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Crystal Lacy
Nur ein Flirt zur Weihnachtszeit
Aus dem Englischen von Elian Mayes
Impressum:
© dead soft verlag, Mettingen 2020
© the author, Titel der Originalausgabe: Holiday Fling,
Copyright © 2019 Crystal Lacy
Übersetzung: Elian Mayes
Cover: Irene Repp
Bildrechte:
© Pasko Maksim – shutterstock.com
© Grischa Georgiew – adobe.stock.com
1. Auflage
ISBN 978-3-96089-426-1
ISBN 978-3-96089-427-8 (epub)
Inhalt:
Alles, was Jake im Kopf behalten muss, ist: Es ist nur ein heißer Urlaubsflirt …
Während meines Flugs nach Honolulu erzählt der betrunkene sexy Typ neben mir, dass er neugierig auf eine bi-Erfahrung ist. Ich stelle mich selbstverständlich für einen ersten Kuss zur Verfügung, aber er lehnt höflich ab.
Doch dann treffen wir uns erneut in der Hotelbar.
So beginnt der heiße Urlaubsflirt mit Bennett. Es ist klar, dass diese Bekanntschaft nur zeitlich begrenzt funktionieren kann. Was natürlich nicht bedeutet, dass ich nicht das retten kann, was von Bennetts Weihnachten übrig geblieben ist. Ich muss mich nur daran erinnern, dass ich mich nicht in Bennett verliebe.
Jake
18. Dezember
Das Terminal im Sea-Tac ist fast leer, als ich durch die Sicherheitskontrolle komme und mich zum Gate begebe.
»Entschuldigen Sie die Verspätung«, murmle ich zum Steward, der das Ticket-Gate besetzt.
»Kein Problem, Sir.« Sein Ton deutet darauf hin, dass es sich sehr wohl um ein Problem handelt. »Aber Sie sind der Letzte, also holen wir Sie an Bord.«
Er führt mich über den geschlossenen Gang zum Flugzeug und zeigt mir die Kabine der ersten Klasse. Als ich meinen Sitzplatz entdecke, halte ich für eine Sekunde inne. Da ist ein Typ am Fensterplatz in meinem Gang. Er hat bereits ein Kissen unter seinen Nacken gestopft und eine der kostenlosen Augenmasken aufgesetzt, die den größten Teil seines Gesichts verdecken. Alles an ihm sagt: Lasst mich bloß in Ruhe. Seine Lippen sind zu einer dünnen Linie zusammengepresst und die Arme vor der Brust verschränkt, als wolle er sich von der Welt abschirmen.
Ich nehme meinen Platz ein und achte darauf, ihn nicht zu stören. Da ich der letzte Passagier bin, der einsteigt, rollen wir im Nu zur Startbahn.
Nach dem Abheben schaue ich mir die Unterhaltungsmöglichkeiten an Bord an, aber nichts erregt meine Aufmerksamkeit. Ich bin kurz davor, Wi-Fi-Guthaben zu kaufen, um zu schauen, was meine erste Mahlzeit in Honolulu sein könnte, als sich der Typ neben mir rührt. Er reißt sich die Augenmaske mit einer heftigen Bewegung vom Gesicht und wirft sie auf den Boden. Ich erwarte irgendeine Art von Ausraster, aber er stöhnt nur und schüttelt den Kopf. Er beugt sich nach unten, um nach der Augenmaske zu greifen, und in diesem Moment erhasche ich einen Blick auf sein Gesicht. Verdammt, der Typ ist hübsch. Asiatisch, mit ausdrucksstarken, dunklen Augen und einem kräftigen, eckigen Kiefer, der breite Kussmundlippen umrahmt. Lippen, die an meine Haut gepresst toll aussehen würden. Im Moment sind die Mundwinkel heruntergezogen, aber ich frage mich, wie er wohl aussieht, wenn er lächelt.
»Warten Sie«, sage ich, denn die Maske ist mehr in meiner als in seiner Reichweite gelandet. Ich lege sie auf das Getränketablett, das zwischen unseren Sitzen steht.
»Danke«, murmelt er. Dann grummelt er etwas, das wie »Scheiß drauf« klingt. Er streckt sich und drückt einen Knopf, um einen Flugbegleiter zu rufen.
»Wie kann ich Ihnen helfen, Sir?«, fragt der Steward.
»Ich brauche ein Glas Wein. Oder vielleicht einen Whiskey.« Direkt und auf den Punkt gebracht. Das gefällt mir.
»Nervöser Flieger?«, frage ich. Ich versuche wirklich nicht, zu flirten, aber vielleicht funktioniert es ja am Ende.
Er dreht sich zu mir um, ein Funke Gereiztheit liegt in seinen Augen. »Was? Nein.« Er zuckt zusammen. »Umpf. Tut mir leid. Nein, eigentlich tut es mir nicht leid. Ich dachte nur, ich könnte den Vorteil der ersten Klasse nutzen, solange ich noch kann.«
»Solange Sie noch können?«
Er schüttelt den Kopf und seufzt langgezogen. »Ich wurde auf die First Class umgebucht, weil …« Er wird unterbrochen, als der Flugbegleiter mit seinem Drink zurückkommt.
»Kann ich einen Gin Tonic bekommen?«, frage ich, bevor der Flugbegleiter geht. Wenn mein Nachbar trinkt, kann ich ihm ja auch Gesellschaft leisten, oder? Ich schaue zu dem heißen, mürrischen Kerl rüber. Er hat schon den ganzen Whiskey getrunken. »Wow. Großer Whiskeyfan, hm?«
Er zuckt wieder zusammen.
»Nein. Großer Fan davon, sich zu betrinken und zu vergessen, dass es den heutigen Tag je gegeben hat.«
»So schlimm?«
Ein Muskel zuckt an seinem Kiefer, er schließt die Augen und schluckt. Im Profil sieht er noch hübscher aus.
»Ich wollte mit meiner Freundin in den Urlaub fahren. Mit der, die mich heute Morgen auf dem Weg zum Flughafen abserviert hat.«
»Diesem Flughafen? Der, von dem wir gerade abgeflogen sind?«
»Ja, von diesem. Wir waren etwa zwanzig Minuten davon entfernt, als sie mir sagte, sie wolle die Sache beenden.«
»Wow.« Ich habe keine Ahnung, wie ich darauf reagieren soll. »Trennungen sind scheiße.« Nicht, dass ich viel über sie wüsste. Ich hatte in der Highschool etwa zwei Wochen lang eine Freundin, bevor mir klar wurde, dass Mädchen wirklich nicht mein Ding sind. Seitdem hat keine meiner Affären lange genug gedauert, um einen Beziehungsstatus zu erreichen. »Warst du lange mit ihr zusammen?«
Er zieht eine Grimasse angesichts seines leeren Glases. Der grüblerische Blick steht ihm gut. »Sechs Jahre.«
»Oh Gott.«
Zu meiner Überraschung gluckst er und lächelt. Das Lächeln erreicht seine Augen nicht, aber es ist trotzdem schön, es zu sehen. Ich hatte recht damit, dass ihm ein solches gut stehen würde. Ich nicke dem Flugbegleiter dankend zu, als er mit meinem Drink zurückkommt, und signalisiere ihm, dass er bei meinem Nachbarn nachschenken soll, denn er kann es so was von brauchen.
»Wir haben uns während des Jurastudiums kennengelernt und sind seitdem zusammen. Wir arbeiten in der gleichen Kanzlei.«
Ich ziehe eine Grimasse. »Also musst du zur Arbeit gehen und deine Ex sitzt quasi nebenan?«
Sein zweiter Drink kommt und er nimmt einen großen Schluck davon. »Das ist noch nicht einmal das Schlimmste.«
Okay, das will ich jetzt wissen. »Was ist das Schlimmste?«
Er stellt seinen Drink auf das Tablett und fährt sich mit der Hand durchs Haar. »Ich habe diese Reise gebucht, um ihr einen Antrag zu machen. Meine ganze Familie liebt sie und weiß, dass ich ihr den Antrag auf Hawaii machen wollte.«
»Scheiße.«
»Ja. Scheiße.«
Ich hebe mein Glas und halte es hoch. Das scharfe Klirren seines Glases an meinem bringt mich zum Lächeln. »Okay, wir machen das. Das Trinken wird helfen, alles zu vergessen. Lass den Whiskey fließen, okay?«
»Lass ihn fließen.«
»Übrigens, ich bin Jake. Ich denke, du solltest meinen Namen kennen, wenn wir uns zusammen betrinken.«
»Ich war noch nie betrunken.«
Okay, wie ist das überhaupt möglich? Ich dachte, jeder hätte sich mindestens einmal besoffen, bis er fünfundzwanzig ist, und dieser Kerl sieht ein bisschen älter aus. Älter, aber immer noch süß. »Nun, gute Neuigkeiten, oder schlechte, ich weiß nicht: Du erlebst das wahrscheinlich sehr, sehr bald.«
»Gut. Und ich heiße Bennett.«
***
Irgendwie, ich weiß nicht wie, trinken Bennett und ich so lange, bis der Flugbegleiter uns den Nachschub verweigert und mit einem eher gezwungenen Lächeln auf den Lippen unsere letzten verbliebenen Gläser einsammelt. Er macht sich wahrscheinlich Sorgen, dass einer von uns oder wir beide die erste Klasse mit unserer Kotze fluten. Da könnte er recht haben.
»Ich glaube, ich bin betrunken«, sagt Bennett und kneift sich in den Nasenrücken. Seit etwa einer Stunde erzählt er mir Einzelheiten über seine Beziehung zu seiner Ex Pearl. Er hat sich viel in die Nase gezwickt. Ich bin überrascht, dass sie noch nicht rot ist. Ich möchte ihm wirklich die Hand reichen, ihm tröstend über den Nasenrücken reiben und mich bei ihm für all den Mist entschuldigen. Aber okay, zurück zu dem, was er sagt.
»Richtig. Betrunken.« Ich denke, das zeigt sich schon daran, dass wir keinen Alkohol mehr trinken dürfen. »Wie fühlt sich das an? Denkst du, du stehst drauf?«
Er zuckt kaum wahrnehmbar mit den Schultern. »Hätte ich nicht gedacht, aber eigentlich ist es schön. Ich fühle mich … warm. Und als könnte ich jemanden küssen.« Beim letzten Teil senkt er seine Stimme.
Ein Grinsen huscht über mein Gesicht, als ich mich über die Konsole lehne, die unsere Sitze trennt, um mit ihm zu sprechen. »Ja, Alkohol macht manche Leute geil. Und das ist ausgezeichnet, denn es ist genau das, was du jetzt brauchst, mein Freund.«
»Geil sein?« Er sieht irgendwie skeptisch aus.
»Ich kann nicht glauben, dass ich dir das Konzept der Ablenkung erklären muss, aber da du ein Einhorn bist, das sich bis heute noch nie betrunken hat, lasse ich es durchgehen. Was du brauchst, ist, sich zu betrinken, was wir bereits getan haben. Gute Arbeit. Nächster Schritt? Vergiss die Frau, die dich nicht zu schätzen wusste, geh aus und küsse jemanden.«
Seine Augenbrauen ziehen sich einen Moment lang hinreißend zusammen. »Was, jetzt sofort? Du bist der Einzige hier.«
Ich breche in ein kurzes Lachen aus und widerstehe dem Drang, mir an die Brust zu fassen, aber ich bin kurz davor. Er ist so verdammt süß. Ich weiß, wir sind beide betrunken, und das ist wahrscheinlich der Grund, warum er so süß ist, aber ich lasse mich nicht davon abhalten, das Ganze weiterzutreiben. »Was, du hast auch noch nie einen Mann geküsst?«
Er schüttelt den Kopf und blickt auf das leere Getränketablett zwischen uns. Meine Augen folgen den seinen, gefangen vom Anblick seiner Hand, die die Armlehne ergreift und sich einmal anspannt, bevor sie wieder locker lässt. »Nein, nie.«
Als ich wieder nach oben schaue, hat er sein Gesicht abgewandt, die Masse der baumwollartigen Wolken verdunkelt das Blau im Fenster. »Wolltest du das je?«
Seine Augen springen zurück zu meinem Gesicht, geweitet und erschrocken. »Hä?«
Ich neige meinen Kopf leicht zur Seite und blinzle durch meine Wimpern, was immer funktioniert, wenn ich flirte. »Ich hab gefragt, ob du schon mal einen Typen küssen wolltest.«
Er starrt mich fast eine ganze Minute lang an, sein Adamsapfel hüpft auf und ab, während er schluckt. Ich beginne mich zu fragen, ob der Alkohol vielleicht noch mehr in sein Hirn gelangt ist, als ich dachte, und er kein Wort von mir verstanden hat. Aber schließlich antwortet er, und es ist nicht das, was ich aus seinem Mund erwartet habe.
»Das schon, ja.«
»Ja?«, frage ich langsam. Ich will ihn nicht erschrecken. Ich möchte wirklich, wirklich, dass er mir das bestätigt.
Nach einer weiteren sehr langen Minute fährt er fort. »Damals im Grundstudium hat mein Mitbewohner einen Typen in unser Zimmer geschmuggelt, als er dachte, ich würde schlafen. Zuerst hab ich geglaubt, es seien er und eine Freundin, und ich wollte mich räuspern oder mich im Bett aufsetzen, damit sie wissen, dass ich da bin. Aber dann haben sie beide Geräusche gemacht und ich wusste, dass es ein Mann war.«
Okay, was davon halluziniert mein berauschtes Hirn gerade zusammen? Denn, verdammt, es ist, als würde er Zeilen aus dem Drehbuch jener Phantasie vorlesen, die mein Kopf konstruiert hat, seit ich sein schlafmaskenfreies Gesicht gesehen habe.
»Und du dachtest: ›Mensch, ich würde gerne herausfinden, wie es sich anfühlt, einen Kerl zu küssen‹?«
Er räuspert sich. »So etwas in der Art. Ja.« Er errötet und es ist klar, dass Küssen damals nicht das war, was er wirklich hat ausprobieren wollen.
»Das ist heiß«, murmele ich. Ich rutsche auf meinen Sitz hin und her und versuche, zu verbergen, dass es mich anmacht, über das Küssen zu reden. »Also, wirst du es tun? Denn ich bin mehr als bereit, mich für das Team zu opfern und dir zu zeigen, wie es sich anfühlt.« Es ist nur Küssen, verdammt. Aber allein das würde Spaß machen. Allein nur dieser Mund!
Er leckt sich verdammt noch mal über die Lippen und lehnt sich rüber, die Handfläche flach auf die Konsole zwischen uns gedrückt. »Ich …«, beginnt er.
Ich ahme seine Bewegungen nach, bis unsere Gesichter nur noch ein paar Zentimeter voneinander entfernt sind. Ich kann es kaum erwarten, ihn zu schmecken.
Bennett
Er sieht gut aus.
Das ist der Gedanke, der mir durch den Kopf schießt, als Jake sich nach vorn beugt und sein Atem über mein Gesicht streicht, heiß und nach Minze und Gin riechend. Ich frage mich, ob er nach seinem Drink schmeckt, wenn ich …
»Ich …«, versuche ich es noch einmal. Erneut bleibt mir die Luft weg und ich kann meinen Satz nicht beenden. Jakes dunkelblaue Augen sind einfach präsent und so nah, dass ich die Abstufung von Blau zu Gold um seine Iris herum erkennen kann. Sein Gesicht hat nur ein paar Bartstoppelchen, wodurch er aussieht wie der Held aus einem dieser Liebesromane, die meine Schwester so sehr geliebt hat. Mein Schwanz reagiert auf eine Art und Weise, die ich ihm nicht zugetraut habe, wenn man bedenkt, dass ich erst vor ein paar Stunden von meiner Freundin verlassen wurde. »Ich glaube nicht, dass es eine gute Idee ist«, flüstere ich. »Ich bin im Moment zu betrunken, um zu wissen, was ich will.« Zumindest glaube ich, dass ich zu betrunken bin, um es zu wissen. Es ist alles ein bisschen verschwommen.
Eine von Jakes Augenbrauen hebt sich und er beugt sich noch ein kleines bisschen mehr nach vorn, sodass unsere Nasen beinahe aneinanderstoßen. »Bist du das?«, flüstert er zurück. »Das ist aber schade.«
Das Flüstern jagt mir einen undefinierbaren Schauder über den Rücken. Gerade als ich Scheiß drauf sagen und das letzte Stückchen Luft zwischen uns überwinden will, zieht sich Jake zurück und setzt sich gegen die Lehne seines Sitzes. Er seufzt und ich möchte mit ihm seufzen.
»Du hast natürlich recht. Es ist besser, dich nicht auszunutzen, wenn du so bist. Du siehst aus, als würdest du gleich ohnmächtig werden.«
»Ich könnte wahrscheinlich etwas Schlaf gebrauchen«, sage ich, denn ich kann mir keine weiteren drei Stunden dieses Hin und Her mit diesem Mann vorstellen, der mich so leicht in Versuchung führt.
»Ruh dich etwas aus. Und wenn du aufwachst, bist du vielleicht mutig genug, mich zu küssen.« Er sagt es mit einem neckenden Grinsen auf den Lippen.
Ich will ihm sagen, dass ich es nicht tun werde, aber die Worte kommen mir nicht über die Lippen. Sie wären sowieso nicht wahr und ich denke, wir beide wissen das. Ich meine, ich habe ihm gerade von dieser Nacht auf dem College erzählt. Ich habe nie jemandem davon erzählt, nicht einmal Pearl. Ich habe nie jemandem gegenüber laut zugegeben, dass ich, obwohl nichts passiert ist, seit diesem Moment verändert bin. »Ja, okay«, stimme ich zu. »Schlafen.« Ich verschränke meine Arme und versuche, es mir bequem zu machen, während ich die Augen vor Jakes amüsiertem Lächeln schließe.
***
Eine Hand auf meiner Schulter und eine Frauenstimme, die »Sir?« sagt, holen mich aus meinem Schlummer.
Ich blinzle schnell gegen die zu helle und zu leise Kabine an. »Entschuldigung«, murmele ich und reibe mir die Augen. »Landen wir?«
Die Flugbegleiterin tritt zurück, die Lippen verziehen sich zuckend zu einem Lächeln. »Wir sind bereits gelandet, Sir. Die anderen Passagiere sind schon ausgestiegen, und wir warten nur noch auf Sie, um die Kabinen für den nächsten Flug reinigen zu können.«
Ich unterdrücke ein Fluchen, blicke auf den leeren Sitz neben mir und erinnere mich an Jakes funkelnde, dunkelblaue Augen, als er sich in meine Richtung gelehnt hat. Ich kann fast den Gin seines Atems riechen, der warm über meinen Mund gestrichen ist.
»Sir?«
Nun ist da ein ungeduldiger Unterton in der Stimme der Flugbegleiterin und sie wirkt, als überlege sie, die Security zu rufen. Ich schnalle mich ab, greife meinen Rucksack unter dem Sitz und trete schnell auf den Korridor und zum Ausgang des Flugzeugs.
Warme Luft trifft mich, als ich durch das Gate gehe und den Schildern durch den Flughafen zur Gepäckausgabe folge. Der Gang wird von offenen Balkonen flankiert und der Himmel am späten Nachmittag strahlt in einem wunderschönen Orange-Rosa, das schon in Richtung Violett der Dämmerung geht. Ich kann den Anblick nicht einmal genießen, denn der Gedanke an das, was im Flugzeug passiert ist, beschämt mich.
Ich bin zu betrunken, um zu wissen, was ich will.
Das stimmte überhaupt nicht. Im Moment bin ich ziemlich nüchtern und möchte ihn immer noch küssen. Wahrscheinlich werde ich ihn aber nie wiedersehen und das ist auch gut so, denn ich sollte keine beliebigen Typen in Flugzeugen küssen, auch wenn mich meine Freundin verlassen hat. Was Pearl angeht …
Ich durchsuche meine Taschen nach meinem Handy und schalte den Flugzeugmodus aus, ohne mir sicher zu sein, ob ich von ihr irgendwelche Nachrichten haben möchte oder ob ich einfach nur in Ruhe gelassen werden will. Es ist egal, denn es gibt keine Nachrichten. Als ich das Handy wieder in meine Tasche schiebe, spüre ich allerdings etwas anderes darin. Eine ordentlich gefaltete Serviette. Auf dem Papierquadrat steht in einer leicht abgehackten Schrift eine Telefonnummer geschrieben. Darunter die Worte: Für den Fall, dass du ein bisschen mutig wirst.
Mein Herz klopft in meiner Brust. Ich erinnere mich an den Geruch seines würzigen Parfüms; etwas mit unterschwelligem Zimt. Wie es mich dazu gebracht hat, mich weiter zu ihm zu lehnen und schnuppern zu wollen … Ich erinnere mich an den Schwung seiner Lippen, als er mich amüsiert angelächelt hat, aber auch so, als wolle er mich auffressen. Wie wäre es wohl, wenn ich ihn gewähren ließe?
***
Als ich im Waikiki Sheraton Hotel ankomme, erinnere ich mich, dass ich die Flitterwochen-Suite für uns gebucht hatte. Da ich vorgehabt habe, ihr in unserem Urlaub einen Heiratsantrag zu machen, ist es mir passend erschienen. Jetzt ist es nur eine weitere Erinnerung an das, was ich nicht mehr habe. Wen ich nicht mehr habe. Ich dachte, Pearl sei die Richtige, aber jetzt kann ich nur noch an all die Arten denken, auf die wir uns auseinandergelebt haben. Mit den Jahren sind wir selbstgefällig geworden und haben den Funken in unserer Beziehung verschwinden lassen. Dieser Urlaub wäre der Erste gewesen, den wir je gemeinsam verbracht hätten. Wie habe ich nicht sehen können, dass wir uns von dem Paar, das die ganze Zeit zusammen sein wollte, zu dem Paar entwickelt haben, das sich beim Mittagessen im Büro und bei Familienessen bei meinen oder ihren Eltern zusammenfindet?
Die Suite ist zu groß für nur eine Person, aber der Gedanke, zur Rezeption zu gehen und zu erklären, warum ich mein Zimmer wechseln möchte, wäre äußerst unangenehm.
Ich packe meine Sachen aus und nehme eine dringend benötigte Dusche. Dann werfe ich mich aufs Bett und nehme mir vor, meine Sorgen einfach zu verschlafen. Das klappt nicht ganz. Mein Gehirn will einfach nicht herunterfahren. Es kreist weiter um die Gedanken an Pearl, an meine Familie, und überraschenderweise auch an Jake. Er ist bei Weitem nicht der erste Mann, zu dem ich mich hingezogen fühle, aber er ist der erste, seit ich mit Pearl zusammen bin.
Ich entsperre mein Handy und öffne die Kontakte, wo ich während der Fahrt zum Hotel Jakes Daten eingetippt habe. Ich weiß nicht, warum. Es gibt keinen Grund, die Nummer dieses Mannes in meinem Handy zu haben. Es ist ja nicht so, als ob ich ihn einfach so anrufe, um …Was? Rumzuhängen? Essen zu gehen und noch mehr zu trinken?
Er sagte, ich soll ihn anrufen, wenn ich „ein bisschen mutig werde“.
So weit bin ich noch nicht. Mein Magen knurrt und ich merke, dass ich seit Stunden nichts mehr gegessen habe. Ich stehe vom Bett auf, schiebe das Handy in die Tasche meiner Khaki-Shorts und greife nach meiner Schlüsselkarte. Zuerst das Essen, dann der Mut. Vielleicht.
***
Das Restaurant in der Hotellobby ist um diese Uhrzeit ziemlich voll, aber ich schaffe es, einen Platz in einer Ecke an der Bar zu bekommen. Es gibt bereits eine Feiertags-Getränkekarte und im Hintergrund spielt leise weihnachtliche Klaviermusik, gedämpft von den Geräuschen der Menschen, die essen und sich unterhalten. Weihnachten war schon immer mein Lieblingsfeiertag. Normalerweise würde ich mich über all das hier freuen, aber im Moment fühlt es sich einfach ein bisschen unwirklich an.
Ich bestelle mein Essen beim Barkeeper und begnüge mich mit Wasser zum Trinken. Mein Kopf hat mir das Trinkgelage im Flugzeug noch immer nicht verziehen. Ich bin gerade mit meiner Bestellung fertig, als ich Jake entdecke, der auf einen Mann zugeht, der an einem Tisch nahe der Raummitte sitzt. Er hat den langärmeligen Pullover aus dem Flugzeug gegen ein eng anliegendes T-Shirt eingetauscht, das seine unglaublich definierten Arme zeigt. Arme, die sich in einer liebevollen Umarmung um den anderen Mann legen, die für bloße Freundschaft einen Bruchteil zu lang zu sein scheint. Der andere Mann sagt etwas, lächelt dabei strahlend und Jake antwortet ebenso fröhlich. Der Anblick dieses Lächelns lässt in meiner Brust etwas heiß werden. Ich möchte, dass er mich so anlächelt. Was ist das für eine lächerliche Besitzgier, wo wir uns doch nur ein paar Stunden im Flugzeug unterhalten und uns beinahe geküsst haben?
Ob er wohl stattdessen diesen Mann küssen wird?
Es erscheint mir sehr wahrscheinlich, so wie der andere Mann Jake ansieht, als sei er eine Art Engel, der auf die Erde heruntergekommen ist.
Mein Essen kommt, aber ich bin zu abgelenkt, um viel davon zu essen. Immer wieder schiele ich unauffällig in Richtung von Jakes Tisch.
»Ist einer von denen ein Ex oder so etwas?«
Meine Aufmerksamkeit wendet sich dem Kellner hinter der Bar zu. Mein Gesicht wird heiß, ich schüttle den Kopf. Die Blicke waren wohl doch nicht so unauffällig, wie ich dachte. »Nein. Ich habe nur …« Okay, es gibt keine Möglichkeit, es zu erklären, ohne seltsam zu klingen. Im Grunde genommen sind Jake und ich Fremde. »Wir haben uns auf dem Flug hierher unterhalten und er hat mir angeboten, mich zu küssen.«
Der Barkeeper lacht laut auf. »Ach ja? Hat er es angeboten? Als Gefallen?«
Ich zucke mit den Schultern. »Ich wurde gerade von meiner Freundin abserviert und er dachte, ich müsse …« Wie war noch mal der Ausdruck, den Jake benutzt hat? »Ich müsse sie vergessen, ausgehen und jemanden küssen.«
Der Barkeeper sieht immer noch sehr amüsiert aus. »Also gut, wer von den Jungs ist dieser gute Samariter? Denn so eine dreiste Anmache verdient einen Drink.«
Ich stöhne bei der Erwähnung des Wortes Drink. »Bleib mir mit den Drinks fern. Ich habe immer noch das Gefühl, dass mir jemand mit einer Bratpfanne auf den Kopf geschlagen hat. Und es ist der Typ mit dem weißen T-Shirt.«
»Nett«, sagt der Barkeeper und alle Spekulationen, die ich über seine Sexualität hatte, sind verbannt. »Bitte sag mir, dass du diesen Mann geküsst hast. Lass mich daran teilhaben.«
»Ich habe ihn nicht geküsst. Aber viel hat nicht gefehlt. Und er hat mir seine Nummer gegeben.«
Er macht ein leises, schnurrendes Geräusch. »Hast du sie noch? Wenn du sie nicht nutzen willst, darf ich dann?« Der Schwung seiner Lippen verrät mir, dass er scherzt, aber es lässt noch einen weiteren Funken Besitzgier durch meine Brust zucken.
»Nein«, sage ich. »Ich gebe die Telefonnummer sicher nicht weiter. Das wäre unhöflich.«
»Höflichkeit wird überbewertet, Baby. Aber ich schätze, das bedeutet, dass du die Nummer benutzen willst.«
»Ich weiß es nicht«, platzt es aus mir heraus, weil es die Wahrheit ist. Ich sollte die Nummer nicht nutzen. Aber was hält mich davon ab?
»Wenn du es willst, solltest du es wahrscheinlich tun, bevor er mit dem Blonden abhaut. Der Kerl sendet alle möglichen Flirtsignale aus und ist nicht hässlich.«
Stimmt, ist er nicht. Der Mann, mit dem Jake gerade im Gespräch ist, hat einen schönen gepflegten Bart und ein umwerfendes Lächeln, das ich von hier drüben aus sehen kann. Wenn ich Jake wäre, würde ich nicht nein sagen.
»Ein Wort von dir und ich bringe ihm einen Drink von dem gut aussehenden Herrn an der Bar.«
Ich blicke zurück zum Barkeeper, der mich verschwörerisch anlächelt. Es ist ein ansteckendes Grinsen, eines, bei dem ich nicht anders kann, als es zu erwidern. Die Aufregung kribbelt in meinen Händen und erhitzt mein Gesicht. »In Ordnung. Warum nicht? Ähm. Gin Tonic.«
Der Barkeeper nickt und beugt sich vor, um in das Spirituosenregal zu greifen. »Übrigens, ich bin Marco. Und das ist eine gute Entscheidung. Ich kann es fühlen. Aber falls nicht, ist der heiße T-Shirt-Kerl nicht der Einzige, der zufällige Fremde küsst, um sie abzulenken.«
Ich nicke und lache. »Das werde ich mir merken.« Aber meine Aufmerksamkeit richtet sich bereits wieder auf Jake und die Erinnerung an seinen Atem an meinem Mund.