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Читать книгу: «Die Mormonen»

Busch Moritz
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Erstes Kapitel
Sectenwesen in Amerika

Wenn schon das politische Leben der Vereinigten Staaten eine beträchtliche Anzahl von Erscheinungen zeigt, die dem Fremden erst nach einem tiefern Studium von Land und Leuten einigermaßen verständlich werden, so ist dies bei den Gestalten, in welchen sich hier das religiöse Element ausgeprägt hat, noch bei Weitem mehr der Fall. Lassen sich dort in der bunten Mannigfaltigkeit der Parteien immerhin zwei große Grundmächte unterscheiden, die, zwei Trieben oder Zügen in der menschlichen Natur entsprechend, wie Ebbe und Fluth die Interessen der Gesammtheit tragen und ausgleichen, so entzieht sich das Gewimmel der Secten Amerika's beinahe jeder Eintheilung. Wir haben ein vollkommnes Chaos vor uns, in dem die Stoffe in wildester Weise durcheinandergähren, und vor welchem derjenige, den die Wissenschaft nicht an ähnliche Perioden in der Kirchengeschichte erinnert, an einen Verwesungsproceß des Christenthums glauben kann. Das stupideste Festhalten am Buchstaben der Schrift mischt sich mit den wahnwitzigsten Ausschweifungen der Phantasie. Die augenfälligste Täuschung findet bei Tausenden und aber Tausenden von Menschen, die in weltlichen Dingen sich der schärfsten Sinne erfreuen, Augen, die Schwarz für Weiß ansehen, Ohren, die der Lüge wie einer Offenbarung aus der Höhe lauschen, und Kniee, die sich vor Charlatanen wie vor Sendboten Gottes beugen. Hier baut die steifnackige Rechtgläubigkeit ihren Tempel auf. Dort stellt der absolute Zweifel den seinen hin. Da wieder hebt das unter dem Boden brennende vulkanische Feuer der Schwärmerei die Decke, und rasch schwillt die anfangs unscheinbare Blase zum mächtigen Dome, in welchem Fanatiker oder Betrüger eine völlig neue Religion verkünden.

Gleich den Prairiebränden und Ueberschwemmungen des fernen Westen verbreiten sich neue Heilsbotschaften über die Gemüther. Wie der Tornado im Urwald die Eichen, werfen die Worte ihrer Apostel zahlreiche Versammlungen auf die Kniee. Reden in Zungen, himmlische Gesichte, Heilungen durch Handauflegen, Engelserscheinungen und Teufelsaustreibungen sind in manchen Kreisen so alltäglich wie in den Zeiten des Urchristenthums. Wunderliches wird wunderbar, Carricaturen verwandeln sich in Heroen. Bald scheinen die Dämonen, die einst in Säue fuhren, bald wieder scheint der Geist der Pfingsten die trübe Fluth zu bewegen. Nichts ist so voll Widersprüche, nichts verstößt so sehr gegen Sitte und Gewohnheit, daß es nicht einen Kreis von Gläubigen um sich sammelte, wenn ein beredter Mund es vorträgt, ein spitzfindiger Verstand es aus der Bibel rechtfertigt, und ein organisirendes Talent ihm kirchliche Gestalt giebt. Ja gerade das Barocke und Bizarre ist es, welches die größte Anziehungskraft auszuüben scheint, wenn es auch häufig nur angenommen wird, um Tags darauf mit einer noch seltsameren Verkehrtheit vertauscht zu werden.

Dieser dem Wechselfieber, Amerika's verbreitetster Krankheit, vergleichbare Zustand, bei dem Leute, die im Laufe weniger Jahre einem Dutzend Kirchen und Confessionen nach einander angehört haben, keine Seltenheit sind, vereinigt in sich fast alle Symptome, welche die Kirchengeschichte seit ihrem Beginn bis heute hat zu Tage treten lassen. Die Ebioniten, die Gnostiker, die Klöster in ihrer Urgestalt, die enthusiastischen Secten des Mittelalters, die Wiedertäufer von Münster, die Camisarden, sie alle finden mehr oder minder ihr Ebenbild in diesem transatlantischen Wirrsal, und nicht ohne wesentlichen Gewinn für das Verständniß jener älteren Erscheinungen dürfte eine genauere Untersuchung dieser ihrer Wiederholungen in der Gegenwart sein.

Andeutungen über die Ursachen dieses auffallenden Phänomens im amerikanischen Leben sind an einem andern Orte gegeben worden1. Hier haben wir es nur mit der sonderbarsten und zugleich mächtigsten Ausgeburt dieses eigenthümlichen Dranges zur Sectengestaltung zu thun – einer Erscheinung, die überdies, indem sie gewissermaßen ein mixtum compositum der Ergebnisse aller ähnlichen ist, uns das gesammte Sectenwesen wiederspiegelt, und schließlich sehr belehrende Streiflichter über die letzten Gründe des politischen und socialen Dichtens und Trachtens in der transatlantischen Musterrepublik wirft.

Daß die Quäker in den Vereinigten Staaten ihren Hauptsitz haben, ist bekannt: ebenso daß die verschiedenen Secten der Wiedertäufer hier gegen zwei Millionen Bekenner zählen. Die Campmeetings oder Lagerversammlungen der Methodisten mit den halb grauenvollen, halb komischen Aeußerungen ihrer Inbrunst, ihren Abrahams a Sancta Clara, ihrem verzückten Jauchzen und ihrer an das Treiben Besessner grenzenden Zerknirschung sind uns wiederholentlich geschildert worden.

Weniger bekannt dagegen dürfte sein, daß um die Mitte des vorigen Jahrhunderts Ann Lee, die Frau eines Hufschmieds aus England, nach Albany kam, die sich für den in weiblicher Gestalt wiedererschienenen Christus ausgab, den Eintritt des tausendjährigen Reichs verkündete, die Vermischung der Geschlechter unter allen Umständen, und somit auch die Ehe für Sünde erklärte, Gott durch Tanz zu verehren lehrte und für diese wunderlichen Heilswahrheiten eine verhältnißmäßig nicht geringe Anzahl von Gläubigen fand, deren Gemeinschaft noch jetzt unter dem Namen der Shaker in achtzehn klosterartigen Niederlassungen mit etwa viertausend Bewohnern fortgesetzt wird. Weniger bekannt mag ferner sein, daß, von einer andern Engländerin, Jane Southcot, gestiftet, in der Stadt Neuyork eine Secte besteht, welche nebst andern Ceremonien auch die Beschneidung unter sich eingeführt hat, daß die Swedenborgianer zahlreiche Gemeinden in Amerika haben, daß die Geisterklopferei sich unter dem Titel Spiritualismus zu einer Art Kirche gestaltet hat, daß in Pennsylvanien, in Ohio und bei Buffalo pietistische Communisten-Niederlassungen blühen, und daß auch Cabet's Icarier hier leidlich gedeihen. Weniger bekannt endlich ist wohl, daß vor etwa zehn Jahren William Miller, der »Widderhornprophet«, die Union durchzog, der mit Hilfe der Bibel, der Mathematik und seiner Phantasie die schreckenvolle Gewißheit herausgerechnet hatte, daß die Welt am 21. März 1844 untergehen müsse, und der mit seiner Predigt im Osten wie im Westen Massen schwachsinniger Seelen zum Verkaufe ihrer Habseligkeiten bethörte.

Alle diese und manche verwandte Erscheinungen finden in der Vergangenheit des christlichen Europa ihr Seitenstück. Die aber, von welcher wir nun handeln werden, hat, als Ganzes betrachtet, soviel uns bekannt, weder in der christlichen Welt, noch im Entwickelungskreise irgend einer andern Religion Ihres gleichen. Das Mormonenthum ist einzig in seiner Art. Es konnte nur dem Boden der neuen Welt entkeimen, nur unter amerikanischer Sonne gedeihen, und wenn es gestattet ist, Phänomene durchaus unerhörter, den gewöhnlichen Voraussetzungen des Geschehens allenthalben widersprechender Art Wunder zu nennen, so stehen wir hier bis auf Weiteres vor einem der größten Wunder unseres Jahrhunderts.

Die Geschichte der Mormonen oder der Latter-Day-Saints, wie sie selbst sich nennen, ist die Geschichte einer tauben Nuß, die, in den Humus der transatlantischen Welt gepflanzt, in einer auf den ersten Blick miraculösen Weise zum riesigen Baume erwuchs und Früchte erzeugte, die keineswegs alle faul sind. Es ist die Geschichte einer Lehre, die, ursprünglich ein ziemlich plumper Puff, allmälig durch Hereinnahme einer Anzahl von mystischen Glaubenssätzen den Schein eines tieferen Inhalts gewann und sich in staatlicher Beziehung zu einer bisher noch nicht dagewesenen Theo-Demokratie ausbildete. Im Stifter der Secte sehen wir unzweifelhafte Talente, große Menschenkenntniß, bewunderswerthe Ausdauer, außerordentlichen Scharfblick in der Wahl seiner Mittel mit unglaublicher Frechheit, tiefer sittlicher Verworfenheit, und einer in ihrer Naivetät oft geradezu drolligen Unwissenheit gepaart. Mag man ihn in einigen Zügen mit Mohamed, in andern mit Cromwell vergleichen, so erinnert er in weit zahlreichern Aeußerungen seines Charakters an Barnum, den »Napoleon der Windbeutelei«, und war er unleugbar ein ungewöhnlicher Mensch, ja darf man ihn als das personificirte Genie des Yankeethums bezeichnen, so erklären sich seine Erfolge doch noch mehr als aus seiner Begabung aus den Verhältnissen, in die er sich gestellt sah.

Diese Verhältnisse aber, unter denen es möglich war, daß eine Secte, die im Jahre 1830 nur aus der Familie ihres Gründers und zwei Freunden bestand, im Laufe von zwanzig Jahren trotz grausamer Verfolgungen und trotz mannigfacher Gelegenheiten zur Erkenntniß der Lügen, die ihr Kern waren, zu einer wohlgeordneten Kirche wurde, deren hunderttausend Bekenner über die ganze Erde zerstreut sind: diese eigenthümlichen Verhältnisse haben für unser Jahrhundert und insbesondere für Amerika ebenso viel Beschämendes als Tröstliches. Sie zeigen, daß in unserer Zeit das Licht der Bildung noch lange nicht so weit leuchtet, als man gemeinhin annimmt und daß namentlich die Vereinigten Staaten und England mit dem Prädicate einer aufgeklärten Nation, das sie sich so gern zulegen, etwas sparsamer umzugehen Ursache haben. Sie zeigen aber auch, daß da, wo freie Institutionen herrschen, und wo die edlen Eigenschaften der angelsächsischen Race das Ganze durchdringen, selbst der Betrug bald eine Gestalt annehmen muß, die nach einer Seite hin wenigstens Anerkennung und selbst Bewunderung verdient.

Die folgende Darstellung wird erkennen lassen, ob damit zu viel gesagt ist.

Zweites Kapitel.
Joseph Smith der Schatzgräber und Prophet. – Sidney Rigdon und der offenbarende Engel. – Ein Roman und die Verwandlung desselben in eine Bibel

Der Stifter des Mormonenthums war Joseph Smith, am 23. September 1805 zu Sharon im Staate Vermont geboren, und später mit der Familie seines Vaters nach dem Dorfe Manchester bei Palmyra im Staate Neuyork ausgewandert. Seiner Selbstbiographie zufolge stand sein Sinn schon in früher Jugend auf göttliche Dinge, und als er siebzehn Jahre alt war, wurde dieser Hang dadurch noch mehr genährt und aufgeregt, daß ein beredter Methodistenprediger in der Nachbarschaft eine große Erweckung der Seelen bewirkte. Häufig schüttete Joseph sein Sehnen nach Erkenntniß vor Gott im Gebete aus, und oft brütete er Tage lang über den rechten Weg zur Erlangung des Heils. Als er nun bei einer solchen Gelegenheit in die Nacht hinein wach geblieben war, und kniend den Herrn um Erleuchtung anflehte, welche von den verschiedenen Secten und Kirchen die rechte sei, siehe da wurde sein Gemach plötzlich von himmlischem Lichte erfüllt, und er erblickte einen Engel neben sich, der ihn über den Pfad zur Gerechtigkeit vor Gott unterwies und ihn zugleich belehrte, daß es auf Erden keine echte Kirche mehr gäbe. Das Christenthum habe die göttliche Ordnung mit Menschensatzung vertauscht, den Glauben verunstaltet und den ewigen Bund gebrochen, wofür zur Strafe schon vor funfzehnhundert Jahren das Priesterthum von ihm genommen worden sei. Endlich erfuhr Joseph von dem Boten aus der Höhe, daß sein Gebet Wohlgefallen vor Gott gefunden habe und in die Bücher des Lebens eingetragen worden sei, daß der Herr ihn liebe, und daß er den Auftrag erhalten solle, die Priesterschaft nach der Ordnung Melchisedek's unter den Menschen wiederherzustellen und eine Kirche wahrer Gläubigen zu gründen zum Empfange des Herrn, dessen tausendjähriges Reich nahe sei.

Bei einem späteren Besuche des Engels, der am 21. September 1823 stattfand, ward ihm die Eröffnung, daß er erwählt worden, ein heiliges Buch, welches in der Nachbarschaft vergraben sei, und welches, von altindianischen Propheten verfaßt, die Wahrheit über den Ursprung der Ureinwohner Amerika's und deren Schicksale seit ihrer Einwanderung aus Judäa enthalte, wieder zu finden und zu Nutz und Frommen der Welt zu veröffentlichen.

Am folgenden Morgen nach der Stelle, dem Gipfel eines Berges zwischen Canandaigua und Palmyra, den die Mormonen Cumorah nennen, geführt, fand er nach kurzem Suchen eine acht Zoll hohe steinerne Kiste, auf welche der Deckel mit Mörtel befestigt war. Er machte wiederholentlich Versuche, sie aufzubrechen, bis ein Schlag von unsichtbarer Hand ihn zurücktrieb. Auf sein inbrünstiges Gebet um Erklärung dieses Widerstandes empfing er die Antwort, der Grund davon, daß er keinen Erfolg gehabt, liege darin, daß er den Einflüsterungen des Satans Gehör gegeben, welcher auf dem Wege neben ihm hergegangen sei und ihn beredet habe, den Inhalt der Kiste zur Förderung seiner zeitlichen Angelegenheiten zu verwenden. Dies war Sünde. Der Gedanke, dadurch berühmt zu werden, war unheilige Ehrbegier, dadurch zu Reichthum zu gelangen, strafbarer Geiz.

»Du kannst diese Urkunden noch nicht bekommen,« sagte der Engel. »Niemand kann sie bekommen, wofern sein Herz unrein ist, weil sie das enthalten, was heilig ist. Siehe, obwohl Du jetzt geschaut hast die Macht der Finsterniß, woran Du fürderhin allezeit den Bösen gewahr werden kannst, so will ich Dir noch ein anderes Zeichen geben, an welchem Du inne werden sollst, daß der Herr Gott ist, und daß die Kunde, welche diese Ueberlieferung enthält, zu allen Völkern, Geschlechtern und Zungen unter dem Himmel getragen werden soll. Dies aber ist das Zeichen: Wenn es bekannt wird, daß der Herr Dir diese Dinge gezeigt hat, werden die Gottlosen Deinen Sturz suchen. Sie werden Lügen verbreiten, um Deinen guten Ruf zu zerstören, und man wird Dir sogar nach dem Leben trachten. Aber merke, wenn Du getreu bleibst und fortan den Geboten des Herrn nachlebst, so sollst Du bewahrt bleiben und zu rechter Zeit Erlaubniß erhalten, die Urkunden von hier zu holen.«

Diese Verheißung erfüllte sich nach Verlauf von vier Jahren, während welcher Zeit Joseph sich fortdauernd eines Gott wohlgefälligen Wandels befleißigt, eifrig der Wahrheit nachgestrebt, und vielfache lehrreiche Besuche von dem Engel empfangen hatte. Am 22. September 1827 öffnete ihm dieser die Steinkiste, zeigte ihm den Inhalt, der in dem Schwerte Labans, einem Brustharnisch, einer Prophetenbrille, Urim und Thummim genannt, und den Täfelchen bestand, auf welche die Urkunden eingegraben waren, und gestattete ihm, einen Theil dieses Schatzes mit heimzunehmen. Das Schwert, in der Zeit Zedekias aus Jerusalem nach Amerika gelangt, war vom feinsten Stahl und hatte einen goldenen Griff. Die Brille war von der Form eines kleinen Bogens, in dessen Oesen zwei helle durchsichtige Steine eingesetzt waren, und man konnte mit ihr in der Vergangenheit und Zukunft lesen. Die Tafeln, die das Aussehen von Gold hatten, sieben Zoll breit, acht Zoll lang und nicht ganz so stark wie gewöhnliches Blech waren, wurden durch drei an der einen Seite hindurchgehende Ringe zu einem Bande zusammengehalten und waren auf beiden Seiten mit ägyptischen Charakteren gefüllt. Ein Theil derselben war durch ein Siegel verschlossen.

Joseph nahm die Urkunden mit sich nach seines Vaters Haus, und als die Nachricht von seinem Funde sich in der Gegend verbreitete, erfüllte sich, was der Engel geweissagt. Man streute nach allen Richtungen hin falsche Darstellungen der Sache aus, man spottete und höhnte über die wunderbare Eröffnung. Pöbelhaufen bestürmten das Haus der Familie Smith, und mehrmals wurden Versuche gemacht, dem Propheten mit Gewalt die kostbaren Goldplatten zu entreißen, sodaß er sich endlich entschloß, nach dem benachbarten Pennsylvanien auszuwandern. Hier, wo in der Nähe des Susquehanna sein Schwiegervater wohnte, übertrug er mit Hilfe der Urim und Thummim und eines Schreibers, Namens Cowdery, den unversiegelten Theil des Urkundenbuchs ins Englische, welcher später unter dem Titel »das Buch Mormons« im Druck erschien.

Bis hierher folgten wir der Darstellung der Sache, wie sie von Smith selbst und dem Mormonenapostel Orson Pratt erzählt wird. In Wahrheit verhielt es sich sehr wesentlich anders damit. Zwar mag der Prophet bei der Erweckung der Nachbarschaft durch jenen Methodistenprediger einige Eindrücke empfangen und sich mit den Hauptthesen des Sectenstreites unter seinen Landsleuten bekanntgemacht haben. Statt aber im Rufe von Frommen zu stehen, galten Joseph Smith und seine ganze Familie vielmehr allenthalben als leichtsinnige, lügenhafte Taugenichtse. Statt zu arbeiten, streiften sie in der Gegend als Schatzgräber umher. Sie bedienten sich dabei eines sogenannten »Sehersteins«, bisweilen auch einer Wünschelruthe. Die Sage wollte, daß in den westlichen Grafschaften des Staates Neuyork große Reichthümer aus der Zeit de Sotos verborgen lägen, und Joseph hatte sich bei den Abergläubischen den Ruf zu erwerben gewußt, diesen unterirdischen Schätzen mit Glück nachzuspüren. Im Jahre 1825 machte er in dem pennsylvanischen Orte Harmony die Bekanntschaft einer Miß Emma Hale und beredete sie, sich von ihm entführen zu lassen und heimlich seine Frau zu werden. Zu derselben Zeit beschwatzte er einen gewissen Lawrence, sich mit ihm zu verbinden, um am Susquehanna eine von ihm entdeckte reiche Silbergrube auszubeuten; als sie indeß nach dem angegebenen Orte kamen, war nichts von einem Erzgange zu entdecken, und Lawrence hatte sein Geld umsonst ausgegeben. 1826 dupirte er in ähnlicher Weise den Farmer Stowell zu Bainbridge, indem er demselben vorredete, er habe in einer Höhle nicht weit von Manchester einen Goldklumpen entdeckt, von dem er ihm gegen das Versprechen, ihn nebst seiner Frau aus Pennsylvanien nach dem Wohnorte seines Vaters zu schaffen, die Hälfte zu geben sich anheischig machte. Stowell ging darauf ein und erfüllte seinen Theil des Vertrags; als Smith aber nun auch seiner Verpflichtung nachkommen sollte, entzog er sich derselben durch die Ausflucht, er könne seine junge Gattin nicht allein unter Fremden lassen, und der getäuschte Farmer kehrte heim, um seiner Kohlbeete zu warten und dazu über den Eulenspiegel zu schimpfen, der ihn so schmählich am Narrenseile herumgeführt hatte. Dies ist in der Hauptsache die wirkliche Geschichte des neuen Propheten in der Zeit zwischen der ersten angeblichen Engelserscheinung und dem Punkte, wo es zu verlauten begann, daß er an der Uebersetzung seines Fundes arbeite.

Aber auch über den letzteren wurde bald eine völlig andere Kunde laut, als die, welche Smith und seine Freunde der Welt aufbinden zu können geglaubt hatten. Das Buch Mormon war nichts weniger als eine Sammlung von Urkunden, von indianischen Propheten vor Jahrhunderten geschrieben. Es war vielmehr das Erzeugniß der Mußestunden eines gewissen Spalding, welcher von 1809 bis 1812 im Städtchen Conneauct in Nordohio in Gemeinschaft mit einem gewissen Lake ein Eisenwerk betrieben hatte. Es war eine Art historischer Roman, in welchem die auch sonst in Amerika häufig gehörte Ansicht durchgeführt war, daß die Ureinwohner des westlichen Continents Nachkommen der Kinder Israel's seien, und welcher zu dem Zwecke weitläufige Berichte über ihre Wanderungen von Jerusalem nach Amerika und ihre Schicksale in diesem Welttheile enthielt. Das Eisenwerk bezahlte sich nicht, und da Spalding mittlerweile auf die Idee gerathen war, er könne durch Veröffentlichung seines Buchs ein wohlhabender Mann werden, so begab er sich im Jahre 1812 nach Pittsburgh, wo er die »Entdeckte Handschrift« – so hatte er nämlich das Product getauft – dem Drucker Lambdin zum Verlag anbot.

In dessen Verwahrung verblieb das Manuscript – wie die Einen sagen – kurze Zeit, kam dann an den Verfasser zurück, wurde nach dessen bald darauf erfolgtem Ableben von der Witwe mit nach Hartwick, nicht weit von der Wohnung jenes mit Smith befreundeten Farmers Stowell, genommen und gelangte von hier um das Jahr 1820 nach dem Hause ihres Bruders zu Onondaga Hollow, nicht fern von Manchester, dem damaligen Aufenthaltsorte Smiths. Hier wurde es, behauptet man, von Joseph aus dem Koffer, wo es mit anderen Papieren Spaldings gelegen, entwendet und in ein Religionsbuch umgebildet.

Diese Angaben sind, wo nicht geradezu unglaubwürdig, doch zu wenig begründet. Weit richtiger scheint die folgende Erklärung. Die »Entdeckte Handschrift« war mehrere Jahre und auch dann noch in Lambdins Verwahrung verblieben, als Spalding im Frühling 1816 starb und einige Zeit nachher die Firma Lambdin und Patterson Bankerott machte. Nun hielt sich von 1823 bis 1826 ein gewisser Sidney Rigdon in Pittsburgh auf, der früher Buchdruckergehilfe gewesen war und jetzt in der Eigenschaft eines Predigers der »Reformers« oder »Disciples« wirkte. Er war, wie sein späteres Verhalten zeigt, ebenso schlau als ehrgeizig und nie um die Mittel zur Erreichung seiner Zwecke verlegen. Er stand auf ziemlich vertrautem Fuße mit Lambdin und verließ, als dieser starb, seinen bisherigen Aufenthaltsort, um sich in Mentor, einem Städtchen im nördlichen Ohio, eine Gemeinde zu bilden, der er ähnliche Dinge wie die, welche der Engel Joseph Smith verkündet, vortrug. Eine andere Thatsache, die zu Schlußfolgerungen berechtigt, ist die, daß Rigdon während des Herbstes von 1826 häufige Reisen von Mentor nach Pittsburgh unternahm, von wo es nicht weit bis zum Susquehanna und dem damaligen Wohnorte Smiths ist.

Als nun im Jahre 1830 das »Buch Mormon« oder wie es in der ersten Ausgabe heißt, »die goldene Bibel« im Druck erschien und von Gläubigen und Ungläubigen mit Begier gelesen wurde, erklärten Spaldings Witwe und sein Bruder, erstaunt und entrüstet zugleich, dasselbe sei in der Hauptsache nichts anderes, als die ihnen noch sehr wohl erinnerliche »Entdeckte Handschrift« ihres verstorbenen Gatten und Bruders. Die Namen der Personen und Orte, ja was noch mehr, die psychologischen Unwahrscheinlichkeiten und auffälligen Stylmängel waren fast durchgängig beibehalten, und der Bearbeiter hatte nur etwas mehr religiöses Material hinzugethan. Ihre Einsprache gegen den Betrug, auf welche Rigdon lediglich mit Schmähungen und Grobheiten antwortete, wurde durch das Zeugniß des einstigen Compagnons von Spalding, sowie durch einen großen Theil der Bewohner Conneaucts bekräftigt, und so scheint das Räthsel sich dahin aufzulösen, daß Lambdin, nachdem er mit seiner Druckerei Bankerott gemacht, die in seiner Verwahrung befindlichen Manuscripte in der Absicht durchsah, sich durch eine Speculation mit einem auffälligen Buche wieder emporzuhelfen, daß er zu diesem Zwecke kein besseres Mittel als die »Entdeckte Handschrift« wählen konnte, deren Verfasser ihm überdies kein Hinderniß mehr in den Weg zu legen vermochte, daß er dieses Werk an Rigdon übergab, um es nach seinem Ermessen zu feilen und zu ändern, und daß dieser den Roman in eine Bibel umprägte. Der Tod Lambdins machte Rigdon zum alleinigen Besitzer des Geheimnisses und seines möglichen Gewinns. Letzterer wurde sicherer, wenn das Buch in miraculöser Weise an den Tag gebracht wurde. Das damals sich verbreitende Gerücht, in Canada sei eine goldene Bibel ausgegraben worden, lenkte auf den Gedanken, auch die Urkunden Mormons auf Goldtafeln geschrieben sein und dem Schoose der Erde entsteigen zu lassen. Es war endlich ein Gehilfe zu suchen, der im Rufe eines Schatzgräbers stand, da, wenn man diesen den Fund thun ließ, der Verdacht nicht auf Rigdon fiel, und hierzu war Joseph Smith nach dem Vorigen der rechte Mann. Derselbe ging auf Rigdon's Antrag ohne Bedenken ein, und wenn er einige Zeit nach der ersten Besprechung mit dem Urheber des Plans nach Pennsylvanien zog, so geschah dies nicht wegen Gefährdung seines Lebens daheim, sondern deshalb, weil er am Susquehanna seinem Genossen näher war und sich dort ungestörter von ihm seine Rolle einüben lassen konnte.

Die weitere Entwickelung wirft aber noch mehr Licht auf das Verfahren, womit die beiden Schwindler ihr öffentliches Auftreten einleiteten. Weder Smith noch Rigdon war im Besitze der Mittel zur Veröffentlichung des Fundes durch den Druck. Ersterer wendete sich deshalb zuerst an den Quäker Crane, um ein Darlehen zur Förderung des Werkes Gottes, wurde aber mit spöttischen Worten abgewiesen. Er warf sodann seine Augen auf den Farmer Harris, einen leichtgläubigen Tropf, welcher bereits einem halben Dutzend Secten nach einander angehört hatte. Er trat ihm eines Tages in den Weg, verkündete ihm, daß der Herr ihm geboten, sich von ihm funfzig Dollars zum Beginn des Werks der Uebertragung seines Indianerevangeliums geben zu lassen, und empfing von dem durch Verheißung großen Lohnes bestochenen Harris wirklich die verlangte Summe. Noch kräftiger bearbeitet, streckte dieser nach und nach gegen dreitausend Dollars vor und gab sich sogar selbst zum Schreiber her, dem Smith seine Uebersetzung dictirte. Da er indeß der Feder nicht recht mächtig war, so wurde er durch Oliver Cowdery, einen Schulmeister, ersetzt, welcher die Arbeit bis zum Drucke vollendete. Smith legte dabei die Pseudo-Goldplatten in einen Hut, hielt sich die Prophetenbrille der Urim und Thummim vor die Augen und dictirte die Worte der Urkunde, die sich vermittels dieses Instruments aus neuägyptischen in englische verwandelten, dem Schreiber, von dem er durch einen Vorhang geschieden war, in die Feder. Ins Natürliche übertragen heißt das, er las das Manuscript Rigdons, das er in seinem Hute verborgen, ab, oder sagte, was er davon für den Tag auswendig gelernt hatte, aus dem Gedächtnisse her.

Anfänglich scheint weder Rigdon noch Smith an die Stiftung einer neuen Religion gedacht zu haben. Man hatte lediglich den Zweck im Auge, der angeblichen Entdeckung eines Buchs aus der Urzeit Amerika's dadurch, daß man sie als von Engelserscheinungen begleitet und von einem Nimbus aus der Höhe umflossen darstellte, die Gemüther der zahlreichen Wundergläubigen im Lande zuzuwenden. Kurz vor dem Erscheinen des Buchs Mormon im Druck aber müssen die Ansichten der Beiden über den Weg, den sie einzuschlagen, eine Aenderung erfahren haben, indem am 6. April 1830 zur Gründung einer »Kirche aus den Heiden« verschritten wurde.

Ehe wir jedoch diesem Treiben unsere Aufmerksamkeit zuwenden, sei ein Ueberblick des Inhalts der Mormonenbibel gestattet, die gegenwärtig in englischer, walisischer, französischer, italienischer, dänischer und deutscher Sprache zu haben, ja selbst in die der Sandwichsinsulaner übersetzt und in mehr als einer halben Million Exemplaren verbreitet ist.

Das Buch Mormons zerfällt in die Bücher Nephi 1 und 2, Jacob, Enos, Jarom, Omni, Mosiah, Alma, Helaman, Nephi des Jüngern, Mormon, Ether und Moroni, die zusammen so viel Stoff enthalten als das alte Testament ohne die Apokryphen. Der Inhalt aber ist in Kurzem folgender: Als der Herr, um den Bau des Babelthurms zu vereiteln, die Sprachen der dort zusammengeströmten Menschen verwirrte, erbarmte er sich der Jarediten ob ihres frommen Wandels und beließ sie im bisherigen Gebrauche ihrer Zunge. Von Gott dazu angeregt, verließen sie das Land Schinear und wanderten nach der Westküste des Oceans, von wo sie in acht Schiffen nach dem nördlichen Amerika fuhren. Hier wohnten sie anderthalb Jahrtausende, wurden zu einer zahlreichen und mächtigen Nation, versanken aber allmälig in Unglauben und Laster und wurden in Folge dessen um das Jahr 600 vor Christi Geburt von Gott so vollständig vertilgt, daß von ihnen nichts übrig blieb, als die Trümmer ihrer Städte und die von ihrem Propheten Ether auf Goldplatten verzeichnete Geschichte ihres Aufblühens und Untergangs.

Um die Zeit ihrer Ausrottung wurde eine jüdische Familie vom Stamme Josephs, der fromme Lehi mit seinem Weibe Sariah und seinen vier Söhnen, auf wunderbare Weise aus Jerusalem nach der Westküste Südamerika's geleitet, und elf Jahre später brach ein dritter Zug von israelitischen Auswanderern, worunter etliche vom Stamme Juda, gleichfalls nach dem großen Festlande jenseit des Stillen Oceans auf. Sie landeten in Nordamerika, begaben sich indeß später nach dem Süden, wo sie nach Verlauf von ungefähr vierhundert Jahren von dem einen Theile der Frühergekommenen entdeckt wurden und mit ihnen zu einem Volke verschmolzen.

Die Nachkommen Lehi's nämlich schieden sich einige Zeit nach ihrer Ankunft auf amerikanischem Boden in zwei Stämme, eine Spaltung, welche dadurch veranlaßt wurde, daß einige von ihnen die Uebrigen wegen ihrer Gottesfurcht anfeindeten und verfolgten. Diese Frommen, die sich nach dem sie führenden Propheten Nephiten nannten, wanderten nach Centralamerika und von dort nach dem Norden aus, während jene Gottlosen, nach ihrem Feldherrn Lamaniten geheißen, im Süden zurückblieben.

Die Lamaniten brachten durch ihres Herzens Härtigkeit und Bosheit viele und schwere Heimsuchungen auf sich herab. Namentlich verwandelte der Fluch Gottes ihre von Natur weiße Farbe in ein schmutziges Roth. Sie waren Leute von roher und blutgieriger Sinnesart und ihren Brüdern, den Nephiten so überaus aufsässig, daß sie dieselben mehrmals in zahllosen Horden mit Krieg überzogen, Angriffe, die jedoch allenthalben siegreich zurückgeschlagen wurden.

Die Nephiten waren in allen Stücken das Gegentheil dieses bösen Volkes. Sie hatten in ihrem Besitze eine Abschrift des Gesetzes Moses und der Propheten bis auf Jeremia, in dessen Tagen ihr Stammvater Jerusalem verlassen hatte, und diese Ueberlieferungen aus dem Lande ihrer Vorfahren, die auf Erztäfelchen gegraben waren, erhielten eine Fortsetzung in anderen Tafeln, welche von den Weisen und Sehern der Nation mit den Thaten ihrer Könige und Helden, sowie mit den Gesichten, Wundern und Offenbarungen, deren Gott das fromme Volk würdigte, gefüllt wurden. Und der Herr segnete sie mit Gedeihen, und sie wuchsen und breiteten sich aus nach Osten, Westen und Norden, bedeckten die Thäler und Ebenen mit Städten und Dörfern, Tempeln und Burgen, erbauten alle Gattungen Getreide in Ueberfluß und zogen zahlreiche Arten von Hausthieren. Sie kannten zugleich die Gewinnung und den Gebrauch von Gold, Silber, Kupfer und Eisen. Künste und Wissenschaften blühten unter ihnen, ja selbst einige Zweige der Maschinenbaukunde waren ihnen bekannt. Die geistigen Interessen wurden durch Propheten besorgt, die in die fernste Zukunft schauten und nicht blos die Erscheinung des Messias im Fleische, sondern sogar seine Wiederkunft und die Errichtung seines tausendjährigen Reiches weissagten. Dessenungeachtet wichen auch die Nephiten endlich von den Wegen des Herrn, verfielen in Sünden und Laster und tödteten die Propheten, die sie davon abmahnten. Da ergrimmte der große Jehova über sie und suchte sie mit schweren Strafen heim. Finsterniß sank auf die Erde herab, ein grauenvolles Erdbeben wüthete von einem Meeresstrande zum andern, Berge sanken zu Thälern ein, Thäler schwollen zu Bergen, Seen flutheten an der Stelle verschlungener Ortschaften, und der größte Theil der Nephiten und Lamaniten wurde vernichtet. Die aber, welche diese furchtbare Katastrophe überlebten, wurden mit einer persönlichen Erscheinung Christi, der kurz vorher in Jerusalem gestorben, auferstanden und gen Himmel gefahren war, begnadigt. Er zeigte ihnen Seitenwunde und Nägelmaale, predigte ihnen das Evangelium, setzte die Sacramente ein, heilte Lahme und Blinde, erweckte einen Todten und machte dem frommen Volke alle Dinge bis ans Ende der Tage bekannt. Ein Theil seiner Reden und Thaten ist im Buche Mormons zu lesen; der größere und wichtigere Theil derselben aber wartet vorläufig noch der Uebertragung aus dem neuägyptischen Originale.

1.Wanderungen zwischen Hudson und Mississippi, von Moritz Busch, Stuttgart und Tübingen, Cotta'scher Verlag, 1854.
Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
05 июля 2017
Объем:
190 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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