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An Herrn Harry Domela
Lieber und verehrter Meister!
Erlauben Sie einem bescheidenen Bewundrer Ihres allzu kurzen Auftretens als Prinz Wilhelm Ihnen ein aufrichtiges Bedauern zum Ausdruck zu bringen, dass es der Polizei gelungen ist, Sie der Rache der düpierten Thüringer Ehrenbürger auszuliefern. Ihre Leistung war gut und rund. Wenn unsre republikanischen Politiker ähnlichen Witz aufbrächten, stünde es besser um uns.
Es schmälert Ihre Meriten nicht, dass politische Absichten Ihnen völlig ferngelegen haben und nur eine hässliche Bargeldlosigkeit Sie zu Ihrem kleinen Abenteuer in Thüringen veranlasst hat. Junge Leute haben es heute schwer, und Sie haben nach manchem Graden und Krummen sich auch als Kohlenschipper versucht, der junge Herr dagegen, den Sie mit so viel Glück dargestellt haben, hat noch gar nichts versucht, eine rein hospitierende militärische Betätigung ausgenommen. Der Anstoß zu Ihrer gewiss nicht alltäglichen Rolle mag Ihnen wohl gekommen sein, als Sie ganz zufällig vor dem Spiegel unter hochgeschwungener Braue das blitzende Raubvogelauge der Hohenzollern entdeckten und die große, leicht gekrümmte Nase, die schon viele Rasseforscher zu profunden Untersuchungen über die Nürnberger Vergangenheit der Familie verleitet hat.
Sie haben sich sicherlich nicht viel Gedanken gemacht über die traditionelle prinzliche Tenue, die angeblich selbst in Lumpen überzeugt. Und unter den bürgerlichen und militärischen Honoratioren Thüringens wär's auch verschwendet gewesen. Sie haben nur eines mitgebracht, was den seriösen und logischen Köpfen fehlt: Sie haben die Leute, die Sie rupfen wollten, für genau so dumm genommen, wie sie in Wahrheit sind. Sie haben, vielleicht durch ein frühes Erlebnis, traumhaft sicher erfasst, dass es die höchste Seligkeit dieser Leute ist, vor einer schnarrenden Offiziersstimme, vor einem harten Herrenauge die Hacken zusammenzuknallen. Jahrelang haben die vor der verwaisten Hoftheatermaschinerie auf das Aufsteigen des Gottes gewartet. Plötzlich knackte es in den Scharnieren, es kam jemand aus der Versenkung, und alles lag auf dem Bauch.
Doch mit Trauer lesen wir jetzt, verehrter Freund, dass Ihr Unterschlupf, erst in der Herberge »Zur Heimat« in Köln, dann bei der Fremdenlegion, nicht grade auf eine glänzende reale Ausbeute Ihres Unternehmens schließen lässt. Diese Weltfremdheit in finanziellen Dingen beweist schlagend, dass Sie kein echter Hohenzoller sind, und wären Ihre lieben Thüringer nicht hoffnungslos in Devotion ersoffen, an dieser stilwidrigen Bescheidenheit hätten sie die Wahrheit erraten müssen. Jetzt sind diese Krämerseelen auch noch undankbar und schreien nach Ihrem Blut. Wenn die Republik etwas mehr Humor hätte – denn Humor ist auch Geselligkeit –: sie würde Sie jetzt nicht dem Staatsanwalt überantworten, sondern Sie lebenslänglich im Prytaneion speisen und überhaupt als einen Mann behandeln, der sich ums Vaterland verdient gemacht hat. Sie haben da, wo der Verstand des Staates sanft schlief, als Liktor einer bessern Vernunft die Rutenbündel lustig tanzen lassen. Sie haben die Dummheit gezüchtigt. Sie haben unsern Herzen eine Freude bereitet. Wir danken Ihnen.
Die Weltbühne, 28. Juni 1927
Hindenburg und Hoelz
The quality of mercy is not strain'd ... Ein halbes Jahr Diskussion über Amnestie. Der achtzigste Geburtstag des Reichsoberhauptes schien wie ein Gottesgeschenk, um endlich etwas von dem gutzumachen, was die Justiz gesündigt. Das Ergebnis: eine Reichsamnestie von fünfundsiebzig Fällen. Nicht einmal für jedes Lebensjahr des hohen Geburtstagskindes ein Gnadenakt! Die Art dieser Gnade waltet mit schlechtem Gewissen, sie trägt das trockene Bürokratengesicht des Reichsjustizministers Hergt. Noch am Sonntag Nachmittag weiß man nicht genau, wen der Gnadenstrahl trifft. Man spricht von Major Buchrucker und den Scheidemann-Attentätern. Man hätte nichts gegen einen Gnadenerweis für Buchrucker, den Reingefallenen von Küstrin. Damals hing ja alles an einem dünnen Faden. Ebensogut hätte die offizielle Reichswehr mit Gudovius putschen und Buchrucker mit der inoffiziellen Reichswehr die Republik retten können ...
Besser scheint das Ergebnis der preußischen Amnestie zu sein. Doch man weiß auch hier noch nichts Genaues. Man weiß nur, dass Max Hoelz nicht dabei ist.
Bayern läßt den tragikomischen Verschwörer Fuchs laufen, begnadigt endgültig den Mörder Eisners, der sich schon lange wieder frei bewegt. Gnade dem Meuchelmörder, doch keine dem romantisch beschwingten Klassenkämpfer Hoelz. Auch Max Hoelz hat sich eine messianische Sendung zugesprochen, hat sich für den Retter gehalten. Der arrivierte Retter im Präsidentenpalais hat keinen Blick für den kleinen gescheiterten Kollegen in Sonnenburg.
Der Fall Hoelz bleibt also unerledigt, und wir müssen ihn weitertreiben, koste, was es wolle. Aber der Präsident hat seine historische Stunde versäumt. Hat den Augenblick versäumt zu großen, gütigen, überparteilichen Gesten. Hier hätte der Marschall-Präsident zeigen können, dass in ihm trotz alledem ein eigner Funke glimmt. Er tat, was er lebelang getan hat: er folgte seinen Beratern.
Die Weltbühne, 4. Oktober 1927
Die Ursache
Am 4. Dezember 1926 standen wir, ein paar eilig benachrichtigte Freunde, am späten Nachmittag in dem schmalen Gehäuse am Königsweg, das mit all seinen Büchern und Papierstößen plötzlich leer geworden war. Wir waren äußerlich ruhig und nüchtern, aber es war eine Stimmung unterdrückter Tränen, und wir vermieden, nach der kleinen, so bekannten Samtjacke zu blicken, die am Kleiderhaken hing. Es war so unwahrscheinlich, was geschehen war. Unwahrscheinlich war diese Gruppe von Menschen, die hier im Zwielicht um den Schreibtisch stand, über die nächste Fortführung der »Weltbühne« beratend, scheu das betastend, was S. J. gehörte, was sein Erarbeitetes, sein Geschaffenes war. Hier hatte das Fatum einen schrecklich ungerechten Spruch vollstreckt, ein Leben voller Struktur zerstört, etwas sinnvoll Geordnetes, bis in die letzten Winkel Gegliedertes. Vielleicht ist nicht oft einer aus der schnell vergessenen Gilde der Publizisten so betrauert und so gehasst worden. Trauer und Hass halten das Bild eines Menschen lebendig, lebendiger als der Versuch, es literarisch einzufangen. Man sucht das Geheimnis der Wirkung dieses einen Mannes. Auch für die, die ihn hassten, ist er heute noch nicht gestorben. Tagtäglich belegen Zeitungsausschnitte, dass noch immer papierne Teutonenkeulen auf »Jacobsohns Weltbühne« dreschen, als sollte bewiesen werden, dass eines Redlichen Wort genügt, um die martialischen Pfahlbauten der guten Patrioten ins Wackeln zu bringen. Dabei war er als Schreibender immer seltener geworden; Administration und Redaktion hatten ihn verschluckt. Befragte man ihn deswegen, pflegte er das einfach zu konstatieren, und er tat das ganz selbstverständlich und ohne eine Geste, die Resignation angedeutet hätte. War es dennoch ein Verzicht? Ist es ihm schwergefallen? Niemand kann das beantworten. Aber er war ein Schriftsteller von seltenen Gaben; er beherrschte die Sprache, verstand wie wenige, einen Satz zu modellieren, voll Biegsamkeit und Kraft und beseelendem Klang. Nur ein ungewöhnlicher Schriftsteller konnte so auf andre Schriftsteller von Rang wirken, so befeuernd, beflügelnd und steigernd. Gebildet hatte er sich in den zwei Jahrzehnten vor dem Krieg, in der Zeit der höchsten artistischen Exklusivität, des üppigsten Ästhetizismus, der vom Volk abgewandten Kunst. Und dann ging er plötzlich mitten in die Politik, die ganz andre Waffen braucht, die viel sinnfälliger, rauer, gröber arbeiten muss. Es war eine Abkehr von seinen ureigenen Mitteln. Man sage, was man will: kein Schriftsteller verlässt leichten Herzens das Land, in dem er sich in jungen Jahren die Meisterschaft geholt hat. Nicht Ehrgeiz, Knopf auf dem Kirchturm zu werden, trieb ihn in die neuen Bezirke. Er hatte tief eingewurzelt einen Instinkt für das Rechte. Um politisch zu werden, brauchte er nicht die Kabbala der Ismen. Die Entbehrung war seine frühe Begleiterin gewesen. Ein Blick zurück in die wirbelnde Welt der Kriegsjahre: die dünne Schicht Ästhetizismus war abgefallen, der Revolutionär, der immer in ihm gelebt hatte, war wieder frei geworden. Als blutjunger Mensch hatte er nach rapidem Aufstieg grausamen Absturz erfahren: zwanzig Jahre bevor er die militärische Feme aufdeckte, war er das Opfer der sozialen Feme geworden. Es muss wohl jemand dies Inferno durchlitten haben, um den Mut zu finden, zum Mundstück des Gebüttelten und Niedergedrückten zu werden in dieser freiesten Republik unter der Sonne, die den, der die Wahrheit sagt, in einen Hohlweg drängt, wo rechts der Totschläger, links der Paragraph lauert. In der kleinen Schrift über seinen »Fall«, die die persönlichsten Bekenntnisse eines Herzens enthält, das sonst nicht zu Konfidenzen neigte, stehen ein paar unvergeßliche Zeilen: »Als Kind musste ich immer eingesungen werden. Eins meiner Lieblingslieder hieß: ›Freiheit, die ich meine, die mein Herz erfüllt ...‹ Es ist gar kein Wiegenlied, sondern ein Turnerlied; aber mein inneres Tempo war immer so vehement, dass ich selbst für den Schlaf einen Marschrhythmus brauchte.« Diesem innern Tempo vertraute er sich lebelang an, es führte ihn sicher, vom Versuch zur bewussten Formung, vom einmaligen Vorstoß zum dauernden Einfluß, vom Instinkt zum Wollen. Weil er wollte, konnte er bewegen und bewirken. Weil er den Marschrhythmus in sich nicht erstickte, konnte er, der Außenseiter, Dinge in Fluß bringen, wo die abgeklärten Kapazitäten der Politik die Achseln zuckten. Etwa eine Woche vor seinem Tode antwortete er im vertrauten Kreis auf die Frage, ob er nicht bedaure, als Theaterkritiker so sehr in den Hintergrund getreten zu sein: »Und wenn ich nichts getan hätte als die Aufdeckung der Fememorde, so wäre mir das genug ...« Wer so dachte, konnte etwas bewegen. Der konnte dem schreienden Karneval der Erfolglosigkeiten fernbleiben, den man bei uns öffentliche Meinung nennt, der brauchte nicht hinein in die buntscheckige Parade der Prominenzen. Er hat immer lachend abgewehrt, prominent genannt zu werden. Er hatte es nicht nötig, weil er ein bedeutender Mann war.
Der innere Marschrhythmus hat der deutschen Demokratie gefehlt vom ersten Tag an, und wo sie ihn hämmern fühlte, hat sie ihn unbarmherzig erstickt. Deshalb können die Republikaner noch heute nichts mit der Revolution anfangen, deshalb sprechen sie lieber von Max von Baden als von den Kieler Matrosen, und ihre Helden stammen aus einer Kategorie von halben Liberalen, die, durch die Ereignisse emporgehoben, ihre Stellung benutzten, um die alten Mächte zu konservieren. So befindet sich der deutsche Liberalismus auf einer ewigen Heldensuche, und er kann nicht wählerisch sein, weil die Auswahl nicht sehr groß ist. So schreiben jetzt die Demo-Blätter, dass Deutschland elend in Scherben gegangen wäre ohne den General Wilhelm Groener. Anlaß zu dieser beachtlichen Feststellung gab Herrn Groeners sechzigster Geburtstag. Die liberale Presse mit ihren guten Manieren und ihrer ausgesprochenen Einflußlosigkeit ist die geborene Gratulantin, so zeremoniöse Akte gelingen ihr ganz ausgezeichnet. Aber es fragt sich doch, ob sie nicht des Guten zuviel getan und zur Ergötzung des Volkes einen Monumental-Groener aus Zeitungspapier aufgebaut hat, der sich als Ganzes recht stattlich macht, aber bei einer Besichtigung, die weniger auf Figur gibt als auf akkurate Einzelheiten, qualitativ verliert. Herr Groener ist übrigens an dieser Berühmtheit nicht ganz unschuldig. Im Münchner Dolchstoßprozeß hat er zuerst den Novemberpakt zwischen dem Volksbeauftragten Ebert und der OHL als schallenden Trumpf ausgespielt und in einem Nachruf auf Friedrich Ebert dessen unerschrockenen Patriotismus gelobt: »Er war jederzeit und vorbehaltlos bereit, seine persönlichen und politischen Anschauungen und Wünsche zurückzustellen, wenn es galt, der Not des Vaterlandes gerecht zu werden. Auf diesem gemeinsamen Boden haben sich die damalige Oberste Heeresleitung und Friedrich Ebert zum festen Bunde die Hände gereicht, um der Revolution Herr zu werden und dem deutschen Volke Recht und Gesetz wiederzugeben.« Wäre Herr Groener der große Politiker, so hätte er diese Konfessionen hübsch bei den Akten liegenlassen als historisches Material für eine spätere Generation, die bei der Enthüllung eines Geheimvertrages keinen Stachel mehr fühlt, weil die Mächte nicht mehr da sind, die ihn abgeschlossen haben. Herr Groener ist kein großer Staatsmann, aber er hat Geruch für effektvolle Demagogie. Glaubt er wirklich, mit dem patriotischen Führungsattest für Ebert auch nur einen einzigen Konservativen zu überzeugen? Die Leute wollen alle Gewalt, und sie pfeifen darauf, ob Ebert ein guter oder schlechter Patriot gewesen ist. Wohl aber muss solche Eröffnung erschütternd auf die Arbeiterschaft wirken. Und es war wohl auch mehr Herrn Groeners Absicht, der Sozialdemokratie einen Dämpfer zu geben, als den toten Ebert zu entlasten. Denn was hätte es auch für einen Sinn, einen Mann in den Augen von hundert Konservativen zu rehabilitieren, der durch die gleiche Aussage für eine Million Sozialisten zum Verräter gestempelt wird? Für Herrn Groeners politischen Scharfsinn wird gern ins Feld geführt, dass er als Vertrauter Erzbergers den Herren Offizieren die Annahme des Versailler Vertrags mundgerecht gemacht habe. Aber noch im Dezember 1918 wollte der gleiche Groener, der doch einen Monat vorher in Spa ohne Zweifel begriffen hatte, dass der Krieg verloren war, die Volksbeauftragten zu einer Expedition nach Ostland überreden, um Posen zurückzuholen. Im Dezember 1918, im allgemeinen Debakel, wo nichts mehr kompakt war als der Bankrott! Die Volksbeauftragten wollten übrigens nichts davon wissen; nur des Genossen Otto Landsberg roter Shylockbart nickte Zustimmung. Wie die tägliche Beeinflussung Eberts durch Groener war und empfunden wurde, darüber besitzen wir einwandfreies Zeugnis in der Aussage des Abgeordneten Dittmann im Ledebour-Prozeß. Herr Dittmann führte nach dem stenographischen Protokoll aus: »Nun stellte sich aber sehr bald beim Zusammenarbeiten im Rat der Volksbeauftragten heraus, dass die drei Mitglieder der mehrheitssozialistischen Partei – Ebert, Scheidemann und Landsberg – fortgesetzt geneigt und willens waren, Konzessionen zu machen an die alte Bürokratie, an die Vertreter der kapitalistischen Parteien und an die Vertreter des alten Militärregimes ... Es war für uns sehr bezeichnend, dass besonders die Einwirkung des Generals Groener, des Leiters des Großen Hauptquartiers, auf Ebert an jedem Morgen bemerkbar war: abends um elf Uhr pflegte er sich mit dem Großen Hauptquartier telefonisch zu verständigen über die Dinge, die sich am Tage vorher ereignet hatten und am nächsten Tage vielleicht brennend wurden; dann war am andern Morgen stets der Einfluß Groeners bei ihm bemerkbar. Wir Unabhängigen Sozialdemokraten hatten dann fortgesetzt dagegen anzukämpfen, dass wieder die alten militärischen Anschauungen bei den Regierungsmaßnahmen zur Geltung gebracht wurden. Das setzte sich unausgesetzt bei jeder einzelnen Regierungshandlung fort, so dass sich im Rat der Volksbeauftragten ein stiller Kampf abspielte ...« Das Reichsbanner hat neulich ein Dreimännerdenkmal Ebert, Erzberger, Rathenau vorgeschlagen. Die Zusammenstellung ist nicht ganz glücklich. Man sollte sich auf ein Ebert-Groener-Denkmal beschränken, das die beiden darstellt, so wie sie sich im Novemberpakt die Hände reichen. Das Schicksal der Republik von gestern und heut und für das ungewisse Morgen liegt in diesem Händedruck.
Die Weltbühne, 29. November 1927
Der Femeprozess und so weiter
Mein Freund und Kollege Berthold Jacob und ich sind von dem Erweiterten Schöffengericht Charlottenburg zu einer Gefängnisstrafe von zwei Monaten respektive einem Monat verurteilt worden. Das Delikt wird erblickt in einem Artikel Jacobs, »Plaidoyer für Schulz«, hier erschienen am 22. März dieses Jahres und von mir verantwortet. Strafantrag hatte gestellt der Herr Reichswehrminister für die Herren Oberst von Schleicher, Oberst von Bock und Hauptmann Keiner. Der Staatsanwalt, ein höflicher und zurückhaltender Herr, hatte nur die Verhängung finanzieller Sanktionen beantragt, jedoch die Charlottenburger Emminger-Kammer, aus einem Landgerichtsdirektor, einem gelehrten Richter und zwei ungelehrten Volksrichtern bestehend, entschied sich für Prison. Also Prison. Wir sind nicht pathetisch genug veranlagt, das zum Anlass zu nehmen, die Hände zum Himmel zu recken, wo unveräußerlich die ewigen Rechte wohnen; wir haben Freunde und Sekundanten, wir sind nicht wehrlos, und, vor allem, wir sind illusionslos. Dennoch mussten wir einen kleinen Ärger überwinden, als wir das Urteil vernahmen, das uns für ein paar Wochen aus dem geselligen Treiben der Reichshauptstadt verbannt, wenn die Berufungsinstanz es bestätigen sollte. In der Urteilsbegründung wird nämlich als straferschwerend betrachtet, dass wir beide erst in diesem Jahre wegen Beleidigung durch die Presse zu Geldstrafen verdonnert worden wären. Was Jacob ausgefressen hat, weiß ich nicht, aber mein eigner Fall steigt noch leuchtend in der Erinnerung auf. Von meiner früheren Tätigkeit her, als verantwortlicher Redakteur des »Montag Morgen«, schwebte gegen mich (und Erich Weinert) noch ein vom Reichsmarineamt beantragtes Verfahren; wir waren zu 500 Mark Geldstrafe verurteilt worden, und vor der Berufungskammer kam es zu einem erregten Auftritt zwischen dem Vorsitzenden und dem Verteidiger. Daraufhin zog Paul Levi die Berufung demonstrativ zurück, und so bin ich vorbestraft. Man soll, wenn man mit der Justiz zu tun hat, ein für alle Mal großartige Gesten vermeiden.
Dennoch war auch dieser Gang nach Moabit lohnend, weil er uns die Bekanntschaft mit der Richterpersönlichkeit des Herrn Doktor Crohne vermittelte. Es ist hier und anderswo im Lauf der Jahre manches Bittere über die Richter geschrieben worden, manches, was von Galle durchtränkt war und bei einem spätem Nachlesen oft karikaturistisch verbogen schien. Es bleibt das Verdienst des Herrn Doktor Crohne, unsre gelegentlichen innern Zweifel an dem Richterbild der deutschen Linkspresse behoben zu haben. Sein Auftreten wirkt wie eine ungewollte und deshalb um so stichhaltigere Bestätigung für alles, was von Bewersdorff bis Niedner über die Richter geschrieben worden ist. Dieser Richter, dessen Tatendrang nicht Objektivität, geschweige denn Konzilianz hemmt, verfügt über eine unermüdliche Eloquenz; er redet, redet, redet. Bald autoritativ und herunterputzend, bald mit der Striemenden Ironie eines durch sein Amt vor ähnlichen Waffen Gesicherten; sofort nach Eröffnung pfeift er uns, die Angeklagten, an, wie es ein Richter von Herz und Takt nicht bei ein paar verstockt leugnenden Langfingern tun würde; er macht durch sein Dazwischenreden unsre Vernehmung unmöglich, er handhabt die richterliche Superiorität wie einen Gummiknüppel, der ständig dem, der außer ihm noch zu reden wagt, übern Mund fährt. Wir sind unsern Verteidigern Alfred Apfel und Georg Löwenthal, die eigentlich immer mit der Hand an der Mappe, zum Exodus bereit, dastehen, zu höchstem Dank verpflichtet, dass sie ungeachtet dieser hyperboreischen Verhandlungsformen bis zum überraschungslosen Ende ausharren. Dieser Vorsitzende herrscht den Zeugen Schulz an, der erregt am Zeugentisch steht und als zum Tode Verurteilter einiges Recht zur Erregung hat und einmal nervös mit zwei Fingern untern Cut fährt: »Nehmen Sie die Hand aus der Tasche!« Ein Mann auf der Zuhörerbank, ein Mann mit der gelben, schwarz punktierten Binde um den Arm, ein Kriegsblinder, der sich zu einem Zwischenruf bekennt, wird mit einem kurzen »Raus damit!« aus dem Saal verwiesen. Die Aphoristik dieser zwei abgehackten Worte aus einem sonst so zur Ausdrucksfülle neigenden Munde, der für die Herren vom RWM sogar die umständliche Anrede in der dritten Person findet, ist unüberbietbar.
Apotheose zweier langer Verhandlungstage bleibt die Begründung des Urteils. Sie soll hier nicht in ihren Einzelstücken gewogen werden. Denn sie ist improvisiert, auf Grund von Skizzen zum Teil frei vorgetragen, und es bleibt abzuwarten, ob die Schlussfassung gewisse Ausdrücke und Partien enthalten wird, die schon bei der Verlesung ungläubiges Staunen und nachher in der Presse scharfe kritische Glossierung gefunden haben. Es bleibt abzuwarten, ob die Schlussfassung für die Würdigung der wichtigsten Zeugenaussagen die legere Wendung »Olle Kamellen« beibehalten wird, ob die auffallenden persönlichen Ausfälle gegen die Verteidiger nicht doch noch umgemodelt werden. Aber außer Frage steht, dass ein paar Ungeheuerlichkeiten bleiben werden, die weder entfernt noch umgeformt werden können, weil sie die Tragbalken des ingeniösen Spruches darstellen. Sogar unsre Beweisanträge werden als straferschwerend angesehen; ein juristisches Novum. Ein politischer Epilog führt in die hohe Politik. Der Richter hat den politischen Charakter des Prozesses bestritten, doch er selbst breitet in seinem Schlusswort eine Übersichtskarte seiner politischen Meinungen aus. Da wird zur Rechtfertigung der Gründer schwarzer Kaders unter anderem gesagt, dass diese unsre Ostgrenze gegen einen polnischen Einfall zu schützen hatten, da es, wie Oberschlesien, Posen und Wilna gezeigt hätte, die polnische Methode sei, durch vorgeschickte Horden ein Fait accompli zu schaffen. Das mag als Meinung eines Politikers oder einer politischen Korporation gelten, aber es ist nicht Sache eines Gerichtes, einen Staat, mit dem grade wichtige Handelsvertragsverhandlungen gepflogen werden, also zu regalieren. Die Begründung wirft uns »gemeine Angriffe« gegen die drei Offiziere vor, sie hält eine Geldstrafe für ungenügend, da diese keine Gewähr biete, uns von weitern Angriffen auf die Ehre andrer abzuhalten. Hier hört das Humoristikum auf, und das Interesse der ganzen deutschen Pressegilde beginnt. Denn damit werden zwei Publizisten, die sich seit Jahren in einem politischen Kampf befinden, rund und nett als Ehrabschneider gebrandmarkt und gleich für die Zukunft verwarnt. Herr Crohne mag den inkriminierten Artikel beurteilen, wie er will, dagegen gibt es Rechtsmittel, und im äußersten Fall sitzt man die Strafe ab, in dem Bewusstsein, dass eine in solcher Form auferlegte und mit solcher Argumentation servierte Pönitenz nicht die Haut ritzt. Jeder Publizist, der mit ganzem Herzen für eine Sache eintritt, wird mit Empörung eine Drohung auf die Zukunft ablehnen. Man mag uns verurteilen heute, morgen, übermorgen, wir werden es hinnehmen, aber unser Stolz wird sein, nicht »gebessert«, sondern nur energischer, schärfer, dichter und zäher zu werden. Dafür sind wir Publizisten und stehen wir im Dienst der Öffentlichkeit. Unser Beruf hat in diesem Land der schneckentempofahrenden Instanzenzüge und der wabbeligen Parlamente ein unsichtbares Volkstribunat inne, wir verwalten ein unsichtbares Anklägertum, Richtertum und Verteidigertum. Es ist ein Unterschied zwischen Beleidigung und Beleidigung. Es ist ein Unterschied zwischen einem feilen Sudler, der mit Behagen in der Geschlechtssphäre wühlt und grinsend den Phallus des Gegners dem verehrten Publikum präsentiert, und Schriftstellern, die für Ideen kämpfen, selbst wenn sie fanatisiert etwa die Gebote der Höflichkeit verletzen. Das Gericht hat sich keinen Augenblick bei der Tatsache aufgehalten, dass der beanstandete Artikel ein Plädoyer für jenen Oberleutnant Schulz darstellte, den die »Weltbühne« zuerst aufgestöbert hat, zu dessen Überführung der Verfasser des beanstandeten Artikels nicht wenig Material beigetragen hat. Ist das ein »gemeiner Angriff«, für den Mann einzutreten, den man selbst hat stellen helfen? Ist das ein gemeiner Angriff, laut zu erklären, auch dieser war nur ein Opfer, ein Getriebener, nicht Letztverantwortlicher, sondern nur Teilchen jenes mörderischen Mechanismus? So soll Verleumdung und Ehrabschneiderei aussehen?
Inkriminiert war in dem Artikel folgendes: »Schulz hat Anspruch auf den ordentlichen Richter. Aber der soll nicht außer Acht lassen, dass der Oberleutnant nur erteilte Befehle ausgeführt hat und dass man neben ihn auf die Anklagebank mindestens den Hauptmann Keiner und den Oberst Bock, wahrscheinlich aber auch den Oberst von Schleicher und den General von Seeckt setzen müsste.« Unbeanstandet gelassen war dagegen der Passus von dem »unwahrscheinlichen Eid« des Herrn Oberstleutnants Held, jenes Offiziers, der Major Buchrucker in Küstrin von seiner bevorstehenden Verhaftung telefonisch unterrichtet haben soll. Die Verhandlungsführung legte uns die wörtliche Interpretation des beanstandeten Satzes und damit auch einen unmöglichen Beweis auf. Nach dieser Auffassung müsste sich ein Fememord also abgespielt haben: Herr Geßler, nachdem er einen Bericht aus Küstrin geschluckt hat, mit herodischer Gebärde zu seinem Adjutanten: Man töte diesen Wilms! Der mit dem Befehl weiter zu Herrn von Schleicher und dann über alle Zuständigen weiter bis zu den Klapproths. So primitive Vorstellungen hat kein verständiger Mensch von dem Hergang gehabt, und so etwas war weder hier noch anderswo behauptet worden. So etwas aber sollten wir beweisen, und unsre klar zutage tretende Unfähigkeit, das zu beweisen, verschaffte Herrn Crohne seine dialektischen Triumphe. Was dieser Prozess trotzdem zur Evidenz gezeigt hat, das war die namenlose Gemütlichkeit, mit der das RWM den schwarzen Komplex behandelt hat. Alle Herren verschanzten sich hinter ihrer Unzuständigkeit. Niemanden ging die schwarze Geschichte etwas an. Dabei war diese sekrete Wehrmacht rund um Berlin stationiert. Wilde Formationen, die in Oberschlesien im Morden und Stehlen geübt waren, lagen rund um Berlin, geführt von republikfeindlichen Offizieren mit privaten Putschabsichten. Das Urteil meint überschlau, was wir wohl für Gesichter gemacht hätten, wenn die Polen wirklich gekommen wären und Herr Geßler nur das schwache legale Heer zur Verfügung gehabt hätte. O die Polen! Aber was geschehen wäre, wenn diese Landsknechtsbanden schließlich aus den Forts und Zitadellen geschwärmt wären auf Berlin zu, darüber schweigt das Urteil. Nicht die Fememorde, die der Zeuge Buchrucker mit mysteriösem Lächeln als »sachlichen Fehler« bezeichnet, sind die Grundsuppe des Übels, sie sind in aller ihrer Scheußlichkeit trotzdem nur Symptom. Der politische Aberwitz, dem diese Bluttaten entsprangen, war das Bestehen einer illegalen und durch und durch unzuverlässigen Truppe, für die niemand zuständig war, die im Dunkeln vegetierte, von der niemand amtlich Kenntnis haben durfte, die dank mangelnder Kontrolle den »sachlichen Fehler« beging, Leute, die sie für Verräter und Spitzel hielt, durch Selbstjustiz auszusortieren. Die bizarre Symbolik des Zufalls will, dass jener Offizier, dessen dienstliche Berührung mit den »Arbeitskommandos«, diesen Niemandskindern, diesen Bankerten der mit unbedingter Vertragstreue gesalbten Seecktschen Militärpolitik, am wenigsten geleugnet werden kann, den Namen Keiner führt.
Die Femekampagne war für uns niemals eine Hetzjagd hinter irgendwelchen armen Teufeln, die heute vielleicht in einem friedlichen bürgerlichen Beruf stecken und an ihre Küstriner Zeit wie an einen wirren Traum zurückdenken. Unser Ziel war nicht die juristische Sühne für jedes einzelne heute schwer erkundbare Verbrechen, sondern die Feststellung der letzten politischen Verantwortlichkeit dafür. Der Reichswehrminister hat mit dieser schwarzen Schöpfung eine grauenvolle Gefahr über das Land gebracht. Dafür müsste er Rechenschaft ablegen, selbst wenn er nicht Geßler hieße. Die Siegert-Kammer, vor der der Wilms-Prozess geführt wurde und die Schulz zum Tode verurteilt hat, ist gefährlich nah an die Frage jener tiefen Verantwortung herangekommen: »Wenn man die Geheimhaltung erzwingen wollte, so musste mit der brutalsten Gewalt gekämpft werden ... Die Feme, das war die Einrichtung, die sich notwendig ergeben musste, wenn die Geheimhaltung über alles ging.« Kein Wunder, dass Herr Geßler das nicht als letzten Spruch gelten lassen wollte und eine günstigere Lesart suchte. Sein Vertrauen, dass kein zweites Tribunal das Verdikt der Siegert-Kammer übernehmen würde, hat ihn nicht getäuscht. Künftig kann er auf den neuen Schein pochen: »Die moralische Mitschuld der Reichswehr, die Schulz mit angeführt hat, fällt damit ins Wasser. Von allem ist nichts übriggeblieben als lediglich schon die in frühern Schwurgerichtsurteilen ausgesprochene sogenannte moralische Verantwortlichkeit des Reichswehrministeriums. Das Gericht lässt es dahingestellt sein, ob überhaupt eine moralische Verantwortlichkeit des Reichswehrministers angenommen werden kann.« Du hast gesiegt, Galiläer. Der böse Geist ist erfolgreich abgeschlagen. Otto Geßler hat sich ums Vaterland verdient gemacht, und seine Offiziere stehen hier, in der dritten Person angeredet, vom mindern Volk unterschieden, und zucken mit einer in mehreren Prozessen erworbenen Routine die Achseln.
Es sind noch zwei Außenseiter da, zwei Ausgefallene, zwei in Zivil: – Buchrucker und Schulz. Der Putschführer von Küstrin spricht mit der leisen Stimme und dem feinen ironischen Lächeln des Erfahrenen. Der hat genug bis an sein Lebensende. Unendlich überlegt und behutsam spricht er, meisterlich besteht er die schwere Situation, alte Beziehungen, die er nicht mehr liebt, weder preiszugeben noch reinzuwaschen. Hier, wo so viele beamtete Personen Verantwortlichkeit abstreiten und zuständig für die Schwarze Reichswehr am Ende nur noch unser Vater im Himmel bleibt, der sich auch um die Lilien auf dem Felde kümmert, leuchtet der abgeurteilte Rebell als Intellekt und Charakter. Paul Schulz hat jetzt die graue Gefängnisfarbe, er gestikuliert nervös und fahrig, aber seine Aussage ist zusammenhängend und konzentriert. Er weiß jetzt seine Vereinsamung, weiß, dass es um den Kopf und, wenn der gerettet, um die Freiheit geht. Auch er gibt niemanden preis, aber betont immer wieder den »Druck der Verhältnisse« damals, ohne sich über den Druck und die Verhältnisse näher auszulassen. Zögernd gesteht er zu, dass anno Diaboli 1923 auch die Behörden ungesetzliche Maßnahmen getroffen hätten. Und warum haben die Behörden die geheimen Morde nicht verfolgt, warum ließen sie die Akten liegen? Schulz fragt das immer wieder. Die Urteilsbegründung attestiert Schulz, Großes für den Staat geleistet zu haben. Nein, er hat nichts Großes geleistet, aber er hat ohne Zweifel beträchtliche Gaben, und sein krankhafter Ehrgeiz hat ihn in eine höllisch faule Sache verwickelt. Jetzt ist der Firnis der Wichtigtuerei abgeblättert. Jetzt steht da ein Abgehärmter und Verlassener, der am Ende des ersten Verhandlungstages mit verlorenen Augen in das Gewimmel von Leuten sieht, die nach Hause gehen. Jetzt steht nur ein großer Schuljunge da, der nachsitzen muss. Mit verschwimmenden Blicken sieht er die wehenden Schals und wie die Mäntel angezogen werden. Die Offiziere entfernen sich sporenklirrend. Alle gehen nach Haus. Auch der mürrische Schließer hinter ihm geht einmal nach Haus. Einer bleibt. Der letzte, bei dem die Kette der Verantwortung für die grausig-tragische Kategorie der Fememorde endet. Der letzte, den nach dem braven alten Wort die Hunde beißen.
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