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Horst Gundlach

Die deutsch-deutsche Grenze 1945 – 1990

Eine Dokumentation der Ereignisse im Südharz


Impressum

Umschlaggestaltung: Harald Rockstuhl, Bad Langensalza

Titelbild: Grenze im Raum Osterhagen, 1990 (Foto: Horst Gundlach)

Grafik: Stacheldraht (Foto: Harald Rockstuhl)

Bisherige Auflagen:

1. Auflage 2009 erstmalig im Eigenverlag von Horst Gundlach erschienen

2. Auflage 2014

ISBN 978-3-86777-724-7

1. Auflage als E-Book 2015

ISBN 978-3-86777-814-5, E-Book [ePub]

ISBN 978-3-86777-815-2, E-Book [Mobiocket]

Innenlayout: Harald Rockstuhl, Bad Langensalza

1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2015

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.


Inhaber: Harald Rockstuhl

Mitglied des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e. V.

Lange Brüdergasse 12 in D-99947 Bad Langensalza/​Thüringen

Telefon: 03603/​81 22 46 Telefax: 03603/​81 22 47

www.verlag-rockstuhl.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Zum Geleit

Das Jahr 1945

Bad Sachsa zwischen Hoffen und Bangen

Berichte des Gendarmeriepostens Walkenried

Tödliche Schüsse, Mord und Raub an der Demarkationslinie

Auf dem Weg in die Heimat getötet

Strittiger Grenzverlauf im Bereich der Kutzhütte

Zeittafel 1945

Das Jahr 1946

Juliushütte und Wiedigshof

Aus den Akten des Landespolizeipostens Walkenried 1946

Durch Eindringen Feindesmacht in der Wohnung erschossen

Zeittafel 1946

Die Jahre 1947 bis 1949

Die Aufstellung der Grenzpolizei des Landes Thüringen

Die britische Überwachung der Demarkationslinie

Mord an einem Grenzgänger in Zorge

Abenteuerlust

Bittbrief an die Polizeistation Walkenried

Bericht des Polizeipostens Walkenried 1947

Behinderung bei der Rückreise

Grenzdienst in Tettenborn

Walkenried 1948

Die Währungsreform

Der Zoll an der Demarkationslinie im Südharz

Kautabak als Tauschware

20-jähriger Ellricher von Grenzpolizisten erschossen

Festnahme durch russische Grenzposten

Zeittafel 1947 bis 1949

Die Jahre 1950 bis 1952

Zwischenfall in der Kutzhütte

Das Verhältnis zwischen Grenzpolizisten und Grenzgängern

Der Weg nach Nordhausen

Besondere Vorkommnisse im Bereich der 5. Grenzbereitschaft

Wanderer zwischen zwei Welten

Am Schlagbaum – Der Interzonengrenzübergang Walkenried

Tödlicher Schuss auf einen Grenzgänger

Die Sperrzone

Schlagbaum blieb geschlossen

Die Aktion „Ungeziefer“

Flucht aus der Sowjetzone

Räumung in Benneckenstein

Bericht eines Flüchtlings

Das Leben in der Sperrzone

Zeittafel 1950 bis 1952

Die Jahre 1953 bis 1960

Die Deutsche Grenzpolizei im Gebiet des Südharzes

Beschwerdebrief an den Kommandeur der 3. GB Nordhausen

Himbeeren von der Grenze

Auf direktem Weg nach drüben

Aus den Berichten des Zollgrenzdienstes 1957/58

Naivität oder ...?

Zerstörung des gerade aufgebauten Grenzzaunes an der Straße Neuhof–Kutzhütte

Wieder Massenflucht in die Freiheit

Zur Beerdigung nach Branderode

16 Rinder passierten die Zonengrenze

Vom Bürostuhl auf den Melkschemel

Der Zollgrenzdienst berichtete 1960

Zeittafel 1953 bis 1960

Die Jahre 1961 bis 1970

Der Ausbau der sowjetzonalen Grenzsicherung im Südharz

Aus den Berichten des Zollgrenzdienstes 1960 – 1963

Geglückte Fluchten

Zwei Familien fliehen gleichzeitig aus dem Sperrgebiet

Irrtümliche Grenzverletzung

Aktion „Kornblume“

Verletzungen durch Bodenminen

Grenzprovokation

Tod einer DDR-Flüchtigen

Der Zollgrenzdienst berichtete über Ereignisse von 1965 bis 1969

Neue Unterkünfte für die Grenzkompanien

Weitere erfolgreiche Fluchten in den Westen

Vater holte seine Familie aus der DDR

Flucht ohne Fährnisse

Aus der Zone geflüchtet

Zwei kamen in Uniform

Zwei Lehrlingen gelang die Flucht

Bau des Kfz-Sperrgrabens zwischen Neuhof und Walkenried

Güterzug verunglückte bei Einfahrt in die DDR

Der Kalte Krieg an der Grenze

Zeittafel 1961 bis 1970

Die Jahre 1971 bis 1980

Ein Schuss vom B-Turm Mackenrode

Rettung aus dem Minenfeld

Der grenznahe Reiseverkehr

Unverletzt durch die Minensperren

Zwei junge Männer aus Bleicherode gelangten in den Westen

Flucht mit dem Flugzeug

Im Eisenbahnwagen versteckt von Rumänien in den Westen

Zwischenfall an der Grenze

Fahnenflucht eines Gefreiten der Grenztruppen

Zeittafel 1971 bis 1980

Die Jahre 1981 bis 1990

Flucht aus Ellrich

Minenexplosion verletzt Offizier der Grenztruppen

Fluchtversuch im betrunkenen Zustand

Von Frankfurt/Oder nach Walkenried-Wiedigshof

Gelungene Flucht bei Ellrich

Eine stumme Begegnung

Fahnenfluchten im Dezember 1984 und Januar 1985

Die deutsch-deutsche Eiche

Ein Pudel als Grenzverletzer

Fluchtversuch im Bereich der Grenzübergangsstelle (GÜSt) Ellrich

Nächtlicher Grenzalarm im Abschnitt der 3. Kompanie

Die bei einer Flucht im Schutzstreifen zu überwindenden Grenzsperren

Gelungene Flucht bei Obersachswerfen

Fahnenflucht eines Unteroffiziers der Minenräumkompanie Schiedungen

Grenzdurchbruch am Jägerfleck

Todesschuss auf den Kommandeur des I. Grenzbataillons Klettenberg

Gelungene Flucht im Raum Osterhagen

Flucht eines Grenzsoldaten in Zwinge

Flucht im Raum Bartolfelde

Überwindung der Grenzsperranlagen bei Nacht

Fünftägige Wegstrecke bis zur Grenze im Südharz

Schnapsidee zum Faschingsauftakt

Verfolgung bis zur Grenzlinie

Fahnenflucht eines Soldaten der Rückraumkompanie Mackenrode

Ein später Fluchtversuch

Grenzüberschreitender Faschingsauftakt

Der Befehl zum Öffnen der Grenze an der Straße Ellrich–Zorge

Vor Ort am Grenzübergang Ellrich–Zorge

Zorger hebelte mit Trecker Grenzpfahl aus

Der erste Personenzug nach vielen Jahren

Die Grenzöffnungen im Südharz

Neue Strukturen und das Ende der Grenzsicherung

Abbau der Grenzsperreinrichtungen

Zeittafel 1981 bis 1990

Schlusswort

Insbesondere dankt der Verfasser

Genutzte Informationsquellen

Archivierte Unterlagen

Literatur

Fotodokumente

Organisation der Grenzüberwachungder SBZ/DDR im Bereich des Südharzes

Autor Dr. Horst Gundlach

Fußnoten

Zum Geleit

Die innerdeutsche Grenze hat in den 45 Jahren ihres Bestehens in vielfältiger Weise einschneidende Auswirkungen auf das Leben unserer Landsleute beiderseits dieser Trennungslinie gehabt. In den ersten Jahren nach Kriegsende war die sogenannte Demarkationslinie, welche die Interessengebiete der sowjetischen, britischen und im Süden der amerikanischen Besatzungsmächte trennte, praktisch eine „grüne Grenze“. Millionen Menschen überschritten allein im Gebiet des Südharzes in beiden Richtungen die nur schwach bewachte, aber keineswegs ungefährliche Demarkationslinie. Das waren Evakuierte, Vertriebene, ehemalige Wehrmachtssoldaten und Fremdarbeiter auf dem Weg in ihre Heimat oder auf der Suche nach Familienangehörigen oder einer sicheren Bleibe. Da die „Rote Armee“ und die in ihrem Interessengebiet eingesetzten Behörden, bedingt durch deren Rücksichtslosigkeit und Willkür, keinen guten Ruf genossen, suchten viele Menschen mehr Sicherheit in den Interessengebieten der westlichen Alliierten. Dazu gehörten insbesondere die um ihre persönliche Freiheit fürchtenden ehemaligen Mandatsträger des „Dritten Reiches“, aber auch leitende Angestellte aus Behörden und Wirtschaft.

Obwohl das Überschreiten der Demarkationslinie durch Anordnungen des Alliierten Kontrollrates, dem zunächst maßgeblichen gemeinsamen Verwaltungsorgan der vier Siegermächte, verboten war, nahmen viele, die damit verbundenen Gefahren ignorierend, den Weg über die Grenze, insbesondere im Südharz. Die Eisenbahnstrecke, die einstmals das sächsische Industriegebiet mit dem an Rhein und Ruhr verband, war seit dem 7. Juli 1945 unterbrochen und endete auf östlicher Seite in Ellrich und auf westlicher Seite in Walkenried. Dazwischen lag für die Grenzgänger eine Strecke von vier bis fünf Kilometern, die meistens mit umfangreichem Gepäck unter Umgehung der Grenzwachen zu Fuß durch die Wälder und Felder zurückgelegt werden mussten. Auf den Bahnhöfen Ellrich oder Walkenried erreichten die Grenzgänger dann die immer überfüllten Züge in Richtung ihres Reisezieles. Der Weg von einem Bahnhof zum anderen war nicht ungefährlich. Die sowjetischen Grenzwachen machten bei Fluchtversuchen rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch. Im Grenzgebiet gestellte Frauen wurden oftmals von den sowjetischen Soldaten vergewaltigt, Grenzgänger festgenommen und ausgeraubt. Aber auch sonst drohte den Grenzgängern der Diebstahl oder der Raub ihrer Habseligkeiten und sogar Mord durch andere Grenzgänger. Die von britischen Soldaten festgenommenen Grenzgänger wurden meistens zurückgeschickt oder auch den deutschen Gerichten übergeben. Da die Militärstreifen beider Seiten nicht in der Lage waren, den Personen- und insbesondere den Warenverkehr über die Demarkationslinie nur annähernd einzudämmen, wurden schon ab 1946 Deutsche zur Grenzüberwachung herangezogen. Vorrangiges Ziel auf beiden Seiten war es, den illegalen Warenverkehr zu unterbinden. Die über den persönlichen Bedarf hinausgehenden Waren wurden beschlagnahmt und der örtlichen Versorgung zugeführt. Die Postendichte auf östlicher Seite wurde ständig erhöht, so dass der Grenzgängerverkehr allmählich abnahm und dann 1952 mit der Einführung des Grenzregimes der DDR nahezu zum Stillstand kam. Von da an erreichte die Demarkationslinie eine neue Qualität mit ihrem von DDR-Seite betriebenen pioniermäßigen Ausbau mit Zäunen, Türmen und Minenfeldern, die das Überschreiten der Grenze nahezu vollständig verhinderten. Bis zur Grenzöffnung im November 1989 wurden die Sperranlagen von DDR-Seite ständig perfektioniert. Durchbrüche gelangten nur noch unter höchster Lebensgefahr. Versuche, die DDR illegal zu verlassen, wurden entsprechend den Grenzgesetzen der DDR streng geahndet.

Auf westlicher Seite wurden die Maßnahmen der DDR an der Grenze von den dafür eingesetzten Zollbeamten, deren Aufgabe, den Warenverkehr zu überwachen, weggefallen war, ständig genauestens verfolgt und registriert. Die hoheitliche Sicherung der Grenze zur DDR oblag dem Bundesgrenzschutz.

Das Anliegen des Verfassers ist es, die Ereignisse an der Demarkationslinie von deren Entstehung an bis zu ihrer Aufhebung möglichst genau und umfassend zu dokumentieren. Es liegt in der Natur der Sache, dass die in den ersten Nachkriegsjahren erfolgten Ereignisse dabei einen größeren Raum einnehmen als die nach der Einführung des DDR-Grenzregimes, wo vorrangig nur spektakuläre Fluchten Gegenstand der Dokumentation wurden. Umgekehrt ist die Ausbeute an aktuellen Fotos und Dokumenten aus den ersten Jahren der Grenze deutlich geringer als aus späteren Jahren, unter anderem, weil noch vor der Wiedervereinigung in größerem Umfang Bild- und Aktendokumentationen von DDR-Seite vernichtet wurden. Trotzdem lässt sich aus den in Archiven lagernden Unterlagen und aus Zeitzeugenberichten ein weitgehend aussagefähiges Bild der Ereignisse an der innerdeutschen Grenze zeichnen. Der Verfasser hat sich dabei auf das räumlich begrenzte Gebiet des Südharzes konzentriert, weil nur so eine eingehendere Darstellung der Auswirkungen der Trennungslinie auf das Leben der Menschen im Grenzgebiet möglich ist.

Das Jahr 1945

Der vom nazistischen Deutschland entfesselte Zweite Weltkrieg war trotz des Durchhaltewillens der deutschen Wehrmacht an der Front und in der Heimat nicht mehr zu gewinnen. Die alliierten Streitkräfte drangen vom Osten und Westen in das Kernland vor. Aus den Ostgebieten flohen Millionen Menschen vor der gefürchteten „Roten Armee“ und suchten in den ländlichen Gebieten des verbliebenen Reiches Zuflucht. Die Städte lagen nach den Bombenangriffen der Alliierten in Trümmern. Dort, wo der Luftkrieg nicht hingekommen war, mussten die Bewohner zusammenrücken, um den Flüchtlingen aus dem Osten und den Bombengeschädigten aus den zerstörten Städten die dringend benötigen Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Auf engstem Raum wohnten oftmals mehrere Familien unter einem Dach. Dazu kam neben der Sorge um die Männer an der Front und dem Verbleib von Familienangehörigen der Hunger. Die Versorgungslage war vielerorts prekär und von den zuständigen Behörden nur schwer zu bewältigen. Hotels, Schulen und wenig genutzte größere Gebäude waren zu Lazaretten umfunktioniert oder dienten Wehrwirtschaftsbetrieben als Ausweichquartiere.

Im Südharz ging in den ersten Apriltagen des Jahres 1945 der Krieg zu Ende. Amerikanische Einheiten der 104. Infanteriedivision eroberten, zum Teil ohne Feindberührung mit den Resten der deutschen Wehrmacht, nacheinander die Ortschaften südlich des Harzes, nachdem es in Bad Lauterberg noch zu schweren, für die Amerikaner verlustreichen Kämpfen gekommen war. Bad Sachsa wurde am 12. April von amerikanischen Einheiten kampflos besetzt.1

Die amerikanischen Einheiten stießen in schnellem Tempo weiter nach Osten vor und trafen am 25. April 1945 an der Elbe in der Nähe von Torgau auf die von Osten angerückte „Rote Armee“.


Das zerstörte Nordhausen (Foto: W. Steinmann, Nordhausen)

In den von den US-Truppen besetzten Ortschaften übernahmen amerikanische Offiziere die Verwaltung und setzten als Erstes NS-unbelastete Personen als Bürgermeister ein. Auf östlicher Seite gingen die Sowjets wesentlich radikaler vor. Aus den örtlichen Behörden, die dem jeweiligen Ortskommandanten unterstanden, wurden die früheren Mitarbeiter oft verhaftet und ihre Positionen vorwiegend mit Mitgliedern und Sympathisanten der ehemaligen kommunistischen Partei besetzt.

Anfang Juli räumten die amerikanischen Streitkräfte, den mit den Sowjets und den Briten getroffenen Vereinbarungen folgend, die von ihnen besetzten Gebiete in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Niedersachsen. Sowjetische, aber auch britische Einheiten nahmen die ihnen zugesprochenen Interessengebiete zügig in Besitz.

Britische Militäreinheiten quartierten sich in den grenznahen Orten ihres Interessengebietes überwiegend in beschlagnahmten Hotels ein; so in Walkenried im „Hotel Klosterschänke“ und in Bad Sachsa im „Hotel Schützenhaus“. In Tettenborn fand eine britische Einheit Unterkunft im Gebäude der ehemaligen Molkerei an der Straße nach Mackenrode. In Bad Sachsa wurde die „B“-companie des Ist. Bn. The Manchester Regiment stationiert. In allen Orten wurden britische Orts- bzw. Stadtkommandanten eingesetzt. Vom Kreiskommandanten in Osterode wurde für die deutsche Bevölkerung zunächst eine Ausgangssperre von 22.30 bis 4.00 Uhr angeordnet, die jedoch am 1. April 1946 wieder aufgehoben wurde. Nachtausweise für die Sperrzeit erhielten nur Ärzte und Krankenschwestern.

Auch auf östlicher Seite quartierten sich in den grenznahen Orten sowjetische Kommandos ein.

Durch den kommissarischen Landrat wurde für den Kreis Grafschaft Hohenstein in Nordhausen eine Ausgangssperre von 21.00 bis 5.00 Uhr festgesetzt.

Obwohl das besetzte Deutschland nach den Beschlüssen der Besatzungsmächte durch den Alliierten Kontrollrat regiert werden sollte, baute die Sowjetunion von Anfang an in ihrer Besatzungszone zielgerichtet ein eigenes politisches System nach ihrem Vorbild auf. Die Strukturen von staatlicher Administration und Gesellschaft wurden von Grund auf verändert. So wurden auf Weisung der SMAD („Sowjetische Militäradministration“) in der sowjetischen Zone im September 1945 die Bodenreform, im Oktober 1945 die Industriereform durchgeführt. 1946 folgte die Reform des Erziehungswesens. Bereits im Juni 1945 hatte die SMAD in ihrer Zone elf Zentralverwaltungen aufgebaut, die nach deren Weisungen arbeiteten und Keimzellen einer deutschen Zentralregierung werden sollten. Die entscheidenden Positionen wurden mit Angehörigen der kommunistischen Partei besetzt. Mit der Säuberung der staatlichen Institutionen und infolge der durchgeführten Reformen verloren viele Menschen ihre bisherige Existenzgrundlage. Zahlreiche Menschen verschwanden oft auf Jahre in den Lagern des sowjetischen Geheimdienstes in der Sowjetunion, aber auch in „Sonderlagern“ auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone. Jahrelang mussten die meisten ohne Kontakt zu ihren Familien dort ausharren. Viele kamen nie mehr zurück. Wer sich der Verhaftung rechtzeitig entziehen konnte, suchte in die Westzonen zu entkommen.

Bad Sachsa zwischen Hoffen und Bangen

In Bad Sachsa war der amerikanische Stadtkommandant ein Major Philippsborn, der den NS-unbelasteten Willi Müller zum Bürgermeister ernannte. Zwischen beiden entwickelte sich schnell ein für die Stadt nützliches Verhältnis. Major Philippsborn setzte seine Verbindungen ein und gewährte der mit Flüchtlingen überbevölkerten Stadt Hilfe bei der Beschaffung lebensnotwendiger Artikel.

Anfang Juli 1945 räumten die amerikanischen Streitkräfte die von ihnen eroberten Gebiete westlich der Elbe. Sie folgten damit der mit den Sowjets getroffenen Vereinbarung, der zufolge der östlich der alten Landesgrenzen zwischen Preußen und Hannover-Braunschweig liegende Teil Deutschlands sowjetisches Interessensgebiet war. Dazu gehörte auch der Kreis Grafschaft Hohenstein mit Nordhausen als Zentrum. Die Orte Bad Sachsa und Tettenborn, deren Gebiet Teil des Kreises Grafschaft Hohenstein (Nordhausen) war, hätten damit ebenfalls in die sowjetische Besatzungszone einbezogen werden sollen.

Am 3. Juli 1945 verließen die Amerikaner auch das Vorharzgebiet. Bereits am Vortag hatten britische Einheiten in Walkenried, das zum britischen Interessengebiet gehörte, die abziehenden Amerikaner abgelöst. Der Kreis Osterode mit seiner Gemeinde Steina war ebenfalls der britischen Militärverwaltung unterstellt worden. Die Einwohner von Bad Sachsa erwarteten nun, dass auch ihre Stadt von britischem Militär besetzt würde. Aber Bad Sachsa blieb zunächst ohne jegliche Besatzung. Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, insbesondere mit Milch und Butter, aus dem bisher zuständigen Kreis konnte zunächst weiterhin aufrecht erhalten werden.

Auf östlicher Seite hatten auch die Sowjets die von den Amerikanern geräumten Gebiete zügig in Besitz genommen und waren etwa bis zur vereinbarten Demarkationslinie vorgestoßen. Bereits am 3. und 4. Juli 1945 hatten sie u. a. die Ortschaften Branderode mit der zugehörigen Kutzhütte, Obersachswerfen, Klettenberg und wahrscheinlich in diesen oder in den nächsten Tagen auch Neuhof und Tettenborn (5. Juli?) ihrer Kontrolle unterstellt.

Am 8. Juli besetzten überraschend britische Einheiten die Bahnlinie zwischen Walkenried und Osterhagen und sperrten im Bereich der Bahnübergänge die Straßen von Bad Sachsa nach Tettenborn und nach Neuhof. Bad Sachsa verlor damit den freien Zugang zu seiner bisherigen Kreisstadt und war von der für die Bevölkerung notwendigen Versorgung abgeschnitten. Durch sofortige Intervention beim britischen Ortskommandanten in Walkenried konnte der Sachsaer Bürgermeister erreichen, dass wenigstens das Milchauto zur Molkerei Klettenberg (vielfach auch Bezeichnung „Clettenberg“) die Sperren passieren durfte. Das war auch bis zum Morgen des 10. Juli möglich. Am Nachmittag sperrten dann überraschend russische Posten die Zufahrt zur Molkerei Klettenberg. Die britischen Truppen hatten die Bahnlinie im Bereich der Bahnhöfe von Bad Sachsa und Tettenborn wieder räumen müssen.


Alter Grenzverlauf um Bad Sachsa (H. Gundlach)

Noch am gleichen Tag versuchte der Bürgermeister von Bad Sachsa, Willi Müller, bei den zuständigen Stellen in Braunlage eine Lösung für die Versorgung der Bevölkerung von Bad Sachsa zu erreichen, was ihm aber offensichtlich dort nicht gelang. Am folgenden Tag, Mittwoch den 11. Juli, fuhr er in Begleitung einiger Bürger zum Landrat nach Osterode, um nunmehr hier um Hilfe für die von ihrer Versorgung vollständig abgeschnittene Stadt Bad Sachsa zu bitten. Der Landrat von Osterode, Prof. Ziegler, erreichte dann die Zustimmung der britischen Militärverwaltung, dass die Versorgung von Bad Sachsa bis zur Klärung der Zuständigkeiten von Osterode aus erfolgen konnte.

Auf der Rückfahrt traf die Abordnung in Steina auf geflohene Sachsaer Bürger und fand auf dem Warteberg eine britische Straßensperre vor. Eine weitere Straßensperre hatten die Briten an der Ortsgrenze in Richtung Walkenried/​Wieda errichtet. Die Bevölkerung schloss aus diesen Maßnahmen, dass nunmehr Bad Sachsa vom sowjetischen Militär besetzt werden würde. Da den sowjetischen Soldaten ein schlechter Ruf vorausging, flohen ängstliche Bewohner der Stadt unter Umgehung der britischen Straßensperren vorwiegend durch das Salztal in das benachbarte Steina.

Als am folgenden Tag eine Besetzung der Stadt durch die Russen nicht erfolgte, wiederum keine Milch zur Verfügung stand und auch keine Nährmittelvorräte mehr vorhanden waren, versuchte der Bürgermeister in Begleitung einiger Bürger beim russischen Kommandanten in Tettenborn wenigstens, eine Freigabe des Weges zur Molkerei Klettenberg zu erreichen. Der Versuch scheiterte kläglich. Die Sachsaer Abordnung kehrte ohne Auto und ohne persönliches Bargeld unverrichteter Dinge zurück.

Noch am gleichen Tag nahm Willi Müller Verhandlungen mit den britischen Militärbehörden in Osterode auf und erreichte, dass die vorläufige Versorgung aus dem Kreis Osterode nochmals zugesagt und bestätigt wurde.

Nach mehreren Zeitzeugenberichten errichteten die sowjetischen Einheiten, die möglicherweise schon einige Tage in Neuhof und Tettenborn stationiert waren, ebenfalls Sperren an den nach oder aus Bad Sachsa führenden Straßen. Sowjetische Posten sperrten mit Schlagbäumen die Steinaer, die Walkenrieder und die Bahnhofstraße sowie die Straße von Tettenborn oberhalb der Kolonie und die Straße zwischen Tettenborn und Nüxei. In Neuhof soll die russische Einheit in Stärke von 15 bis 20 Mann in der heutigen Gaststätte „Zur Linde“ einquartiert gewesen sein, und der Kommandant in einem der besseren Wohnhäuser in der Langen Straße. In Tettenborn hatte die sowjetische Truppe die Gaststätte „Deutsche Eiche“ (Bergmann) als Quartier beschlagnahmt sowie ein Kommando in zwei Gebäuden im Fliederweg in der Kolonie untergebracht. Die russischen Einheiten hatten, bis auf ein oder zwei Jeeps des Kommandanten in Neuhof und einige einspännige Pferdewagen (Panjewagen), keine Transportmittel zur Verfügung; die Soldaten gingen zu Fuß zu ihren Postenpunkten. Übergriffe auf die deutsche Bevölkerung soll es, bis auf die Requirierung von Fahrrädern, in den Stationierungsorten nicht gegeben haben.

Bad Sachsa war zwar von britischen und sowjetischen Soldaten abgeriegelt, aber frei von jeglicher Besatzung. Trotzdem weilten ständig britische und sowjetische Offiziere in der Stadt, die sich über die örtliche Situation im Falle einer für sie maßgeblichen Besetzung von Bad Sachsa informieren wollten.

Die Äußerung eines sowjetischen Oberst anlässlich der Besichtigung des Postgebäudes, dass er in wenigen Tagen einrücken würde, führte wiederum zu einer Zunahme des Flüchtlingsstroms in das britische Interessengebiet. Einige der russischen Posten von den Straßensperren zogen plündernd durch Bad Sachsa. In einem von Willi Müller erwähnten Fall konnten plündernde Russen mit Hilfe von vier englischen Soldaten nach Tettenborn zurückgeschickt werden. Auch der Versuch eines kleineren russischen Kommandos, für eine vorgesehene Einquartierung größere Strohmengen in der Turnhalle des Pädagogiums einzulagern, soll durch herbeigerufenes britisches Militär verhindert worden sein.

Nachdem nunmehr Osterode für die Versorgung von Bad Sachsa zuständig war, holte der Milchwagen Milch und Butter von der Molkerei Bartolfelde. Oftmals musste die Stadt Hilfe leisten und die Buttertransporte von Hannover zur Molkerei organisieren. Die Versorgung stellte nach wie vor ein großes Problem dar, konnte aber durch den Einsatz Sachsaer Geschäftsleute, die sich selbst um die Beschaffung kümmerten, merklich abgeschwächt werden.

Da die Briten die Eisenbahnlinie und die durchgehenden Straßen in den südlichen Teil ihres Besatzungsgebietes sowohl für die Verbindung zu ihren dort stationierten Einheiten, als auch für die Versorgung der Bevölkerung und für die Abfuhr des ihnen als Reparationsleistung zugesprochenen Holzes aus dem Harz benötigten – damals gab es noch die Eisenbahnverbindung zwischen Walkenried und Braunlage –, kam es am 12. Juli 1945 zu einem Gebietsaustausch. Die Sowjets erhielten als Ausgleich für das Gebiet um Bad Sachsa den in ihre Zone hineinreichenden Teil des Kreises Blankenburg. Das getroffene Abkommen wurde am 30. Juli 1945 durch den Kontrollrat ratifiziert. Die veränderte Demarkationslinie, die von nun an südlich von Tettenborn verlief, wurde von den Sowjets durch weiß markierte Holzpfähle gekennzeichnet und die grenzüberschreitenden Straßen wurden durch quer gelegte Baumstämme und Schlagbäume gesperrt.


Bad Sachsa im Juli 1945 (H. Gundlach)

Am 23. Juli 1945 und in den nachfolgenden Tagen verließen die sowjetischen Einheiten Bad Sachsa, Tettenborn, Neuhof und die Kutzhütte sowie die zu Walkenried gehörende Domäne Wiedigshof und die Juliushütte. Die Schlagbäume und die Wachunterstände an den Straßensperren wurden von Bauern mit Pferdefuhrwerken abtransportiert und von den Russen an anderer Stelle wieder aufgebaut. Die Orte Bad Sachsa, Tettenborn und Kutzhütte waren von nun an Teil des britischen Interessengebietes. Neuhof gehörte, obwohl es von den Sowjets besetzt worden war, entsprechend den alliierten Vereinbarungen ohnehin dazu. Auf Antrag der Bürgermeister wurden Bad Sachsa und Tettenborn mit Wirkung vom 23. Juli 1945 durch den Regierungspräsidenten von Hildesheim in den Landkreis Osterode eingegliedert. Das Bangen hatte ein Ende, für das Hoffen auf eine friedliche und bessere Zukunft waren die Weichen gestellt.

Quellen: Handschriftliche Aufzeichnungen des damaligen Bürgermeisters Willi Müller; Akten der Archive von Bad Sachsa und Osterode;

Manfred Bornemann: „unser Harz“ Nr. 10, 2004, S. 183 ff;

Berichte von Zeitzeugen aus Bad Sachsa, Tettenborn, Neuhof und Walkenried

2 776,05 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
Объем:
359 стр. 150 иллюстраций
ISBN:
9783867778145
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