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6. Die Prophezeiung
Nachdem sich wieder alle fünf im Haus am Tisch versammelt hatten, blickte Gregor in die Runde, deutete auf Johannes und fragte dann: „Und, fällt euch nichts auf?“
Die anderen schauten etwas ratlos. „Er sieht wieder tadellos aus in den frisch gewaschenen Kleidern“, sagte Mutter Grethe und Marie ergänzte: „Kämmen wäre vielleicht nicht schlecht.“
„Nein, daß meine ich nicht, seht doch mal hierhin!“, sagte Gregor und zeigte auf den Pullover. „Hier, der Mond. Und wisst ihr, was er zu den anderen Dingen sagt? Das sei die Erde, wie man sie vom Mond aus sehen würde, und das Ding mit dem komischen Kringel drumherum, das sei der Planet Saturn – und den könnte man mit dem Fernrohr am Himmel sehen. Am Himmel sehen – versteht ihr?“
Vater Jakobus stand auf, um die Bilder besser sehen zu können. Auch Marie beugte sich vor, um mehr zu erkennen. „Hübsche Bildchen, sag' bloß, du denkst an den alten Wahrsager und seine Prophezeiung?“, fragte sie Gregor.
„Natürlich denke ich an den alten Wahrsager, oder glaubst du, das ist Zufall?“
Mutter Grethe schlug die Hände vor dem Gesicht zusammen und konnte gar nichts sagen.
„Da könnte etwas dran sein, fürwahr, das sind ganz gewiss Bilder des Himmels, die noch keiner von uns gesehen hat“, stimmte Jakobus zu.
„Natürlich sind sie das. Johannes ist derjenige, den uns der Wahrsager angekündigt hat, bestimmt!“, verkündete Gregor, während Johannes ratlos in die Runde sah und schließlich fragte: „Wer hat mich angekündigt? Wer ist dieser Wahrsager und was hat der mit meinem Pullover zu tun?“
„Du wirst doch wohl wissen, was ein Wahrsager ist?“, fuhr ihn Gregor ungeduldig an.
„Nun mal langsam, Gregor, das müssen wir Johannes schon in Ruhe erklären“, bremste ihn Jakobus und holte seine Pfeife hervor. Er stopfte etwas Tabak hinein und begann zu erzählen:
„Der Wahrsager, ja, der ist ein sehr ungewöhnlicher und geheimnisvoller Mann. Man sagt, er habe viele ferne Länder bereist, um dort die Weisheiten der fremden Völker zu lernen. Jetzt zieht er durch das Land und alle paar Monate kommt er auch in unser Dorf. Er weiß sehr viel und die Menschen suchen seinen Rat, wenn sie krank sind, die Ernte schlecht war oder sie andere Sorgen plagen. Und manchmal, manchmal scheint er Dinge vorhersagen zu können, die noch niemand weiß oder ahnt. Die Leute im Dorf halten ihn für einen Seher und sie vertrauen ihm.“
„Ja, genau, ein Seher!“, fiel ihm Marie ins Wort. Sie klang schon wieder spöttisch. „Ein Seher, ein Wahrsager, vielleicht auch ein Zauberer und Wunderheiler, einige im Dorf glauben sogar, er reitet nachts auf einem heiligen Einhorn durch die Berge, diese abergläubischen Leutchen.“
Jakobus beachtete sie nicht weiter und fuhr fort: „Natürlich haben wir ihn eines Tages auch um Rat wegen des Admirals gefragt. Der Bürgermeister ging mit dem versammelten Dorfrat zu ihm und erklärte unsere Notlage. Der Wahrsager hörte gut zu und dann sagte er, daß wir es allein nicht schaffen könnten, den Admiral zu vertreiben. Und dann sagte er wörtlich: 'Ihr müsst auf denjenigen warten, der die Sieben anführen kann. Er wird euer Retter sein.' Ich war damals selber dabei und wir alle schauten uns nur ratlos an. Wir fragten, wann denn dieser Retter kommen würde und wer denn diese Sieben seien? Der Wahrsager sagte aber nur, daß wir Geduld haben müssten und nur der Retter diese Sieben kennen und finden würde. Und zuletzt fragten wir, wie wir den Retter erkennen könnten. Und da sagte er, daß wir ihn an den Bildern des Himmels, die zuvor kein Mensch gesehen hat, erkennen würden. Mehr könne er uns nicht sagen.“
Mutter Grethe nickte eifrig: „Die Sache hat sich dann im Dorf in Windeseile herumgesprochen, ein paar Tage lang redeten alle nur noch vom Retter mit den himmlischen Bildern. Aber er kam nicht, nicht nach einer Woche, auch nicht nach drei Monaten, nur der Admiral, der kam immer wieder. Mit der Zeit geriet die ganze Geschichte vom Retter dann in Vergessenheit. Bis heute.“
„Und jetzt glaubt ihr, daß ich dieser Retter bin, weil ich ein Bild von der Erde und vom Saturn auf meinem Pullover habe? Das kann doch reiner Zufall sein“, wandte Johannes ein, weil ihm der Gedanke, das Dorf vor dem Admiral retten zu müssen, gar nicht behagte und er auch nicht wusste, wer denn diese Sieben sein sollten. „Himmlische Bilder gibt es doch viele, oder?“
„Nicht hier im Dorf“, sagte Gregor knapp. „Kann es sein, daß dich der Wahrsager schon einmal getroffen hat? Vielleicht hat er ja auch schon einmal dein Dorf besucht und du hast ihn dort gesehen. Er fällt sehr auf mit seinem weißen Bart, dem blauen Mantel und dem komischen Hut, auf dem immer ein Eichhörnchen sitzt.“
Als Johannes das hörte wurde nun er ganz blass und glaubte, sich verhört zu haben: „Sag das nochmal, das mit dem Eichhörnchen.“
„Ja“, antwortete Gregor, “auf seinem Hut sitzt ein Eichhörnchen, sitzt da und knabbert Nüsse.“ Johannes schaute in die Runde und überlegte. Sollte er den anderen sagen, daß ihm solch ein eigenartiges Männlein mit Ziegenbart und Eichhörnchen im Traum erschienen war und dazu gebracht hatte, sich buchstäblich in dieses Dorf zu schaukeln? Würden sie dann nicht erst recht alle glauben, daß er tatsächlich der angekündigte Retter ist? Wie sollte er aber die Banditen vertreiben können? Er, ein achtjähriger Junge, der weder wusste, wie genau er hierher gekommen war, noch wie er wieder nach Hause kommen sollte? Dieser Gedanke war Johannes überhaupt nicht geheuer und es schien ihm daher besser zu sein, lieber nichts von seinem Traum und der Schaukel zu erzählen. „Nein, den hab ich wirklich noch nie gesehen oder getroffen.“ sagte er also.
„Spielt keine Rolle“, freute sich Gregor trotzdem, „Hauptsache, der weise Wahrsager hat gewusst, daß du kommen würdest, daran lassen die Bilder auf deinem Pu, Pu, äh Puh-Lo-Wär keinen Zweifel. Auch wenn du nicht unbedingt so aussiehst, aber du musst derjenige sein, der uns dabei hilft, den Admiral und seine Bande endgültig loszuwerden!“. Er stupste Johannes dabei mehrmals mit dem Zeigefinger auf die Brust. „Los, sag' schon, wer sind die Sieben, die du anführen wirst?“
Johannes zuckte nur mit den Schultern, er hatte keine Ahnung, wer diese Sieben sein sollten, schließlich kannte er doch in dem Dorf so gut wie niemanden.
„Du liebe Güte, wie soll der Kleine da in seiner hübschen blauen Hose denn den Admiral verscheuchen?“, fragte Marie belustigt und schüttelte den Kopf, „vielleicht in dem er ihm von seiner Reise zum Mond berichtet?“
„Sei still, Tochter!“, ermahnte sie da Jakobus. „Bis jetzt hat uns der weise Mann noch immer die Wahrheit gesagt. Du solltest mehr Vertrauen haben.“
In diesem Moment klopfte es, gleichzeitig flog die Tür auf und ein Mann kam ins Haus gestürmt ohne abzuwarten, daß ihn jemand herein bat. Es war der Bürgermeister Leopold.
„Verzeiht, daß ich so hereinplatzte“, begann er sich für sein Eindringen zu entschuldigen, „eigentlich bin ich gekommen, um mit dir, Jakobus, über die Bestellung vom Herrn Admiral zu reden, aber da hörte ich von draußen, was es mit eurem Gast auf sich hat. Nicht, daß ich gelauscht hätte, aber ihr habt recht laut gesprochen und das Fenster steht offen. Was für eine unglaubliche Geschichte!“ Leopold setzte sich an den Tisch und sah sich Johannes' Pullover genau an. „Erstaunlich, ganz erstaunlich, genau wie es der alte Mann vorhergesagt hat! Die Erde vom Mond aus gesehen, was soll man dazu sagen?“
Leopold machte immer noch einen sehr aufgewühlten Eindruck. „Dein Name war Johannes, richtig?“ fuhr er fort. „Johannes, ich denke es ist besser, du ziehst im Dorf ein anderes Hemd an. Es würde für viel Unruhe sorgen, wenn die Leute diese Bilder sehen. Was meinst du, Jakobus?“
Vater Jakobus legte die Pfeife bei Seite und sagte: „Vermutlich hast du Recht, Bürgermeister. Johannes würde dann keine ruhige Minute mehr haben und wir als seine Gastgeber auch nicht. Sie würden uns das Haus einrennen, nur um zu erfahren,was es mit dem Jungen auf sich habe und wie er den Admiral zu vertreiben gedenkt. Wenn uns Johannes wirklich helfen kann, dann soll er es in Ruhe und mit Bedacht versuchen, fürwahr.“
„Klug gesprochen, Herr Schmied“, antwortete Leopold. „Also, meine liebe Grethe, gib dem Jungen bitte ein einfaches Hemd. Und wir alle werden zunächst schweigen über das, was wir gerade besprochen haben. Johannes soll in Ruhe darüber nachdenken dürfen, ob und wie er uns helfen kann. Und ich werde mich derweilen weiter um die Liste vom Admiral kümmern. Zwei Dutzend Pferde sollen übrigens neu beschlagen werden, wenn er zurückkommt.“ Leopold stand auf, verbeugte sich und ging wieder hinaus.
„Der und schweigen!“, platzte Marie hinaus, „der ist nicht nur der größte Feigling im Dorf, sondern auch die größte Schwatzliesl!“
„Höchstens die zweitgrößte,“ antwortete Gregor, „aber du hast Recht, wenn man ein Geheimnis möglichst schnell überall bekannt machen will, dann erzählt man es am besten dem Bürgermeister!“
„Aber es stimmt“, sagte Mutter Grethe und hatte schon ein neues Hemd für Johannes zur Hand. „Es ist besser, wenn Johannes erst einmal nicht weiter mit seinem Puh-Lo-Wär auffällt.“
Johannes zog sich also wieder um und sah durch das Fenster, wie der Bürgermeister seine Runde durch das Dorf fortsetzte. „Trotzdem sollten wir davon ausgehen, daß bald jeder im Dorf glaubt, daß Johannes der lang ersehnte Retter ist. Und wir sollten uns überlegen, wie wir damit umgehen. Lasst uns in Ruhe nachdenken“, meinte Jakobus in seiner bedächtigen Art und zog wieder an der Pfeife. Und es sollte tatsächlich nicht lange dauern, bis die Kunde vom vermeintlichen Retter im Dorf die Runde gemacht hatte.
7. Der neue Held
Es war am frühen Nachmittag als es an der Tür klopfte. „Jetzt geht es los“, sagte Marie und ging zum Fenster. „Es sind der Bäcker Georg und seine Frau, Helmut, der Schleifer, Bauer Franz mit seinem Sohn und ein paar andere, die ich nicht erkennen kann.“
Mutter Grethe ging zur Tür und öffnete. Vor ihr standen gut zwei Dutzend Dorfbewohner, die offenbar von Bäcker Georg angeführt wurden.
„Entschuldige die Störung, liebe Grethe“, begrüßte sie Bäcker Georg und tippte sich an seine Mütze, kam dann aber gleich zur Sache. „Ich weiß nicht, ob du es auch schon gehört hast, aber im Dorf geht ein Gerücht um. Stimmt es, daß ihr diesen Jungen bei euch aufgenommen habt und, daß er der Retter ist, den uns der Weise angekündigt hat?“
Die anderen, die hinter Georg standen, reckten ihre Hälse und drängelten sich etwas weiter nach vorne, um besser ins Haus sehen zu können. Offenbar wollten sie einen Blick auf Johannes werfen, aber er war nicht zu sehen. Grethe baute sich vor Georg in der Tür auf, um klar zu machen, daß sie nicht wollte, daß die ganze Versammlung auf der Suche nach Johannes in ihr Haus stürmte.
„Guten Tag, Georg“, antwortete sie. „Ist schon richtig, was ihr gehört habt, zumindest was den Jungen betrifft und, daß wir ihn bei uns aufgenommen haben. Er ist wohl von zu Hause ausgerissen und brauchte ein Dach über dem Kopf. Gregor hat ihn bei den Schafwiesen aufgelesen. daß er aber der Retter sein soll, das ist tatsächlich eher ein Gerücht, der Junge ist doch erst acht Jahre alt!“
„Können wir ihn sehen, Grethe?“, fragte der Schleifer Helmut von weiter hinten.
„Nein, nicht hier im Haus. Er ist bei Gregor und Jakobus in der Schmiede, schließlich haben auch wir zu tun, zwei Dutzend Pferde will der Admiral beschlagen haben.“
Grethe hatte den Satz kaum zu Ende gesprochen, da machte sich die Gruppe auch schon auf den Weg hinüber zur Schmiede. Grethe und Marie sahen ihnen hinterher. „Wenn die Bescheid wissen, dann weiß es längst das ganze Dorf“, bemerkte Marie. „Da hat sich der Bürgermeister wirklich beeilt, die Geschichte vom ersehnten Retter überall herum zu tratschen.“
Schon stand der Bäcker Georg mit seinen Begleitern vor der Schmiede und rief lauthals: „Jakobus, wir wollen diesen Johannes sehen! Ist er bei dir da drin?“
Und ein anderer rief: „Zeigt uns die heiligen Zeichen! Wir wollen die himmlischen Bilder sehen!“ Und im Nu riefen sie alle durcheinander. „Zeig' uns den Retter! Wir wollen den Retter sehen!“
„Ruhe!“, rief da jemand aus der Schmiede heraus. Es war Jakobus, der nach draußen ging und mit den Händen eine beschwichtigende Geste machte. „Jetzt bleibt bitte ruhig, Freunde“, fing er an, „ihr macht dem Jungen doch nur Angst, wie soll er euch denn so helfen, falls er es überhaupt kann?“
Die Leute wurden tatsächlich ruhiger, ließen aber nicht locker. „Wir wollen doch nur wissen, ob es wahr ist, was man im Dorf erzählt“, sagte die Frau vom Bäcker Georg.
„Richtig“, stimmte ihr ein anderer zu, „zeig' uns doch bitte diese Bilder des Himmels, dann wissen wir schon, was an der Sache dran ist.“
In diesem Moment kamen auch Gregor und Johannes nach draußen und ein Raunen ging durch die Leute. Einer rief: „Das ist er, das muss Johannes sein!“
Und ein anderer stellte sogleich fest: „Er hat aber ein einfaches Hemd an. Wo sind die Bilder?“
Die Leute drängten auf Johannes zu, aber Jakobus baute sich mit seiner imposanten Gestalt vor ihnen auf und sagte: “Das andere Wams ist im Haus, er hat es nicht hier. Es ist zu warm für den heutigen Tag, da hat er ein dünneres Hemd angezogen.“ Jakobus merkte aber gleich, daß es kein gute Idee war, ihnen das zu erzählen, denn die ganze Gruppe machte beinahe augenblicklich wieder kehrt und ging zum Haus zurück, fest entschlossen, einen Blick auf Johannes' Pullover zu werfen. Und es sah fast so aus, als würden sie diesmal einfach an Grethe und Marie vorbei ins Haus stürmen wollen. Um das zu verhindern, wollte Johannes ihnen zuvor kommen, rannte an ihnen vorbei ins Haus, holte den Pullover, rannte wieder zurück, stellte sich vor die Gruppe und reckte ihnen den Pullover entgegen. Da trat plötzlich Stille ein, die Leute starrten staunend und schweigend auf den Pullover und es dauerte einen Moment bis jemand leise sagte: „Der Retter. Der Junge ist der Retter.“ Auch die anderen brauchten einen Moment, um ihre Sprachlosigkeit zu überwinden, aber dann brabbelten sie alle wieder durcheinander, wurden immer lauter und brachen dann in Jubel aus.
„Hurra, der Weise hat Recht gehabt! Der Retter ist gekommen! Hurra! Der Junge ist der Retter!“ Mittlerweile hatte das ganze Dorf das Spektakel mitbekommen und es wurde vor Jakobus' Haus immer voller, immer mehr Menschen drängten sich hinzu, alle wollten Johannes und seinen Pullover sehen. Von hinten bahnte sich der Bürgermeister Leopold seinen Weg nach vorne zu Johannes und musste dabei ein paar Dorfbewohner zur Seite drängeln. Bei Johannes angekommen, klopfte er ihm auf die Schulter und richtete sein Wort an die Dorfbewohner:
„Freunde, Freunde! Gemach, Gemach. Es sieht so aus, als sei die Prophezeiung des weisen Mannes nach langer Zeit nun endlich wahr geworden, indem der junge Johannes hier zu uns gefunden hat.“
Die Dorfbewohner beruhigten sich allmählich wieder und hörten zu.
„Das gibt uns Hoffnung. Lasst uns Johannes deshalb bei uns willkommen heißen!“ Da fing Leopold an zu klatschen und die Dorfbewohner klatschten mit und lachten und riefen wieder „Bravo!“ und „Hurra!“ Zwei Männer liefen zu Johannes hinüber, nahmen ihm den Pullover ab, übergaben ihn Leopold und setzten sich den verblüfften Johannes auf die Schultern. Dann trugen sie ihn unter lautem Jubel hinüber auf den Dorfplatz. Alle kamen ihnen hinterher und das ganze Dorf geriet in einen Freudentaumel. Nur Johannes, der wusste überhaupt nicht wie ihm geschah. Irgendwann begann er, in die Menschenmenge zu winken, lachte ebenfalls und musste von oben herab viele Hände schütteln, während er auf dem Dorfplatz im Kreis herum getragen wurde. Leopold lief hinterher und zeigte den Leuten immer wieder den Pullover, was immer neue Jubelstürme auslöste. Jakobus überholte ihn und lief dann neben dem gefeierten Johannes her, um zu verhindern, daß ihn noch irgendjemand vor lauter Begeisterung den Männern von den Schultern zog. Dann setzten die Männer Johannes auf den Tisch, der seit dem Morgen noch immer in der Mitte des Platzes stand, und begannen ebenfalls zu applaudieren. Ein kleines Mädchen kam aus der Menge zu Johannes herüber gelaufen und schenkte ihm einen Apfel, lief dann aber schnell zurück zu seiner Mutter. Leopold und Jakobus stellten sich neben den Tisch und der Bürgermeister ergriff wieder das Wort:
„Freunde, Freunde! Ihr alle kennt die Worte des Weisen. Derjenige, der die Bilder des Himmels trägt, wird die Sieben anführen, die nur er allein kennt! Johannes hier wird uns also nicht allein helfen. Also lasst ihn seine Wahl treffen!“
Der Bürgermeister verlor wirklich keine Zeit. Mit einer Handbewegung deutete er an, daß die Dorfbewohner einen Kreis rund um den Dorfplatz bilden sollten, so wie sie es am Morgen auch schon getan hatten, als die Banditen gekommen waren. Und als sie das getan hatten, da nahm der Bürgermeister Johannes bei der Hand und begann, mit ihm langsam an den Dorfbewohnern vorbei zu gehen. Jakobus wich Johannes aber nicht von der Seite.
„Mein Junge“, begann Leopold, „hier siehst du alle, die dir helfen können. Schau sie dir in Ruhe an, starke und kluge Männer sind dabei, du wirst gewiss die sieben Männer finden, die dir beistehen werden.“
Er stellte Johannes ein paar der Männern vor, vermutlich diejenigen, die er selber für besonders geeignet hielt, es mit dem Admiral aufzunehmen. Johannes nickte allen freundlich zu, sagte hier und da 'Hallo' oder 'Guten Tag' konnte aber beim besten Willen nicht feststellen, wer denn nun die Sieben sein sollten. Nachdem sie ihre Runde beendet hatten, setzen sich die drei wieder an den Tisch.
„Nun, Johannes, hast du deine Wahl getroffen?“, fragte der Bürgermeister. Johannes sah ihn ratlos an und war dankbar, daß Jakobus antwortete.
„Bürgermeister, meinst du nicht, daß das ganze Spektakel etwas viel für den Jungen ist? Sieh doch, wie müde er aussieht, fürwahr. Lasst ihn in Ruhe nachdenken, wen er auswählen möchte. So etwas will doch wohl bedacht sein, immerhin ist er kaum einen Tag bei uns hier im Dorf.“
Johannes gähnte im passenden Moment, um ihn zu bestätigen. Der Bürgermeister überlegte kurz, stand dann wieder auf und sprach zu den Dorfbewohnern:
„Jakobus hat Recht. Wir wollen nichts überstürzen und nicht zu viel von unserem jungen Freund hier verlangen. Geben wir Johannes genügend Zeit für seine Wahl. Er wird sich jetzt bei der Familie vom Schmied ausruhen und sich alles gut durch den Kopf gehen lassen. Also geht nach Hause und wartet seine Entscheidung ab!“ Natürlich waren die Leute zuerst einmal enttäuscht und begannen wieder durcheinander zu murmeln, zu gerne hätte sie sofort erfahren, wer von ihnen denn nun zu den Sieben gehören sollte, mit deren Hilfe Johannes den Admiral und seine Leute ein für allemal aus dem Dorf vertreiben würde. Aber dann sahen sie doch ein, daß der Bürgermeister Recht hatte und gingen zurück zu ihren Häusern oder wieder an ihre Arbeit. Jakobus hob Johannes vom Tisch und gemeinsam gingen sie zum Haus zurück, wo Gregor, Marie und Mutter Grethe auf sie warteten. Die drei hatten die ganze Zeit von dort aus dem Treiben zugesehen. Aber sie waren nicht die einzigen, die still beobachtet hatten, was im Dorf passierte. Denn niemand hatte bemerkt, daß jemand vom Hügel hinab die ganze Zeit das Dorf mit einem Fernrohr im Blick gehabt hatte. Und dieser jemand trug einen langen schwarzen Mantel und ritt auf seinem Pferd davon, um dem Admiral zu berichten, was vorgefallen war.
8. Ich will nach Hause!
Die Stimmung im Haus des Schmieds war gedrückt. Denn es war nun doch genau das passiert, was sie eigentlich mit Hilfe des Bürgermeisters verhindern wollten: Das ganze Dorf setzte nun enorme Hoffnungen in Johannes und glaubte, mit seiner Hilfe die Banditen bald loswerden zu können. Aber wie sollte Johannes diese Erwartungen erfüllen? Das wussten alle fünf nicht. Johannes wirkte müde und aufgedreht zugleich und es war ihm anzusehen, wie ihm die Situation zu schaffen machte. Er rutschte auf seinem Stuhl nervös hin und her und legt dann los:
„Langsam, Leute, langsam. Das ist doch völlig verrückt. Gestern kannte ich euer Dorf noch gar nicht, bin dann irgendwie hierher gekommen, laufe beinahe ein paar von diesen Gangstern in die Arme, ihr nehmt mich bei euch auf und lebt noch fast in der Steinzeit. Am nächsten Morgen kommt eine ganze Räuberbande ins Dorf, ich muss dem Räuberhauptmann meine Hose vorführen, weil der so etwas noch nie gesehen hat und auch eine haben möchte. Danach erzählt ihr mir, daß ich wohl der von irgendeinem Wahrsager angekündigte Retter bin und das ganze Dorf fällt über mich her und feiert mich, als hätte ich den Admiral samt Gefolgschaft schon über alle Berge vertrieben. Und dann soll ich noch mal eben aus einem Haufen von Leuten, die ich im Leben noch nicht gesehen habe, die berüchtigten Sieben auswählen, dir mir helfen sollen. Und das alles nur, weil ich meinen uralten Weltraum-Pulli anhabe und ihr noch nie Bilder vom Saturn gesehen habt. Lasst mich doch mit eurem Admiral in Ruhe. Ich will kein Retter sein. Mir reicht's langsam! Ich will nach Hause!“
Die anderen sahen ihn erstaunt an, immerhin hatte er in der ganzen Zeit wohl noch nicht so viel gesprochen wie gerade eben und dazu noch so aufgeregt. Mutter Grethe griff seine Hand, um ihn zu beruhigen. Marie stellte ihm einen Becher mit Wasser hin und Johannes nahm einen kräftigen Schluck. „Das hat der Bürgermeister prima hinbekommen, erst verspricht er uns, dafür zu sorgen, daß alle Ruhe bewahren, dann wiegelt er aber das ganze Dorf zu so einem Trubel auf und macht sich auf Johannes' Kosten wichtig, der Hohlkopf.“ Marie war der Ärger anzusehen.
„Dann lasst wenigstens uns vernünftig bleiben und kühlen Kopf bewahren“, sagte Jakobus. „Möchtest du dich nach der ganzen Aufregung etwas ausruhen, Johannes? Manchmal wirkt ein kleines Schläfchen Wunder. Leg dich doch etwas hin und versuch zu schlafen.“
Eigentlich fühlte sich Johannes noch viel zu aufgewühlt, um jetzt zu schlafen, aber Grethe griff ihn schon vorsichtig am Arm. „Komm, Johannes, ich bring dich in Gregors Kammer. Wenn du möchtest, bleibe ich noch einen Moment bei dir. Du musst jetzt wieder zur Ruhe kommen.“
Gemeinsam gingen sie in Gregors Zimmer und Johannes legte sich auf das Bett. Grethe setzte sich auf einen Schemel neben ihn und hielt seine Hand. Johannes beruhigte sich und merkte, daß sein Herz nicht mehr so aufgeregt pochte. Seine Augen wurden schwerer und einen Augenblick später war er schon eingeschlafen. Grethe blieb noch eine Weile neben ihm sitzen bis sie sicher war, daß er ruhig und fest schlief.
Mittlerweile war der schwarze Reiter, der den ganzen Tag lang das Dorf im Auge behalten hatte, im Versteck der Banditen angekommen. Die Banditen hatten sich in einem alten verlassenen Gutshof niedergelassen, der aus einem großen Herrenhaus und mehreren Stallungen bestand. Der Hof lag inmitten einer grünen Niederung und war beinah ringsum von Wald umgeben. Nur über einen kleinen See hinweg konnte man auf ein paar Hügel blicken, über die der schwarze Reiter gekommen war. Er brachte sein vom schnellen Ritt schweißglänzendes Pferd zu einer Koppel, auf der auch die anderen Pferde grasten, und rannte dann hinüber zum Herrenhaus. Aus den Stallungen hörte er das Gegröle der anderen Banditen, die sich offenbar schon am Wein gütlich taten und alte Seemannslieder sangen. Der Reiter durchquerte den großen Flur des Hauses, lief über die laut knarzende Holztreppe in den ersten Stock und klopfte an die schwere Holztür. „Herein!“, brüllte Franco von innen und der Reiter trat ein.
„Ah, mein Kundschafter ist zurück“, begrüßte der Admiral den Reiter, „sprich, warum kommst du erst jetzt von unseren Freunden zurück?“ Der Admiral und Franco saßen an einem reich gedeckten Tisch und aßen gebratene Hühnerschenkel mit dicken Dampfnudeln. Der Reiter blieb vor dem Tisch stehen und berichtete in aller Ausführlichkeit von der plötzlichen Aufregung im Dorf und den Jubelszenen um Johannes. Allerdings hatte er vom Hügel aus nicht hören können, was im Dorf gesprochen wurde, er musste seinen Bericht auf seine Beobachtungen beschränken. Als er fertig war, nickte ihm der Admiral zu und bedeutete ihm mit einer Handbewegung, daß er jetzt zu den anderen Banditen gehen könne, um sich dort zu vergnügen.
„Was hältst du davon, Franco? Der Junge in den feinen Beinkleidern wird von den Dörflern auf Schultern herumgetragen und lauthals bejubelt. Und was mag es mit dem Wams auf sich haben, das der gute Leopold allen während dieser merkwürdigen Prozession vorgeführt hat?“
Franco warf ein abgenagtes Hühnerbein auf einen Teller und wischte seine fettigen Finger an einem Lappen ab.
„Gute Frage, Admiral. Schade, daß der Kerl durch das Fernrohr nicht mehr als ein paar bunte Flecken auf dem Wams erkennen konnte. Jedenfalls schien der Junge neu im Dorf zu sein.“
„Ganz recht, mein Lieber, ganz recht. Mit diesen Hosen muss er von weit her kommen. Und es ist ungewöhnlich, daß das Dorf in Feierlaune gerät, nachdem wir ihnen am Morgen einen Besuch abgestattet haben und der Bürgermeister sogleich angefangen hat, unsere bescheidenen Wünsche an diese Tölpel weiterzugeben. Da heißt es doch arbeiten und nicht jubilieren!“
Der Admiral machte beim letzten Gedanken ein erstauntes Gesicht und schenkte sich etwas Wein nach. „Ein fremder Junge kommt ins Dorf und das gerade noch von uns so betrübte Volk gerät in Verzückung, erkläre mir das, Franco.“
Franco zuckte mit den Schultern und machte einen gleichgültigen Eindruck: „Ich habe keinen Schimmer, was an dem Jungen so toll sein soll, Admiral. Ein hergelaufener Bauernjunge, nichts weiter.“
„Aber ein hergelaufener Bauernjunge in sehr ungewöhnlichen Beinkleidern und mit einem Aufsehen erregenden Wams“, erwiderte der Admiral. „Hast du dieses Gerücht gehört, das bei den Männern umgeht?“
„Ihr meint das Altweibergeschwätz vom weisen Mann und seinen Prophezeiungen? Alle Wetter, das abergläubische Pack hat auch noch Angst vorm Klabautermann. Das ist ein halbwüchsiger Knabe, ein Kind! “
„Gewiss, gewiss, aber war nicht die Rede von Sieben anderen, die ihm zu Hilfe sind?“ Der Admiral nahm sich noch ein Hühnerbein und gab einen leisen Rülpser von sich.
„Sieben, acht oder zwanzig von diesen Feiglingen, was spielt das für eine Rolle? Bauern, Waschweiber und Betbrüder, die können dem Bübchen helfen soviel sie wollen, was kümmert's uns? Ich stelle drei von unseren Männern dagegen, lasse sie einmal 'Buh!' rufen und schon machen die sich in die Hosen wie die kleinen Kinder!“ Franco musste bei dieser Vorstellung lachen, offenbar war er von der Überlegenheit seiner Bande sehr überzeugt. Der Admiral schien sich nicht so sicher zu sein, meinte dann aber: „Kein Zweifel, kein Zweifel, das Dorf kann es nie mit unserer Mannschaft aufnehmen. Schickst du wieder ein paar Männer zum Dorf, die beobachten, ob unsere Freunde auch fleißig sind und sie bei Bedarf etwas ermuntern, damit alles pünktlich fertig ist?“ Franco nickte. „Dann trag' ihnen auf herauszufinden, was es mit diesem Wams auf sich hat. Sie sollen es sich unbemerkt ansehen und mir Meldung machen.“
Franco spuckte einen Knochen auf den Teller, trank seinen Wein aus und ging hinaus, um die Bitte des Admirals als Befehl an seine Männer weiter zu geben. Der Admiral selber nahm sein Glas, stand auf und ging hinüber zum Fenster. Irgendwo hinter den Hügeln, die er von dort sehen konnte, lag das Dorf. Er blickte lange in diese Richtung und wurde dabei das Gefühl nicht los, daß es diesmal nicht so einfach werden würde, das Dorf auszuplündern.