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Читать книгу: «Moderne Geister»

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Vorwort

Es ist bekannt, wie zu Anfang dieses Jahrhunderts mehrere hervorragende Dänen das Bürgerrecht in der deutschen Litteratur zu erwerben gesucht haben. Seitdem ist der Versuch von keinem dänischen Schriftsteller mehr wiederholt worden. Ganz zu geschweigen von der politischen Spannung zwischen Deutschland und Dänemark, sind jene Beispiele theils nicht verlockend, theils nicht massgebend gewesen. Der grosse Neugestalter der dänischen Sprache, Oehlenschläger, legte dem deutschen Publikum seine Arbeiten in einem Deutsch vor, das so völlig allen Reizes entbehrte, dass er es hier zu Lande nur zu dem Ansehen eines Dichters dritten Ranges brachte. Die Erfolge aber, welche geringere Geister, die Baggesen und Steffens errangen, waren bei dem Einen durch eine wahre Chamäleonsnatur und ein in seiner Art einziges Sprachtalent, bei dem Zweiten durch die vollständige Lostrennung von der Muttersprache bedingt.

Der Verfasser dieses Buches, der durchaus kein Chamäleon ist und seine Muttersprache keineswegs aufgegeben hat, vielmehr mitten in der litterarischen Bewegung steht, welche die nordischen Länder seit einiger Zeit erfasst hat, weiss recht wohl, dass der Mensch nur da wo er geboren, wo er durch und für die Verhältnisse gebildet ist, erheblichen Einfluss ausüben kann. Er hat auch nicht den Ehrgeiz, ein deutscher Schriftsteller im eigentlichen Sinne sein zu wollen. In dem vorliegenden Buch, wie in anderen Schriften, ist seine Absicht einfach die gewesen, in deutscher Sprache für Europa zu schreiben, d. h. seine Stoffe anders zu behandeln als er es für ein bloss skandinavisches Publikum thun würde. Er verdankt der Poesie, der Philosophie und der systematischen Aesthetik Deutschlands unendlich viel, da er sich aber speciell als Kritiker nicht als Schüler der deutschen Litteraturhistorie fühlt, so gibt er sich der Hoffnung hin, einen wenn auch kleinen Theil seiner Schuld an Deutschland abtragen zu können.

Die Aufsätze, aus welchen dieser Band besteht und von denen auch die bereits früher in Zeitschriften veröffentlichten eine Umarbeitung erfahren haben, sind nicht als „Spähne aus der Werkstatt“ eines Kritikers zu betrachten, es sind sorgfältig behandelte litterarische Portraits, welche durch ein geistiges Band verbunden sind. Allerdings lässt sich eine lebendige Gegenwart noch nicht übersehen wie eine fertige, vergangene Epoche, aber vielleicht liefert man auch von der Gegenwart ein Bild im Ganzen und trifft ihre Gesammtphysiognomie, wenn man einige ihrer typischen Gestalten so treu und lebhaft wie möglich charakterisirt.

Die Behandlungsweise ist in diesen Essays sehr verschiedenartig. In einigen wird die Individualität des Schriftstellers möglichst erschöpfend dargestellt, in anderen wird nur versucht, den Menschen, wie er leibt und lebt, dem Leser vor Augen zu führen; einige sind rein psychologisch, andere bieten ein Stück Aesthetik, wieder andere sind vorzugsweise biographisch und geschichtlich. In allen enthält die Charakteristik der einzelnen Gestalt allgemeine Ideen.

Auch die geschilderten Persönlichkeiten sind sehr verschiedener Art. Sie gehören nicht weniger als sechs Nationalitäten an. Allen gemeinsam ist jedoch ein Etwas, das sich leichter empfinden als definiren lässt: es sind moderne Geister. Ich will damit nicht sagen, dass sie alle ohne Ausnahme mit vollem Bewusstsein und von ganzem Herzen dem „Modernen“ in Kunst und Ideen gehuldigt haben, sondern nur, dass sie, wenn auch in sehr ungleichem Grade – was für den Beobachter den Reiz erhöht – die moderne Geistesart vertreten.

Berlin, im October 1881.

Die in der Vorrede zur ersten Auflage dieses Buches ausgesprochene Hoffnung, man möge dem Verfasser, obwohl einem Fremden, in der deutschen Litteratur einen kleinen Platz einräumen, hat sich seitdem insofern erfüllt als er in den deutsch lesenden Ländern ein Publikum gefunden hat. Nur mischt sich für ihn viel Bitterkeit in diese Freude. Der Umstand, dass die dänische Regierung sich fortwährend weigerte, der Berner Convention beizutreten, hatte für ihn die Folge, dass die meisten Bücher, die mit seinem Namen versehen in der deutschen Sprache existiren, nur in grober Verunstaltung durch gewissenlos besorgte Privatausgaben vorliegen, die seine eigenen Ausgaben aus dem Markte vertrieben haben. Es ist für den Schriftsteller gewiss nicht angenehm, des äusseren Lohns für seine Arbeit beraubt zu werden; viel schlimmer ist es jedoch, diese Arbeit selbst von Pfuscherarbeiten, die seinen Namen tragen, verdrängt zu sehen.

Schon seit einigen Jahren ist die zweite Auflage dieses Buches ausverkauft gewesen. In den fünfzehn Jahren, die vergangen sind, seit es zum ersten Mal erschien, hat sich Manches verändert, und die Geister, die damals noch als modern betrachtet werden mussten, können kaum mehr so genannt werden. Ihr Werth hängt jedoch nicht davon ab, ob neuere Geister und Richtungen seither entstanden sind, und der Autor hat gethan was er vermochte, um Mangelhaftes zu berichtigen, Undeutliches zu verschärfen und Fehlendes zu ergänzen. So ist das Buch genau durchgesehen, bedeutend vergrössert und erheblich verbessert worden.

Kopenhagen, im November 1896.

Die vierte Auflage ist noch einmal besonders mit Bezug auf die Sprachform durchgesehen und die beiden letzten Aufsätze nicht wenig vermehrt worden.

Kopenhagen, im November 1900.

Georg Brandes.

Paul Heyse.
(1875.)

Woher kommt es, fragte ich neulich einen ausgezeichneten Portraitmaler, „dass Sie, der Sie früher mit Erfolg sich in mehreren andern Kunstfächern versucht haben, zuletzt sich ganz auf das Portrait beschränkten?“

„Ich glaube daher,“ antwortete er, „weil es mich am meisten ergötzt, so ein Ding, das nie dagewesen ist und nie wieder kommen wird, zu studiren und festzuhalten“.

Er schien mir mit diesen Worten schlagend das Interesse zu bezeichnen, das Einen zu der einzelnen Persönlichkeit, der innern wie der äussern, hinzieht. Auch für den Kritiker ist das Individuum ein besonders verlockender Gegenstand; auch für ihn ist die Ausführung eines Portraits eine seltsam fesselnde Beschäftigung. Leider stehen seine Mittel nur allzusehr hinter denen des Malers zurück. Was kann schwieriger und vergeblicher sein, als das rein Individuelle in Worten ausdrücken zu wollen – das, was seiner Natur nach jeder Wiedergabe durch Worte spottet! Ist die Persönlichkeit in ihrem ununterbrochenen Flusse nicht das wahre perpetuum mobile, das sich nicht construiren lässt?

Und doch reizen und locken diese unlöslichen Aufgaben Einen immer auf's neue. Wenn man allmählich mit einem Schriftsteller vertraut geworden ist, sich in seinen Schriften frei bewegt, dunkel fühlt, dass gewisse Charakterzüge bei ihm die andern beherrschen, und dann von Natur einen kritischen Hang hat, so lässt es Einem keine Ruhe, bevor man sich selbst über seinen Eindruck Rechenschaft gegeben und sich das undeutliche Bild eines fremden Ich, das sich in unserm Innern gebildet, klar gemacht hat. Man hört oder liest Urtheile über einen Schriftsteller und findet sie albern. Warum sind sie albern? Andere Aeusserungen über ihn dünken uns halbwahr. Was fehlt ihnen, um völlig wahr zu sein? Ein neues grosses Werk von ihm erscheint. Wie ist es von den früheren schon vorbereitet? Man wird fast neugierig, zu erfahren, wie man selbst sein Talent charakterisiren würde – und man befriedigt seine Neugier.

I

Wer einen Blick auf die lange Reihe enggedruckter Bände wirft, die Paul Heyse's gesammelte Werke bilden, und sich erinnert, dass der Geburtstag des Verfassers in das Jahr 1830 fällt, wird vermuthlich zuerst ausrufen: Welcher Fleiss! Unwillkürlich wird er diese staunenswerthe Productivität auf eine Willenskraft von seltener Ausdauer zurückführen. Nichts desto weniger entstammt sie einer selten glücklichen Natur. Diese Natur war an und für sich von so üppiger Fruchtbarkeit, dass sie, ohne Willensanspannung oder Kraftanstrengung ihre Ernte geliefert hat; sie hat sie so mannigfach geliefert, dass man glauben möchte, sie sei nach einem bestimmten Plane und mit sorgsamem Willen gepflegt worden; es war ihr jedoch augenscheinlich vergönnt, völlig frei zu walten. Die Natur walten, „sich gehen zu lassen“,1 das war, wie man fühlt, von Anfang an Heyse's Wahlspruch, und so kommt es, dass er mit Eigenschaften, die zu einer zerstreuten, spärlichen und fragmentarischen Production zu führen pflegen, jedes Unternehmen vollendet und abgerundet, dass er lyrische und epische Gedichte, ein grösseres Epos (Thekla), ein Dutzend Dramen, mehr als fünfzig Novellen, und zwei grosse Romane geschrieben hat. Er begann frühzeitig, schon als Schüler trat er seine literarische Laufbahn an. Und sorglos wie ein Fusswanderer, sein Lied vor sich hinpfeifend, nie sich übereilend, aus jeder Quelle trinkend, stillstehend vor den Sträuchern am Wege, und Blumen wie Beeren pflückend, im Schatten ausruhend und im Schatten wandernd, hat er nach und nach eine Bahn durchschritten, die nur möglich scheint, wenn man das Auge bei athemlosem Marschiren fest auf das Ziel heftet.

Die Stimme, der Heyse als Schriftsteller folgt, ist unzweifelhaft die Stimme des Instincts. Nichts liegt ihm, obwohl er Norddeutscher ist, ferner als Instinctlosigkeit und Absichtlichkeit. Obgleich in Berlin geboren, fasst er in München Wurzel und findet in der vollblütigen süddeutschen Race und dem säftereichen süddeutschen Leben die Umgebungen, die mit seiner Anlage übereinstimmen; obgleich in Süddeutschland zu Hause, fühlt er sich immer nach Italien hingezogen, wie nach dem Lande, wo die Menschenpflanze ein von der Reflexion noch weniger gestörtes, schöneres und üppigeres Wachsthum erreicht hat, und wo die Stimme des Blutes am klarsten und stärksten spricht. Diese Stimme ist die Sirenenstimme, die ihn lockt. Natur! Natur! klingt es in seinem Ohre. Deutschland hat Schriftsteller, die fast instinctlos scheinen, und die nur ein kräftiger norddeutscher Wille zu dem, was sie geworden, gemacht hat (wie Karl Gutzkow z. B.), andere (wie Fanny Lewald), deren Werke vor Allem das Gepräge eines kräftigen norddeutschen Verstandes tragen. Nicht wollend oder überlegend, sondern seinem inneren Drange folgend, schafft und formt Heyse seine Werke.

Es ist für manchen Dichter eine Versuchung, dem Leser ein etwas anderes Bild von sich, als das wirkliche, mitzutheilen. Er stellt sich gerne als das, was er zu sein wünschte dar, in früheren Tagen entweder als empfindsamer oder melancholischer, in neuerer Zeit bisweilen als erfahrener oder kälter oder rauher, als er ist. Mehr als ein ausgezeichneter Dichter scheut sich, wie Mérimée oder Leconte de Lisle, so sehr seine Gefühle zur Schau zu stellen, dass er umgekehrt dahin gelangt, eine Gefühllosigkeit an den Tag zu legen, die ihm nicht ganz natürlich ist. Man setzt eine Ehre darin, erst jenseits der Schneelinie, wo das Menschliche endet, recht frei und leicht zu athmen, und aus Verachtung derer, die dort unten das Mitleid der Menge in Anspruch nehmen, erliegt man der Versuchung, sich selbst zu einer Höhe emporzuschrauben, wohin nicht der Instinct, sondern der Stolz zu steigen gebietet. Für Heyse existirt diese Versuchung nicht. Er hat nie einen Augenblick sich in eine grössere Wärme oder Kälte als die, welche er empfand, hinein schreiben können oder wollen. Er hat sich nie geberdet, als ob er mit seinem Herzblut schreibe, wenn er ruhig als Künstler formte, und er hat sich geduldig darin gefunden, dass die Kritik ihm Mangel an Wärme vorwarf. Er hat auf der andern Seite nie, wie so viele von Frankreichs vorzüglichsten Schriftstellern, eine furchtbare oder empörende Handlung mit derselben stoischen Ruhe und in demselben Tone berichten können, mit welchem man erzählt, wo ein Mann von Welt seine Cigarren kauft oder wo man den besten Champagner erhält. Er strebt weder nach dem Flammenstil der feurigen Temperamente, noch nach der Selbstbeherrschung des Weltmanns. Im Vergleich mit Swinburne scheint er kühl, und im Vergleich mit Flaubert naiv. Aber der schmale Pfad, auf welchem er wandelt, ist genau derjenige, welcher ihm vom Instincte seines Innern, von dem rein individuellen und doch so complicirten Wesen angewiesen wird, das seine Natur ausmacht.

II

Die Macht, der man selbst als Künstler gehorcht, wird nothwendig die Macht, welche man in seinen Werken auf den Ehrenplatz erhebt. Daher verherrlicht Heyse als Schriftsteller die Natur. Nicht, was der Mensch denkt oder will, sondern was er von Natur ist, interessirt Heyse an ihm. Die höchste Pflicht ist für ihn, die Natur zu ehren und ihrer Stimme zu folgen, die wahre Sünde ist Sünde gegen die Natur. Man lasse sie gewähren und walten!

Es gibt darum nicht viele Schriftsteller, die so ausgeprägte Deterministen wie Heyse sind. An den freien Willen im überlieferten Sinne des Wortes glaubt er nicht, und steht augenscheinlich ganz ebenso skeptisch, wie sein Edwin oder Felix, Kant's kategorischem Imperativ gegenüber.2 Aber glaubt er auch nicht an angeborene Ideen, so glaubt er doch an den angeborenen Instinct, und dieser Instinct ist ihm heilig. Er hat in seinen Novellen geschildert, wie unglücklich sich die Seele fühlt, wenn dieser Instinct entweder gestört oder unsicher ward. In der Novelle „Kenne Dich selbst“ ist die Intelligenz, in der „Reise nach dem Glück“ die Moral der Friedensstörer.

In der ersteren Novelle hat Heyse die Qual dargestellt, welche aus einem zu frühen oder absichtlichen Eingreifen in das instinctive Leben der Seele hervorgeht. „Jene schöne Dumpfheit der Jugend, jene träumerische unbewusste Fülle, die reine Genusskraft der noch unerschöpften Sinne gingen dem jungen Franz über seinem vorzeitigen Ringen nach Selbstgewissheit verloren“.3 Er schildert hier die Schlaflosigkeit des Geistes, die ebenso gefährlich für die Gesundheit der Seele ist, wie wirkliche Schlaflosigkeit für das Wohl des Körpers, und zeigt, wie der Reflexionskranke „jenen heimlichen dunklen Kern verliert, welcher der Kernpunkt unserer Persönlichkeit ist“.

In der Novelle „Die Reise nach dem Glück“ ist es die herkömmliche Moral, welche durch Verdrängung des Instincts die Seele zersplittert hat. Ein junges Mädchen hat mit Ueberwindung ihres eigenen Herzenstriebes aus eingeprägten Sittlichkeitsrücksichten in später Nacht den Geliebten fortgewiesen und ist dadurch die unschuldige Ursache seines Todes geworden. Nun verfolgt die Erinnerung an dieses Unglück sie beständig. „Wenn Einem nicht das eigene Herz den Weg weist, läuft man immer in die Irre. Ich bin schon einmal elend geworden, weil ich nicht hören wollte, ob auch mein Herz noch so laut schrie. Jetzt will ich aufmerken, wenn es nur halblaut flüstert, und für alles Andere kein Ohr haben“. (G. W. V., 199.)

In dem Instinct ist die ganze Natur gegenwärtig. Ist nun die innere Zersplitterung, die dort eintritt, wo der Instinct seine leitende Kraft verloren hat, für Heyse das tiefste Unglück, so besteht umgekehrt für die Charaktere, welche er mit Vorliebe schildert, das Lebensgefühl, d. h. das tiefste Glücksgefühl, in dem Genusse der Ganzheit und Harmonie ihrer Naturen. Heyse ist natürlicherweise nicht geneigt, die Selbstreflexion ohne Weiteres als ein für das gesunde Lebensgefühl feindliches Princip anzusehen. Es scheint ungefähr seine eigene Ansicht zu sein, welche der Kranke in „Kenne Dich selbst“ mit den Worten ausspricht: ebenso angenehm, wie es ihm sei, in der Nacht aufzuwachen, sich zu besinnen und zu wissen, dass er noch weiter schlafen könne, ebenso herrlich scheine es ihm, sich aus traumhaften Glückszuständen aufzuwecken, sich zu sammeln, zu reflectiren und dann sich gleichsam auf die andere Seite zu legen und weiter zu geniessen. Wenigstens hat er in seinem Roman „Kinder der Welt“ Balder, den am idealsten angelegten Charakter des Buches, diesen letzten Gedanken noch gewichtvoller ausführen lassen. Schwermüthige Betrachtungen sind eben ausgesprochen worden, Betrachtungen über die Sonne, die gleichgültig über Ungerechte scheine und Gerechte und mehr Elend als Glück sehe, über die endlose, sich stets erneuernde Noth des Lebens u. s. w. Franzel, der junge socialistische Buchdrucker, hat eben entwickelt, wie der, welcher das allgemeine Loos der Menschen bedenke, am wenigsten im Stande sei zur Ruhe zu kommen, und hat in seinem Schmerz das Leben ein Unglück und eine Lüge genannt, als Balder ihm zu zeigen sucht, wie ein Leben, worin man zur Ruhe käme, überhaupt nicht mehr diesen Namen verdienen würde. Er erklärt ihm dann, worin der Lebensgenuss für ihn bestehe, nämlich darin, „Vergangenheit und Zukunft in Eins zu empfinden“. Höchst eigenthümlich hebt er hervor, dass er nicht geniessen könne, wenn er sich nicht ganz empfinde, und dass er in den stillen Augenblicken der Betrachtung alle die zerstreuten Elemente seines Wesens in einen Accord vereine. „So oft ich wollte, das heisst, so oft ich mir ein rechtes Lebensfest machen und mein bischen Dasein aus dem Grunde geniessen wollte, habe ich so zu sagen alle Lebensalter zugleich in mir erweckt, meine lachende, spielende Kindheit, wo ich noch ganz gesund war, dann das erste Aufglänzen des Denkens und der Gefühle, die ersten Jünglingsschmerzen, die Ahnung, was es um ein volles, gesundes Mannesleben sein müsste, und zugleich auch die Entsagung, die sonst nur ganz alten Menschen leicht zu werden pflegt“. Für eine solche Lebensauffassung ist das Menschenleben nicht in Augenblicke zerklüftet, die verschwinden und deren Verschwinden beklagt wird, auch nicht im Dienste sich gegenseitig widerstrebender Triebe und Gedanken zersplittert; für eine solche Fähigkeit, in jedem Augenblick Anker zu werfen, die Ganzheit und Wirklichkeit seines Wesens zu fühlen, kann das Leben nicht wie ein böser Traum zerrinnen. „Glaubst Du nicht“, sagt Balder, „dass der, welcher in jedem Moment, wenn er nur will, eine solche Fülle des Daseinsgefühls in sich erzeugen kann, es für ein leeres Wort halten muss: nicht geboren zu sein, wäre besser?“4 Man beachte, dass es ein todtkranker Krüppel ist, welcher diese Worte spricht und noch dazu ein Krüppel, den der Dichter augenscheinlich in dem Bilde des so verschieden denkenden Leopardi's geformt hat. Die eigenthümliche Art von Genussphilosophie, die in denselben ausgesprochen wird, und die durch eine synthetische Reflexion die ganze Zeit im ewigen Jetzt sammelt, weist auf die eigene Lebensanschauung des Dichters zurück. Es ist das Lauschen der harmonisch angelegten Natur auf ihre eigenen Harmonien. Alles geben die unendlichen Götter ja ihren Lieblingen ganz, alle die unendlichen Freuden und alle die unendlichen Schmerzen ganz. Diese Lebensphilosophie nimmt selbst den Missklang des unendlichen Schmerzes in ihre innere Harmonie auf und vermag ihn für sich aufzulösen. Hier ist der Punkt, wo Heyse sich am schärfsten von Turgenjew und den andern grossen modernen Pessimisten der Poesie scheidet. Er wagt es, seinen Lieblingspersonen selbst sehr unschöne und abschreckende Vergehen beizumessen, um ihnen nach allerlei Prüfungen und Qualen den innern Frieden wiederzugeben. Der junge Baron in dem Roman „Im Paradiese“ ist ein Beispiel. Eine Sünde gegen sein besseres Ich lastet auf seinem Gewissen. Die innere Harmonie mit dem eigenen Gefühl, „auf die Alles ankommt“, ist ihm verloren gegangen. Es zeigt sich im Laufe der Erzählung, dass er sich durch jenes Vergehen noch dazu gegen seinen besten Freund vergangen. Aber durch alle Irrungen und alles Unglück, das hieraus erwächst, findet er sich wieder. Die Harmonie der Natur war nur zeitweise aufgehoben, nicht, wie er es fürchtete, heillos zerstört.

Unmittelbar ist der Instinct die Stimme des Blutes. Daher kommt es, dass die Individuen bei Heyse tief in Stamm und Race wurzeln. Sie scheinen wie das Gesetz Mosis zu lehren, dass die Seele im Blute ist. Sie folgen der Stimme des Blutes und appelliren an sie. Die unentwickelten sind der kräftige Ausdruck eines Racentypus; die entwickelten unter ihnen kennen ihre Natur und respectiren sie; sie nehmen sie als gegeben mit dem Gefühle, dass sie sich nicht ändern lässt; sie werden ebenso durchgängig von ihrem Naturinstinct geleitet, wie die Charaktere Balzac's vom Eigennutze. Um zu verdeutlichen, was ich meine, führe ich ein paar Stellen aus den „Kindern der Welt“ an: Als Edwin in Toinette heftig verliebt ist, geht sein Bruder Balder ohne sein Wissen zu ihr, um sie zu bitten, nicht aus einer Grille oder im Leichtsinn den Bruder zurückzuweisen und sich an einen Fremden wegzuwerfen. Hierauf bekommt er die Antwort, dass sie erst jetzt erfahren und begriffen habe, woran es liege, dass sie kein Glück im Leben gewinnen könne. Sie hat das Geheimniss ihrer Herkunft entdeckt, dass nämlich ihre unglückliche Mutter nur gezwungen in die Gewalt ihres Vaters kam, und daraus erklärt sie sich's nun, dass sie, wie sie glaubt, nicht lieben kann: „Mein Freund“, sagt sie, „ich glaube, dass Sie es gut mit mir meinen, Sie und Ihr Bruder. Aber es wäre ein Verbrechen, wenn ich mir einredete, Sie könnten mir helfen, jetzt, da ich so klar Alles einsehe, von meinem Schicksal weiss, dass es mir nun einmal im Blute liegt“. (Die Worte sind im Texte gesperrt.) Dies ist für sie der letzte unwiderlegliche Beweisgrund. Und bei allen Personen des Buches tritt dieser an Aberglauben grenzende Respect vor der Natur hervor. Wie er sich bei Toinette findet, so bei ihrem Gegenpol Lea. Sie contrastiren in allen Punkten; nur in dieser einen Hinsicht stimmen sie überein. Als Lea, die Edwin's Frau geworden ist, erfahren hat, wie viel Macht die Erinnerung an Toinette noch über sein Herz besitzt, und als sie während ihrer Trauer einen Augenblick, in einem Buche Edwin's lesend, sich damit tröstet, wie gut sie Vieles von dem, was er geschrieben und was manchem anderen Weibe zu hoch sein würde, versteht, wirft sie plötzlich das Buch wieder fort, denn es fährt ihr durch den Sinn, „wie ohnmächtig alles Einverständniss der Geister sei gegen den blinden, unvernünftigen, elementaren Zug der Naturen, der alle Freiheit knechtet und die Weisesten bethört“. Sie ist ein scheinbar rein intellectuell angelegtes Weib. Ein lebhafter Drang nach Wissen und geistiger Klarheit hat sie zu Edwin geleitet, er hat sie in – der Philosophie unterrichtet. Man könnte also glauben, dass sie jetzt ihrerseits einen Kampf gegen jene magische Macht des Blutes durch einen Appell an die Geistesmächte, die sie so lange mit Edwin verbunden haben, versuchen würde. Im Gegentheil! Weit entfernt, nur als strebender Geist charakterisirt zu sein, ist sie vor Allem eine Natur. Sie hat ihn immer glühend geliebt, aber sie hat gefürchtet, dass seine Liebe, weniger heiss als die ihrige, durch Ausbrüche ihrer Leidenschaft verscheucht werde, und doch hat sie – die Philosophin – in ihrer Einsamkeit zu sich selbst gesagt: „Liebe ist Thorheit – seliger Unsinn – Lachen und Weinen ohne Sinn und Verstand. So habe ich ihn immer geliebt, bis zum Vergehen und Vergessen aller Vernunft“. Jetzt, da das Glück ihrer Ehe auf dem Spiel steht, bricht sie in die Worte aus: „Wenn er merkt, dass ich das Blut meiner Mutter in den Adern habe, heisses, alttestamentarisches Blut, – vielleicht kommt er dahinter, dass er sich sehr verrechnet hat, als er mit einem solchen Wesen eine ‚Vernunftehe‘ schliessen zu können glaubte. Vielleicht kommt der Tag, wo ich ihm Alles sagen darf, weil er selbst nicht mehr genug hat an einem bescheidenen Lebensglück, wo er etwas Stolzeres, Uebermüthigeres, Ueberschwänglicheres verlangt – und dann kann ich ihm sagen: Du hast nicht weit zu suchen, die stillen Wasser sind tief“.5 Alles ist hier charakteristisch, sowohl die Zurückführung auf Abstammung und Race, wie der Protest der heissen, leidenschaftlichen Natur gegen die Verkleidung der unmittelbaren Leidenschaft als vernünftige Hingebung. Nur wer mit diesem Grundzuge Heyse's vertraut ist, wird das rechte Verständniss und Interesse für eins seiner Dramen haben, das sonst sein schwächstes sein dürfte, und das aus mehreren Ursachen mir seiner nicht ganz würdig erscheint; ich meine „Die Göttin der Vernunft“. Oder ist es nicht höchst eigenthümlich, dass Heyse Angesichts der ganzen riesenhaften französischen Revolution sich aus ihr gerade diesen Stoff zurecht legt, und ihn gerade so behandelt? Mancher Dichter würde mit der Wahl eines solchen Gegenstandes sich ein Organ für das Pathos, der Revolution suchen oder er würde die reine Begeisterung der Vernunftgöttin im historischen Augenblick eine gedankenlose und unwürdige Vergangenheit adeln lassen, die sich dennoch tragisch rächt. Ein Dichter wie Hamerling könnte vielleicht etwas Ansprechendes aus diesem Gegenstande machen. Heyse erstaunte, seiner Naturanlage gemäss, bei dieser Erscheinung: ein Weib, ein Stück Natur mit weiblichem Instinct und weiblicher Leidenschaft, wird für die Vernunft, die Vernunftgöttin, d. h. die trockene, steife, rationalistische Vernunft des 18. Jahrhunderts ausgegeben! Und er dichtet dann ein Weib, das kraft der Tiefe ihrer Natur (im Grunde ihrer Zeit vorausgeeilt) von dem Gefühl ergriffen ist, dass das ungeheure All-Leben sich auf keine Schulformel zurückführen lässt, ein Weib, das liebt und fürchtet, leidet und hofft, das für das Leben ihres Vaters und ihres Geliebten zittert, das vor Qual, von dem Geliebten verkannt zu werden, verzweifelt, und lässt dann dies Weib, das als ein echtes Kind ihres Dichters gesagt hat: „Mir ist das Höchste: Nichts zu thun, was mich mit mir selbst entzweit“, mit allen Fibern vor Leidenschaft bebend, in persönlicher Verzweiflung, ohne einen Gedanken an das Allgemeine und Abstracte, an Republik oder Geistesfreiheit, und während ihr Vater vor der Kirchenthür getödtet wird, – nothgedrungen vom Altare herab das neue Vernunft-Evangelium verkünden, das sie selbst einmal spöttisch als das Weltgesetz, dass zwei mal zwei vier sind, bezeichnet hat. Viel werthvoller, als in poetischer Hinsicht, scheint mir dies Stück als Beitrag zur Psychologie seines Dichters.

Man würde Heyse indess sehr Unrecht thun, wenn man aus dem bis jetzt Hervorgehobenen schliessen würde, dass er nichts Höheres als die elementare Natur und ihre Triebe anerkenne. Mit dem Worte Instinct ist hier etwas von dem einzelnen Triebe völlig Verschiedenes gemeint. Der Instinct ist der Drang, sich ganz zu bewahren. Darum kann Heyse auch sehr wohl eine freie Sympathie über die Bande des Blutes und selbst über das nächste Verwandtschafts-Verhältniss triumphiren lassen. In der Novelle „Der verlorene Sohn“ versteckt und pflegt eine Mutter, ohne es zu wissen, den unschuldigen Mörder ihres Sohnes, und als dieser durch seine Liebenswürdigkeit sowohl das Herz der Mutter wie der Tochter gewinnt, lässt der Dichter ihn die Tochter als Braut heimführen. „Der verlorene Sohn“ wurde in ehrlicher Nothwehr getödtet und sein Gegner hat nicht einmal seinen Namen gekannt. Selbst als die Mutter das Nähere über den Tod des Sohnes erfährt, legt sie darum der Heirath kein Hinderniss in den Weg, sondern trägt allein und ohne Jemand ihr Geheimniss zu vertrauen, das Unglück, das sie getroffen hat. Hier ist also mit voller Zustimmung des Charakters ein rein geistiges Band an die Stelle der Blutsbande getreten; die Mutter nimmt den als ihren Sohn an, durch dessen Hand ihr eigener Sohn gefallen ist; aber indem sie das thut, handelt sie in Uebereinstimmung mit ihrer tiefsten Natur und bewahrt ihre Seele ungetheilt. Das Gleiche gilt in allen Fällen, wo bei Heyse die Persönlichkeit aus Pflichtrücksichten eine wirkliche Leidenschaft, eine tiefe Liebe zurückdrängt. Wo es geschieht (wie im Drama „Marie Moroni“, in der Novelle „Die Pfadfinderin“, oder in dem Romane „Die Kinder der Welt“), da geschieht es eben, um die Treue gegen sich selbst zu bewahren, um nicht die Ganzheit und Gesundheit seines eigenen Wesens einzubüssen, und man sieht die Pflicht dem eigenen Born der Natur entströmen, indem als höchstes Pflichtgesetz das Gebot gilt, nicht in Zwiespalt mit dem eigenen Ich zu gerathen. So weit ist Heyse davon entfernt, die Natur als feindlich gegen Geist und Pflicht aufzufassen.

Für ihn ist sie alles: Alles was in unserer Macht steht, was wir ausführen oder vollbringen, trägt, insofern es etwas werth ist, untrüglich ihren Stempel, und über alles, was nicht in unserer Macht steht, über unser ganzes angeborenes Schicksal gebietet sie direct, unmittelbar, allmächtig und unumschränkt. Selbst die unglücklichste Persönlichkeit, die er geschildert hat, findet, wie übel sie auch vom Schicksal behandelt worden ist, einen Trost darin, dass sie ein Kind der Natur, d. h. dass sie nicht beeinträchtigt worden ist. „Wenn die Elemente meines Wesens, die mich vom Glück ausschliessen, durch eine grosse blinde Fügung des Weltlaufes sich gefunden und vereinigt haben und ich an dieser Constellation zu Grunde gehen muss – so ist das fatal, aber kein unerträglicher Gedanke. Ein Gottvater aber, der mich unseliges Geschöpf de cœur léger oder auch aus pädagogischer Weisheit so traurig zwischen Himmel und Erde herumlaufen liesse, um mir später einmal für die verpfuschte Zeit eine Gratification in der Ewigkeit zukommen zu lassen – nein, lieber Freund, alle durchlauchtige und undurchlauchtige Theologie kann mir das nicht plausibel machen“.6

So nimmt bei Heyse selbst der, dessen Leben am qualvollsten verfehlt ist, seine Zuflucht zum Naturbegriff wie zum letzten beruhigenden Gedanken, und so hat er selbst in den schmerzlichsten Stunden seines Lebens dazu seine Zuflucht genommen, und die wunderbaren Gedichte „Marianne“ und „Ernst“, das Tiefste und Ergreifendste, was er geschrieben hat, sind als Zeugnisse davon zurückgeblieben. Die Natur ist sein Ausgangspunkt und sein Endziel, die Quelle seiner Poesie und ihr letztes Wort, sein Eins und Alles, sein Trost, sein Credo.

1
Auf Schritt und Tritt sich aufzupassen,Was soll es frommen?Wer nicht wagen darf, sich geh'n zu lassen,Wird nicht weit kommen.P H.

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2.Kinder der Welt II, 17. Im Paradiese I, 31.
3.Gesammelte Werke IV. 135.
4.K. d. W. II. 612.
5.K. d. W. III, 210, 242, 256.
6.K. d. W. III, 109.
Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
05 июля 2017
Объем:
680 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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