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Dirk Baecker Zerfallsprodukte Perspektiven einer soziologischen Theorie

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Dirk Baecker

Zerfallsprodukte

Perspektiven einer soziologischen Theorie

Man überlebt Unfälle, Katastrophen, Zusammenbrüche. Wenn man überlebt. Nicht alle überleben sie. Man denkt immer, das Überleben käme, wenn es kommt, nach dem Zusammenbruch, aber streng genommen muss es, um zu gelingen, schon während des Zusammenbruchs beginnen. Andernfalls überlebt man nicht. Im Folgenden mache ich den Versuch, Ereignisse so zu denken, dass sie Zusammenbruch und Überleben zugleich sind. Man kann wählen, ob man sich auf die Seite von Trauer und Melancholie oder auf die Seite von Aufbruch und Neuanfang konzentriert. Überleben ist immer beides. Ganz neu ist der Versuch nicht.

Terry Winograd und Fernando Flores haben im Anschluss an Martin Heideggers Begriff einer »unzuverlässigen Zuhandenheit« eine Theorie des Einsatzes von Computerprogrammen in Organisationen vorgelegt, die die Organisation als Form des Überlebens von Zusammenbrüchen beschreibt.1 Und Niklas Luhmann hat eine Theorie sozialer Systeme entworfen, in der Systeme ihren eigenen Zerfall erzwingen, um das Material zu gewinnen, mit dem nicht nur Neuanfänge, sondern auch Wiederholungen des Altbewährten möglich sind. Auf Luhmanns Ideen werde ich mich im Folgenden konzentrieren. Ich kläre die Grundbegriffe, die nötig sind, diese etwas ungewohnte Perspektive einzunehmen. Und ich schließe mit einem Vorschlag, Resilienz als Form ein und desselben Ereignisses zu denken. In der Literatur ist es üblich, Resilienz als einen Zyklus von Phasen zu denken, den adaptive Systeme durchlaufen. Soziale Systeme haben dazu selten die Zeit. Sie nehmen den Zusammenbruch im Anfang schon vorweg und fangen damit an, immer schon aufzuhören. In Ereignissystemen muss man Trägheit dynamisch denken.

Austauschbarkeit und Beharrung

Im Widerspruch zu unserer täglichen Anschauung, aber im Einklang mit unserem Gefühl einer hohen Dynamik der Verhältnisse leben wir in einer Welt der vergänglichen Formen und robusten Medien. Wir glauben, die Dinge seien stabil und die Materie und die Ideen, aus denen sie bestehen, flüchtig. Doch nehmen wir einmal probehalber die umgekehrte Perspektive ein. Was greifbar ist, zergeht, doch woraus es gewonnen wurde, überlebt. Organismen im Verhältnis zum Leben, Gedanken im Verhältnis zum Denken, der Satz und die Geste im Verhältnis zur Kommunikation: In jedem dieser Fälle ist das eine flüchtiger als das andere, obwohl wir dank europäischer Ontologien trainiert sind, die Flüchtigkeit ausgerechnet dem zuzurechnen, das bleibt. Wir halten das Leben, das Denken und die Kommunikation für flüchtig, obwohl sie es sind, in denen neue Organismen, Gedanken, Sätze und Gesten möglich sind.

Dieses Verhältnis von instabilen Formen und stabilen Medien gilt auch im Gegenstandsbereich der Soziologie. Jede politische Initiative, jede Investition, jede Liebeserklärung, jedes Kunstprojekt, jedes Forschungsvorhaben, jede religiöse Idee gefährdet sich angesichts komplexer Umweltbedingungen durch das eigene Wagnis, doch ungebrochen glauben wir an die Möglichkeit und Notwendigkeit von Politik und Wirtschaft, Liebe und Kunst, Wissenschaft und Religion. Unsere Gesellschaft ist eine Gesellschaft, die sich selber überlebt, und es ist schwer zu entscheiden, was auffälliger ist, ihr seltsames Absterben in jeder ihrer Formen oder ihre dauernde Wiederkehr als eine Möglichkeit ihrer selbst.

Eine etwas weniger pathetische Formel wäre, dass sich unsere Gesellschaft im Modus der Austauschbarkeit erhält. Ihr Personal ist austauschbar, ihre Regeln, Normen und Werte sind austauschbar und ihre Strukturen sind austauschbar. Wo immer das nicht gelten soll, rufen wir Moral und Ethik auf den Plan, doch auch Moral und Ethik sind austauschbar. Irritierend ist nur, dass diese Austauschbarkeit der Formen und Bestände immer nur im Verhältnis zu anderen Formen und Beständen gilt. An die Stelle des Personals tritt ein anderes Personal, an die Stelle der Regeln, Normen und Werte treten andere Regeln, Normen und Werte, und an die Stelle von Strukturen treten Strukturen. Wir haben es mit einer selbstsubstitutiven Gesellschaft zu tun, und die Frage lautet, wie dieses Verhältnis von Austauschbarkeit und Beharrung zu erklären ist.

Kontingenz und Zeit

Die Diagnose lautet: Kontingenz. Alles könnte anders sein, aber eben nur als Variante seiner selbst. Und die Erklärung lautet: Zeit. Alles zerfällt, aber eben zugunsten einer Alternative zu sich selbst. Es ist kein Wunder, dass man sich auch im Westen für ostasiatische Weisheitslehren interessiert. Denn dieser Zusammenhang von Kontingenz und Zeit erschließt sich möglicherweise nur der Meditation. Die Weisheitslehren des Daoismus, Konfuzianismus und Buddhismus profitieren davon, dass sie einen Zeitbegriff haben, der noch ohne ein Geschichtsverständnis auskommt. Ein Sinn für Ewigkeit und Flüchtigkeit genügt. Wem es gelingt, diese beiden Zeiten übereinanderzulegen, erreicht den angestrebten Zustand der Weisheit und kann sich mit jedem denkbaren Engagement um beides kümmern, das Ewige und das Flüchtige, die Ahnen, die Schale Reis und das Kehren des Hofes.

In westlichen Gesellschaften jedoch interveniert ein Verständnis von Geschichte. Unser Zeitbegriff kennt nicht nur Flüchtigkeit und Ewigkeit, sondern auch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Und es war eine Art Unfall, so hat Luhmann einmal vermutet,2 dass unser Gegenwartsbegriff eher für die Flüchtigkeit als für die Ewigkeit optiert hat. Das verleiht unserer Zeit etwas Gehetztes. Trügerische Ruhe finden wir nur im Wiederaufruf der Vergangenheit und im Entwurf der Zukunft. Hätte sich der moderne Gegenwartsbegriff eher am Begriff der Ewigkeit orientiert, so wüssten wir genauer, warum und wie wir in dieser Gegenwart feststecken, die ja tatsächlich weder anfängt noch aufhört. Alles was geschieht, geschieht gleichzeitig, sagt nicht nur Luhmann, sondern hat bereits Immanuel Kant entdeckt, der prompt vom Glauben an die Kausalität abkam. Denn was gleichzeitig geschieht, kann sich nicht wie Ursache und Wirkung verursachen. Kausalität setzt zeitliche Abfolge voraus, oder wir brauchen einen ganz anderen Kausalitätsbegriff. Auch die Vergangenheit ist nur das, was sie ist, weil sie und wie sie in einer Gegenwart aufgerufen wird. Dasselbe gilt für die Zukunft, die bekanntermaßen nie beginnt, sondern immer nur, und zwar je gegenwärtig, bevorsteht.

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95,72 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
20 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783961961948
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

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