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Candy Bukowski

Eine neutrale Tüte bitte

Menschen im Sexshop

Stories


Bukowski, Candy : Eine neutrale Tüte bitte. Hamburg,

acabus Verlag 2019

Originalausgabe

ePub-eBook: ISBN 978-3-86282-699-5

PDF-eBook: ISBN 978-3-86282-698-8

Print: ISBN 978-3-86282-697-1

Lektorat: Emilia Kröger, acabus Verlag

Satz: Emilia Kröger, acabus Verlag

Cover: © Annelie Lamers, acabus Verlag

Covermotiv: © dule964, fotolia.com

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Der acabus Verlag ist ein Imprint der Bedey Media GmbH, Hermannstal 119k, 22119 Hamburg.

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© acabus Verlag, Hamburg 2019

Alle Rechte vorbehalten.

http://www.acabus-verlag.de

Für meine Kolleginnen und Kollegen,

die jeden Tag einen richtig guten Job machen.

Und für all die Menschen, die ihn wertschätzen

und uns ihr Vertrauen schenken.

Liebenswerte Nachhilfe für „untenrum“

Ein Gastbeitrag von Olivia Jones

Für uns St. Paulianer ist es kaum zu glauben, aber für viele Menschen sind Sexshops immer noch eine Tabuzone. Ich merke das regelmäßig bei unseren Kiez-Führungen. Da ist der Sexshop-Stop immer noch Pflichtprogramm. Und für mich ist auch das tausendste Mal, wie mein erstes Mal in der Sexualkundestunde – im doppelten Sinne:

So lustig diese Besuche auch sind, soviel auch gelacht wird, höre ich von Verkäufern und Gästen immer wieder, dass die Besuche auch pädagogisch wertvoll sind, zur Aufklärung beitragen, Hemmungen abbauen. Viele Gäste kommen wieder.

Oft habe ich mich gefragt, warum nicht längst ein Mitarbeiter per Buch aus dem Nähkästchen geplaudert hat. Aber ob es jedem so gelingen würde wie Candy Bukowski? Sie hat einen guten Blick für Geschichten und sich trotz aller Abgründe, Absurditäten und Albernheiten einen wertschätzenden Blick für die Menschen vor der Verkaufstheke bewahrt.

Ich habe jedenfalls beim Lesen oft gelacht, aber – wer hätte das gedacht – genauso viel gelernt: Das Buch ist nicht nur Nachhilfe für die Lachmuskeln, sondern auch für „untenrum“. Danke, Candy!

Olivia Jones ist der bekannteste und erfolgreichste Paradiesvogel auf St.Pauli. Trotz ihrer vielen Jobs als Gastronomin, Unternehmerin und St. Pauli ›Fremdenführerin‹ ist sie ein Star zum Anfassen geblieben. Die Grünen schickten sie als Wahlmann/-frau nach Berlin, für ihr gesellschaftspolitisches Engagement wurde sie mit dem Ehren-Pride-Award ausgezeichnet.

Das wichtigste Organ sitzt zwischen den Ohren

Ein Gastbeitrag von Lilo Wanders

„Die besten Dinge im Leben sind ja oft unten, und deshalb gehen wir jetzt ins Tiefparterre.“ Mit dieser Ansage führe ich meine Besuchergruppe vorbei am freundlich grüßenden Türsteher in die hell erleuchtete Boutique Bizarre. Seit etlichen Jahren schon zeige ich an manchen Sommersamstagen Touristen, und allen anderen, die ihn kennenlernen wollen, meinen Kiez von St. Pauli.

Ein Höhepunkt des Rundgangs ist der Abstecher in Europas größten Sexshop an der Reeperbahn. Hier findet sich auf zwei Etagen alles, was der Lust zuträglich sein kann: von der aufreizenden Corsage bis zur elektronischen Masturbationshilfe in vielerlei Formen, Farben und Größen; von Accessoires für die Fantasie von einer Nonne in Latex oder Leder, wechselnde Kunstausstellungen, von denen manche so deftig geraten, dass selbst ich erröte, bis zu Unterricht in Bondage-Techniken. Alles ist denkbar, alles ist möglich – jedem Tierchen sein Pläsierchen. Was total in Ordnung ist, solange alle Beteiligten bei klarem Verstand sind und wissen, was sie tun.

Im Basement hat mein Tourbegleiter Harry inzwischen mein Köfferchen mit ausgesuchten Sexspielzeugen auf einem Bistrotisch platziert, und ich präsentiere den Besuchern die mehr oder weniger ausgefallenen Toys, die dann von Hand zu Hand wandern dürfen. Von andächtigem Schweigen bis zu schrillen Juchzern („Den hab ich auch!“) – keine Reaktion der Gäste ist vorhersehbar und ergibt sich immer aus der Zusammensetzung der Gruppe. Schön war die Begeisterung der 86-jährigen Pastorenwitwe über ein von Batterien betriebenes Rad mit zehn Silikonzungen, die mit drei Geschwindigkeiten vorwärts, rückwärts und sogar mit Intervallschaltung rotierend die Richtung wechseln: „Jetzt zeig mir mal einen Menschen, der das alles kann!“

Harry und ich warten, bis alle Produkte wieder bei mir angelangt sind und für die nächste „Tour de Wanders“ im Koffer verstaut werden können. Jetzt noch ein paar Fotos zur Erinnerung, einige Worte gewechselt mit den ausnehmend netten Verkaufskräften, und weiter geht es in die Nacht von St. Pauli …

So ist das mit meinem persönlichen Köfferchen in der Boutique Bizarre. Aber was viel wichtiger ist und was ich geradezu missionarisch gerne verbreite: Das wichtigste Organ sitzt zwischen den Ohren. Ich meine das Hirn, gekoppelt mit dem Mund. Sie müssen im Bett reden, reden, reden. Sagen, was gefällt, sagen, was nicht gefällt. Wünsche, Gefühle. Das ist wichtig.

„Wenn wir lieben, glauben wir entweder, wir werden nie wieder traurig sein, oder wir sind so wund, dass wir keinen Schritt mehr laufen können. Bei mir ist es immer beides. Von Sex ist die Rede, meine Lieben, mein Name ist Lilo Wanders“ – mit diesem frechen Satz habe ich 1994 die erste Sendung von „Wa(h)re Liebe“ im TV eröffnet und meine Überzeugung hat sich seitdem nicht verändert. Wer mich im Fernsehen gesehen hat oder heute auf der Bühne erlebt, müsste zu der Erkenntnis kommen, holla, wir können uns auch mal über Sex unterhalten. Sex ist was Schönes, Sex macht Spaß.

Und da ist es ganz wunderbar, dass mit diesem Buch auch mal jemand den großen Koffer direkt aus dem Sexshop öffnet und jeder einen tiefen Blick hineinwerfen kann. Der tut nicht weh, kann einen auf der Suche nach dem Glück aber ein gutes Stück weiterbringen. Und für all jene, die schon alles kennen: es ist doch sehr befreiend zu erfahren, dass man nicht das einzige Ferkel auf der Welt ist.

Lilo Wanders ist eine Institution in Sachen Liebe, Sex, Erotik und Partnerschaft. Schließlich flimmerte ihre TV-Show „Wa(h)re Liebe“ zehneinhalb Jahre lang gespickt mit allerlei Erkenntnissen in die Wohn- und Schlafzimmer. Seitdem tourt sie mit Programmen wie „Sex ist ihr Hobby“ durch die Lande.

(M)ein Bildungsauftrag bei sexuellen Intoleranzen

Ein Gastbeitrag von Eve Champagne

Wenn man in der Boutique Bizarre arbeitet, hat man einen harten Bildungsauftrag. Es ist unglaublich, dass jeder weiß, was er sich gerne oral an Köstlichkeiten reinschiebt. Jeder kennt seine Allergien und Intoleranzen ganz genau, aber vaginal und anal wird es düster. Leute, das ist doch eine Schande. Beides macht nicht nur satt, sondern verdammt lebendig. Und wenn euch Nüsse entweder umhauen oder anheizen, dann müsst ihr das doch wissen. Oben wie unten, hey, es ist euer Körper und euer Spaß!

Und auch wenn der Bildungsauftrag lustig klingt, er ist wirklich ernst gemeint. Wir leben und arbeiten hier auf dem Kiez, weil wir uns dafür entschieden haben. Nicht, weil wir nur spaßige Dinge mögen, täglich auf den Tischen tanzen und nichts anderes können, als Dildos unter die Leute zu bringen. Jeder hier ist ein kluger Kopf und ein Mensch mit einem großen Bedürfnis nach Freiheit. Ob wir Touristen unsere schrägsten Kiez-Ecken zeigen, im Show Club mit dem Hintern wackeln oder uns in der Boutique Bizarre um eure Beziehungshygiene kümmern: was wir da tun, entspricht unserer echten Überzeugung. Unserem gewählten Leben, das von dem Job kaum zu unterscheiden ist. Wir leben, was und wer wir sind. Und wenn wir euch unterhalten, stecken wir euch auch mit etwas von uns an. Mit freieren Gedanken und verwegenen Ideen. Ihr nehmt was mit vom Kiez und wir hoffen, dass immer auch ein Stück Mut dabei ist, über den eigenen Schatten zu springen und wirklich lustvoll zu leben. Mit einem Partner, drei, fünf oder als Single – völlig egal. Hauptsache, es ist genau euer Ding.

Candy Bukowski ist eine heterosexuelle, gebildete Frau, die in ihrem Buch intime Weitblicke, nicht nur zur schönsten, sondern hier auch skurrilsten Nebensache der Welt, zusammengetragen hat. Eine Hommage an die Vielschichtigkeit und das Selbstverständnis der unendlichen Spielarten der Liebe und ihrer Liebenden. Falls ihr diese noch nicht sein solltet, werdet dazu. Kaum etwas anderes könnte sich mehr für euch lohnen.

Wir sehen uns auf St. Pauli!

Eve Champagne

Eve Champagne ist Hamburgs »Queen of Burlesque«. Als Tochter eines polnischen Seemanns und einer Mutter aus gutem Hause ist sie in beiden Extremen zu Hause. Egal ob dunkle Spelunke oder schicker Yachthafen. Inzwischen ist sie nicht nur eine der schillerndsten Gastgeberinnen in »Olivias Show Club« und beliebter Kieztour-Guide, sondern wird – ganz offiziell durch die Stadt Hamburg – international als St.Pauli-­Repräsentantin entsendet.

Anstatt eines Vorwortes: Jedem seinen Thermomix!

Ein seriöses Mittfünfziger-Paar, das seit geraumer Zeit völlig entspannt seine Runden durch den Laden dreht und interessiert guckt, steht vor der Vitrine mit den ausgestellten Fick-Maschinen. Unterschiedliche Modelle sind dort zu finden, alle funktionieren nach demselben Prinzip: Mensch kann sich davor hocken oder legen und kommt dank ausgeklügelter, motorisierter Leistung in den Genuss, sich realitätsnah durchvögeln zu lassen. Nach einiger Zeit begutachtenden Schweigens, entspinnt sich ein ruhiges Gespräch mit einigen Pausen zwischen den beiden. Die Dame macht den Anfang:

„Das ist – speziell …“

„Oh ja. Dass es so etwas gibt, hätte ich nicht vermutet.“

„Es ist auf jeden Fall – bemerkenswert.“

„Das Ding hat Ausdauer … da gäbe es keine Beschwerden mehr – von wegen zu schnell oder zu kurz.“

„Pah. Als ob ich jemals … das Ding läuft über einen Netzstecker … das kann endlos …“

„Genau das stelle ich mir gerade vor: du und dieses Ding, bis du aufgibst.“

„Na hör mal. Das ist eine Maschine. So ein kaltes Gerät kann doch niemals einen Menschen ersetzen …“

„Das, meine Liebe, hast du vom sündhaft teuren Thermomix auch behauptet. Und jetzt willst du ihn nicht mehr hergeben.“

Herzlich willkommen im Sexshop!

Was für ein großartiges Pärchen, oder? Für diese Erlebnisse liebe ich meine Kunden. Immer und immer wieder. Völlig nebensächlich, ob die beiden nun tatsächlich auf den Geschmack an diesem sehr speziellen Spielzeug kamen, oder auch nicht. Sie sind einfach ein wundervolles Beispiel für eine offene, tolerante Lebensart. Seine Hand liegt auf ihrem Po, beide gehen liebend und humorvoll mit dem anderen um, sie sind neugierig und interessiert und haben noch Sex miteinander. Besser geht es nicht.

Der überwiegende Teil der vielen Besucher eines Sexshops gehört zu dieser sympathischen Gruppe unaufgeregter Normalos. Menschen wie du und ich, jeder nach seinem Geschmack, mit Vorlieben und Abneigungen, Gos und No-Gos. Aber alle zusammen sind glücklich im 21. Jahrhundert angekommen. Klar besucht man einen Sexshop! Warum auch nicht? Da ist es inzwischen schick und edel, das olle Schmuddel-Image gehört der Vergangenheit an. Außerdem ist doch nichts Schlimmes dabei, da geht heute doch jeder hin, oder?

Nun ja, fast alle. Darin sind sich wiederum alle einig. Eigentlich könnte der unbeschwerte, offene Umgang mit unserer Sexualität total unkompliziert sein. Wenn da nur nicht immer die anderen wären:

„Toller Laden! Nach solch einem haben wir lange gesucht. Dort wo wir herkommen, naja, da ticken die Uhren noch ganz anders. Die meisten wären fassungslos, wenn sie wüssten, womit wir uns hier so eindecken und zuhause dann Spaß haben.“

„Witzig, das sagen eigentlich fast alle. Vielleicht ist es inzwischen so, dass jeder das über den anderen denkt, aber eigentlich die meisten selbst recht locker damit wären.“

„Oh nein. Du kennst unser konservatives Umfeld nicht. Glaub mir, da würden Welten einstürzen. Wir sind Geschäftsleute, führen ein Familienunternehmen in einer Kleinstadt, wir können es uns nicht leisten mit Sex-Themen auch nur ansatzweise in Verbindung gebracht zu werden. Traurig, aber wahr. Dafür genießen wir unsere speziellen Hamburg-Trips umso mehr.“

Nun, offen gesagt: sie kommen fast alle. Die einen, weil sie etwas Konkretes suchen oder sich beraten lassen möchten. Die anderen, weil sie gerade vorbeischlendern, Zeit für etwas Abwechslung haben oder sich inspirieren lassen möchten. Manche lieben das Ambiente und fühlen sich dabei ein wenig verwegen. Und wieder andere halten speziell dieses Haus für ein Hamburger Skurrilitäten-Kabinett oder eine Art abgefahrenes Museum und möchten zuhause etwas zu erzählen haben. Alle zwischen 18 und 90 Jahren. Minderjährige stoppen wir bereits an der Tür oder diskutieren nicht selten mit ihren Eltern, die tatsächlich der Meinung sind, ihre Begleitung würde das Jugendschutzgesetz außer Kraft setzen. Auch das kommt vor.

Unbestritten sei aber auch: Hinter der Tür eines Sexshops begegnet man einer bunten Welt voller Gegensätze. Für die einen bedeutet dieser Besuch tatsächlich immer noch die verwegene Gefahr, sich mit ganz üblen Schmuddel-Viren infizieren zu können. Andere fühlen sich nirgendwo gesünder und lebendiger, als in einem lustvollen No-Limit-Rahmen, der kaum einen Wunsch unerfüllt lässt.

Im breiten Mittelfeld finden sich unterhaltsame, skurrile, sehr witzige, aber auch berührende Geschichten von Menschen, die den Schritt wagen und ihrer persönlichen Lust entgegengehen. Manchmal zwei Schritte vor und einen zurück, manchmal erschrocken vorbei an einer martialisch wirkenden Vollgummimaske. Einige sind im Stechschritt wieder draußen, die meisten bleiben und entdecken orgiastische Glücksbringer, teilweise sogar eine faszinierende, neue Sexualität.

Meine Kollegen und ich begleiten jährlich hunderttausende Besucher auf dem Weg durch ihre Nächte und erfahren intime Dinge, die sie oft nicht mit anderen zu teilen bereit sind, manchmal kaum mit ihrem eigenen Partner. Wir treffen auf Menschen jeden Alters, aus allen Kulturkreisen und Gesellschaftsschichten. Wir bauen Vertrauen auf und Hemmungen ab, nehmen Scham, schenken Verständnis, lassen uns hin und wieder beschimpfen oder erfreuen uns ebenso emotionaler Dankbarkeit.

Manchmal fungieren wir als Dompteure betrunkener Kiezgruppen und, man mag es kaum glauben, oftmals sind wir diejenigen, die auf etwas mehr Niveau bestehen, wenn dem ein oder anderen Kunden die ungewohnte Umgebung allzu sehr als Einladung erscheint, endlich mal die Sau he­rauszulassen. Es gibt tatsächlich kaum etwas, das wir in unserem beruflichen Alltag noch nicht erlebt hätten. Eine Frage, die uns immer wieder mit verschwörerischem Blick gestellt wird und die wir guten Gewissens mit einem lachenden „JA“ beantworten können.

Schließlich geht es um nicht weniger, als um die schönste Sache der Welt. Dass sie so überhaupt keine Nebensache ist, wird sich im Laufe dieses Buches noch oft zeigen. Sex ist wichtig. Unheimlich wichtig. Er ist ein starker Kitt jeder wirklich guten Partnerschaft und Ehe, die natürlich aus sehr vielen wichtigen Bausteinen besteht. Schade nur, dass exakt diese Bausteine ihren festen Halt verlieren, wenn der Kitt bröckelt oder bereits verloren gegangen ist. Abgenutzt und vom Alltag abgetragen, das alte Spiel der Gewöhnung, die Sollbruchstelle der Liebe, die Lieblosigkeit eben nicht akzeptiert. Das alles klingt auch ein wenig nach einer Sprechstunde beim Psychologen? Ja, ich bekenne mich schuldig. Das wird sich hier nicht ganz vermeiden lassen, weil Erlebnisse im Sexshop ganz viel mit Psychologie zu tun haben.

Liebenswerte Menschen und ihre Geschichten, berührende, schräge, wilde, zauberhafte. Menschen, für die man eine Menge Respekt empfindet und andere, deren Verhalten nur reine Höflichkeit verdient. Menschen auf der Suche, Menschen auf Abwegen. Männer und Frauen mit selbstverständlicher, positiver Sexualität. Und sehr viele, die sie längst vergessen oder noch nie wirklich entdeckt haben. Auch die Sehnsüchtigen, die Heimlichen und Hoffnungsvollen. Meine Kollegen und ich, wir kennen sie alle.

Das Schöne und Unterhaltsame ist allerdings, dass sich die große Vielfalt von Sexshop-Besuchern in unterschiedliche Typen kategorisieren lässt. Nicht bierernst, aber bei aller Individualität passt fast jeder irgendwie in eine der vielen Schubladen, aus denen uns täglich immer wieder ähnliche Erlebnisse wie lustige Springkasper entgegen hüpfen.

Der geneigte Leser wird sich selbstverständlich erst in einem der hinteren Kapitel „Menschen wie du und ich“ wiederfinden. Logisch. Das ist so klar wie ein schwarzer Balken über Facebook-Nippel-Fotos. Anders sind vorwiegend die anderen. Sie können also völlig beruhigt sein und sich entspannt zurücklehnen, während Sie über all die anderen schmunzeln.

Was ich Ihnen leider nicht bieten kann, ist eine neutrale Tüte. Weil es nichts zu verstecken gibt. Nichts, wofür man sich schämen müsste. Es ist keine Peinlichkeit, Sex-Toys zu kaufen, zu besitzen, zu nutzen. Im Gegenteil: Oftmals ist es die beste Idee, die man für sich selbst und/oder seinen Partner haben kann. Auch diesen Beweis wird dieses Buch antreten. Es ist nur peinlich, darüber zu lachen oder sich damit verstecken zu wollen.

Keine neutrale Tüte. Wir sind diskret, aber wir verstecken uns nicht. Weil wir unsere edlen Tragetaschen ebenso gut finden wie den Job, den wir hier machen. Nicht in irgendeinem kleinen, unscheinbaren Hinterzimmer-Kabuff. Sondern in der Boutique Bizarre, dem größten und namhaftesten Erotik-Kaufhaus Europas. Strahlend weiß und hell erleuchtet, mitten auf der Reeperbahn: im Herzen von St. Pauli.

Fühlen Sie sich herzlich eingeladen, einige kurzweilige Stunden hier zu verbringen und in durchweg wahren Geschichten zu stöbern. Denn auch wenn Lust und Sex es auf der Liste der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen ganz weit nach oben geschafft haben, gar nicht so wenige Menschen im Sexshop befinden sich in einer Extremsituation. Für viele scheint das immer noch ungeheuer spannend oder beschämend zu sein. Und dann gibt es noch die, die es sehr viel Überwindung kostet ihren bewussten Plan umzusetzen, das sind fast die Liebenswertesten. Diese Menschen gibt es. Mehr als man denkt, und mit Plänen, die es in sich haben.

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Singles, Aufreißer & echte Hoffnungsträger

1.1

Von Porno-Ping-Pong, Sex-Shop-Bingo und anderen Wirrungen

Wer würde sich besser für einen ersten Gang durch den Sexshop anbieten als die wahrhaftig Verwegenen, die ungebundenen Super-Tinder-Singles, die totalen Hoffnungsträger für den künftigen Beziehungsmarkt schlechthin?

Die einen suchen, die anderen lassen sich lieber finden, manche grasen die gesamte, weite Wiese der ungebundenen Möglichkeiten ab und finden dennoch kaum ein grünes Blatt, das ihnen lecker genug erscheint, um nicht schon wieder paralysiert auf die andere Seite des Zauns zu starren. Eines verbindet Singles auf jeden Fall: Testosteron- oder Östrogenspiegel sind enorm hoch und verlangen nach Befriedigung. Nach kurzfristigem Durchatmen bevor der Zeiger der unerschöpflichen Geilheits-Skala schon wieder nach oben schnellt.

Kein Mensch wird sich wundern, engagierte Singles in einem Sexshop vorzufinden. Weit fehlt allerdings derjenige, der sie vorwiegend beim Kauf von Pornos vermutet, diese streamt sich Generation-Y zur entspannenden, rechtshändigen Nutzung lieber direkt aus dem Internet.

In der Pornoabteilung ist der jung-dynamische Single allerdings dennoch zu finden. Wir zumindest finden ihn genau dort, oft in der Gruppe, immer lauter als es uns lieb ist und zwar bei einer der beknacktesten Freizeitbeschäftigungen seit es Sexshop-Wirrungen gibt: beim Porno-Ping-Pong.

Dahinter steckt die faszinierende Idee, sich gegenseitig die rückseitigen Covertexte der Porno-DVDs so lange ernsthaft vorzulesen, bis der erste lachend zusammenbricht und somit dieses Spiel verliert. Und verloren wird schnell und zuverlässig. Zugegebenermaßen entbehren diese Beschreibungstexte jeglichen intellektuellen Anspruchs: Schneeflittchen und die 7 Rammler, Buschige Bären, König der Mösen oder auch Der Fensterputzer mit dem harten Leder entspringen nicht meiner schmutzigen Fantasie, sondern der, der zielgruppen-affinen Marketing-Strategen. Aber man muss – um es mit dem Jugendslang meiner Tochter zu formulieren – schon sehr „hobbylos“ sein, um sich für ein solches Highlight bahnbrechender Abendgestaltung mit seinen Kumpels in einem Sexshop zu verabreden.

Wir Angestellten haben übrigens ein weitaus größeres Vergnügen dabei, uns an solch eine grölende Gruppe anzuschleichen, dem Wortführer von hinten lächelnd auf die Schulter zu tippen und ihm nach seinem erschrockenen Blick von unserem absoluten Lieblingsspiel zu berichten:

„Kennst du nicht? Das ist Sexshop-Bingo. Wer als nächster sagt ‚aber ich wollte doch nur‘, muss leider gehen.“

„Äh, aber ich wollte doch nur …“

„Bingo!“

Das wirkt immer und sorgt für ein Überraschungs­moment. Ganz wichtig ist es natürlich, dann unbedingt das Lächeln zu halten, mit einer sympathischen Kopfbewegung Richtung Tür zu weisen und dabei wortlos zu nicken, auch wenn natürlich kein Rauswurf erfolgt. Sexshop-Bingo ist unser aller Lieblingsspiel und es lässt sich in jeder Abteilung, zugeschnitten auf Sortimentskategorien, fabelhaft umsetzen. Besonders im Fetisch-Bereich könnten wir in den Wochenendnächten alle zehn Minuten einen Bingo-Gong schlagen. Denn irgendeine saubere Viererreihe ergibt sich jederzeit aus den allseits beliebten Rufen:

1 „Alter Falter! Das hast du noch nicht gesehen!“

2 „Hilfe, ich brauche jetzt erstmal eine Therapie!“

3 „Hey man, Fifty Shades of Grey, man!”

4 „Das ist doch echt pervers!“

5 „Schuhe! Da gibt es Schuhe!“

6 „Aua, das muss doch wehtun!“

7 „Boah ist das krank, eh!“

8 „Also wenn ich so weit bin, Alter, dann erschieß mich!“

Ja, der gerade erwachsen gewordene Single im Gruppenmodus gehört unbestritten zu den rundum reflektierten Überfliegern der frisch eroberten Erotik-Galaxie. Wobei er an anderer Stelle, also fernab der Fetisch-Abteilung, interessanterweise oft eine recht aufgeschlossene Affinität zu Dingen an den Tag legt, die er laut Mutter Natur noch lange nicht nötig hätte.

Insbesondere junge Rumänen und Araber – von uns aufgrund des Produktwunsches liebevoll Goldmäxchen genannt – haben ein bevorzugtes Interesse an Pillen und Tinkturen.

„Hast du Cobra? Hast du Kamagra? Hast du Supergold? Was kostet? Dreizehnfuchzig? Machst du Neun!“

So lautet eine weniger geflügelte, als offensive Aufforderung, die wir täglich mehrfach hören. Gewünscht sind dann rezeptfreie und freiverkäufliche Pendants zur blauen Pille Viagra, die den Blutfluss im Penis erhöhen und somit für Männer mit Erektionsproblemen wirklich eine gute Hilfe darstellen. Völlig überflüssig für Testosteronbolzen, denen bereits die Aussicht auf eine willige Frau fast die Hose sprengt, aber die Vorstellung einer stundenlangen Master-Erektion scheint hier ein wenig die Sinne zu vernebeln. Außerdem sind viele Goldmäxchen überzeugt davon, ihr Penis würde durch die dauerhafte Einnahme von Kamagra noch etwas wachsen. Aber Männern und ihrem besten Stück war noch selten mit Logik beizukommen.

Es könnte sich bei den hoffnungsvollen Singles aber auch um Exemplare der verspielten, menschlichen Welpen handeln, die besondere Produkte testweise in die Hand nehmen, die wir nicht explizit gesichert, festgebunden oder hinter Glas gesperrt haben. Besonders große Dildos eignen sich ganz hervorragend, um sie sich gegenseitig als Mikrofon vor den Mund zu halten, um dann ein spontanes, unglaublich witziges Interview mit dem Smartphone aufzunehmen und das Video pronto ins Netz zu stellen.

Über die kleinen Fauxpas, die besonders uns Verkäufer amüsieren, gibt es leider selten Beweise für die Nachwelt. Was sehr schade ist, denn sie wären wirklich sehenswert.

Doch kein Mensch filmt mit, wenn in einer bestimmten Ecke des Ladens erst sehr lautes Lachen, dann mehrfaches metallenes Klicken und schließlich raumfüllendes Schweigen zu hören ist. Diese Stille, die nach kurzer Zeit in schuldbewusstes, leises Wimmern mit der Bitte um Hilfe übergeht. Dann, wenn einer aus der Superhelden-Gruppe sein Handgelenk unbedingt in ein Paar der vielen, von der Wand baumelnden Handschellen stecken musste und clever genug war, anschließend die Arretierung komplett zu schließen. Dann hängen sie da und schauen schuldbewusst.

Zum Glück gibt es dann ziemlich nettes Personal, das den passenden Schlüssel aus der Schublade zaubert und ihn bei jedem der unterschiedlichen Modelle auch einzusetzen weiß. Fast schon wieder liebhaben muss man diese wilden Jungs allerdings, wenn sie mit erlebter Befreiung unverlangt charmante Einsicht zeigen.

„’Tschuldigung, der Alkohol hat uns ein bisschen böse gemacht“, war das netteste Statement, das ich von einer Gruppe junger Dänen einmal hören durfte.

„Alles gut, Jungs, Hauptsache ihr habt Spaß. Zuhause wäre das mit einem Schlüsseldienst teuer geworden.“

Was will man auch anderes sagen? Sie spielen halt so gern.

399
649,02 ₽
Возрастное ограничение:
0+
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182 стр. 4 иллюстрации
ISBN:
9783862826995
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
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