Читать книгу: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 457»

Шрифт:

Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-865-2

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Burt Frederick

Eines Mannes Entscheidung

Der Mordplan schlug fehl – und dann entschied das Duell

Weil Mac Pellew in den Hühnerverschlägen acht goldene Eier entdeckt hatte, war die Piratenkaravelle, die Hasards Mannen erobert hatten, von Edwin Carberry „The Golden Hen“ getauft worden, ein passender und trefflicher Name, obwohl das mit den goldenen Eiern seine eigene Bewandtnis hatte. Aber Carberry hatte das symbolisch gemeint – in der Erwartung, mit der „Golden Hen“ recht viele goldene Eierchen aus dem spanischen Nest zu holen. So auch jetzt, als sie zusammen mit Siri-Tongs „Caribian Queen“ auf den Geleitzug aus Cartagena warteten, den sie zu „rupfen“ gedachten. Nur hatte die erste Galeone Wein an Bord, die zweite Pulverfässer und die dritte wahrhaftig Zuchtschweine. Aber von der sinkenden „San Jorge“ bargen die Arwenacks einen alten Freund …

Die Hauptpersonen des Romans:

Don José de Moncayo – der Capitán der „San Jorge“ meint, sich durch einen Kuhhandel freikaufen zu können.

Don Juan de Alcazar – hat noch eine Rechnung zu begleichen – mit einem Degen.

Philip Hasard Killigrew – ist zutiefst mißtrauisch und behält recht.

Jean Ribault – verfolgt einen Flüchtigen, der ihn zum Narren hält.

Batuti – der Riese aus Gambia beweist, daß er sich dem Urwald anzupassen vermag.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Einer der Bootsgasten führte den Riemen zu ungeschickt. Das Riemenblatt fegte über die Wasseroberfläche, statt einzutauchen. Ein gischtender Schwall ergoß sich über die Achterducht, wo der Kapitän mit dem Ersten Offizier Platz genommen hatte. Letzterer führte das Steuerruder.

Don José de Moncayo saß wie erstarrt, als der nasse Segen auf ihn niederklatschte. Seine Augen wurden starr, lodernde Wut zeigte sich in der Tiefe seiner Pupillen.

Der unglückselige Bootsgast zog unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern. Zu allem Überfluß vergaß er auch noch weiterzupullen, so daß der Riemen seines Hintermannes krachend auf den seinen schlug.

Es war wie ein Signal für Don José. Mit einem Knurrlaut sprang er auf, packte den Bootsgast am Kragen und zerrte ihn mit eisenhartem Griff von der Ducht hoch.

„Dämlicher Trottel!“ brüllte Don José, und die Adern an seinem Hals waren wie Stränge. Sein sonst so wohlgeformtes Gesicht mit der kühnen Nase, dem Knebelbart und dem festen Kinn hatte sich gerötet und war zu einer teuflisch verzerrten Fratze geworden. Der ohnehin schmallippige Mund war ein kaum noch erkennbarer Strich. „Bist du noch bei Trost, du Narr? Erdreistest dich, deinen Capitán zu beleidigen!“ Don José blies einen salzigen Wassertropfen weg, der von seiner linken Augenbraue in den Oberlippenbart gefallen war. „Dafür wirst du büßen, du Dreckskerl!“

Ungewollt stellten auch die übrigen Bootsgasten das Pullen ein. Entgeistert sahen sie ihren Kapitän an. Selbst die vier Offiziere runzelten die Stirn. Was, um Himmels willen, war mit de Moncayo los, daß er den armen Kerl wegen eines unbedeutenden Patzers wie einen Verbrecher behandelte?

„Señor Capitán, ich wollte doch nicht …“, stammelte der Mann verzweifelt.

„Schweig! Für deine Unverschämtheit gibt es keine Entschuldigung.“ Mit einem blitzschnellen Ruck stieß de Moncayo den Mann über den Dollbord.

Der Bootsgast schrie gellend auf und zappelte in der Luft mit Armen und Beinen wie ein auf dem Rücken liegender Käfer. Dann verstummte sein Schrei, als er ins Wasser klatschte. Mit einem Gurgeln versank er.

Der Hintermann wollte dem Versinkenden zur Rettung das Riemenblatt hinhalten. „Weg damit!“ herrschte Don José ihn an, und einen Moment hatte es den Anschein, als wolle er sich auch auf diesen Mann stürzen.

„Señor Capitán“, sagte der Zweite Offizier vorsichtig, „soviel ich weiß, kann der Mann nicht schwimmen.“

Die übrigen Bootsgasten nickten zustimmend, ohne den Blick von dem unfaßbaren Geschehen zu wenden. Ihre Mienen waren wie versteinert durch Entsetzen und Fassungslosigkeit.

„Interessiert mich nicht“, sagte Don José de Moncayo, und es klang wie ein bösartiges Knurren. „Ihn hat es auch nicht interessiert, ob er seinen Capitán mit Salzwasser besudelt.“

Die Männer auf den Duchten sahen sich an. Empörung begann in ihnen zu kochen. Als Decksleute an Bord einer spanischen Kriegsgaleone waren sie eine Menge gewohnt gewesen. Hartherzigkeit und Ungerechtigkeit seitens der hochwohlgeborenen Señores vom Achterdeck gehörten da zur Tagesordnung. Aber dies ging denn doch über das erträgliche Maß hinaus.

Die Bewegungen im Wasser wurden schwächer und schwächer. Nur noch ein leichter Wellenschlag war an der Wasseroberfläche zu erkennen. Sie waren noch viel zu weit vom Ufer entfernt, als daß der Unglückswurm eine Chance gehabt hätte, sich aus eigener Kraft zu retten. In seinem Erschrecken hatte er es ja nicht einmal geschafft, sich an einem der Riemen, geschweige denn am Dollbord festzuhalten.

De Moncayo hatte ihn beseitigt wie eine lästige Fliege.

Dieser Capitán hatte es gewagt, seiner üblen Laune Luft zu verschaffen, indem er einen wehrlosen Mann tötete.

„Verdammt“, sagte einer der Bootsgasten auf der vordersten Ducht zähneknirschend. „Das ist Mord. Das ist ganz gemeiner, niederträchtiger …“ Er verstummte, als ihm sein Nebenmann den Ellenbogen in die Rippen rammte.

Der Kapitän schien aus einer momentanen Geistesabwesenheit zu erwachen. Seine Brauen zogen sich zusammen, auf seiner Stirn entstanden Furchen.

„Wer war das, ihr Hunde?“ fragte er leise und doch mit unüberhörbarer Drohung.

Die Männer schwiegen. Obwohl kein Laut zu hören war, erinnerte die Stille doch an eine Gitarrensaite, die immer straffer gespannt wurde – bis sie irgendwann reißen würde. Nur die Riemenschläge der übrigen Boote waren zu hören. In der Kapitänsjolle wuchs die innere Anspannung dem Siedepunkt entgegen. Alle spürten, daß es zu einer Kraftprobe kommen konnte.

Da waren die ergrimmten Decksleute auf der einen Seite, die nun schon, nach endlos langen Sekunden, nichts mehr für ihren Gefährten tun konnten. Er war ertrunken, Daran gab es nicht den geringsten Zweifel.

Und da war der Capitán auf der anderen Seite – mit seiner verkniffenen, finsteren Miene, die nichts Gutes verhieß. Noch hatte er die Macht, noch war er der Stärkere. Und doch mußte er begreifen: Nur ein winziger Zündfunke genügte, daß sich die Männer auf ihn und die Offiziere stürzten und ihnen den Hals umdrehten. Die Ungeheuerlichkeit, die sich de Moncayo erlaubt hatte, war mehr als genug für einen solchen schwerwiegenden Entschluß.

„Ich stelle meine Frage nicht zweimal“, sagte de Moncayo zornbebend. „Wenn ich nicht auf der Stelle eine Antwort erhalte, werden eben alle bestraft. Ausnahmesituationen sind kein Vorwand für Disziplinlosigkeit. Wohin soll es führen, wenn …“

Der Erste Offizier war es, der ihm behutsam ins Wort fiel und damit auch den Zündfunken zum Erlöschen brachte.

„Verzeihen Sie, Señor Capitán, aber ich möchte dringend empfehlen, diese Angelegenheit später an Land zu klären. Vielleicht wird es das beste sein, eine Untersuchung einzuleiten. Aber im Augenblick scheint mir vordringlich zu sein, daß wir das Ufer erreichen. Ich gebe zu bedenken, daß wir uns noch immer in Reichweite der verfluchten Piratenbande befinden.“

De Moncayo nickte verbissen. Der Erste hatte recht. Es war höchst überflüssig, den Kopf zu wenden und sich vom Stand der Dinge zu überzeugen. Don José wußte, daß er den Anblick nicht ertragen würde. Diese elenden Kerle auf der dreimastigen Karavelle und dem finster aussehenden Zweidecker verstanden ihr niederträchtiges Handwerk. Es war eine Schande, daß man zu schwach gewesen war, um sie mit Stumpf und Stiel zu vernichten.

Don José wandte sich dem Ersten Offizier zu, ohne ihn anzusehen.

„Lassen Sie weiterpullen. Aber ein bißchen plötzlich, wenn ich bitten darf.“

„Pullt, Männer!“ rief der Erste. Die Art seines Tonfalls und seine versöhnliche Miene zeigten, daß er nicht unbedingt mit dem Verhalten des Kapitäns einverstanden war, sich aber andererseits nicht gegen die geltenden Maßstäbe der Disziplin wenden konnte.

Die Männer fügten sich. Nur zu gut wußten sie, daß die hochwohlgeborenen Señores letzten Endes doch immer die Stärkeren blieben. In diesem Fall war es sogar vordergründig zu erkennen. Ihnen, den unbewaffneten Decksleuten, saßen vier Offiziere und der Capitán gegenüber – mit ihren kostbar ziselierten Pistolen in den Gurtfutteralen. Wenn man davon ausging, daß de Moncayos Pistole zwei Läufe hatte und die anderen vier jeweils einschüssige Waffen besaßen, dann würde es gleich zu Beginn einer Auseinandersetzung sechs weitere Tote geben. Außerdem hatten die Señores immer noch ihre Dolche.

Nein, es war absolut aussichtslos. Die Autorität der Schiffsführung war unbezwingbar, auch jetzt, da es das Schiff nicht mehr gab.

Don José de Moncayo hatte den Zwischenfall unterdessen schon fast wieder vergessen. An den Ertrunkenen, der seinem Wutausbruch zum Opfer gefallen war, verschwendete er keinen Gedanken mehr. Er tauchte in jene dumpfe geistige Abwesenheit, in die er seit dem Untergang der „San Jorge“ verfallen war. Es war ein Zustand tiefer Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit, aus dem ihn der kalte Wasserguß so unsanft herausgerissen hatte.

Don José befand sich in einem Zwiespalt, aus dem er sich mit eigener seelischer Kraft nicht zu lösen vermochte. Und er glaubte nicht daran, daß es überhaupt jemanden gab, der ihm noch helfen konnte. Wenn er dies auch in einem Winkel seiner Gedanken als einen sicherlich nur vorübergehenden Trübsinn erkannte, so empfand er den Zwiespalt doch als unüberwindlich.

Da verfluchte er auf der einen Seite die Piraten, weil sie den Geleitzug von zehn Frachtgaleonen und die Kriegsgaleone „San Jorge“ überfallen hatten.

Doch auf der anderen Seite war er beinahe froh, daß die „San Jorge“ gesunken war. Letzteres galt allerdings nur begrenzt, denn wenn er sein Schicksal als Schiffbrüchiger überdachte, stieg ihm wieder die Galle hoch.

Sicher war es nur von Vorteil, wenn der Gefangene im Kabelgatt der Galeone auf Nimmerwiedersehen in der Tiefe der See verschwunden war. Dadurch erledigten sich eine Menge Probleme von selbst. Ein Piratenüberfall war in diesen bewegten Zeiten glaubhaft, und ebenso einleuchtend war daher, daß Don Juan de Alcazar durch tragische Umstände den Tod gefunden hatte. Man würde geeignete Möglichkeiten finden, die Nachricht dergestalt nach Spanien zu übermitteln, daß dort bei Hofe nur jene Wahrheit laut wurde, die für königliche Ohren geeignet war.

Don José grinste bei dieser Überlegung. Natürlich funktionierten seine Verbindungen bestens. In der Beziehung waren keinerlei Schwierigkeiten zu erwarten. Ebenjene Verbindungen hatten schließlich überhaupt dazu geführt, den Hundesohn de Alcazar kaltzustellen.

Andererseits gab es einen Wermutstropfen, dessen bitterer Geschmack nicht aus Don Josés Kehle weichen wollte.

Don Antonio de Quintanilla wußte von nichts.

Das war der jetzige Stand der Dinge. Der Gouverneur von Kuba hatte nicht die leiseste Ahnung, daß dieser de Alcazar mit einem Sonderbefehl des Königs in Marsch gesetzt worden war, um ihn, Don Antonio, des Amtes zu entheben, zu verhaften und nach Spanien zu bringen. Welches traurige Schicksal dem Lebensgenießer Don Antonio dort blühen würde, brauchte man nicht erst auszumalen. Der König war nicht zimperlich in der Behandlung jener, die bei ihm in Ungnade fielen.

Da Don Antonio von der ihm drohenden Gefahr nichts wußte, wäre es eine gelungene Überraschung gewesen, ihm den Sonderbeauftragten Seiner Majestät gewissermaßen auf einem Silbertablett zu servieren.

Kuba war fremdartig und unergründlich. Ein Mensch konnte dort für immer verschwinden, ohne daß jemals etwas bekannt wurde. Zweifellos hätte es Don Antonio geschickt verstanden, sich des Widersachers de Alcazar ein für allemal zu entledigen. Und niemals wäre etwas darüber nach Madrid durchgedrungen. In der Neuen Welt waren solche Fälle nichts Ungewöhnliches. Oft genug passierte es, daß im Mutterland Namen auf die Vermißtenliste gesetzt wurden.

Neben der Überraschung für Don Antonio gab es einen weiteren wichtigen Punkt, der den bitteren Nachgeschmack für Don José verstärkte.

Zwischen ihm und dem Gouverneur bestanden sehr gute persönliche und geschäftliche Beziehungen – zu beiderseitigem Nutzen. Don José war sich darüber im klaren, daß er den Erwerb seiner Besitztümer in Spanien nicht zuletzt auch der hervorragenden Zusammenarbeit mit Don Antonio de Quintanilla zu verdanken hatte. So wäre dieses gute Verhältnis durch die Übergabe de Alcazars nur noch verbessert worden. Don Antonio wäre ihm sozusagen zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet gewesen.

De Moncayo rieb sich den Kinnbart mit der linken Hand. Sicher, er hätte dann für sich in Anspruch nehmen können, dem Gouverneur von Kuba das Verbleiben im Amt und damit das zukünftige Wohlergehen gesichert zu haben.

Nun war zwar die Gefahr für Don Antonio gebannt.

Aber wie sollte man ihm darlegen, daß diese Gefahr überhaupt bestanden hatte?

Sicherlich wußte er nur zu gut über die Schnüffeleien de Alcazars Bescheid. Daß der Mann aber den bewußten Spezialauftrag vom König erhalten hatte, war von Kuba aus nicht nachprüfbar. Also war dies nur eine Behauptung, die sich nicht einmal beweisen ließ.

Don José de Moncayo konnte sich der Ahnung nicht entziehen, daß Don Antonio ihn für einen Aufschneider und Wichtigtuer halten würde – für einen, der um seine Gunst warb und sich dazu sogar des Mittels ersonnener Geschichten bediente.

Don José sah seine Offiziere unauffällig aus den Augenwinkeln heraus an. Sollte er einen von ihnen als Zeugen benennen, damit er dem Gouverneur gegenüber lediglich das Vorhandensein des Gefangenen im Kabelgatt bestätigte? Zweifellos würde sich Don Antonio davon beeindrucken lassen und keinen Anlaß haben, ihm, Don José, keinen Glauben zu schenken.

Es half alles nichts: Auf der einen Seite war es in höchstem Maße bedauerlich, de Alcazar in Havanna nicht vorführen zu können.

Auf der anderen Seite konnte man nur froh sein, daß der Hundesohn nicht mehr am Leben war.

Don José de Moncayo wußte beim besten Willen noch nicht, wie er mit seiner inneren Zerrissenheit fertig werden sollte. Ganz abgesehen davon, daß er sich auch noch als Schiffbrüchiger auf dem Landweg durchschlagen und irgendwann später unangenehme Fragen der Admiralität beantworten mußte.

Don José befand sich in düsterster Stimmung. Noch war das Ufer etwa sechs Kabellängen entfernt. Aber es bestand kein Zweifel, daß man es erreichen würde. Freude über die Rettung wollte sich bei dem Kapitän der gesunkenen „San Jorge“ indessen nicht einstellen.

2.

Die Segel der „Caribian Queen“ waren ins Gei gehängt worden. Die Großrah diente mittels entsprechender Taljen als Ladebaum. Auf der längsseits vertäuten Frachtgaleone befand sich kein einziger Spanier mehr. Die Crew der Roten Korsarin hatte das Schiff vom Kielschwein bis zu den Marsen untersucht. Ein lohnendes Objekt. Darin waren sich alle einig.

In unablässiger Folge wurden Kisten und Truhen aus den offenen Laderaumluken des spanischen Frachtenseglers gehievt, über die Verschanzungen geschwenkt und gleich darauf zügig durch die geöffnete Grätingsluke des Zweideckers gefiert.

Siri-Tong hatte das Glück gehabt, jene einzige Galeone des Geleitzugs zu erwischen, die mit Gold und Silber und sonstigen Schätzen aus der Neuen Welt vollgestopft war.

Philip Hasard Killigrew winkte der Gefährtin vom Achterdeck der Karavelle aus zu. Sie erwiderte es und gab ihm mit einem Handzeichen zu verstehen, daß man noch einige Stunden damit beschäftigt sein werde, die Schätze der Dons aus dem Bauch des spanischen Frachtschiffs zu bergen. Der Seewolf zeigte klar und wandte sich wieder dem Geschehen auf dem eigenen Schiff zu.

Die erbeutete Dreimastkaravelle „The Golden Hen“ lag um etliche Zoll tiefer im Wasser, als es vor dem Angriff auf den Geleitzug der Fall gewesen war. Eine beträchtliche Menge an Weinfässern und Schwarzpulvervorräten hatten die Arwenacks bereits in den Laderäumen verstaut.

Jetzt hatten der Kutscher, Mac Pellew und ein halbes Dutzend Helfer alle Hände voll damit zu tun, die geschlachteten drei Schweine nach allen Regeln der Kunst zu verwerten. Die Fleischmengen, die nicht frisch verwertet werden konnten, mußten in Pökelfässer gelegt werden. Die „Kleinteile“ verarbeitete man nach Meinung des Kutschers am besten, indem man eine kräftige Suppe daraus kochte.

Plymmie hatte sich in den vordersten Winkel der Back verzogen, wo sie hingebungsvoll die Schweinspfote benagte, die die Zwillinge ihr zur Feier des Tages spendiert hatten.

Mac Pellew schnappte sich einen der Schweinsköpfe, die auf der Arbeitsplatte aus aufgebockten Planken lagen. Mac war im Begriff, sich den rosigen, säuberlich entborsteten Kopf unter den Arm zu klemmen und damit in der Kombüse zu verschwinden. Die Donnerstimme des Profos hielt ihn zurück.

„Halt, wohin damit; Mister Pellew?“

Mac, schon vor dem Schott, blieb stehen und drehte sich langsam um.

„Wüßte nicht, was du mir in meine Aufgaben als Koch reinzureden hättest, Mister Carberry.“

Das Rammkinn des Profos sackte weg. Er starrte den Griesgrämigen ungläubig blinzelnd an und legte das Messer beiseite, mit dem er gekochten Bauchspeck in handliche Stücke geschnitten hatte.

„Sag mal, du hast wohl aus Versehen eins von deinen goldenen Eiern gefressen, was, wie? Wenn ich mich erkundige, wo du mit dem Sauschädel hinwillst, dann stelle ich so eine Frage im allgemeinen Interesse der Mannschaft. Ist das klar?“

„Nein“, entgegnete Mac trotzig. „Und was das mit den Goldeiern zu tun haben soll, kapiere ich erst recht nicht.“

Die übrigen Männer und selbst der Kutscher mußten sich verstohlen abwenden, um ihr Grinsen nicht zu zeigen. Ed Carberrys Ulk mit den vergoldeten Hühnereiern würde keiner so schnell vergessen. Dadurch, daß sie die Karavelle auf den Namen „The Golden Hen“ getauft hatten, blieb das Ereignis zusätzlich in ständiger Erinnerung. Und Mac, der arme Kerl, wußte noch immer nicht, was wirklich passiert war.

Das zerklüftete Narbengesicht des Profos blieb unbewegt. Er verschränkte die Arme vor dem mächtigen Brustkasten und setzte eine Miene auf, als hätte er es mit einem armen Sünder zu tun, der noch nicht begriffen hat, welche Art von Untat er begangen haben soll.

„Die Goldeier, mein lieber Mac“, sagte Carberry freundlich-geduldig, „könnten vielleicht bewirkt haben, daß bei dir im Schädel irgendwas durcheinandergeraten ist. Und dieses Durcheinander ist der Grund dafür, daß du mit dem Schweineschädel losmarschierst. Willst wohl nachsehen, ob die Augen sich in Gold verwandeln, was, wie?“

Mac Pellew sperrte den Mund auf und holte tief Luft.

Doch er kam nicht dazu, eine passende Antwort vom Stapel zu lassen. Und die anderen erhielten auch keine Gelegenheit, in das schallende Gelächter auszubrechen, das sie nun kaum noch unterdrücken konnten.

„Mister Carberry!“ rief der Seewolf. Vom Achterdeck aus hatte er jedes Wort mitverfolgt.

„Sir?“ Der Profos ruckte herum.

„Ich halte Gespräche über Vergoldungen und alles, was damit zusammenhängt, nicht für angebracht.“ Ein kaum merkliches Grinsen kerbte sich in Hasards Mundwinkel. „Muß ich mich noch deutlicher ausdrücken?“

„Nein, Sir, nicht nötig, Sir“, antwortete Ed in militärisch schnarrendem Ton, und unwillkürlich zog er dabei ein wenig den Kopf ein. „Keine Gespräche über Vergoldungen. Verstanden, Sir!“

„In Ordnung. Und was gibt es an Mister Pellews Schweinskopf auszusetzen?“

Ed Carberry straffte seine Haltung wieder.

„Würde gern wissen, Sir, wo er den hinschmeißen will. Auch im Interesse der Crew. Kann nicht sagen, daß mir der Gedanke gefällt, irgendwann plötzlich auf einem Schweinsäuglein rumkauen zu müssen!“

Einige der Männer schüttelten sich.

„Mister Pellew!“ rief der Seewolf. „Beantworte die Frage des Profos.“

„Aye, aye, Sir“, rief Mac und ahmte den schneidigen Tonfall Carberrys nach. „Beantworte Frage wie folgt: Schweinskopf wird zu Schweinskopfsuppe verarbeitet.“

Diesmal waren es fast alle Männer, die sich schüttelten.

„Siehst du, Sir!“ rief Ed Carberry in Richtung Achterdeck. „Genau das habe ich befürchtet. Der liebe Mac spinnt. Von den Augen will ich ja gar nicht reden. Aber ich hab’ verdammt keine Lust, auf gekochten Sauzähnen herumzubeißen.“

Die Männer stießen erschrockene Laute aus.

Der Kutscher räusperte sich.

„Sir! Darf ich mir eine Bemerkung dazu erlauben?“

„Genehmigt!“ erwiderte Hasard mit einem Handzeichen. Er konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.

„Ich darf die Angelegenheit folgendermaßen klären“, sagte der Kutscher in seiner gestelzten Art. „Die von Mister Pellew angedeutete Prozedur geschieht derart, daß der Schweinskopf zunächst gekocht wird. Anschließend werden die verwertbaren, das heißt eßbaren Teile aus dem Schädel gelöst und der Brühe wieder zugefügt. Das ergibt eine äußerst nahrhafte Suppe, von der man sagt, sie wirke sich überaus förderlich auf gewisse graue Windungen aus.“

„Kutscher“, sagte der Seewolf warnend, „fang du nicht auch noch an.“

„Aye, aye, Sir“, sagte der Kombüsenmann mit Würde, „nehme den letzten Satz zurück, da es sich nur um ein Gerücht handelt.“

„Also weitermachen“, sagte Hasard mit einem Nicken. „Schweinskopfsuppe ist genehmigt, weil genießbar.“

Ed Carberry und die anderen konnten sich ein Murren nicht verkneifen, riskierten aber keine Widerworte. Auch Mac Pellew wagte keinen lautstarken Triumph. Nur sein Gesicht strahlte, als er mit dem rosigen Borstenviehkopf in der Kombüse verschwand.

Hasard wandte sich um. Die „Caribian Queen“ lag inzwischen bereits gut drei Schiffslängen hinter ihnen. Bis man die Boote erreichte, die auf das Ufer des Golfes von San Blas zugepullt wurden, würde es noch eine Weile dauern.

Don Juan, der sich mit Ben Brighton unterhalten hatte, trat auf ihn zu.

Der hochgewachsene, schlanke Spanier, der früher ein Todfeind des Seewolfs gewesen war, löste seinen Blick von dem weit auseinandergezogenen Pulk der Boote. Irgendwie erinnerten sie an eine Schar aufgescheuchter Hühner, die Hals über Kopf davonhasteten. Nur das erregte Gackern und heftige Flügelklatschen fehlten, um diesen Eindruck zu vervollständigen.

Überhaupt, so sagte sich Don Juan, entstand der Gedanke wohl nur dadurch, daß sich acht Hühner an Bord der Karavelle befanden. Und um diese Hühner schien es denn auch schon einigen Trubel gegeben zu haben.

All das bewies aber letztlich nur, welch ein prachtvoller Haufen diese Crew unter Philip Hasard Killigrew war. Wenn eine Gemeinschaft solchen Humor und die Fähigkeit zu beinahe jungenhaften Streichen bewies, dann war das ein Beweis für ihren Zusammenhalt und für ihr Funktionieren. Bösartigkeiten, Schadenfreude und Intrigen waren den Arwenacks völlig unbekannt.

Alle diese Tugenden galten zweifellos auch für die Mannschaft Jean Ribaults, des Franzosen, und ebenso für die Crew Siri-Tongs, der Roten Korsarin. Don Juan erinnerte sich daran, wie erfreut sie ihn nach seiner Rettung begrüßt hatte.

Ja, es erfüllte ihn mit innerer Wärme, daß der Bund der Korsaren offenbar froh war, ihn wieder bei sich zu haben.

Nur Hasard hatte sich deutlich verändert. Im ersten Moment war Don Juan betroffen gewesen. Nun aber, da er alles erfahren hatte, konnte er nachempfinden, wie nahe der Seewolf dem Tod gewesen war. Dort auf den Galápagos-Inseln mußte es schlimm um ihn gestanden haben. Daher war es ganz und gar nicht verwunderlich, daß ihn der Kampf ums Überleben gezeichnet hatte.

Von der Stichwunde unter dem Herzen war Hasard inzwischen vollständig genesen. Die Schnittwunde auf der linken Wange verheilte zu einer Narbe, die unter jener alten Narbe verlief, die sich von der rechten Stirnseite über die linke Augenbraue und die linke Wange hinzog.

Deutlichstes Zeichen der Veränderung, die mit dem Seewolf vor sich gegangen war, war jedoch das graue Schläfenhaar, das sich scharf vom schwarzen Haupthaar abhob. Äußerlich war ihm sonst nichts anzumerken, doch er schien schweigsamer als sonst.

Don Juan glaubte, den Seewolf gut genug zu kennen, um zu wissen, daß er nach dem Tod Arauas noch härter geworden war. Diese bittere Tatsache und die eigene böse Erfahrung konnten einfach nicht ohne seelische Folgen geblieben sein.

„Sobald wir uns den Booten nähern“, sagte Hasard, „wirst du unter Deck verschwinden.“

Don Juan runzelte die Stirn.

„Du meinst, man könnte mich erkennen? Die Leute auf den Frachtgaleonen haben mich nie gesehen. Im übrigen sind die Boote der ‚San Jorge‘ schwarz gestrichen. Man kann sie also leicht unterscheiden.“

Бесплатный фрагмент закончился.

235,51 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
90 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783954398652
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают