Veränderungsmanagement (2009) und in einigen Aufsätzen, die er für die Zeitschrift Profile geschrieben hat (z. B. Schein 2006a; 2006b).
Wir wünschen diesem Buch viel Erfolg
Gerhard Fatzer, Ronco sopra Ascona im März 2015
Danksagung
Dieses Buch hat sich über mehrere Jahre hinweg entwickelt. Das Konzept des Humble Inquiry war Teil meines Buches Prozess und Philosophie des Helfens, doch es war Jeevan Sivasubramaniam, der sofort erkannte, dass daraus ein eigenes Buch werden sollte. Ich zögerte eine Weile, danke ihm jetzt doch herzlich für seine hartnäckigen Bemühungen, um mich von diesem Projekt zu überzeugen. Ich habe viele Versionen an meinen Kollegen vom MIT und meinen Beraterfreunden getestet und bin ihnen allen sehr dankbar für die Ermutigung und das Feedback. Am meisten geholfen haben mir von ihnen Daniel Asnes, Karen Ayas, Lotte Bailyn, David Coughlan, Tina Doerffer, Jody Gittell, Tom Huber, Mary Jane Kornacki, Bob McKersie, Philip Mix, Joichi Ogawa, Jack Silversin, Emily Sper, John van Maanen, Ilene Wasserman und die Mitarbeiter des Verlags, die mir detaillierte Kommentare und Vorschläge gebracht haben.
Die Konzepte und Ideen stammen aus meiner Erfahrung, daher muss ich den vielen Freunden, Klienten und Fremden danken, die mir einerseits die gute Seite des Humble Inquiry gezeigt haben, andererseits die schlechte Seite, indem sie mir Dinge zur falschen Zeit sagten oder als ich noch nicht bereit war, sie zu hören. Ich schätze das Gute und das Schlechte und habe aus beidem gelernt.
Ich will meinen Kindern für ihre Ermutigung und ihre Unterstützung danken, als ich mit der Arbeit und dem Schreiben weitergemacht habe, sogar dann, als die Umstände es erlaubt hätten, dass ich es sein lasse und nur an Blumen rieche. Abschließend möchte ich meiner Freundin Claude Madden danken, die in den letzten Jahren mit meinen Höhen und Tiefen gelebt hat, als ich versuchte, dieses Buch in die heutige Form zu bringen. Sie war eine beständige Quelle der Ermutigung und der Unterstützung.
Palo Alto, CA, Juni 2013
Einleitung: Positive Beziehungen und effektive Organisationen schaffen
Dass ich dieses Buch geschrieben habe, hat persönliche und berufliche Gründe. Auf persönlicher Ebene habe ich es nie gemocht, wenn mir Dinge unaufgefordert mitgeteilt werden, insbesondere Dinge, die ich bereits weiß.
Letztens habe ich ungewöhnliche Pilze bewundert, die nach einem starken Regen gewachsen waren, als eine Dame, die mit ihrem Hund spazieren ging, stehen blieb und mir mit lauter Stimme mitteilte, »Manche von denen sind giftig, wissen Sie.« Ich antwortete: »Ich weiß«, und sie fügte hinzu: »Manche von denen können Sie umbringen, wissen Sie.«
Mir fiel nicht nur auf, dass ihr Mitteilungsdrang es schwierig machte, auf positive Weise zu reagieren, sondern auch, dass sie mich damit beleidigte. Ich bemerkte, dass ihr Ton und ihr Mitteilungsdrang den Aufbau einer positiven Beziehung verhinderten und die weitere Kommunikation unangenehm machten. Ihre Intention mag gewesen sein, mir zu helfen, und doch fand ich dies nicht hilfreich und wünschte mir, sie hätte mir eine Frage gestellt, entweder gleich zu Beginn oder nachdem ich »Ich weiß« gesagt hatte, anstatt zu versuchen, mir noch etwas mitzuteilen.
Warum ist es so wichtig zu lernen, wie man bessere Fragen stellt, die dabei helfen, positive Beziehungen zu schaffen? Weil wir in unserer zunehmend komplexen, verflochtenen und kulturell facettenreichen Welt nicht darauf hoffen können, Menschen aus unterschiedlichen beruflichen und nationalen Kulturen zu verstehen und mit ihnen zu arbeiten, wenn wir nicht wissen, wie man Fragen stellt und Beziehungen aufbaut, die auf gegenseitigem Respekt und der Erkenntnis basieren, dass andere Menschen Dinge wissen, die wir wissen müssen, um eine Arbeit zu erledigen.
Doch nicht alle Fragen sind gleichwertig. Ich glaube, dass wir eine bestimmte Art des Fragens erlernen müssen, die ich in meinem Buch Helping (2011)1 das erste Mal »Humble Inquiry« genannt habe und die wie folgt definiert werden kann:
Humble Inquiry ist die hohe Kunst jemanden zu fragen, Fragen zu stellen, deren Antwort man noch nicht kennt, eine Beziehung aufzubauen, die auf Neugier und Interesse am anderen Menschen basiert.
Meine berufliche Motivation, mich eingehender mit Humble Inquiry zu beschäftigen, wurzelt in den Erkenntnissen, die ich in den letzten 50 Jahren der Unternehmensberatung von unterschiedlichen Organisationen gewonnen habe. Insbesondere bei Industrieunternehmen mit hohem Gefahrenpotenzial, wo Sicherheitsprobleme oberste Priorität haben, habe ich gelernt, dass gute Beziehungen und verlässliche Kommunikation über hierarchische Grenzen hinweg entscheidend sind. Bei Flugzeugabstürzen und Unfällen in der Chemieindustrie, bei den seltenen, aber schwerwiegenden Unfällen mit Atomreaktoren, bei den NASA-Katastrophen der Challenger und der Columbia-Raumfähren und bei der Ölpest im Golf von Mexiko im Jahre 2010 gibt es eine gemeinsame Erkenntnis, nämlich, dass niedrigere Angestellte Informationen hatten, die die Folgen des Unglücks verhindert oder verringert hätten, doch diese wurden entweder nicht an höhere Ebenen weitergegeben oder sie wurden ignoriert und nicht berücksichtigt. Wenn ich mit Bereichsleitern spreche, versichern sie mir immer, dass sie offen sind, dass sie etwas von ihren Untergebenen hören wollen und dass sie deren Informationen ernst nehmen. Wenn ich jedoch mit den Untergebenen in diesen Organisationen spreche, berichten sie mir, dass sie sich nicht sicher fühlen, wenn sie ihren Chefs schlechte Nachrichten überbringen oder dass sie es versucht haben, doch dass man nicht auf sie reagiert oder sie zur Kenntnis genommen hat, woraus sie geschlossen haben, dass ihr Input nicht erwünscht sei und aufgegeben haben. Schockierend häufig haben sie sich lieber mit riskanten Alternativen zufriedengegeben, als ihre Chefs mit potenziell schlechten Nachrichten zu verärgern.
Wenn ich mir ansehe, was in Krankenhäusern, in Operationssälen und im Allgemeinen im Gesundheitssystem vor sich geht, denke ich, dass es dort dieselben Kommunikationsprobleme gibt und dass es oft die Patienten sind, die den Preis dafür zahlen. Das Pflegepersonal und die Operationsgehilfen fühlen sich nicht sicher dabei, einem Arzt negative Informationen zu überbringen oder einen Arzt darauf hinzuweisen, dass er dabei ist, einen Fehler zu begehen. Ärzte werden argumentieren, dass sich die Pflegekräfte äußern würden, wenn sie »Profis« wären, aber in vielen Krankenhäusern erzählen die Krankenpfleger, dass eine Atmosphäre herrscht, in der die Ärzte sie anschreien, was natürlich nicht dazu beiträgt, dass sie sich trauen, die Stimme zu erheben. Ärzte führen mit Patienten einseitige Gespräche, im Zuge derer sie gerade genug Fragen stellen, um eine Diagnose stellen zu können, wobei sie manchmal zu Fehldiagnosen neigen, weil sie nicht ausreichend fragen, bevor sie anfangen, den Patienten zu sagen, was sie tun sollen.
Mir ist aufgefallen, dass in all diesen Situationen etwas fehlt, nämlich eine Atmosphäre, in der niedrigere Angestellte sich sicher dabei fühlen, Themen auf die Agenda zu bringen, die angesprochen werden müssen, Informationen, die die Wahrscheinlichkeit von Unfällen verringern und – in Gesundheitsberufen – Fehler, die Patienten schaden können. Wie erzeugt man eine Atmosphäre, in der sich die Menschen trauen, sich zu äußern, sicherheitsbezogene Informationen auszusprechen und sogar Vorgesetzte darauf hinzuweisen, wenn diese dabei sind, einen Fehler zu begehen?
Die Antwort auf diese Frage widerspricht so manch wichtigem Aspekt der US-amerikanischen Kultur: Wir müssen besser im Fragenstellen werden und weniger erklären in einer Kultur, die den Mitteilungsdrang überbewertet (inquiry versus advocacy). Es hat mich immer schon gestört, dass sogar gewöhnliche Gespräche eher über das definiert werden, was wir erzählen, als über das, was wir fragen. Fragen werden als selbstverständlich betrachtet, anstatt eine tragende Rolle im menschlichen Drama einzunehmen. Doch all meine Erfahrungen in der Lehre und der Unternehmensberatung haben mir gezeigt, dass das, was Beziehungen aufbaut, was Probleme löst, was die Dinge weiterbringt, das Stellen der richtigen Fragen ist. Insbesondere Menschen in Führungspositionen müssen die hohe Kunst der Humble Inquiry als ersten Schritt hin zu einer Atmosphäre der Offenheit lernen.
Ich habe in der Unternehmensberatung früh gelernt, dass es wichtiger ist, die richtigen Fragen zu stellen, als Empfehlungen oder Ratschläge zu geben, und habe darüber in meinem Buch zur Prozessberatung2 geschrieben. Dann habe ich begriffen, dass Hilfe geben und annehmen dann am besten funktioniert, wenn der Helfende einige Fragen stellt, bevor er zu etwas rät oder eine Lösung präsentiert. Daher habe ich in meinem Buch Helping über die Bedeutung des Fragestellens geschrieben.
Ich erkenne jetzt, dass das Thema »Fragen versus Erzählen« in menschlichen Beziehungen wirklich eine grundlegend wichtige Frage ist und dass dies die ganze Zeit auf uns alle zutrifft. Was wir fragen, wann wir fragen, wie unsere zugrundeliegende Haltung aussieht, wenn wir fragen – dies alles sind Schlüssel beim Aufbau von Beziehungen, bei der Kommunikation und bei der Erfüllung von Aufgaben.
Beim Aufbau von Beziehungen zwischen Menschen handelt es sich um einen komplexen Prozess. Die Fehler, die wir in Gesprächen machen und die Dinge, von denen wir nach einem Gespräch denken, dass wir sie hätten sagen sollen – sie alle spiegeln unsere eigene Verwirrung über die Balance von Fragen und Erzählen und unsere automatische Neigung zum Erzählen wider. Die fehlenden Zutaten sind bei den meisten Gesprächen die Neugier und die Bereitschaft, Fragen zu stellen, deren Antwort wir nicht kennen.
Es ist an der Zeit, einen Blick auf diese Art des Fragens zu werfen und ihre Rolle in einem breiten Spektrum von Situationen zu untersuchen, von gewöhnlichen Gesprächen bis zur komplexen Erfüllung von Aufgaben, wie bei einem chirurgischen Team, das am offenen Herzen operiert. In einer komplexen und verflochtenen Welt gestalten sich mehr und mehr Aufgaben wie eine Wippe oder ein Staffellauf. Wir preisen Teamwork an und verwenden viele verschiedene sportliche Analogien, doch ich habe die Wippe und den Staffellauf gewählt, um zu verdeutlichen, dass es notwendig ist, dass jeder und jede einen Beitrag leistet. Damit jeder seinen Beitrag in geeigneter Weise leisten kann, braucht es gute Kommunikation; gute Kommunikation verlangt nach einer vertrauensvollen Beziehung; und für den Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung braucht es Humble Inquiry.
Dieses Buch ist für eine allgemeine Leserschaft gedacht, doch es ist von besonderer Bedeutung für Menschen in Führungspositionen, denn die Kunst des Fragens wird mit wachsendem Status schwieriger. Unsere Kultur betont, dass Vorgesetzte mehr wissen, Anleitungen geben und Werte aussprechen müssen; dies alles prädisponiert sie eher zu erzählen, als zu fragen. Und doch sind es die Vorgesetzten, die Humble Inquiry am meisten brauchen, weil komplexe, verflochtene Aufgaben danach verlangen, mit ihren Untergebenen positive, vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen, um die Kommunikation nach oben zu erleichtern. Und ohne gute Kommunikation nach oben können Organisationen weder effektiv noch sicher sein.