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Fallbeispiel

Eine 21-jährige Patientin mit hoher Lachlinie stellte sich mit einer externen Resorption an der mesiofazialen Seite des oberen rechten zentralen Schneidezahns vor (Abb. 1 bis 3). Die periapikale Röntgenaufnahme zeigte eine kavernöse Läsion, welche die strukturelle Integrität des Zahns unterminierte (Abb. 4). Für die Behandlung vorteilhaft war, dass der Gingivasaum des rechten zentralen Schneidezahns etwas weiter koronal verlief als am linken zentralen Schneidezahn, sodass eine gewisse Rezession vertretbar war (siehe Abb. 2). Bei der Zahnextraktion frakturierte die schwache Zahnkrone schon bei geringster Krafteinwirkung (Abb. 5). Mesiofazial war in die Alveolenwand granulomatöses Gewebe eingewachsen (Abb. 6), das mittels scharfer Dissektion mit einem Skalpell Größe 15 entfernt wurde. Die Wurzel wurde fazioapikal mit einem konischen spitzen chirurgischen Langschaft-Diamantbohrer (Brasseler Nr. 859 long shank) zerteilt (Abb. 7). Die verbliebenen Wurzeln wurden luxiert und ohne Beschädigung der Extraktionsalveole entfernt (Abb. 8; für Zahnextraktionstechniken siehe Kap. 2).

Die Alveole wurde mit einem gründlichen Débridement gereinigt (Abb. 9) und ein Implantat mit einem Durchmesser von 5,0 mm (Zimmer Biomet) nach palatinal versetzt in die Alveole gesetzt, um ein Platform-Switching durchführen zu können (Abb. 10). Mit einem vorgefertigten Gingivaformer (iShell, BioHorizons/Vulcan Custom Dental) wurde der Status der periimplantären Gewebe erfasst (Abb. 11 und 12). Der Gingivaformer wurde dafür mit Kunststoff (Super-T, American Consolidated) mit einem verschraubten temporären Zylinder aus PEEK (Polyetheretherketon) und einer der klinischen Zahnkrone entsprechenden Modellation aufgebaut (Abb. 13). Nach Selbsthärtung des Kunststoffs wurde die Krone intraoral entfernt und so konturiert und farbig angepasst (OPTIGLAZE Color, GC America) (Abb. 14 und 15), dass sie zum kontralateralen zentralen Schneidezahn passte. Es ist gut zu erkennen, wie der vorgefertigte Gingivaformer die Form der subgingivalen Konturen der Extraktionsalveole ohne Lücken ausfüllt (siehe Abb. 15). Diese entstehen normalerweise durch die Bildung eines Blutkoagulums und den Kollaps der periimplantären Gewebe.

Die provisorische Kronenrestauration wurde erneut auf das Implantat gesetzt, um Farbe und Kontur zu überprüfen und sicherzustellen, dass bei maximaler Interkuspidation und lateralen Bewegungen keine okklusalen Kontakte auftreten (Abb. 16). Anschließend wurde die provisorische Krone entfernt und eine Einheilkappe mit flachem Profil und Platform-Switching eingesetzt, um den labialen Spalt mit einem mineralisierten Spongiosa-Allotransplantat mit geringer Partikelgröße auffüllen zu können (Abb. 17). Danach wurde die Einheilkappe entfernt und wieder die provisorische Krone eingesetzt, um das Transplantatmaterial während der Heilungsphase zurückzuhalten und zu schützen (Abb. 18 und 19). Nach einwöchiger komplikationsloser Heilung stellte sich die Patientin erneut vor; die Entzündung an der marginalen Gingiva war abgeklungen (Abb. 20).

Zu diesem Zeitpunkt reiste die Patientin im Rahmen eines Austauschprogramms für Studenten nach Europa und stellte sich erst 13 Monate nach der Operation zur endgültigen Abformung vor (Abb. 21). Das Gewebe war getüpfelt und gesund. Schon bei der ersten Abnahme der provisorischen Restauration zur Abformung war deutlich zu erkennen, dass die Erkrankung vollständig ausgeheilt war (Abb. 22). Das Weichgewebeprofil wurde mit Pattern Resin (GC America) erfasst, um ein akkurates Meistermodell erstellen zu können (Abb. 23 und 24). Im Dentallabor wurde eine definitive Metallkeramikrestauration angefertigt (Abb. 25 und 26). Dabei wurde besonders auf die faziale subgingivale Kontur der Restauration geachtet, um die Weichgewebe passend zum kontralateralen zentralen Schneidezahn auf der richtigen Gingivahöhe zu stützen (Abb. 27). Beim Einsetzen der definitiven Krone ist eine Aufhellung des Weichgewebes zu erkennen (Abb. 28).

Die nichtchirurgische Gewebeformung ist ein effektiver Ansatz der Weichgewebekonturierung. Drei Jahre nach Behandlungsende ist die implantatgelagerte Restauration gut integriert und harmoniert ästhetisch mit den angrenzenden Zähnen und Geweben (Abb. 29 bis 31). Die postoperative periapikale Röntgenaufnahme nach drei Jahren zeigt ein stabiles Knochenniveau (Abb. 32).

Probleme bei der Sofortimplantation

Für die meisten Chirurgen stellt sich bei der Zahnextraktion und Implantation in eine Extraktionsalveole die Frage, was sie mit dem residuellen Spalt zwischen der fazialen Seite des Implantats und der labialen Knochenlamelle machen sollen. Sollte ein Knochenersatzmaterial eingefüllt werden? Ist für bessere Überlebensraten von Implantaten im Frontzahnbereich ein Knochenersatzmaterial erforderlich? Verbessert ein Knochenersatzmaterial die Osseointegration oder den Knochen-Implantat-Kontakt am Implantat? Verändert ein Knochenersatzmaterial den Zelltyp, der die Oberfläche des Implantats bedeckt? Verhindert ein Knochenersatzmaterial den Kollaps des Alveolarkamms, sodass die Ästhetik verbessert und eine Verfärbung der Weichgewebe vermieden wird?

Mehrere Studien ermittelten hohe Überlebensraten ohne Knochenersatzmaterial, was den Schluss nahe legt, dass dieses für den Implantaterfolg nicht entscheidend ist.2–9 Das vermutlich häufigste unerwünschte Ereignis nach dem Setzen eines Implantats in eine frische Extraktionsalveole ist der Kollaps des fazialen Alveolarkamms unter Ausbildung einer fazialen Rezession. Dazu tragen mehrere Faktoren bei: (1) Das Implantat wurde zu weit labial in die Alveole gesetzt oder zu weit nach vorne geneigt, sodass nur eine dünne Knochenwand verblieben ist, oder (2) ein Teil des Alveolarkamms der bukkalen Knochenlamelle fehlte bereits bei der Implantation. In jedem dieser Fälle besteht bei einer Sofortimplantation potenziell das Risiko für eine Rezession.19,20 Das Implantat wird zwar integriert werden, aufgrund des Verlusts der labialen Knochenlamelle kommt es aber zum ästhetischen Versagen (Abb. 33 bis 35).

Abb. 33 Lächeln eines Patienten, bei dem in einer anderen Zahnarztpraxis der rechte obere laterale Schneidezahn durch ein sofort gesetztes Implantat ersetzt wurde. Die auffällige Dunkelverfärbung durch das darunter liegende Titanimplantat ist störend und unästhetisch.

Abb. 34 Die intraorale Ansicht des oberen lateralen Schneidezahns zeigt deutlich Ausmaß und Ausprägung der Verfärbung, die weit über den freien Gingivasaum hinausgeht.

Abb. 35 Nach der Mobilisation eines Vollschichtlappens zur Reparatur des Bereichs mit einem subepithelialen Bindegewebstransplantat ist gut zu erkennen, dass zu wenig Knochen vorhanden ist. Er bedeckt nur knapp die Hälfte der Labialfläche des Implantats, sodass es zur Schwarzverfärbung der Gewebe kommt.

Ein zweites, nicht weniger wichtiges Risiko betrifft den möglichen Verlust der Interdentalpapille nach sofortiger (oder verzögerter) Implantation (Abb. 36). Mehrere Autoren fordern einen Mindestabstand von 1,5 mm zwischen dem Implantat und angrenzenden Zähnen, um den krestalen Knochen zwischen Zahn und Implantat zu erhalten.21,22 Bei einem unzureichenden Abstand zwischen Zahn und Implantat können die horizontale Bildung der biologischen Breite und eine krestale Drucknekrose zum Verlust von interdentalem krestalen Knochen und zur Bildung einer Rezession beitragen23 (Abb. 37). Khayat et al. zeigten zwar, dass selbst bei einem sehr hohen Drehmoment von 178 Ncm beim Setzen eines Implantats keine Drucknekrose (Resorption) des krestalen Knochens auftritt, ermittelten aber nach der Implantation nicht die periimplantäre Knochendicke.24 Barone et al. stellten kurz darauf einen Zusammenhang zwischen dem krestalen Knochenverlust und der Knochendicke her und schlussfolgerten, dass bei hohen Eindrehmomenten (Druck) und einer Dicke der bukkalen Knochenwand von weniger als 1,0 mm ein größeres Risiko für Hartgewebeverluste besteht.25

Klinische Realität ist, dass Implantate in der Extraktionsalveole langsam zur Seite des geringsten Widerstands nach labial und interdental (in den Spalt) „abdriften“, während zum Erreichen der Primärstabilität ein möglichst hohes Eindrehmoment verwendet wird. Oft wird der Implantatkopf mit dem konischen koronalen Abschnitt subkrestal gesetzt, sodass er während der Implantation Kontakt mit dem palatinalen Knochen hat. Während das Implantat mit einem Drehmomentschlüssel festgedreht wird, „prallt“ es von der palatinalen Knochenwand ab und wandert in den labialen Bereich der Alveole (Abb. 38). Durch eine dynamische oder statische Bohrschablone lässt sich die Bohrung sauber ausführen und das Implantat bleibt in der korrekten, geplanten Ausrichtung.

Abb. 36 Intraorale Ansicht eines zu weit fazial und distal und zu nahe neben dem Eckzahn gesetzten Implantats. Gut zu erkennen ist der mesiofaziale Höhenverlust der Papille des Eckzahns, während sie mesiopalatinal weiterhin vorhanden ist. Bei einer suboptimalen Implantation im Frontzahnbereich sind derart subtile Veränderungen möglich.

Abb. 37 Die periapikale Röntgenaufnahme des lateralen Schneidezahns aus Abb. 36 zeigt den zu geringen Abstand zwischen Zahn und Implantat an der Mesialseite des Eckzahns sowie den begleitenden krestalen Knochenverlust.

Wichtig ist, dass nicht alle Extraktionsalveolen gleich und für eine Sofortimplantation geeignet sind. Kapitel 2 liefert zusätzliche Informationen zum Knochenspalt, Kapitel 3 zu Typ-1-Alveolen und Kapitel 4 zu Typ-2- und Typ-3-Alveolen.

Abb. 38 Darstellung der für eine verschraubte Restauration bevorzugten palatinalen Position eines Implantats in einer Extraktionsalveole (A), die in Richtung Tuberkulum des Zahns verschoben ist. Allerdings kann das Implantat von der palatinalen Wand abprallen und nicht nur nach labial, sondern auch leicht nach distal auswandern (B). Durch eine Bohrschablone lassen sich Ausrichtung und Position des Implantats bis zum Erreichen der Endposition aufrechterhalten.

Klassifikation von Extraktionsalveolen

Es gibt drei Typen von Extraktionsalveolen (Abb. 39 bis 41), bei denen jeweils ein prospektives Risiko für eine faziale Rezession besteht.26 Typ-1-Alveolen kommen der idealen klinischen Situation am nächsten, weil Knochen und Weichgewebe vollständig vorhanden sind (siehe Abb. 39). Typ-2-Alveolen sind aufgrund eines dentoalveolären Dehiszenzdefekts der labialen Knochenlamelle weniger ideal, da dieser das Risiko für eine faziale Rezession erhöht (siehe Abb. 40 und Kap. 3). Bei Typ-3-Alveolen besteht bereits ein fazialer Rezessionsdefekt als Zeichen des Verlusts von Hart- und Weichgeweben (siehe Abb. 41 und Kap. 4). Typ-1-Alveolen lassen sich vorhersagbarer behandeln als die anderen Varianten. Allerdings gibt es spezielle Behandlungsprotokolle und Indikationen, durch die sich unter den richtigen Bedingungen auch die anderen Varianten behandeln lassen. Typ-2-Alveolen sind klinisch irreführend, weil sie vor der Zahnextraktion aufgrund des vorhandenen Weichgewebes genauso aussehen wie Typ-1-Alveolen. Dieses Weichgewebe wird aber nur von der Zahnwurzel und nicht vom Knochen gestützt, da dieser fehlt. Sofern die bukkale Knochenlamelle teilweise fehlt, besteht bei der Extraktion des Zahns und dem Setzen eines Implantats das Risiko für eine Gingivarezession. An diesem Punkt beginnen für die meisten Ärzte die Probleme.

Abb. 39 Darstellung einer Typ-1-Extraktionsalveole, die durch die intakte labiale Knochenlamelle und intakte umgebende Weichgewebe vor der Zahnextraktion definiert ist.

Abb. 40 Darstellung einer Typ-2-Extraktionsalveole, bei der die Weichgewebe vor Extraktion intakt und vorhanden sind. Allerdings weist die labiale Knochenlamelle einen dentoalveolären Dehiszenzdefekt auf.

Abb. 41 Darstellung einer Typ-3-Extraktionsalveole, bei der durch den Verlust von Hart- und Weichgewebe bereits vor der Extraktion eine faziale Rezession vorliegt.

Diagnosehilfen für das Alveolenmanagement: Röntgenaufnahmen und klinische Untersuchung
Digitale Volumentomografie

Durch die Einführung verbesserter Technologien, insbesondere der digitalen Volumentomografie (DVT), kann der Behandler heute potenzielle Extraktionsalveolen vor dem Eingriff dreidimensional darstellen und mögliche Risiken beurteilen. Dies ist inzwischen bei den meisten Implantationen der Therapiestandard. Einige der modernen DVT-Geräte können auch nur einzelne Sektionen darstellen, um die Strahlenexposition in der diagnostischen Phase zu begrenzen. Zur Beurteilung der präoperativen Situation können ein Sextant oder sogar nur ein einzelner Zahn dargestellt werden (Abb. 42 bis 45).

Abb. 42 DVT eines Patienten mit einer Klasse-II/2-Malokklusion und einer labialen Knochenfensterung auf Höhe der halben Wurzel.

Abb. 43 DVT eines Patienten mit einer frakturierten klinischen Krone. Die Fraktur ist auf der palatinalen Seite am Übergang zwischen Zahnwurzel und Kronenrestauration zu erkennen.

Abb. 44 DVT eines Patienten mit einer internen Resorptionsläsion und einem apikalen Knochenfenster.

Abb. 45 DVT eines Patienten mit einem Dehiszenzdefekt der labialen Knochenlamelle (Typ-2-Alveole).

Sonden

Ein weiteres praktisches diagnostisches Instrument ist die Parodontalsonde zur Knochensondierung. Sie ermöglicht die Abschätzung des Alveolentyps anhand der Sulkustiefe und der Lage des Knochenkamms. Farbkodierte Sonden (Colorvue Biotype Probe, Hu-Friedy) sind besonders hilfreich, um vor der Behandlung den parodontalen Phänotyp zu bestimmen (Abb. 46): Zunächst wird die Sonde mit der weißen Spitze verwendet. Sofern sie durch den fazialen Anteil der freien sulkulären Gingiva zu sehen ist, liegt ein dünner gingivaler Phänotyp vor (Abb. 47). Ist sie nicht zu sehen, wird die Sonde mit der grünen Spitze verwendet, um einen intermediären Phänotyp nachzuweisen (Abb. 48), und dann die Sonde mit blauer Spitze zum Nachweis des dicken Phänotyps (Abb. 49).

Abb. 46 bis 49 Farbkodierte Parodontalsonden zur Bestimmung des parodontalen Phänotyps.

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