Читать книгу: «Tote Vögel singen nicht»

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Inhalt

Über das Buch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Dank

Drei Fragen an Autor Christian Klinger

Der Autor

Über das Buch

Cosinus Gauß ist als Anwalt trotz seiner Tricksereien nicht zu Reichtum gekommen. Er ist ein Mann in den besten Jahren, aber beziehungsunfähig, weil er aufgrund der tyrannischen Erziehung seines Vaters keine Empathie empfindet. An POTS (Posturales orthostatisches Tachykardiesyndrom) leidend, ereilen ihn plötzliche Ohnmachten in den unpassendsten Momenten. Als er eines Morgens in einem Hotel neben der blutüberströmten Leiche einer jungen Frau erwacht, versucht er krampfhaft die Geschehnisse des Vorabends in einem Club zu rekonstruieren. Er verschwindet unerkannt, aber eine unscharfe Aufnahme einer Überwachungskamera des Hotels taucht in den Medien auf. Die Polizei sucht jedoch vorerst nach einem abgetauchten Immobilientycoon, der Gauß ähnelt.

1.

„Fickst du immer noch so gut?“

Sie stand ganz nah vor mir. Ich bildete mir ein, den Hauch ihrer Frage wie eine Liebkosung auf meiner Haut zu spüren. Meine Härchen am ganzen Körper richteten sich auf und ich blickte Schneewittchen in die dunklen Augen. Die Haut aus weißem Alabaster, die Haare pechschwarz, die Lippen rot.

Ich zögerte … und hatte verloren. So eine Frage musst du sofort beantworten, innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde. Das Ja muss schnell und selbstsicher kommen wie eine abgefeuerte Pistolenkugel. Doch meine Lippen blieben verschlossen. Weder wollte ich mich besonderer Fähigkeiten im Bett rühmen, noch konnte ich mich daran erinnern, dass es einer meiner bisherigen Partnerinnen getan hätte. Mich rettete beim Sex meist meine „Cosinus-Welle“. Mit einer gutturalen Stimmtechnik, die ich von einem Mongolen, den ich zu verteidigen hatte, erlernte, bringe ich mithilfe der Stimmbänder meine gesamte Mundhöhle zum Schwingen und versetze damit meine Zunge in Vibration, sodass sie heftig zu flattern beginnt wie eine Fahne im Orkan. An der richtigen Stelle zum Einsatz gebracht, hat diese Technik noch immer zu einem befriedigenden Erfolg geführt. Warum ich Idiot immer nachdenken musste?

Ja!

Meine Körpermitte schrie es. Mein Mund aber schwieg. Ich versuchte ihrem Blick standzuhalten, der fordernd und zugleich überlegen war, doch brachte ich nicht mehr als ein verzweifeltes, blödes Grinsen zustande. Gut, dass man sich in solchen Momenten nicht selbst sieht. Es war noch keine Sekunde vergangen, eine Sekunde, die sich im Universum ausdehnte wie ein neues Sonnensystem, da sagte sie: „Entschuldigung, ich muss dich wohl verwechselt haben.“

Sie verzog den Mundwinkel. Enttäuscht und angewidert zugleich. Als hätte sie statt in eine Handcreme aus Paris in einen steirischen Kuhfladen gegriffen. Ihr Blick ein Griff in meine Eier. Es kribbelte da unten, es erregte mich, aber es bereitete mir auch Unbehagen. Natürlich hat sie mich verwechselt, sagte ich mir, wie hätte ich sie vergessen können?

Das war unsere erste Begegnung gewesen.

Jetzt lag sie neben mir. Schneewittchen war noch bleicher als gestern. Ihre Haare umspielten ihre Schultern wie tanzendes Seegras, das eine Nixe umhüllt, und das Rot ihrer Lippen war überall verteilt: auf ihrem Busen, dem Bauch, den Schenkeln. Es klebte am Leintuch und auf dem Bett, nur leuchtete es nicht mehr so wie gestern. Rostbraun hatte es sich in den Stoff gesaugt und auf ihrer Haut eine Kruste gebildet. Ein tiefer Schnitt hatte die Kehle durchtrennt und zwischen den Beinen hatte jemand sein krankes Werk verrichtet: Die Schamlippen waren mit großen Büroklammern zusammengeheftet.

Ich sah mich um und fragte mich, was ich in diesem Hotelzimmer machte. In einem Raum mit einer Wandtäfelung aus honigfarbenem Holz, gemasert und mit einzelnen Wurzelzeichnungen, und einem blaugrauen Teppich. Aber das war unwichtig. Was zählte, war das tote Mädchen darin. Und ich daneben. Ich selbst lag neben dem Bett, halb am Boden, der Oberkörper auf der Matratze. Ein paar Blutspritzer hatten mein Gesicht getroffen.

Ich rappelte mich auf und ging ins Bad, wo ich mein Gesicht mit kaltem Wasser wusch und hoffte, damit meiner Erinnerung auf die Sprünge zu helfen. Langsam kehrten erste Bilder zurück. Und ich zu Schneewittchen auf ihrem Lager. Sie hatte das Gesicht einer Puppe. Ihre dunklen Augen starrten auf einen fernen Punkt an der Decke. Ich brachte es nicht fertig, sie zu berühren, um ihre Lider zu schließen. Doch ihre Nähe half meinem Gedächtnis. Bruchstückhaft fügten sich Bilder, Eindrücke und Geräusche zu dem zusammen, was man Erinnerung nennt. Das Gestern winkte mir durch einen verzerrten Spiegel zu. Ich versuchte, den Vortag zu rekonstruieren:

Es war Montag und ich kam spät in mein Büro. Am Eingang passte mich Dragana ab.

„Jetzt haben wir schon den zehnten und ich hab mein Gehalt vom letzten Monat noch immer nicht am Konto.“

Sie baute sich vor mir auf, wobei sie ihren üppigen Busen als Barriere einsetzte.

Wie die Woche zuvor, versuchte ich ihr zu erklären, dass ihr Gehalt schon überwiesen sei und es halt ein paar Tage dauern würde, bis gebucht wäre.

„Das sagst du jetzt schon seit einer Woche und schön langsam glaub ich es dir nicht mehr. Also klemm dich hinter den Computer und mach endlich die Überweisung, sonst lass ich dich hier nicht mehr raus!“

Ich fasste sie an der Schulter und schob sie sanft weg. „Zuerst musst du mich einmal vorbeilassen, sonst kann ich nicht an den Computer in meinem Zimmer, um das E-Banking zu checken. Vielleicht braucht das ein Update“, sagte ich, wohl wissend, dass das hier kein technisches Problem war.

Mein Büro war so eng, dass der Durchgang zu meinem Zimmer zwischen Draganas Schreibtisch und der Wand eigentlich nur Platz für einen ausgemergelten Fakir ließ. Regelmäßig streifte ich mit meinem Bauch über ihre Tischplatte. Umgekehrt hatte das den Vorteil, dass auch aufgebrachte Klienten nicht unangemeldet in mein Büro platzen konnten. Sie mussten vorbei am Zerberus, den Dragana perfekt zu verkörpern wusste.

Dragana wich einen Schritt zurück und ich roch ihre Haut und ihr süßes Parfum. Eine Spur zu lieblich für eine Frau nach dem Wechsel, dachte ich. Mein Oberarm streifte ihren Busen. Er war füllig und weich. Es war Jahre her, dass wir regelmäßig miteinander geschlafen hatten. Damals waren ihre Brüste voll und fest wie ein aufgepumpter WM-Fußball. Sie war jetzt, trotz der vielen Falten um Mund und Augen, immer noch rassig. Sie hatte den Charme des Balkans. Schön und heruntergekommen, mit der Hoffnung auf bessere Zeiten und der standhaften Ignoranz des Umstands, dass ihre besten Jahre vorbei waren. Die in die Haare gesteckte Brille, die sie zum Arbeiten am Computer benötigte, verlieh ihr einen reifen Sex-Appeal.

Als ich mich durch den Durchschlupf gezwängt hatte, ärgerte ich mich über sie. In solchen Momenten wollte ich sie am liebsten rauswerfen. Doch den Ärger überwog die Erkenntnis, dass ich kaum jemanden finden würde, der für so wenig Kohle mit so viel Engagement für mich arbeiten würde.

Außerdem brachte sie einige Mandanten aus ihrem serbischen Umfeld. Alles Gauner, Schieber und Bankrotteure. Wahrscheinlich hätten diese Gestalten meiner Dienste gar nicht bedurft, weil man ihnen von offizieller Seite ohnehin selten beikam. Oder auch gar nicht beikommen wollte. Mein Beitrag, die Durchsetzung der ordentlichen Strafrechtspflege abzuwehren, war im Vergleich zur Unfähigkeit und Laschheit der Behörden gering. Denn wenn man es richtig anlegte, war fast alles möglich.

Brauchen Sie ein Auto? Jaguar, Audi, BMW? Kein Problem, kann ich Ihnen alles billig besorgen. Die Sache läuft easy. Ich suche einen, der das Fahrzeug least, am besten über seine marode Firma. Sie kaufen es von der Firma und melden es im Ausland auf sich an. Ein Wohnsitz im Ausland ist aus steuerlichen Gründen und auch aus Gründen der Strafverfolgung immer von Vorteil. Sie erwerben gutgläubig das Eigentum und die Leasinggesellschaft verliert es. Sollte diese die Karosse wiederfinden, dann ist ihr Recht daran schon lange untergegangen. Wir machen den Kaufvertrag. Ganz wasserfest. Sie zahlen natürlich nur einen Bruchteil der aufscheinenden Summe. So haben wir alle was davon. Zwischenzeitig ist der Firmenchef, der dieses Kunststück ein paar Mal durchgezogen hat, längst in irgendeinem montenegrinischen Tal verschwunden. Offiziell habe ich natürlich nichts damit zu tun. Wer will schon mit solchen Betrügereien in Zusammenhang gebracht werden?

Drogen kann ich Ihnen über meine afghanischen Klienten besorgen oder unangenehme Nachbarn von meinen tschetschenischen Freunden in Sachen „Nachbarschaftshilfe“ beraten lassen. Warum ich mich mit all diesem Abschaum abgebe? Ganz einfach: Ich bin Anwalt.

Ich ließ mich in meinen Bürosessel fallen, schaltete den Computer auf meinem Schreibtisch an und überlegte, wo ich das Geld für Draganas Gehalt oder wenigstens einen Vorschuss abzweigen konnte. Ein Kollege hatte mir vorgestern eine Überweisung von knapp fünftausend Eiern avisiert. Wider Erwarten hatte ich einen Rechtsstreit gewonnen und der gegnerische Anwalt hatte mitgeteilt, dass er keine Berufung einlegen werde. Der eingeklagte Betrag sollte also schon auf meinem Konto eingelangt sein. Ich würde ihn zur Zahlung an Dragana verwenden und meinem Mandanten erklären, dass die Berufungsfrist noch offen wäre und man diese abwarten müsse. Das verschaffte mir bis zu zwei Wochen Zeit.

Nachdem ich zweitausend Euro auf Draganas Konto und den Rest auf meines überwiesen hatte, rief ich nach ihr. Sofort tauchte ihr Oberkörper hinter meinem Bildschirm auf. „Du musst endlich die restlichen Honorarnoten schreiben und verschicken“, sagte ich. Es war an der Zeit, die Früchte meiner Arbeit einzubringen.

„Sind alle längst erledigt.“ Sie verzog dabei keine Miene. Mit diesem starren Gesichtsausdruck sah sie aus wie die Galionsfigur an einem Schiffsrumpf.

„Und wieso seh’ ich dann keinen Zahlungseingang am Kanzleikonto?“

Sie zuckte mit den Schultern und sagte beiläufig: „Weil deine Klienten nie zahlen.“

Das war das Problem mit meiner Kundschaft. Die zahlten gar nichts, nicht einmal ihren Anwalt. Und leider, so musste ich mir eingestehen, war auch das Geschäftsmodell mit den Autos noch kein durchschlagender Erfolg. Die meisten Firmenchefs setzten sich damit selbst ins Ausland ab, um sie dort zu verkaufen. Nicht einmal diese Provision gönnten sie mir. So gesehen war ich über die Einladung für diesen Abend sehr froh, denn bei so einem Event lernt man immer neue Leute kennen. Und neue Leute sind neue Klienten, sage ich immer.

2.

Nachdem ich zwei Stunden der Vernehmung eines rumänischen Taschendiebs im Halbgesperre des Straflandesgerichts beigewohnt hatte, war ich nach Hause gegangen, um mich frisch zu machen. Gegen 20.00 Uhr brach ich zum Volksgarten auf. Ich hatte zwar keine Ahnung, welches hohe Tier hier zu einem Fest geladen hatte, aber wichtig war, dass sich viele andere hohe Tiere dort ein Stelldichein gaben. Ich griff in die Innentasche meines Jacketts und prüfte nach, ob ich genug Visitenkarten eingesteckt hatte. „Legal advice“ und „Offshore investments“ prangte in großen Lettern darauf. Klotzen statt kleckern war hier angebracht. Diese Schlüsselworte lockten im Normalfall betuchte Klienten an wie Zuckerwasser die Wespen. Ich hoffte, dass ein paar Krösusse an diesen Begriffen picken blieben. Reichtum ist eine Sucht. Wie bei Drogen ist man trotz gesteigerter Dosis nie zufrieden und glücklich. Das kann man ausnutzen. Das Problem bei der Geldwäsche ist nur, dass die Kunden meist noch gerissener und skrupelloser sind als man selbst.

Dennoch war ich guter Dinge. An diesem Abend wurden die Karten neu gemischt. Irgendwann würde ich auf den richtigen Idioten treffen, den ich ausnehmen konnte wie eine Weihnachtsgans. Ich ging die letzten Schritte vom Bundeskanzleramt Richtung Ringstraße, die Konturen der mächtigen Gebäude lagen in einem blauen Schleier, der die Nacht ankündigte. Es musste sich etwas nachhaltig ändern in meinem Leben und ich spürte, dass dies an diesem Abend geschehen würde.

Eine kleine Traube von Menschen hatte sich um den Eingang gebildet. Ein Schrank von einem Türsteher prüfte die Einladungen. Er diskutierte mit ein paar Jugendlichen. Die Youngsters konnten keine vorweisen, wollten aber dennoch tanzen. Als ich von hinten kam und mit meiner Einladung in der Luft wedelte, teilte der Pitbull am Einlass für mich die Menge. Ich dachte an die Geschichte aus der Bibel: das Rote Meer und Moses und der Typ mit dem Stiernacken war Gott. Der Gott des Einlasses. Ich merkte, wie die Kids ihre Augen auf mich richteten und wie ihr Neid am 160er-Faden aus feinster Alpakawolle klebte. Ich liebte diesen Anzug, auch wenn es kaum eine Textilie gab, die mehr Tierleid schuf. Der Türsteher, dessen Oberkörper verstörende Ähnlichkeit mit HULK aufwies, öffnete mir mit einer devoten Geste die Tür. Sofort ließen hämmernde Bässe die Luft zittern. Ich drehte mich zu den Jugendlichen hin und klopfte mit der Linken in die Armbeuge meines ausgestreckten Arms. Vafanculo!

Diese Kinder mussten noch lernen, viel lernen. Du brauchst dich nicht an die Spielregeln zu halten, aber du musst sie kennen. Meine Einladung war ja auch nicht an mich gegangen. Ich gehe seit Kurzem in ein Fitness-Studio. Es liegt am Schillerplatz und ist exklusiv. Bei einem der wenigen Anwaltstreffen, die ich besuche – leidige gesellschaftliche Ereignisse mit lauter Schnöseln –, traf ich einen Kollegen, der mir von seinem Leid berichtete: Seine Frau zwinge ihn, mehr für seinen Körper zu tun. Gesund zu essen, nicht zu rauchen und nicht zu trinken und Sport zu treiben. Daher bleibe er so lange wie möglich im Büro. Nicht um zu arbeiten, sondern um zu essen, Alkohol zu trinken und zu rauchen. Als seine Frau Lunte gerochen habe, sei er gezwungen gewesen, sich in ihrem Beisein in einem Fitness-Club einzuschreiben. In besagtem am Schillerplatz. Er zahle seinen Mitgliedsbeitrag regelmäßig und sei sich sicher, seine Frau spioniere sein Konto aus und würde das nachprüfen.

„Jetzt schmeiß ich mich in die Panier von Adidas und komm spät heim und die Alte glaubt, ich war trainieren“, hatte er mir nach drei Seideln Bier erzählt. „Ich habe nach meiner Anmeldung nie wieder einen Fuß in dieses Studio gesetzt.“

Er hatte gelacht und sein Doppelkinn hatte dazu gewabbelt. Erklär mal deiner Alten warum du immer fetter wirst, hab ich mir gedacht. Aber am nächsten Tag war ich Herr Doktor Alois Ebert und das Mädchen am Empfang war richtig glücklich, dass ich nach so langer Zeit wieder trainieren kam. Sie glaubte auch sofort, dass ich meine Magnetkarte in der Zwischenzeit verlegt hatte. Jetzt könnte ich dort alles machen, mich aufführen wie der letzte Hunne und alles würde Doktor Ebert auf den Kopf fallen. Würde ich eine Affäre mit einer der Trainerinnen beginnen, womöglich würde der Kollege bald vor einer sehr teuren Scheidung stehen und sich wundern, wie sich das Schicksal an ihm rächte für das bisschen Lottern aus Rauchen, Saufen und Völlern.

Und nicht anders kam ich zu der heutigen Einladung. Ich hörte in der Sauna jemanden über den Event sprechen und wie er zu seinem Gesprächspartner sagte: „Ich deponiere eine Karte am Empfang für Sie.“ Ich spitzte die Ohren. Ein exklusives Fitness-Center, exklusive Mitglieder, ein exklusiver Event, das schien klar. Ich machte also schnell und wartete, nachdem ich wieder in ziviler Kleidung steckte, vor dem Empfang, bis der Typ diese Einladung hinterlassen hatte. Ich fragte das Mädchen am Empfang nach den Allergenen eines Shakes, der hinter ihr im Regal stand, und sobald sie sich umgedreht hatte, um mir den Warnhinweis von der Packung herunterzubeten, hatte ich die Eintrittskarte schon in meiner Sporttasche verschwinden lassen.

Und jetzt war ich da.

Ein Meer aus Beats und Stimmen wogte durch den Saal. Kellner zwängten sich mit Tabletts durch die Reihen der Gäste. Sie nutzten jede sich auftuende Lücke wie diejenigen, die noch in einen abfahrenden U-Bahnzug springen. Geschickt balancierten sie langstielige Gläser und dicke Bierflaschen darauf. Die Tabletts wanderten über unsere Köpfe wie die fliegenden Teller beim chinesischen Wanderzirkus. Ich griff mir eine Flasche Bier. Langsam schlenderte ich an der Bar vorbei, wo einzelne Barkeeper den Gästen auch ausgefallene Wünsche zusammenmixten, und überlegte, ob ich später auf einen Longdrink oder Cocktail umsteigen sollte. Aber der Abend hatte eben erst begonnen und es galt, sein Potenzial abzuwarten.

Das Licht war gedämpft und lediglich bunte Lichtblitze holten einzelne Gesichtszüge der Gäste aus dem Dunkel. Ich erkannte einen Sportler, der jetzt um einiges weniger sicher auf seinen Beinen stand als sonst auf seinen Skiern. Ich sah einige Starletts, die sich gern abwechselnd an erfolgreiche Typen hängten, und irgendwo ganz hinten war auch der umtriebige Baumeister zu erkennen. Der Mann wähnte sich im zwanzigsten Frühling und war sich nicht bewusst, dass aus einem vertrockneten Ast keine grünen Triebe mehr ausschlagen. Und da waren auch nicht wenige Politiker, wie ich jetzt erkennen konnte. An den Bänken vor den großen Glasscheiben in Richtung Ringstraße, die durch schwere Vorhänge abgedunkelt waren, entdeckte ich den Herausgeber einer Illustrierten, der gerade eine weiße Linie am Tisch zog und den Spiegel zu einem Stadtrat hindrehte.

Die Musik wurde lauter, und trotz des vom DJ zugeschalteten Filters, ließen die Bässe den Boden zittern. Ich wurde angerempelt, ein Bezirksrat der Grünen drängte sich in einer Cannabiswolke an mir vorbei Richtung Tanzfläche. Ein Security fing den Mann ab und deutete zu einem Nebenraum, wo offenbar kein Rauchverbot herrschte. Ich stellte meine Bierflasche ab und wollte kurz in den Garten, um Luft zu schnappen, als ich zwei Stadtpolitiker der roten Stadtregierung sah, die nach silbernen Aufklebern griffen und dafür Geld zu einem Dritten am Tisch hinschoben. Ich erkannte eine exklusive Uhr am Handgelenk dessen, der das Geld nahm. Eine Jaeger-LeCoultre Reverso Tourbillon. Und eine zweite, zarte Hand, unverkennbar die einer Frau, zweigte für sich einige Scheine vom Geldbündel ab.

Dann war da noch der TV-Moderator, der sich eben von seiner langjährigen Partnerin getrennt hatte und dafür umso ungehemmter in einer der Eckbänke einen geblasen bekam. Bei den Lichtverhältnissen konnte ich nur sein entspanntes Gesicht sehen. Er hatte die Augen geschlossen und die Falten um seinen Mund zuckten im Takt der Kopfbewegungen seiner Partnerin. Von der war nur wenig zu erkennen. Sie kniete auf der Bank neben ihm und hatte ihren Hintern in die Luft gereckt. Ihr Kopf war nur von hinten zu sehen. Er bewegte sich jetzt schneller auf und ab, das Fernsehgesicht setzte ein seliges Grinsen auf. Frisur und Rock der Gespielin kamen mir bekannt vor. Ich hätte keine hohe Summe gesetzt, aber beides hatte ich im TV gesehen. Besagter Moderator hatte am Vorabend eine Politdiskussion geleitet und die einzige Frau in dieser Runde war die Kandidatin der Konservativen gewesen. Offenbar war man sich nicht nur politisch nähergekommen. Sie verrichtete den Liebesdienst mindestens genauso uninspiriert wie es ihre Politik war, aber er schien es zu genießen, wie auch ein Großteil der Bevölkerung die von ihr vertretenen Standpunkte schätzte. Ich schlenderte weiter und traf nur auf breite Gesichter. Ausdruck des Glücks, weil sie voll von Drogen oder Alkohol waren oder weil sie bestochen worden waren.

Man fühlte sich unter sich, man fühlte sich wohl, man fühlte sich sicher. Das typische „Meet and Greet“ von Politik, Medien und Wirtschaft. Man plauderte, man puderte sich die Nase oder man puderte, was man vor die Lenden bekam.

Die Musik hatte den Beat gewechselt und die Bässe kamen nun sanfter. Ich musste auf die Toilette, wo ich neben einer dunkelhäutigen Schönheit mit großen Titten und großem Schwanz urinierte. Während ich ausschüttelte und die Transe mein Gemächt mit laszivem Blick verschlang, fragte ich mich, ob ich an diesem Abend auf einen Bekannten treffen würde. Denn wo der Glanz von Geld oder Macht war, da tauchten meine Aasgeier auf. Ich wehrte den Annäherungsversuch meines Pinkelpartners mit freundlichem Lächeln und ebensolchen Worten ab: „Hau ab, du Tunte!“, sagte ich und schob ihn zur Seite.

Später lehnte ich an der Bar im Garten, wo ein weiterer Disc Jockey alten 70er-Soul und Funk auflegte: WAR, Mothers Finest, James Brown und so. Mein Blick scannte die anderen Gäste, die am Tresen lehnten. Fast nur Männer. Die wenigsten trugen Anzug. Hier dominierte der College-Look, weil sich die Mittfünfziger heute alle der Realität verweigern und meinen, mit einem bunten Polo mit großem Logo und großer Brieftasche, die man für das Logo braucht, die Jugend zu kaufen. Ich war auf der Suche nach einem Opfer. Ich suchte jemanden, dem die Gier aus den Augen leuchtete und den ich leicht für eines meiner Finanzierungsmodelle gewinnen konnte. Ich bestellte einen Gin Tonic und legte meine Angelrute aus, indem ich meinen Blick auf einen Typen mit Krokodil an der Brust und Fett auf den Rippen heftete. Mein Opfer hatte den Blick einer Kuh, die nach der Besamung auf die Sommerweide gelassen wurde. Ich nahm mein Glas und steuerte auf mein Ziel zu.

Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schulter und jemand zog mich zurück.

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9783800099054
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