Читать книгу: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 388»

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Impressum

© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-796-9

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Fred McMason

Die Geleitzugschlacht

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Es war ein seltsames Gefühl, das Don Juan de Alcazar in diesen frühen Morgenstunden plötzlich überfiel. Die Welt um ihn herum verlor an Bedeutung – jene Welt, die seit Tagen nur aus dem Rauschen der Wogen bestanden hatte, aus sengender Sonne und sich rasch auftürmenden Wolken, aus sternenklaren Nächten und undurchdringlicher Finsternis.

Noch immer war der Salzgeschmack der Gischtschwaden zu verspüren, die alles durchdringend über das kleine Fischerboot hinwegstrichen. Noch immer stieg aus dem Inneren des Bootes jener unauslöschliche Geruch auf, der das Handwerk seiner Eigner ein Leben lang begleitete. Doch ebenso wie Wind und Wetter, gehörte das alles auf einmal der Vergangenheit an.

Ursache dafür waren allein die Konturen, die sich nebelhaft über der wolkenverhangenen Kimm abzeichneten. Das Land und die Umrisse der Festungsanlagen wuchsen wie aus dem Nichts auf und begrenzten jäh die scheinbare Unendlichkeit des Meeres.

Kuba war nahe.

Havanna.

Der hochgewachsene Mann rieb sich die Augen, deren Lider und Wimpern salzverkrustet waren. Seit mehr als einer Stunde harrte er im Bugraum des Bootes aus, zwischen zusammengerollten Netzen und Tauen. Eine fieberhafte Erwartung hatte ihn gepackt, ähnlich wie nach der langen Reise über den Atlantik, als er zum ersten Mal die Neue Welt erblickt hatte. Und doch war es anders diesmal.

Don Juan hatte das Gefühl, heimzukehren.

Eben dieses Empfinden war es, das er an sich selbst nicht begriff. Wie war es möglich, daß er sich nach Havanna sehnte? Dies war nicht seine Heimat, nicht einmal sein zweites Zuhause. Überdies waren es zum größten Teil unangenehme Erinnerungen, die ihn mit dieser Stadt verbanden. Aber dennoch empfand er eine beinahe kindliche Freude, endlich zurückzukehren.

Vielleicht lag es daran, daß jeder Mensch nach Unrast und Wirren einen Ort brauchte, mit dem er vertraut war, wo er sich zur Ruhe begeben und neue Kräfte sammeln konnte. Ja, von der Seite aus betrachtet, mußte Havanna doch eine Art Zuhause für ihn sein.

Die Stimme Pedro Murenas unterbrach seine Gedanken, ohne sie zu stören.

„Land in Sicht, Señor!“ rief der Fischer erfreut.

Don Juan lächelte, als ihm bewußt wurde, daß seine Augen die schärferen waren. Er wandte sich um und bedachte den stämmigen Mann an der Ruderpinne mit einem dankbaren Blick. Murena strahlte über das ganze wettergegerbte Gesicht. Sein vierzehnjähriger Sohn Luis schlief hinter ihm im Heckraum des Bootes, in Decken eingerollt.

„Ich habe es schon gesehen, Pedro“, sagte de Alcazar. „Sie sind ein ausgezeichneter Navigator, mein Freund. Wir laufen direkt auf Havanna zu.“

„Oh, das ist Zufall, Señor“, entgegnete der ältere Mann bescheiden. „Wir haben einfach Glück gehabt. Und einen günstigen Wind.“

Don Juan schüttelte den Kopf, versuchte aber nicht weiter, den Fischer von seinen Fähigkeiten zu überzeugen. Pedro Murena gehörte zu jener Sorte Mensch, die sich nie in den Vordergrund drängte. Sicher war er stolz auf seine Leistung, aber es war ihm unangenehm, wenn das hervorgekehrt wurde.

Das Segel des Bootes, mehrfach ausgebessert und doch zuverlässig, stand bretthart vor dem handigen West-Nord-West. In der Tat hatten die günstigen Winde der vergangenen Tage und Nächte entscheidend zur zügigen Rückkehr nach Havanna beigetragen.

Don Juan wandte sich wieder nach vorn und spähte über den sich hebenden und senkenden Bug des Bootes hinweg.

Die Umrisse der Festungsanlagen, jetzt schon wesentlich näher, gewannen wenig an Deutlichkeit. Der Morgenhimmel war bedeckt. Kein Sonnenstrahl brach durch. Dieser 31. Mai des Jahres 1594 war ein Tag, an dem es nicht vollends hell werden würde. Die tief hängenden Wolkenbänke waren regenschwanger, und an Land ächzten die Menschen vermutlich unter der hohen Luftfeuchtigkeit.

Was geschehen war, schien in weiter Ferne zu liegen.

Seit dem Beginn seiner Genesung hatte Don Juan versucht, die Erinnerung an die mißglückte Jagd auf den Seewolf aus seinen Gedanken zu verdrängen. Er mußte einen neuen Anfang setzen. Zuviel Widersprüchliches und Ungereimtes hatte sich in seinem Bewußtsein eingenistet. Er brauchte einen klaren Kopf. Vielleicht war es ein Wink des Schicksals, das ihn an den Ausgangspunkt seiner Mission zurückbrachte – nach Havanna.

Er erinnerte sich nur schwach daran, wie er bei dem Arzt in Jaguey an der kubanischen Nordküste zu neuen Kräften gelangt war. Allzu lange hatte er sich in einem fiebrigen Dämmerzustand befunden. Grund dafür war der Streifschuß an der linken Kopfseite gewesen, der sich entzündet hatte. Den angebrochenen Knöchel hatte der Arzt fachgerecht geschient.

Pedro Murena und sein Sohn, die ihn in Jaguey abgeliefert hatten, waren in den darauffolgenden Tagen mehrmals erschienen, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Erst nach sechs Wochen aber, am 25. Mai, war er fieberfrei gewesen und hatte humpelnd die ersten Schritte unternehmen können. Nach weiteren drei Tagen hatten die Murenas sich dann bereit erklärt, ihn nach Havanna zu segeln.

Die Festungsmauern tauchten aus dem Dunst auf.

Aus den Schornsteinen stieg der Rauch der Küchenfeuer, wurde vom Wind zerrissen und zu den Wolken getrieben. Der Anblick der beiden Forts, wo jetzt die Soldaten vermutlich zur Morgenmahlzeit rüsteten, hatte etwas beinahe Friedliches. Das Castillo del Morro wachte an der Ostseite der engen Hafeneinfahrt. Auf der anderen Seite, im Westen, erhob sich das Castillo de la Punta mit seinen Zinnen.

Ein einmastiges Patrouillenboot kreuzte in der Mitte der Einfahrt. Es näherte sich mit einem langen Kreuzschlag, vollführte eine Halse und näherte sich der Backbordseite des Fischerbootes auf Parallelkurs. Außer dem Rudergänger und drei Decksleuten war der Einmaster mit zehn Soldaten besetzt. Helme und Brustpanzer waren matt und glanzlos im trüben Tageslicht.

Das Kommando führte ein Teniente, der vom Achterdeck herüberspähte.

„Geben Sie Namen und Herkunft bekannt!“ brüllte er herüber. „Was ist Ihre Absicht in Havanna?“

Meine Absicht in Havanna, dachte Don Juan belustigt, wahrhaftig eine gute Frage! Er wandte sich zum Schanzkleid und antwortete dem Offizier, nachdem er Pedro Murena einen Wink gegeben hatte, zu schweigen.

„Ich bin Don Juan de Alcazar, Sonderbevollmächtigter des spanischen Königshauses. Im Rahmen meines Auftrags wurde ich verwundet Pedro Murena“, er deutete mit einer Kopfbewegung nach achtern, „und sein Sohn halfen mir in schwierigster Lage. Und sie waren bereit, mich nach Havanna zurückzubringen.“

Der Gesichtsausdruck des Teniente erhellte sich. Er hob die Rechte zum Gruß. Respektvoll nahm er Haltung an.

„Ich bitte höflichst um Verzeihung, Señor de Alcazar. Es war nicht meine Absicht, Sie in irgendeiner Weise zu behindern. Kann ich Ihnen behilflich sein?“

Don Juan winkte lächelnd ab.

„Nicht nötig, Teniente. Vielen Dank.“

„Ich erinnere mich jetzt an Sie!“ rief der Offizier, und sein Tonfall war weniger militärisch. „Es ist mir außerordentlich peinlich, daß ich Sie nicht sofort erkannt habe. Aber, mit Verlaub, Sie haben sich ein wenig verändert, seit ich Sie das letzte Mal gesehen habe.“

Don Juan nickte, und sein Lächeln verlor sich. Zuletzt hatte er in Jaguey in einen Spiegel geschaut, und er war über seinen eigenen Anblick erschrocken gewesen. Sein Gesicht war hager geworden, die Wangen eingefallen und die grauen Augen glanzlos. Die Verwundung und das anschließende Fieber hatten ihn gezeichnet. Zweifellos sah er jetzt, nach den Tagen auf See, keinen Deut besser aus.

„Wir sind uns also schon einmal begegnet?“ sagte Don Juan stirnrunzelnd.

„Jawohl, Señor, und ich bin stolz darauf, mit Ihnen gemeinsam gegen die Horden der Plünderer gekämpft zu haben. Allerdings habe ich nur einen sehr kleinen Beitrag dazu geleistet. Was Sie geleistet haben, war mehr als bravourös. Wenn Sie nicht diesen Galgenstricken von Anfang an die Zähne gezeigt hätten, läge Havanna heute wahrscheinlich in Schutt und Asche.“

Unvermittelt fiel es Don Juan wie Schuppen von den Augen.

„Aber natürlich!“ rief er. „Sie waren es, der mir im Gouverneurspalast das Leben gerettet hat.“

„O nein, Señor. Sie wissen, das war allein das Verdienst von Señor von Manteuffel. Unter seinem Kommando sind wir in den Palast eingedrungen, um dieses Gesindel zu beseitigen. Ohne ihn wäre ich ein solches Risiko niemals eingegangen.“

De Alcazar sah wieder die Szene im Palast des Gouverneurs vor Augen. Mitten im Kampfgetümmel hatte der Kreole Catalina seine Pistole auf ihn angelegt. Und er, Don Juan, war wegen seiner Fesseln völlig hilflos gewesen. Buchstäblich im letzten Sekundenbruchteil hatte der Teniente den entscheidenden Schuß abgefeuert und den Kreolen getötet.

Gleichzeitig keimte aber auch die Erinnerung an Arne von Manteuffel wieder auf. Und eben diese Tatsache führte Don Juan den wichtigsten Grund seiner Rückkehr nach Havanna in jäher Deutlichkeit vor Augen.

„Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel“, sagte er, „ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet, Teniente. Ich hoffe, wir sehen uns bald an Land.“

„Das hoffe ich auch, Señor de Alcazar. Es wird mir eine Ehre sein.“ Der Offizier salutierte abermals.

Er gab ein knappes Kommando, und der Einmaster drehte ab, um seine Patrouillenfahrt wieder aufzunehmen.

Das Fischerboot glitt auf den Hafen zu. Pedro Murena rüttelte seinen Sohn wach, damit ihm der seltene Anblick nicht entging.

„Hoch mit dir, Luis! Wann wirst du jemals einen so großen Hafen und eine so schöne Stadt wiedersehen! Schlafen kannst du immer noch, wenn wir wieder auf See sind.“

In der Tat bot der Hafen mit seinen vertäuten Schiffen ein imposantes Bild. An den Piers und an den Kaimauern lagen Segler unterschiedlichster Größe – von den schweren dreimastigen Galeonen bis zu den wendigen kleinen Zubringerfahrzeugen, wie sie in allen Häfen der Welt ihren Dienst verrichteten.

Durch das Gewirr von Masten, Rahen und Takelage waren die Giebel der Häuser zu sehen, die durch ihre Bauweise den Eindruck vermittelten, als handele es sich um eine Stadt im heimatlichen Spanien. Alles überragend reckte sich der Gouverneurspalast in den diesigen Morgenhimmel. Der Gedanke an den feisten Don Antonio de Quintanilla veranlaßte Don Juan ungewollt zu einer Grimasse.

Durch eben jenen Gouverneur hatte sein Bild von einem wohlgeordneten und makellosen Machtbereich der spanischen Krone erheblich gelitten. Wenn es mehr Leute vom Schlage eines Don Antonio gab, die sich in der Neuen Welt durch Vetternwirtschaft und sonstige undurchsichtige Geschäfte bereicherten, dann war es an der Zeit, mit einem eisernen Besen auszukehren.

Aber im Vordergrund stand für Don Juan zunächst zwingend die Aufgabe, wegen der er nach Kuba geschickt worden war.

Pedro Murena steuerte sein Boot auf eine der Piers zu, die sich in der Nähe der Werft befanden. Dort hatte das verhängnisvolle Geschehen seinen Lauf genommen, als Don Juan vom Gouverneur gezwungen worden war, gemeinsam mit den Galgenstricken unter dem stiernackigen Zapata die Silbergaleonen von ihrem Muschelpanzer zu befreien.

Er ließ seinen Blick über die Häuser in Hafennähe gleiten. In der Zeit seiner Abwesenheit waren die Bürger von Havanna überaus fleißig gewesen. Die Spuren der Brandschatzung waren fast überall verschwunden. Nur an wenigen Stellen ragten noch verkohlte Balken hervor, die an jene Nacht der langen Messer erinnerten, in der Havanna fast unter die Herrschaft der mordenden und plündernden Horden geraten wäre.

Die Faktorei Arne von Manteuffels war nun ebenfalls schon deutlich zu sehen. Ein schmuckes Gebäude, das von seinem deutschen Eigentümer stets sorgfältig in Schuß gehalten wurde.

So sehr er sich auch mühte, konnte Don Juan doch die Gedanken nicht unterdrücken, die der Anblick des Vertrauten in ihm aufsteigen ließ.

Seine tiefschürfende Nachdenklichkeit beruhte keineswegs nur auf der Tatsache, die für ihn im Vordergrund stehen mußte: Es war ihm bislang nicht gelungen, den Mann in Gewahrsam zu nehmen, den er laut Auftrag der spanischen Krone jagen sollte.

Denn das Erstaunliche war, daß ihn diese unwiderlegbare Tatsache tief in seinem Inneren nicht so sehr beunruhigte, wie es – gemessen an seiner Loyalität zum Königshaus – eigentlich angebracht gewesen wäre.

Dieser Umstand rührte zum einen daher, daß er dem Seewolf sein Leben zu verdanken hatte. Zum anderen hatten ihm Pedro Murena und sein Sohn in geradezu überschwenglicher Begeisterung geschildert, mit welcher todesverachtenden Tapferkeit sich der Engländer in einem letzten Kampf der Piratenschaluppe entgegengestellt und schließlich ganz allein geentert hatte.

Seit jenem Zeitpunkt, als er mit Philip Hasard Killigrew von Lobos Cay geflohen war, hatte sich Don Juans Einstellung wesentlich gewandelt. Die innere Stimme, die sich immer dagegen gesträubt hatte, war leiser geworden. Gewandelt hatte sich das Bild des Jägers, der er selbst sein sollte. Und noch mehr gewandelt hatte sich sein Bild von dem Gejagten.

Dieser Mann war ein Ritter ohne Furcht und Tadel, ein Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle – alles andere als ein beutegieriger und mordlüsterner Schnapphahn.

Nichtsdestoweniger war ihm bei seinem zwangsläufigen engen Kontakt mit dem Engländer dessen frappierende Ähnlichkeit mit Arne von Manteuffel aufgefallen. Diese Ähnlichkeit hatte er zwar bereits unmittelbar nach seiner ursprünglichen Ankunft in Havanna festgestellt. Das Medaillon mit dem Ölbildchen des Seewolfs hatte als wichtige Grundlage seiner Mission gedient, aber es hatte nur Hinweise auf das Äußere des Gesuchten geben können.

In Wirklichkeit waren die Übereinstimmungen zwischen Philip Hasard Killigrew und Arne von Manteuffel noch verblüffender. Das äußerte sich unter anderem in der Haltung, in den Gesten und in der Sprechweise der beiden Männer. Auch in einem weiteren Punkt ähnelten sie sich sehr, nämlich in ihrer Ritterlichkeit und Tapferkeit.

Es spielte keine große Rolle, daß er das Medaillon bei den Piraten hatte zurücklassen müssen.

Das Bild des Seewolfs hatte sich ohnehin unauslöschlich in sein Gedächtnis eingeprägt.

2.

Die Öllampen streuten ihr blakendes Licht in das Kontor. Das trübe Tageslicht, durch die Fenstervorhänge noch gedämpft, reichte nicht aus, um den Raum auch nur annähernd zu erhellen.

Jörgen Bruhn, der schlanke Hamburger von der „Wappen von Kolberg“, wandte sich am Stehpult um, als sein „Dienstherr“ eintrat. Jörgen schob den Federkiel ins Tintenfaß und schien sichtlich erfreut über die kleine Unterbrechung.

„Ehrlich gesagt, Arne, es wäre eine Strafe, wenn ich wirklich in meinen alten Beruf zurück müßte.“

Von Manteuffel drückte die schwere Eichentür hinter sich zu. Erstaunt zog er die Augenbrauen hoch.

„Das überrascht mich. Seit wir hier in Havanna sind, habe ich den Eindruck, daß du richtig auflebst. Als Schreiber und Faktorei-Gehilfe gibst du wirklich eine prächtige Figur ab.“ In der Tat hatte Jörgen Bruhn diese Schein-Aufgabe von Anfang an zur vollsten Zufriedenheit Arnes erledigt – was nicht verwunderlich war, denn Jörgen hatte als Jüngling in der Hansestadt an der Elbe eine Ausbildung als Kaufmannslehrling absolviert. Danach hatte er aber beschlossen, sich den Seewind um die Ohren wehen zu lassen.

Jörgen grinste breit.

„Du weißt, von was ich rede. Was Havanna erträglich macht, ist das Nachtleben. Und die Aussicht, daß unsere Aufgabe irgendwann einmal beendet ist. Hoffentlich bald, sonst werde ich noch kurzsichtig von der Kontorfuchserei. Sieh dir diese Funzelei an.“ Er beschrieb eine ausladende Handbewegung. „Wenn das gut für die Augen ist, lasse ich mich teeren und federn.“

„Letzteres wird dir erspart bleiben“, sagte Arne und nickte. „Du hast nämlich recht. Aber vorläufig werden wir unsere Mission aufrechterhalten.“

„Daran gibt’s wohl nichts zu rütteln“, entgegnete Jörgen und seufzte. „Alles in allem waren wir ja auch viel zu erfolgreich damit, stimmt’s?“

Arne lächelte. Es hatte sich wirklich gelohnt, die Faktorei als Tarnung für ihre eigentliche Aufgabe in Havanna einzurichten. Dem Bund der Korsaren waren mittlerweile einige beachtliche Raids gelungen, die nur auf die Nachrichtenverbindung zwischen Jussufs Taubenschlägen in Havanna und auf der Schlangen-Insel zurückzuführen waren. Solange es irgend möglich war, sollte dieses gut funktionierende System bestehen bleiben.

Arne trat an eins der Fenster und schob den Vorhang beiseite. Der Monat Mai verabschiedete sich auf unfreundliche Weise. Es war einer dieser Tage, an denen man den Abend möglichst rasch herbeiwünschte. Im Hafen herrschte die gewohnte Betriebsamkeit, wenn auch die Menschen ihre Arbeit mit eher mürrischen Mienen verrichteten. Unter der enormen Luftfeuchtigkeit hatten alle zu leiden, auch die jüngeren.

„Mit welchen Geschäften befassen wir uns heute?“ fragte Arne und wollte den Vorhang zufallen lassen.

„Wir übernehmen die Partie Tabakballen, die uns letzte Woche avisiert wurde“, antwortete Jörgen Bruhn. „Das gibt einen schönen Geruch im Haus, wenn wir die Dinger einlagern und …“

Arne unterbrach ihn mit einer Handbewegung, ohne sich umzudrehen. Es war ein Sinnesimpuls, der ihn veranlaßt hatte, den Vorhang doch noch offenzuhalten. Wie gebannt spähte er hinaus, und jetzt sah er überdeutlich, was ihm ins Auge gestochen war.

„Kaum zu glauben“, flüsterte er und winkte Jörgen herbei.

Der Hamburger beeilte sich, der Aufforderung Folge zu leisten. Denn jede Abwechslung in der Monotonie des Kontorlebens war ihm mehr als willkommen. An der Seite von Manteuffels starrte er durch die Fensterscheiben.

Von einer der nahen Piers bogen die drei Männer auf die Kaistraße ein. Beim Näherkommen stellte sich heraus, daß einer der drei noch sehr jung war, dem Kindesalter eben entwachsen. Der Ältere neben ihm konnte dem Gesichtsschnitt nach sein Vater sein: die Murenas! Die beiden waren jedoch nur Begleiter, das zeigte sich daran, daß sie dem anderen mit einem respektvollen Schritt Abstand folgten.

„Don Juan de Alcazar!“ stieß Jörgen entgeistert hervor. „Himmel, der sieht elender aus, als ich gedacht habe.“

Arne nickte nur. Zwar hatte er schon lange damit gerechnet, daß der Sonderbevollmächtigte wieder in Havanna auftauchen würde. Aber es war dennoch eine Überraschung, ihn jetzt so unverhofft zu erblicken. Vor allem lag das sicherlich an dem bemitleidenswerten Zustand Don Juans.

Mit Hilfe eines Stockes bewegte er sich humpelnd vorwärts, seine gesamte Statur wirkte erschreckend zusammengesunken. Vielleicht wurde dieser Eindruck aber auch nur durch sein eingefallenes Gesicht und die dunklen Ränder unter den Augen hervorgerufen.

Arne schloß den Vorhang und wandte sich Jörgen zu.

„Wir wissen natürlich von nichts“, sagte von Manteuffel. „Schärfe dir das ein, Jörgen. Wir haben de Alcazar zuletzt gesehen, als er mit der ‚Pax et Justitia‘ Havanna verließ.“

„Stimmt ja auch“, entgegnete der Hamburger grinsend.

„Du weißt genau, was ich meine“, sagte Arne knurrend.

Jörgens Grinsen schwand.

„Klar doch. Ich bin der ahnungsloseste Engel, den man sich vorstellen kann.“

„Hoffentlich. Ich bin sicher, daß Don Juan bei uns hereinschauen wird. Wenn ich dich dann hinausschicke, verständigst du Jussuf. Er darf auf keinen Fall unversehens hereinplatzen. Es könnte sein, daß er sich verplappert.“

„Aye, aye, Sir.“

Arne von Manteuffel wußte, daß er sich auf seinen Mitarbeiter verlassen konnte. Das galt auch für Jussuf. Zu dritt waren sie eine verschworene Gemeinschaft. Jeder von ihnen war sich darüber im klaren, daß ihr Geheimnis unter keinen Umständen gelüftet werden durfte.

Don Juan konnte nicht ahnen, daß der blonde Deutsche über alles informiert war, was sich seit der Versenkung der Karavelle „Pax et Justitia“ abgespielt hatte. Ermöglicht hatte dies die Nachrichtenverbindung durch Jussufs Brieftauben. Und weder Don Juan noch irgendein anderer Spanier in Havanna durften jemals erfahren, was es mit der Taubenzüchterei des Türken in der deutschen Faktorei wirklich auf sich hatte.

Minuten später erwies sich Arnes Vermutung als richtig.

Schritte näherten sich dem Eingang der Faktorei. Dann hallten die Schläge des Türklopfers durch das Haus.

Arne begab sich in sein Besprechungszimmer auf der anderen Seite des Korridors, und Jörgen ging nach vorn, um die Besucher hereinzulassen. Im nächsten Moment war die überraschte Stimme des Hamburgers zu hören. Arne, der ein Geschäftsjournal vor sich auf dem Tisch aufgeschlagen hatte, mußte lächeln. Jörgen spielte seine Rolle wirklich überzeugend.

Don Juans unbeholfene Schritte dröhnten durch den Korridor, und nach Jörgens Klopfen betraten die Besucher den holzgetäfelten Raum mit dem anheimelnden Lampenlicht.

Arne sprang von seinem Sessel auf, als er den Kopf gehoben hatte.

„Nein!“ rief er und schüttelte fassungslos den Kopf. „Ich kann es nicht glauben. Don Juan de Alcazar! Himmel, keiner von uns hat damit gerechnet, Sie jemals wiederzusehen.“

„Weshalb nicht?“ entgegnete de Alcazar mit kratzender Stimme.

Lag da aufkeimendes Mißtrauen in seiner Stimme?

Arne bewahrte bei seiner Antwort dennoch Gelassenheit und Gleichmut.

„Wissen Sie, wie lange Sie abwesend waren? Warten Sie, lassen Sie mich nachrechnen …“

Don Juan winkte mit einer fast schroffen Handbewegung ab.

„Schon gut. Sie haben recht, Arne. Ich hätte selbst fast nicht mehr daran geglaubt, Havanna wiederzusehen. Dabei hat diese Stadt für mich nicht einmal sehr viel Reizvolles.“ Der hochgewachsene Spanier brachte ein Lächeln zustande.

„Ich kann es Ihnen nachempfinden“, antwortete Arne und lachte. Dann wurde er wieder ernst. „Sie müssen Schlimmes durchgestanden haben. Man sieht es Ihnen an. Wie fühlen Sie sich?“ Es fiel Arne nicht schwer, trotz seines Bemühens, den Überraschten glaubhaft darzustellen, gleichzeitig auch Herzlichkeit an den Tag zu legen. Denn Don Juan und er hatten gemeinsam etliche Gefahren gemeistert. Es waren gewisse kameradschaftliche Bande zwischen ihnen entstanden, die sich nicht mehr wegwischen ließen.

Aus der Nähe betrachtet, sah Don Juan noch viel schlechter aus als beim ersten Blick durch das Kontorfenster. Sein Gesicht war nicht nur eingefallen, sondern auch erschreckend bleich. Und an der linken Kopfseite war deutlich die noch nicht vollends verheilte Narbe eines Streifschusses zu erkennen.

„Es geht schon recht gut“, erwiderte der Spanier, wandte sich halb zur Seite und deutete auf seine beiden Begleiter. „Wenn ich nicht so aufopfernde Helfer gehabt hätte wie diese beiden, wäre es mir wesentlich schlechter ergangen.“ Arne kannte Pedro Murena und seinen Sohn Luis und nickte ihnen lächelnd zu. Die beiden verneigten sich respektvoll vor dem vermeintlichen deutschen Kaufherrn.

Arne wußte zwar, daß Don Juan ihn keineswegs nur deshalb besuchte, um von seinen Erlebnissen zu berichten. Aber das offene Gespräch fürchtete Arne dennoch nicht. Eben dies lag letztlich auch daran, daß er auf alles vorbereitet war – dank der Nachrichtenübermittlung durch Jussufs Brieftauben und seines Gesprächs mit Hasard.

„Señores“, sagte Arne, indem er die Handflächen gegeneinanderschlug und erst Don Juan und dann die beiden Portugiesen ansah. „Es ist klar, daß Sie anstrengende Tage und Nächte hinter sich haben. Ich lade Sie deshalb zu einem kräftigen Frühstück ein. Einverstanden?“

Die Augen der Murenas leuchteten. Don Juan indessen nagte zaudernd auf seiner Unterlippe.

„Keine Widerrede“, sagte Arne kurz entschlossen. „Diese Einladung dürfen Sie mir nicht abschlagen.“ Er deutete auf die Stühle, die rings um den Besprechungstisch gruppiert waren. Dann wandte er sich an Jörgen. „Geh Jussuf in der Küche zur Hand. Bringt etwas Kräftiges, was selbst einen scheintoten Seemann wieder in die Stiefel hebt.“

„Wird erledigt“, sagte Jörgen dienstbeflissen und ließ die Männer allein.

Während er sich zu Don Juan und seinen Begleitern an den Tisch setzte, atmete Arne insgeheim auf. Die erste Unwägbarkeit war überwunden. Jussuf war vorgewarnt. Es würde keinen unliebsamen Zwischenfall geben.

„Nun?“ begann Arne gedehnt, indem er de Alcazar mit freundlichem Lächeln anblickte. „Hatten Sie Erfolg mit Ihrer Suche nach dem Schlupfwinkel der englischen Piraten?“

Dem blonden Deutschen entging nicht, daß die beiden Portugiesen ihn fortwährend musterten. Dabei war die Verwunderung in ihren Gesichtszügen nicht zu übersehen. Und Don Juan sah ihn einen Moment lang stumm und forschend an, ehe er antwortete.

„Einen Erfolg kann man es nicht nennen“, erwiderte der Spanier mit spürbarem Zögern. Es fiel ihm sichtlich schwer, über die Dinge zu berichten, die sich für ihn so unrühmlich entwickelt hatten. Er atmete tief durch, ehe er fortfuhr. „Es gab zunächst einen vielversprechenden Hinweis auf die ungefähre Lage des Piratenschlupfwinkels. Wie Sie wissen, habe ich mich daraufhin auf der ‚Pax et Justitia‘ eingeschifft, um die Suche aufzunehmen. Schon kurze Zeit später begegneten wir allerdings dem Schiff des Engländers Killigrew. Ein Zufall, der mir willkommen gewesen wäre, wenn ich über ein ausreichend armiertes Schiff verfügt hätte.“

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