Читать книгу: «Hautmalerei», страница 6
Nathan wollte sich am liebsten gegen die Stirn schlagen. Auf der letzten Seite, dem toxikologischen Befund, hatte er geschlammt. Mit dem kleinen Bildschirm des Telefons und den sensiblen Berührungssensoren zu arbeiten, machte das Schwärzen eines unübersichtlichen Berichtes deutlich schwerer.
»Engelsstaub«, übersetzte der Deutschrusse Smirnow akzentuiert.
Nathan und Wáng schauten die Model-Visage verdutzt an.
»Wilde Jugend«, rechtfertigte Smirnow.
»Möglicherweise das Bahnhofsviertel«, schlug Wáng vor, »Der Umschlagplatz für Drogen.«
Und Prostituierte.
Das musste man ihm nicht sagen, aber Nathan tat so, als würde er den Einwurf dankbar zur Kenntnis nehmen. Hatte Wagner doch kein Drogenproblem, sondern kam nur mit kontaminierten Personen oder Nadeln im Bahnhofsviertel in Kontakt? Die Gegend passte jedenfalls zu dem einen Stichpunkt, den Nathan noch nicht durchgestrichen hatte: Rotlicht.
»Komisch«, ergänzte Wáng und erhaschte Nathans volle Aufmerksamkeit.
»Was denn?«
»Die PCP-Werte sind in der Lunge höher als im Blut.«
Nathan dachte an das Wasser, das die Lungenflügel gefüllt hatte. »Ist der Main verseucht?«
Wáng und Smirnow schauten sich an. Keiner war dieser Meinung.
»Ich denke, es wurde vielmehr über die Atemwege aufgenommen«, korrigierte Wáng die Richtung. Die Blicke des Kommissars nötigten ihn zu weiteren Ausführungen. »Zwei Semester Medizin«, erklärte er sich, bevor er einen Moment im Internet recherchierte und sich bestätigt sah. »Es war aber keine Überdosis. Die Höhe dürfte für eine gute Betäubung gereicht haben.«
Nathan öffnete den Obduktionsbericht auf seinem Mobiltelefon. Beim toxikologischen Befund standen ähnliche Worte, nur etwas medizinischer. Kein Wunder, dass er das überlesen hatte. Er vervollständigte die Angaben in seinem Notizbuch, das Telefon dazwischen jonglierend. In derselben Sekunde vibrierte der Kompagnon – eine Nachricht. Schmidt hatte den Gerichtsbeschluss besorgt. Das Fax lag im Büro. Ein Foto davon befand sich nun auf Nathans Speicherkarte. Jetzt musste er nur noch an Wagners Rufnummer kommen.
»Versucht mit den öffentlichen Kameras den Weg des Unbekannten von der Alten Brücke nachzuverfolgen. Entweder wo er her kam oder wo er hin ging, am besten beides. Und vergesst den Sportler vom Westhafen nicht.«
Auf dem Flur wählte er Jasmins Nummer.
»Ich wollte dich gerade anrufen«, begrüßte sie ihn.
Ihr war nichts passiert. Nathan musste seine aufkeimende Fürsorge bremsen, damit sich kein Gefühlsschleier auf seinen kognitiven Hirnstamm legte. Sie brachten sich gegenseitig auf den neuesten Stand. Zuerst lauschte Nathan ihren Ausführungen, die besagten, dass die Tätowierung höhere Fähigkeiten verlangte, und dass diese abstrakte, kantige Art im Rhein-Main-Gebiet nur von wenigen Alteingesessenen praktiziert wurde. Gastkünstler könnten sich natürlich auch in den Reigen einreihen. Nathan verkniff sich den Kommentar, dass ihr alter Bekannter ein ausgezeichneter Ermittler wäre. Immerhin hatte dieser die Namen der Tätowierer aufgezählt, die nach dessen Meinung zu dem Motiv passten. Über die Aktion mit der gelöschten Datei schwiegen beide. Hätte Jasmin nachgelesen, sähe sich Nathan mit dem PCP-Fund konfrontiert, den er vorher ausgelassen hatte.
Erst im Büro mit geschlossener Tür informierte er sie über den Datenbankeintrag zu ihrem Ehemann, die laufende Auswertung der Stadtkameras durch Wáng und Smirnow und die anstehende Ortung des Mobiltelefons, wofür er die Nummer benötigte. Er notierte die Zahlen, die sie ihm durchgab. Außerdem unterrichtete er sie, dass Kurz und Klein den Flusslauf unter die Lupe nahmen.
»Gut, dass Schmidt dir die Leitung übertragen hat«, sagte sie ehrlich. »Was hast du gemeint mit Roter Mainsandstein?«, fragte sie danach.
»Die Alte Brücke ist aus Rotem Mainsandstein.«
»Das erklärt deine kryptische Nachricht, und die Spuren in seiner Bauchwunde. Dann wurde er vermutlich von der Alten Brücke gestoßen.«
»Wen hast du aufgesucht?« Nathan konnte es sich nicht verkneifen, nachzuhaken.
»Einen alten Bekannten«, bekam er erneut zur Antwort nach einer verkünstelten Pause, die sie sich herausgenommen hatte.
»Rudi?«, versuchte er einen Köder zu werfen. Sicherlich verwendeten seine Bekanntschaften die Kurzform für Rudolf.
Wieder schwieg Jasmin einen Augenblick. »Nein«, sagte sie zögerlich. »Woher kennst du Rudi?«
»Ich kenne ihn nicht, aber scheinbar der Staatsschutz.« Offene Karten. Er hörte Jasmin atmen.
»Rudi ist Richards Stellvertreter in der Kameradschaft«, gestand sie.
Da Richard die unbedeutende Saufkompanie angeführt hatte, ergab sich plötzlich ein Motiv. Aber einen Mord für den Vorsitz einer nationalistischen Schrebergartentruppe? Und warum benötigte man eine Sicherheitsfreigabe für die Akte eines Stellvertreters? Nathan kritzelte in seinem Büchlein herum. Ein paar große Pfeile stellten Verweise infrage. Schmidt musste ihm wohl doch noch weitere Befugnisse verschaffen.
»Aber ich war nicht bei Rudi. Ich war bei einem alten Bekannten, der den Kontakt zur Polizei vermeiden will.«
Nathan beließ es dabei. Er musste ihr dabei in die Augen sehen, wenn er sie subtil verhörte. »Schmidt will dich dringend sehen, wie du dir vorstellen kannst.«
»Ich weiß«, entgegnete sie trocken. »Eine Streife hat meinen Sohn von der Schule abgeholt.«
Verdammt! Schmidt hatte doch weitere Hebel in Bewegung gesetzt.
»Ist er zuhause?«
»Er hockt auf dem Revier. Ich wurde angerufen, dass ich ihn abholen soll. Ist Schmidt noch im Büro?«
Nathan drückte die Schnellwahltaste auf dem Festnetztelefon. Es klingelte einmal, dann erfolgte eine Rufumleitung zu Schmidts mobiler Nummer, wonach Nathan den Anruf quittierte. »Nein.«
»Mist! Dann wartet er auf dem Revier auf mich und will mich in Empfang nehmen, wenn ich Jonas abholen komme.«
»Ist doch nicht so schlimm. Wir haben einige Anhaltspunkte, die wir abarbeiten können. Apropos, kannst du deiner Bekannten, Staatsanwältin Meier, einschärfen, dass die Staatsanwaltschaft erstmal die Füße stillhalten soll? Sonst weiß bald jeder von deinem Verlust.«
»Wir haben schon telefoniert«, gestand Jasmin beiläufig.
Er ärgerte sich, dass sie ihn länger als nötig im Ungewissen ließ. Ständig musste er ihr neuerdings die Fakten aus der Nase ziehen. Sie und Schmidt tricksten ihn zu oft aus, stellte er resigniert fest. Aber auch Nathan hielt einige Dinge zurück. So zum Beispiel die mögliche Verbindung ins Rotlichtmilieu des Bahnhofsviertels oder Engelsstaub. Ein ausgeglichener Schlagabtausch.
»Solange kannst du die trauernde Witwe sein.« Er biss sich auf die Lippen und bereitete sich auf einen Angriff vor. Als sie nicht antwortete, schob er nach: »Dein Sohn wird jetzt die Zeit mit dir brauchen.« Er hörte, wie ihre Gedanken unterbewusste Ticks auslösten – Schmatzen, Kratzen, Schlucken, durch die Haare streifen.
»Schick mir noch die Liste mit den Namen der Tätowierer«, ergänzte er zurückhaltend.
»Du hast meine Nummer«, befahl sie unterschwellig, dass er sie über jeden Schritt und jede Erkenntnis auf dem Laufenden halten sollte.
Klick.
Kurz darauf erhielt er die Namen als Fotodatei. Er schrieb die Liste umgehend in sein Notizbuch. Sieben Namen. Nach knapper Internetrecherche hatte er die sieben Studios dazu.
Nathan war überzeugt, dass sich Jasmin dem Kriminalrat stellen würde. Dieser meinte es auch nur gut mit ihr. Besser Schmidt begradigte die Wogen als die Dienststellenleitung, oder die Presse.
Weil Nathan keine Lust auf ein monotones Gespräch mit Kurz hatte, schickte er ihm eine Nachricht: Alte Brücke priorisiert. Danach suchte er im Internet nach der Nummer des Stadtarchivs. Um sicherzugehen, wollte er sein rudimentäres Architekturwissen auffrischen und nachfragen, ob es noch andere Bauten mit Rotem Mainsandstein im fragwürdigen Bereich gab – der rötliche Schimmer vom Römer, etwa 200 Meter vom Main entfernt, und den Gebäuden in dessen Nähe kam ihm direkt in den Sinn. Er schaute auf die Uhr. Die erste Feierabendwelle würde gleich durch die Stadt rollen. Eine Frau mit dünner Stimme hob ab. Er trug sein Anliegen samt seiner Dienstnummer vor und wurde verbunden, wo er sein Anliegen samt seiner Dienstnummer erneut vortragen durfte. Nach einer Warteschleife, die ihm einen schlicht komponierten Jingle ins Ohr schellte, erhielt er die Auskunft, dass es eine Reihe von Bauten gab, die mehr oder weniger mit Rotem Mainsandstein im Verhältnis standen, vor allem in der Altstadt am Eisernen Steg – 200 Meter vom Römer entfernt -, der Fußgängernachbarbrücke zur Alten Brücke. Der Mann am anderen Ende der Leitung sprudelte vor Enthusiasmus und verzettelte sich in Schwärmereien für die Symbiose aus alter und neuer Baukunst im historischen Frankfurt. Praktischerweise wurde die Altstadt im Osten begrenzt durch die Alte Brücke. Der Kreis schien sich zu schließen. Irgendwo da wurde Richard Wagner bäuchlings über Roten Mainsandstein geschleift. Da ein oberkörperfreier Bußgang eines leblosen Körpers in der von Touristen und Globetrotter überlaufenen Altstadt aufgefallen wäre, sah Nathan den Verdacht bestätigt, dass sich die Brüstung der Alten Brücke in Wagners Wanst verewigt hatte. Die verdächtigen Kamerabilder schlugen in dieselbe Kerbe. Er bedankte sich für die ausführliche Auskunft. Dann schnappte er sich das Fax mit der richterlichen Anordnung für die Ortung eines Mobiltelefons und das Ausspionieren der Internetspuren. Die Tragweite des Dokuments bewies das Gewicht des Falles. Er war mittlerweile überzeugt, dass er im Verlauf der Ermittlungen auf den Staatsschutz treffen würde.
Wáng hatte sich schon verabschiedet, als Nathan nochmal nach der Auswertung schaute. Nur Smirnow saß noch vorm Rechner. In den geteilten Bildschirmfenstern sah Nathan ein paar Kameraeinstellungen öffentlicher Glasaugen und eine Stadtkarte mit gesetzten Markierungen. Daneben lief eine Folge einer Serie – russische Agenteneheleute, die sich im Kalten Krieg als amerikanische Staatsbürger ausgeben und für ihr Mutterland spionieren, wobei sie die eigenen Kinder und die Nachbarn hinters Licht führen.
Nathan schrieb Wagners Namen und dessen Telefonnummer auf einen Schmierzettel und legte diesen vor das hübsche Gesicht des Spezialisten. »Für die Ortung und den digitalen Fußabdruck.«
Smirnow schaute zum Kommissar. »Beschluss?«
Nathan hatte mit der Absicherung gerechnet und zeigte ihm den Gerichtsbeschluss. Zufrieden nickte dieser ab, wollte das Papier nicht einmal anfassen und widmete sich zuerst der Ortung. Nach dem Start eines Programmes, in das er die Nummer eintippte, erschienen mehrere kodierte Ortsangaben.
»Funkmasten«, bemühte er sich für den Kommissar zu transkribieren. Ein paar weitere Befehle und auf der Karte tauchten Standorte auf, in die sich das Mobiltelefon gestern eingewählt hatte. Smirnow zoomte heraus. Man konnte den Weg vom Haus der Wagners in der spießbürgerlichen Vorstadt, über die Autobahn bis zum Büroturm in der Frankfurter Innenstadt nachverfolgen. Wagner hielt sich den ganzen Tag in dem Tower auf. Smirnow filterte die Einwahlpunkte soweit heraus, dass nur noch ein halbes Dutzend Funkmasten übrig blieben – die, die die Investmentbank abdeckten.
»Und was ist dann passiert?«
»Verschwunden«, artikulierte Smirnow, was wie eine Drohung klang, aber eigentlich nett gemeint war.
»Wann?«, stocherte Nathan.
Smirnow verglich die Daten, die er dem Funkkreis entnehmen konnte. »Fünf Uhr 45. Letzte Nachricht an diese Nummer«, zeigte er auf den Wust von Zahlen, Symbolen und Buchstaben, den Nathan nicht verstand.
Der Kommissar verglich die Nummer. Es war Jasmins Nummer.
Smirnow holte noch mehr aus den vorübergehenden Daten des Mobilfunkbetreibers. »Bin unterwegs«, zitierte er die Nachricht.
»Kannst du mir diesen Ausschnitt ausdrucken?« Nathan deutete auf den Zeilenwust, der Orte, Nummer und Uhrzeiten beinhaltete. Schon sprang der Drucker an. Die technischen Möglichkeiten, mit der man die Menschen durchleuchten konnte, machten ihm keine Angst. Hätte er Frau und Kind gehabt, hätte er wahrscheinlich anders gedacht, aus Sorge um deren Persönlichkeitsrechte. Als Polizist händigte man seine Persönlichkeitsrechte spätestens bei der Vereidigung dem Staate aus – Faustpfand oder so ähnlich. Dafür wurde man aber auch geschützt, wenn hartnäckige Journalisten beharrlich bohrten oder oppositionelle Parteien Auskunft verlangten. Gegen Hacker wie Smirnow wäre das Behördensystem aufgeschmissen, aber Kreditkartendaten oder online verschlüsselte Intimfotos weiblicher Sternchen boten den stärkeren Anreiz.
»Und jetzt der Fußabdruck«, drängte Nathan.
Ehe der Kommissar eingreifen konnte, hatte sich Smirnow das Foto von Wagner aus der Datenbank geholt, inklusive Geburtsdatum, Adresse und Arbeitsplatz. Nathan versuchte die ebenmäßigen Gesichtszüge zu ergründen, doch der Russe schien weder Wagner noch dessen Adresse mit Jasmin in Verbindung bringen zu können. Lange könnte Nathan seine Kollegin nicht mehr aus allem heraushalten.
Nach ein paar schnellen Eingaben in diverse Suchfenster, einem biometrischen Abgleich des Fotos und einem Scan, kombiniert von Geburtsdatum und Wohnort, schüttelte Smirnow den Kopf. »Keine Treffer.«
»Was soll das heißen?«
»Keine Accounts.«
Nicht unter seinem Namen, dachte Nathan. Wagner könnte ein Pseudonym verwendet haben. »Mach nicht mehr so lang«, verabschiedete sich Nathan vom Russen.
Wie er über den Gang schleifte, begegneten ihm Kurz und Klein.
»Schon fertig?«, fragte Nathan frech nach.
Klein tippte gereizt auf seine Armbanduhr, »Feierabend!«, und passierte den Ermittlungsleiter im Stechschritt.
Kurz, dagegen, verweilte einen Moment. »Das 8. Revier hat gestern Abend einen Straßenkünstler auf der Alten Brücke wahrgenommen, der seine Kunst auf dem Rücken eines anderen Verrückten ausgelebt hat. Es blieb den Beamten in Erinnerung, weil sie selbst ein Faible für Tattoos haben und der Künstler ihnen zuwinkte. Unternommen wurde allerdings nichts.«
Nathan pendelte mit seinem Kopf vertikal. »Können die Kollegen den Straßenkünstler beschreiben?«
»Schwarzer Kapuzenpullover mit der Kapuze im Gesicht. Im Vergleich zu den asiatischen Touris ein Hüne. Da wir kein Englisch sprechen, haben wir aber die heutigen Touris gemieden.« Kurz rückte seine Brille zurecht. Der angesprochene Sachverhalt schien ihm unangenehm zu sein. »Ansonsten noch das bekannte Schweigen oder Wegschauen der braven Bürger. Das war´s.«
»Und die anderen Brücken?«
»Die anderen Brücken?«, echote Kurz angespitzt. »Der ausgiebige Spaziergang hat den ganzen Nachmittag verpuffen lassen. Wenn du alles ablaufen willst, musst du dir eine Hundertschaft holen.«
Nathan schluckte die spitze Bemerkung hinunter. »Wáng und Smirnow machen morgen mit den Kameras weiter«, fasste er zusammen, »Die letzte Handyortung ergab keine weiteren Hinweise.«
Die Toilettenspülung lärmte über den Gang. Klein hatte sich erleichtert und die Tür nicht richtig in die Zarge fallen lassen.
»Wir suchen einen Riesen, der tätowiert«, meldete sich Klein vorlaut zu Wort. »Morgen lasse ich mir einen ausgestreckten Mittelfinger auf den Oberarm tätowieren«, pochte er auf benanntes Körperteil und zersenste Nathan mit Blicken. Schnurstracks brachte er Meter zwischen sich und dem leitenden Kommissar. Kurz folgte seinem Kollegen, ohne Verabschiedung.
Allein zurückgelassen schnalzte Nathan mit der Zunge. Die Anfeindungen schienen zuzunehmen. Den beiden passte es gar nicht, dass sie seinem Kommando unterstellt waren. Er holte sein Telefon aus Tasche, zusammen mit dem Zettel, auf dem Wagners Nummer stand, und wählte.
Teilnehmer nicht erreichbar.
Entweder abgeschaltet oder zerstört. Eventuell liegt es auf dem Grund des Mains. Er überlegte. Derbe Musik drang aus dem Kabelbunker, dazu das Rascheln einer Chipstüte. Smirnow machte wohl Überstunden. Während das Schlagzeug unerbittlich wütete und den Schreihals unterstützte, der wie ein Schwein quiekte, das gerade abgestochen wird, dachte Nathan daran, die Bereitschaftspolizei zu alarmieren. Die Beamten könnten das Brückenumfeld absuchen. Wagners Oberbekleidung und seine Schuhe fehlten. Die Stadtreinigung war allerdings auf Zack. Sofern öffentliche Entsorgungsbehälter betroffen waren, wären diese schon längst geleert worden. Er könnte in der Mülldeponie anrufen, nachdem er sich durch Wagners Arbeitskollegen oder Jasmin gefragt hätte, was dieser gestern trug. Oder irgendein Obdachloser würde in dessen Klamotten auf dem Radar erscheinen, was sie nur weiter in die Irre führen würde. Ein endloser Rattenschwanz. Nathan verwarf den Ansatz. Zum Schluss könnte die Taucherstaffel den Fluss absuchen. Er wischte sich ohnmächtig über die Schläfe. Sie würden nasse Kleidung und, im besten Falle, ein defektes Mobiltelefon finden. Und was würde man daraus schließen können? Könnten Techniker noch etwas auslesen? Würde der Einsatzaufwand amortisiert werden? Eher nicht! Am nächsten Tag würde die reißerische Boulevardpresse wieder eine Steuergeldverschwendung der Behörden anprangern, auf der Titelseite – alle Jahre wieder. Eine großangelegte Suche würde sowieso erst über Schmidts Tisch laufen. In Anbetracht der bisherigen, mageren Ausbeute würde der Kriminalrat einmal mit der Augenbraue zucken und das Ansinnen dem Papierschredder zuführen.
Auf dem Weg zum Aufzug traf er noch Kommissarin Sofia Sowa vom Kriminaldauerdienst (KDD), die sich für die Nacht eingedeckt hatte - Convenience Food vom Feinsten: ein großer, gemischter Salat, ein Reisfertiggericht und geschnittene Ananas. Ihre gewölbte Jackentasche ließ auf eine zuckerhaltige Zwischenmahlzeit schließen, denn Sowa war eine kleine Naschkatze. Genauso zierlich und lautlos bewegte sie sich über den Flur.
Die Kollegen von der Bereitschaft verbrachten die Nächte im Präsidium, dazu noch die Wochenenden, sowie Feiertage und Tage mit erhöhtem Personalbedarf oder dünner Personaldecke. Sie hatten Einsicht in alle laufenden Ermittlungen und fuhren raus, wenn die anderen Kripodirektionen nicht erreichbar waren. Sozial ungebundene Notnägel.
Sowa übernahm die Bereitschaft in der Mordkommission, wie es aussah. Der Kriminaldauerdienst rotierte selten, um den Kollegen die Einarbeitung und die Zusammenarbeit zu erleichtern. Mord blieb bei Mord, organisiertes Verbrechen ebenda. Sowa war Nathan schon öfter über den Weg gelaufen. Trotz des Aromas von Tabak und Parfüm, das sie hinter sich herzog, hatte sie ein einladendes Gesicht. Aber auch eine ausladende Hüfte.
Nathan berichtete von den Geschehnissen. Sowa hörte emotionslos zu. Sie hatte Schwierigkeiten, ihre gekaufte Kost zu balancieren und sehnte die Einsamkeit herbei.
Schwarz
„Die schönste List des Teufels ist es,
uns zu überzeugen, dass es ihn nicht gibt.“
Charles Baudelaire
Engel & Staub
Aret wischt noch durch, während ich auf dem Klo onaniere.
Die Kundin, der ich die Blütenranken vom Po bis zum Hals gesetzt habe, hat mich stark erregt. Sie zog sich komplett aus, denn ich musste ja den bisherigen Fortschritt in Augenschein nehmen. Als ihr zarter Körper vor mir stand, würgte ich die Erregung hinunter. Sie drehte sich wie ein Dönerspieß. Ich durfte mir alle Facetten ihrer Blöße genauestens anschauen. Ich gab vor, ich würde meine Arbeit kontrollieren und die Heilung der Wunden, aber ich weiß, dass ich gut bin und die Vernarbung interessiert mich nicht. Ich muss mein Werk nicht inspizieren wie der Lehnsherr seine Ländereien. Aber ich musste diese Frau inspizieren, die sich mindestens zweimal pro Woche schindet, um in transparenten Negligees gut auszusehen. An den ersten beiden Terminen konnte ich mich vom großen Fußzeh, über Spann, Knöchel, Wadenbein, Knie, Oberschenkel und Hüfte bis zum knackigen Po vorarbeiten. Heute setzte ich die Reise über den Rücken und die zierliche Schulter bis zum Nacken fort, wo ich mein Werk vollendete. Sie lag nackt auf der Folterbank. Das Unterhöschen hatte sie von sich aus ausgezogen. Sie diente dem Maler als Leinwand. Sie wollte sich mir hingeben – körperlich, und ich nahm mir alles. Ich peinigte nicht nur ihren Körper, ich peinigte ihre Seele mit unvorstellbaren Qualen. Die verbotenen Substanzen blieben im Versteck. Ich hatte Lust auf Leid. Sie krümmte sich, weinte und winselte. Manchmal kam ein Schrei. Doch egal wie viel Schmerzen sie ertragen musste, sie ertrug es für meine Schöpfung.
Die Bilder ihrer Behandlung lassen mich schneller reiben. Die Härte in meinem Handtunnel bäumt sich auf. Der Gedanke an ihr Blut, ihre aufplatzende Haut und das Aufstöhnen lassen meinen Prügel pulsieren. Ich schließe die Augen immer wieder, rufe mir ihre geschorene Scham ins Gedächtnis, ihre festen Brüste und ihre harten Nippel. Sie wollte es genauso sehr wie ich. Kurz vor meinem Höhepunkt luge ich durch die mit Schlitzen versehene Saloontür, um mir Arets Hinterteil anzusehen. Mein Erguss landet auf dem Boden. Wenn sie im Haupttrakt fertig ist, muss sie ohnehin noch den Abort schrubben.
Klaglos macht Aret meinen Dreck weg. Ich vermute, dass sie es genießt, meine Putzsklavin zu sein. Vielleicht sollte ich anfangen, sie noch weiter zu erniedrigen. Ich könnte saubere Bereiche absichtlich wieder verschmutzen oder sie auf Knien reinigen lassen, mit der Zunge eventuell. Mir fallen viele schöne Dinge ein, aber eigentlich ziehe ich daraus keinen Lustgewinn. Sollte sich herausstellen, dass sie einen Fetisch entwickelt hat, würde ich ihr natürlich einmal im Monat einen Ausflug in ihre Perversionen anbieten.
Ich beobachte sie, als sie meine Pfütze aufwischt. Sie weiß genau, was ich da vorhin getrieben habe, weiß genau, was sie da gerade aufwischt. Ich sehe nur die Umrisse ihrer Hotpants, die sich in ihr Fleisch schneiden, aber ich vermute, dass sie meinen Saft sehnsüchtig aufwischt.
Als sie mit dem properen Müllsack gegangen ist, schließe ich den Laden ab. Neben den vielen blutigen Tupfern und schwarzen Latexhandschuhen trug sie auch fremde Schuhe, ein hässliches Hemd und ein teures Sakko fort. Sie wird den Sack der Müllverbrennung zuführen. Sie weiß, dass sie damit nicht leichtfertig umgehen darf. Sie wird ihn fest verschlossen im Kofferraum verstauen und auf direktem Wege zur Verbrennungsanlage fahren, wo sie den Sack zu tausenden anderen in einen großen Schlund wirft. Dafür hat sie mein Auto. Das ist ihre letzte, tägliche Tätigkeit, bevor sie nach Hause fahren darf. Sie stellt keine Fragen. Sie muss keine Fragen stellen, denn sie weiß, dass ich den Müll, den ich täglich verursache, verbrannt haben will. Da geht es weniger um Geheimnisse, sondern um eine milde Zwangsstörung. Sie hat auch so einige Störungen.
Heute hat sie sich, zum Beispiel, ganz besonders eng um mich geschlungen, um mich zum Abschied zu umarmen. Sentimentalitäten. Ihren flachen Busen hat sie herausgedrückt und gegen meinen Bauch gepresst, als wollte sie die Bilder der nackten Kundin auslöschen. Es muss Aret gekränkt haben, dass ich die Verabreichung des Breitbandantibiotikums übernahm. Nicht, weil sie so gern im Rektum anderer herumstochert. Sondern, weil ich sie nicht einbezogen habe, wie sonst. Sie hat erschrocken aufgeschaut, als ich mit der bekleideten Kundin, die sich noch etwas wacklig auf den Beinen an mich – den volltätowierten, hünenhaften Glatzkopf mit den schwarzen Augen, Ohren und der schwarzen Nase - lehnte, nach vorn gekommen bin. Das Zäpfchen an ihren straffen Pobacken vorbei in ihren gebleichten Anus zu schieben, hat mein Fass zum Überlaufen gebracht. Ich musste mich unmittelbar auf die Toilette verziehen, deren klapprige Saloontür die Füße vor der Schüssel offenbart und sonst auch nur das Intimste bedeckt. Fehlende Hintergrunduntermalung im Laden macht aus den Sitzungen eine interessante Sinfonie der Erleichterung – eine Kakophonie.
Aret schmiegte sich ganz nah an mich, bevor sie ging. Sie wollte mir zeigen, dass sie für mich da wäre. Ihr Kopf reichte mir bis zur Brust. Ihr gepierctes Gesicht vergrub sich in meinem Sonnengeflecht. Die Nässe in ihrem Schritt, die sie nicht verbergen wollte oder konnte, hat einen Fleck auf meiner Hose hinterlassen. Ich muss lächeln. Irgendetwas hat sie unglaublich angetörnt. Mein Saft allein hätte niemals diese anhaltende Wirkung erzielt. Vielleicht gefiel es ihr doch, dass ich mich so intensiv um eine andere hübsche Frau gekümmert habe, während sie nebenan auf ihrem Handy herumspielte. Die ungewisse Nähe. Das voyeuristische Nichtwissen. Allmählich traut sie sich mehr zu. Allmählich wirft sie sich an mich. Ich muss aufpassen, dass sie mir die nächsten passablen Kundinnen nicht jähzornig vom Hof jagt. Vielleicht sollte ich Aret wirklich mal durch den Fleischwolf drehen, damit sie merkt, dass sie mehr für mich ist als eine Hülle aus Fleisch und Blut wie die übrigen Menschen. Für Poesie bin ich leider zu grobschlächtig. Und Blumen sind was für hoffnungslose Romantiker. Ich denke, dass sie von mir etwas Außergewöhnliches erwarten würde. Etwas, dass nur ich ihr bieten kann. Ich muss an gestern denken, als ich den erlösten Nazi gebrandmarkt und ins reinigende Wasser geworfen habe. Entweder sowas … oder ich bilde sie aus, werde ihr Mentor. Dann bräuchte ich allerdings eine zweite Angestellte, die den Tresen besetzt und die Buchhaltung übernimmt. Eine zweite Person, die meine Geheimnisse kennt, ohne mich zu verpfeifen, weil sie mich liebt. Eine zweite Aret. Unmöglich!
Der Schalter löscht das Licht im Laden. Da der Aluminiumpanzer schon vor dem Schaufenster gegen Vandalismus und Einbruch schützt, stehe ich in selbstgemachter Finsternis. Einzig die seichte Beleuchtung des Getränkekühlschranks neben dem Tresen versucht die Klauen der Dunkelheit abzuwehren. Ich schließe die Augen, um sie an die Lichtlosigkeit zu gewöhnen.
Die letzten beiden Tage haben mich aufgewühlt. Erst diese Erlösung, die eine sehr lange Abstinenz beendete, und dann dieses wunderschöne Exemplar, worauf ich mich austoben durfte. Der eine Samenschuss genügt mir nicht. Aber ich will nicht weiter meine Handgelenke strapazieren.
Langsam schiebe ich die Augenlider hoch. Meine Pupillen haben sich an die Düsternis gewöhnt. Ich gehe nach unten in mein Verlies, mache Licht und wasche den Schmutz der anderen Menschen ab. Danach nehme ich mir eine daumengroße Ampulle aus einem Kästchen voller Ampullen, das ich unter meiner abgewetzten Schlafcouch hervorzaubere. Während ich die gelblich-durchsichtige Flüssigkeit trinke, starre ich auf den zusammengeklappten Rollstuhl und die zweite Stahltür, die ins Freie führt. Die Wirkung von Engelsstaub tritt rasch ein. Lächelnd falle ich in einen tiefen Schlaf.
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