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Cristina Fabry

Kirche halb und halb

Kurzkrimis 2021

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Ausgangssperre

Selbstaufgabe

Keine Gnade

Christizismus

Verkürzt

„Jaja, kenn‘ ich schon, kenn‘ ich schon.“, stöhnte sie genervt. Nur noch ungern ließ sie sich aus ihrer Gedankenwelt reißen.

Detox

Abstinenz

Lockdown

Vier Teile – 1. Das Innen

Vier Teile – 3. Das Davor

Impfchaos

Mariola bringt die Welt in Ordnung

Die Insel

Folgerichtig - Ein-Satz-Krimi

Loslassen

Naturgesetze

Jack O

Impressum neobooks

Ausgangssperre

ALLES HIER DRIN.

ALLES VOLL UND NICHTS KANN RAUS.

BEWEGUNGSSTAU.

Mein Gott, ist das still draußen. Kurz nach zehn. Man hört ja wirklich gar nichts mehr von draußen, nahezu gespenstisch. Ich sehe es schon kommen, am Ende schalte ich das Fernsehen ein, nur um diese beklemmende Geräuschlosigkeit zu vertreiben. Das fühlt sich an wie Gehörlosigkeit. Komisch, sonst beklage ich mich immer über den Verkehrslärm. Die vorbei rasenden Motorräder. Ist doch schön, von nichts abgelenkt oder unterbrochen zu werden. Also weiter im Text. Wo war ich?

ALLES HIER DRIN.

ALLES VOLL UND NICHTS KANN RAUS.

BEWEGUNGSSTAU.

ÜBERALL STILLSTAND.

SINNBILD EINES GEMÜTSZUSTANDES.

INNEN UND AUßEN.

Was war das? Da hat doch etwas geflackert? Heimliche Sternsinger, die das Umgehen der Ausgangssperre üben? Quatsch. Muss eine Sinnestäuschung sein. Mein Kreislauf macht sich bemerkbar. Das ist sicher dieses nervöse Flackern am Rand des Gesichtsfeldes. Ich schreibe das hier jetzt zu Ende und dann gehe ich ins Bett.

ALLES HIER DRIN.

ALLES VOLL UND NICHTS KANN RAUS.

BEWEGUNGSSTAU.

ÜBERALL STILLSTAND.

SINNBILD EINES GEMÜTSZUSTANDES.

INNEN UND AUßEN.

WAS WILL MAN TUN, WENN ES NICHT EINMAL BEWEGUNG AN FRISCHER LUFT BRINGT?

WENN ERST EINMAL ALLES INS STOCKEN GERÄT, IST ENDE GELÄNDE.

SCHLUSS MIT LUSTIG.

Hups. Der Bewegungsmelder ist angesprungen. Wer schleicht denn hier so spät ums Pfarrhaus? Hoffentlich kein verwirrter Obdachloser mit aggressiven Neigungen. Man hört so gar nichts. Vielleicht ein Fuchs? Ach guck, jetzt geht das Licht schon wieder aus. Wo war ich?

ALLES HIER DRIN.

ALLES VOLL UND NICHTS KANN RAUS.

BEWEGUNGSSTAU.

ÜBERALL STILLSTAND.

SINNBILD EINES GEMÜTSZUSTANDES.

INNEN UND AUßEN.

WAS WILL MAN TUN, WENN ES NICHT EINMAL BEWEGUNG AN FRISCHER LUFT BRINGT?

WENN ERST EINMAL ALLES INS STOCKEN GERÄT, IST ENDE GELÄNDE.

SCHLUSS MIT LUSTIG.

KANN MIR SELBST NICHT HELFEN UND KANN AUCH SONST KEINER.

WILL ICH AUCH NICHT.

NIEMAND SOLL SICH DA EINMISCHEN, IN MICH REINGLOTZEN, AN MIR RUMMANIPULIEREN.

DAS IST MEINE TRAURIGKEIT, MEIN CHAOS, MEIN SCHMERZ.

Das ist jetzt aber nicht normal! Solche Geräusche kommen nicht vom Wind, auch nicht vom Knarren im Gebälk. Diese Ausgangssperre bietet ja geradezu paradiesische Zustände für Einbrecher. Und für Straftäter, die ihre Opfer überfallen, ihnen Gewalt antun. Vielleicht sollte ich den Hund...das wäre ja sein Job...aber am Ende wird er einfach erschlagen...Dass ich aber auch rein gar nichts hier habe, womit ich mich verteidigen kann. Moment. Der Flacon. Da ist doch Parfum drin. Das besteht doch zu 90 Prozent aus Äthanol. Das brennt in den Augen. Habe ich noch nie benutzt. War ein Abschiedsgeschenk des Chorleiters in der Philippus-Gemeinde. Riecht bestimmt aufdringlich, ist also nicht schade drum.

Oh Gott! Jetzt kommt er rein. Da! Nimm das! Oh, der schreit aber mächtig. Der soll still sein, das ist ja furchtbar. Warum schreit der nur so? Riecht seltsam. Oh. Jetzt ist er still. Unglaublich still. Geradezu unheimlich. Wonach riecht das? Das ist doch kein Parfum? Was hatte der Chorleiter geplant? Der Kerl hier atmet nicht mehr. Ich muss wohl jetzt mal die Polizei anrufen. Aber ich bin gerade so im Flow.

ALLES HIER DRIN.

ALLES VOLL UND NICHTS KANN RAUS.

BEWEGUNGSSTAU.

ÜBERALL STILLSTAND.

SINNBILD EINES GEMÜTSZUSTANDES.

INNEN UND AUßEN.

WAS WILL MAN TUN, WENN ES NICHT EINMAL BEWEGUNG AN FRISCHER LUFT BRINGT?

WENN ERST EINMAL ALLES INS STOCKEN GERÄT, IST ENDE GELÄNDE.

SCHLUSS MIT LUSTIG.

KANN MIR SELBST NICHT HELFEN UND KANN AUCH SONST KEINER.

WILL ICH AUCH NICHT.

NIEMAND SOLL SICH DA EINMISCHEN, IN MICH REINGLOTZEN, AN MIR RUMMANIPULIEREN.

DAS IST MEINE TRAURIGKEIT, MEIN CHAOS, MEIN SCHMERZ.

WENN MIR DAS ERST EINMAL GENOMMEN WIRD, HABE ICH JA GAR NICHTS MEHR.

WIEDER ZU VIEL GEGESSEN.

Schnee war gestern

Schnee war gestern. Heute ist Fön. Morgen vielleicht eisige Luft aus Nordost, aber nicht eisig genug.

„Lass uns auf den Berg fahren. Mal durch den Schnee laufen“

Dreihundert Meter bringen es auch nicht voran. Mehr Matsch als Schnee. Dazu schneidender Nordwind im vom Klimawandel gelichteten Wald – die Tage der Fichtenplantagen sind gezählt, was rede ich, zu Ende.

Die Laune genauso ungemütlich und um den Gefrierpunkt herum wie der Rest des Wetters.

„Leon, ist das etwa der Schneemann?“ fragt eine Mutter im schneidend-gestrengen-überakzentuierten Ton ihren wohlgenährten, vollumfänglich wattierten Sohn im frühen Grundschulalter.

„Nein.“ behauptet Leon und wirft den ersten der beiden Schneebälle in seinen Händen.

„Natürlich ist das der Schneemann!“, straft ihn die Mutter Lügen. „Ich sehe den Schneemann nicht mehr und eben war er noch da.“

„Aber die hier hab‘ ich gemacht.“ schwindelt Leon trumpesk und feuert das zweite Geschoss ab.

„Leon, das finde ich jetzt wirklich total doof, dass du den Schneemann kaputt gemacht hast. Du gehst jetzt da hin und baust den wieder auf.“

Bedauerlicher Fauxpas, einen Ypsilon-Chromosomenträger zur Welt zu bringen, denke ich. Mutter eines Sohnes sein müssen, ist wirklich eine Strafe. Lustlos schleppt die arme Frau das Spielzeug ihres Wonneproppens und muss sich dann auch noch von ihm bewerfen und veräppeln lassen. Welch ein Elend. Aber jetzt so ein generelles Männerbashing, das ist ja auch nicht richtig. Es gibt so viele Schwule und Transfrauen, die haben ja auch alle diesen Gen-Defekt mit dem Ypsilon-Chromosom und sind ganz anders als die handelsüblichen Testosteron-Schleudern.

Und vielleicht ist diese Mutter ja auch total bescheuert und hat den Leon zu dem Empathie-befreiten Trampel gemacht, das er jetzt schon ist und möglicherweise bis zum letzten Atemzug bleiben wird. Ja und der Macho-Papa natürlich. Die war bestimmt so blöd, so einem tumben Vollmacho auf den Leim zu gehen und seine Gene freiwillig auszubrüten. Selbst Schuld. Und dann hat sie alles getan, damit der Kleine genauso wird wie der Große. Nein, nicht mit Absicht, aber so sind die Frauen: Beklagen sich ständig, reproduzieren aber trotzdem konsequent die bestehenden Verhältnisse.

Männer und Frauen entstammen unterschiedlichen Kulturkreisen. Das wird es sein. Und die Homos und Transmenschen sind die Integrationsfiguren unserer Gesellschaft. Die vermitteln zwischen den Kulturen, darum – und nicht nur darum – sind sie so wertvoll und unverzichtbar.

Gerade sinniere ich über politische Reformen im Zusammenleben der Geschlechter: Von den besonders empathischen, klugen und hübschen Hetero-Exemplaren Samenspenden entnehmen und für den Arterhalt sichern. Diese weiterhin unversehrten Exemplare der Weiblichkeit für gelegentliche Liebesakte zur Verfügung stellen, den Rest…

Zack – bumm – dunkel.

So tumb-trampelig ist Leon dann wohl doch nicht. Hat irgendwie gespürt, von wo eine existentielle Bedrohung für ihn ausgeht. Ich schwebe über meinem dahingeschiedenen Körper, meinem Werkzeug des Handelns, das nun von einem Siebenjährigen seiner Funktionsfähigkeit beraubt wurde. Blut sickert aus meiner Schläfe – ein scharfkantiger Stein im Schneeball – vielleicht hatte Leon diesmal tatsächlich nicht gelogen. Meinen Beitrag zu einer besseren Welt kann ich jetzt nicht mehr leisten. Leon und seine Spießgesellen werden auch die letzten Fichten vertrocknen, die letzten Fische ersticken, die letzte frische Quelle versiegen und die letzte bedrohte Art aussterben lassen. Und sich fortpflanzen und lauter kleine Terminatoren in die Welt setzen, die der Erde den Rest geben.

Aber dafür bin ich nicht mehr zuständig. Ich schwebe mal ins Licht, bade in Champagner und inhaliere Wollust und im nächsten Leben werde ich auf einem anderen Planeten geboren.

Selbstaufgabe

Am liebsten hätte er sie alle erschossen. Die ganze selbstgerechte Mischpoke samt und sonders. Haben einfach seinen Vertrag nicht verlängert. Meinten, sie wüssten es besser als er.

Er hatte sich ausgemalt, wie das Projektil Beyers Brust zerfetzte und seine fischigen Glubschaugen noch deutlicher hervortraten als sie es ohnehin schon taten; wie er blutend über seinen Zahlenkolonnen zusammenbrach und nach einem letzten Zucken das Atmen einstellte.

Er sah Struck, wie er die knochige Hand auf seinen langen Hals presste, zwecklos, weil das Blut pulsierend aus seiner verletzten Aorta schoss, vielleicht dreißig Sekunden, dann brach er ohnmächtig zusammen. Nie wieder selbstgefälliges Geschwafel aus seinem Mund, was für eine Wohltat.

Und die dumme Kirschstein, die immer alles abnickte, einmal direkt in die Schläfe und Schluss. Sagte nur noch einmal wortlos ja und zwar zum eigenen Tod.

Doch das passierte nur in seiner Phantasie. Er war das Opfer, fügte sich still in sein Schicksal und verzweifelte an dieser Welt. Die anderen machten weiter.

Wir sind im Schwarz-Weiß-Zeitalter angekommen. Grautöne verschwinden. Farben auch. Nicht die grellbunten, die digital oder chemisch generierten, die in den Augen brennen, sich festsetzen in unseren reizbaren Gehirnen und uns emotional erblinden lassen.

Nein, die warmen Farben, die sanften Zwischentöne, das Ungefähre, der Zweifel.

Jeder ist sich sicher. Alle wissen Bescheid. Man hat es schon immer gewusst. Dieses ist richtig, jenes ist falsch. Wer das nicht versteht, muss eingenordet werden. Ins Wort fallen, immer lauter reden, Argumente abfeuern wie Maschinengewehrsalven, Links setzen, Verbündete dazu holen. Und wenn das alles nicht hilft: rausschmeißen, aussperren oder einsperren, ignorieren, blockieren, auslachen, entwerten.

Was gar nicht mehr geht: Zuhören. Braucht zu viel Zeit. Gibt auch viel zu viel. Man muss sich entscheiden, wählt man lieber das Bekannte, das Bestätigende. Man will sich schließlich wohlfühlen.

Was außerdem nicht mehr geht: Nachdenken. Langweilig wie ein alter Film mit starrer Kameraeinstellung, praktisch ohne Schnitte. Gefangen im eigenen Kopfkino, in dem die ganze Zeit Arthouse-Filme laufen, die man nicht versteht. Das macht nervös, unzufrieden, zieht so runter. Nein. Action ist angesagt. Machen machen machen. Kurze Instant-Info und dann reden reden reden. Oder posten. Hauptsache: raushauen. Eine Meinung haben. Einen unerschütterlichen Standpunkt. Darauf kommt es an.

Das Hamsterrad rast auf eine Feuersbrunst zu. Es wird immer heißer und alle wissen Bescheid.

„Das ist, weil wir alle so in Action sind.“

„Das ist manchmal einfach so.“

„Das kommt von den Karierten.“

Die Karierten. Endlich haben wir einen Schuldigen gefunden. Wenn wir die Karierten rauskicken, ist es nicht mehr so heiß. So nach und nach sehen immer mehr von uns das ein. Die es nicht einsehen wollen, kicken wir auch raus. Dann wird es noch kühler.

Läuft doch.

Ja, läuft.

Keine Gnade

Regina wollte eigentlich zu Hause bleiben. In der Frühschwangerschaft musste sie sich schonen, zu groß war das Risiko einer Fehlgeburt. Aber Vater hatte gemeint, sie müsse sich mal wieder im Gottesdienst blicken lassen. In der Gemeinde munkele man schon über sie.

Regina liebte die Gemeinschaft, den geschützten Raum, die emotionale Sicherheit, die die Gemeinde ihr bot. Sie glaubte aber nicht daran, dass eine Versammlung zum Gebet einem Virus die Stirn bieten konnte. Vielleicht verbesserte es die Immunabwehr und half einem, schwere Prüfungen zu bestehen, aber den naiven Glauben an einen göttlichen Automaten, der seinen Gläubigen alles gibt, was sie brauchen, hatte sie schon in der Pubertät aufgegeben. Schon blöd, dass alle ohne Mund-Nasen-Schutz gingen, keine Abstände einhielten und aus voller Kehle sangen. Vater hatte bereits angemerkt, dass man nicht so sorglos sein könne. Aber sich über Monate entziehen? Das sei auch keine Lösung.

Regina seufzte, strich sanft über den noch flachen Bauch und fasste einen Entschluss: Sie würde sich mit einer Maske schützen und auf Abstand ganz hinten sitzen. Das war sie ihrem Kind schuldig. Das würden alle verstehen.

Er hatte sich gerade mit Gockel getroffen. Der war auch schon voll auf Schaum. Letzten Monat war Gockels Vater gestorben, elend verreckt, erstickt an Covid 19. Gockels Vater hatte neben den Betbrüdern in der Wurstfabrik geschuftet. Die hatten das eingeschleppt. Er hatte nicht den Hauch einer Chance gehabt. Und Maik war jetzt auch bereit, endlich zu handeln. Er wollte sich mal wieder unbehelligt mit seinen Kumpels im Park treffen und nicht heimlich, mit gedrosselter Alk-Zufuhr, damit man nicht die Aufmerksamkeit der falschen Leute auf sich zog. Könnte alles viel unbeschwerter sein, wenn nur dieses Scheiß Christenpack von den Freikirchen nicht dauernd die Zahlen nach oben treiben würde. Die waren schlimmer als die Taliban und der IS zusammen.

Als die Lunte gelegt und die Fluchtwege verbarrikadiert waren, zögerte Maik noch einen Augenblick. Der innere Zwerg der Empathie wollte ihn zurückhalten. Man konnte doch nicht einfach Menschen verbrennen. Die waren doch sicher nicht allesamt gefährliche Idioten. Maik schlug den Zwerg zu Brei. Er hatte sich entschieden. Sein Sturmfeuerzeug setzte die Kettenreaktion in Gang.

Regina wurde auf einmal sehr warm. Es war so stickig in der Kirche. Oder lag das an der Maske? Aber die trug sie beim Einkaufen doch auch und hatte sich längst daran gewöhnt. Dann roch sie es.

„Feuer!“, schrie sie. Erst hörte sie ein Gemurmel, dann aufgeregtes Rufen, dann Schreie der Todesangst. Alle rasten auf die Ausgänge zu, rannten sich gegenseitig über den Haufen, suchten nach Rettung. Sie musste ihr Kind schützen und mit dem letzten funktionierenden Rest ihres Verstandes suchte sie ihren Ausweg dort, wo niemand sonst es probierte: das kleine Fenster im Toilettenraum. Sie konnte kaum noch atmen. Der Rauch war undurchdringlich. Sie hatte es bis zum Griff geschafft, aber das Fenster ließ sich nicht öffnen. Irgendetwas blockierte den Mechanismus. Mit letzter Kraft griff sie nach einem Gegenstand, einem metallenen Schwingdeckel-Mülleimer. Sie schlug damit so lange verzweifelt gegen die Scheibe bis sie krachend zerbrach. Ein Windstoß fuhr hinein. Ein Moment der Erleichterung breitete sich in ihr aus, aber der dauerte nicht lange. Das Feuer bekam durch das geöffnete Fenster nur neue Nahrung. Ein letztes Mal öffnete Regina den Mund zu einem Schrei, dann sank sie entseelt auf die Kacheln.

Als Maik die Schreie hörte, bäumte der innere Zwerg der Empathie sich ein letztes Mal auf und merkte an, dass sich das irgendwie falsch anfühlte. Maik ertränkte den Zwerg endgültig mit einem kräftigen Schluck Wodka. Gnade war etwas für Mittelmäßige. Er hatte seinen Platz gefunden.

Maskuzid

Als Corona zu Ende war

und zumindest dies Virus besiegt,

bürstete sie ihr goldblondes Haar,

machte sich fein für ne Nacht an der Bar

voll Zuversicht und außerdem schwer verliebt.

Sie wartete lange, mit Engelsgeduld,

trank erst Prosecco, dann Cocktails, dann Schnaps,

gab der Dummheit des Liebsten die Schuld,

war auch vom Schnaps schon ganz eingelullt

und hielt Ausschau nach adäquatem Ersatz.

Sie saß auf dem Hocker wie ein Bäumchen im Wind,

ein trauriges Bild, kein Mann sah sie an.

Unsichtbar ihr Liebreiz, schändlich verschmäht.

Für Make-up-Korrekturen war es auch längst zu spät.

Sie wurd‘ offensiv, doch kein Mann ließ sie ran.

„Warum bleiben sogar die mit Mittelmaß hart?

Haben die nur Augen für Fotoshop-Puppen?

Wofür habe ich mich zwei Jahre aufgespart?

Erduldet gebetet, gehofft und geharrt?“

Sie kaufte sich wütend ne Packung voll Fluppen.

Doch der Ansatz war falsch, das merkte sie gleich.

Die tötet sich selbst, die zu viel pafft.

Bisher war sie viel zu sanft, viel zu weich,

so ein Blindgänger taugte am besten als Leich‘

Zurückweisung blieb nicht mehr ungestraft.

Von nun an sprach täglich sie Männer an.

Das Küchenmesser aus Edelstahl

versteckt unterm Mantel, und biss er nicht an,

wurde gar frech und ranzte sie an,

so traf die Klinge ihn abdominal.

Sie schaffte ein Dutzend, dann wurd‘ sie gefasst

Der Richter Erbarmungslos sprach seinen Bann:

„Eine Frau, die derartig Männer hasst,

gehört jawohl lebenslang in den Knast;

und es braucht ein Gesetz zum Schutz für den Mann.“

Nazarener

Es war ein mulmiges Gefühl, mit dem sie die Kirche heute betrat. Zum ersten Mal wieder ein richtiger Präsenz-Gottesdienst. Zum ersten Mal nach dem Tag. Nicht dem Tag, an dem die Sonne am Himmel steht, nein nach dem Tag, dem unverwechselbaren Zeichen eines Graffity-Künstlers – oder Graffity-Dilettanten oder Dilettantin. Nur dies war ja eigentlich kein Tag gewesen sondern ein Symbol der Vogelfreiheit. Hier sind Nazarener, Juden oder Christen, kann man abschlachten.

Niemand vermutete einen drohenden Anschlag. Viel zu ungenau und hastig hingemalt das Zeichen. Da hatte ein Teenager, der mal so richtig provozieren wollte, die Hosen voll. Einer der irgendwo etwas aufgeschnappt hatte und auch mal einer von den ganz bösen Jungs sein wollte. Denn vor den bösen Jungs hatten alle Angst. Die bösen Jungs wurden weder übersehen noch ausgelacht, auch nicht verbal oder mit Fäusten zusammengefaltet. Die Bösen Jungs waren die, die zusammenfalteten, über alles hinweg gingen und am Ende am lautesten lachten. Eigentlich war die neonfarbene Schmiererei nichts als ein Aufschrei der Ohnmacht. Aber das schlechte Gefühl blieb.

Es kribbelte im Nacken. Lag das am lang vermissten Hallelujah? Sie konnte den Gedanken nicht mehr zu Ende denken. Plötzlich war alles auf einmal: laut, hell, heiß, drückend, reißend und dann nichts mehr.

Kerim zuckte zusammen. Es piepte in seinen Ohren, alle Geräusche außerhalb seines Kopfes nahm er wie durch Watte wahr. Ein rauchender Trümmerhaufen, da wo er mehrere Sommer abends auf den Stufen gesessen und mit seinen Kumpels schachtelweise Kippen weggeraucht hatte. Wo er vor ein paar Wochen, etwas an die Wand gemalt hatte. Nur so zum Spaß. Weil die ihn nervten, die komischen Leute da, die immer so nett taten, ihn aber in Wirklichkeit nirgends dabei haben wollten. So etwas spürte man.

Kerim aber, hätte lieber dazu gehört, statt sie jetzt brennen zu sehen. Er hatte nichts getan. Nur ein bisschen gesprüht. Er hatte es nicht so gemeint. Hatte nur die Bilder genossen, die er mit seiner Tat in seinem Kopf heraufbeschworen hatte. Furchtsam aufgerissene Augen in den selbstzufriedenen Gesichtern. Unsicherheit bei den Satten und Etablierten.

Mit der Gastfreundschaft war das so eine Sache. Er hatte sie verraten, seine Gastgeber an ihre Schlächter verraten, die Gastfreundschaft selbst verraten, ihr Blut klebte jetzt an seinen Händen.

103,69 ₽
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Объем:
120 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783754180716
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
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