Читать книгу: «Geliebter Unhold», страница 3
…es hat weder Sinn noch Verstand, Kacey, es ist völlig irrational. Angst geht Hand in Hand mit Wut, so hat Wexmell es gesagt, doch die Ängste des Volkes sind leichter zu entfachen, als sie wieder zu nehmen. Ich habe es hier beobachtet, ich kann mir auch nicht erklären, wie so eine Nichtigkeit eine Verfolgung einer ganzen Völkergruppe nach sich ziehen kann. Vermutlich ist es die Angst vor Dämonen, oder die Angst vor etwas, das sie nicht verstehen. Wir könnten ewig darüber grübeln, warum oder weshalb, vielleicht ist es jedoch schlicht ein Vorwand oder der einzige Weg, jemanden wie mich zu stürzen, indem man alle Zauberkundigen zu Sündenböcken macht.
Sie sind dumm, Kacey, man kann ihre Beweggründe nicht erklären. Sie sind einfach dumm, und der Hass auf etwas, das sie nicht verstehen, gibt ihrem tristen Leben Würze.
Während der lautstarken Diskussionen steckte die Kaiserin mit dem Rat der Fünf – der seit dem geisterhaften Verschwinden eines ihrer Mitglieder noch immer nur zu viert war – die Köpfe zusammen. Sie wirkte konzentriert, denn das Thema war äußerst brisant und bewegte derzeit alle Königreiche. Sie musste ihre Entscheidung umsichtig treffen, um alle Seiten zu beruhigen.
Wie sollte man mit Magie verfahren, wie viel Freiheit war ihr erlaubt? Tatsächlich diskutierten die Politiker bereits darüber, ob ein Kult wie die Hexenjäger vielleicht staatlich gemacht werden sollte, um sie einerseits zu kontrollieren, und andererseits, um gefährlich gewordene Magier zu jagen und unschädlich zu machen. Die Hexenjäger waren in Nohva emporgekommen, doch sie trugen ihre Wahrheit mittlerweile wie religiöse Missionare über jede Grenze hinweg, wie eine Seuche. Und statt sich davor zu schützen, handelten alle Reiche genauso abwartend wie König Wexmell in Nohva, wägten ab, beschwichtigten, zögerten hinaus, und wunderten sich hinterher, wenn der Aufstand nicht mehr aufzuhalten war.
Es ging den Jägern nicht nur um Nohva, sie wollten die Magie überall in Knechtschaft zwingen, damit niemals irgendwo ein Zauberkundiger auf einem Thron saß. Sie fanden in jedem Land Zustimmung, überall gab es jemanden, der schon immer einen persönlichen Argwohn gegen Magie gehegt hatte, viele Leute wollten auch einfach gegen die Obrigkeit rebellieren, sich wichtig fühlen. Wie Riath sagte, die Hexenjäger wollten schlicht, dass alle Magier litten, damit keiner von ihnen je Macht – und damit absolute Freiheit erlangte. Gleichberechtigung war nur ein Trugschluss, als es darauf ankam, zu den Magiern zu halten. Wer nicht gegen sie war, hielt sich lieber raus.
Kacey verstand ihre Angst sogar, Magie schien wie Wunder, sie war für Normalsterbliche unbegreiflich, sie sahen nicht die Energieströme, Auren oder geisterhaften Kräfte, nicht die Schönheit, die der Magie innewohnte. Die wahre Natur war für das normale Auge nicht sichtbar, nur Magier besaßen diese Sicht. Für alle anderen war das, was Zauber bewirkten, unerklärlich, vielleicht dämonisch. Doch Magie war ein Teil ihrer Welt, lebte im Boden und in jedem von ihnen, Seelen waren Magie. Und Magier, die diese Ströme lenken konnten, waren unglaublich wichtig, gerade im Kaiserreich, wo durch den Zusammenbruch des Sklavenhandels die Wirtschaft angegriffen war und wo das Klima lebensfeindlich sein konnte, brauchten sie Magie, um die Ernten zu retten und ihre Erträge zu verdoppeln, um fauliges Wasser wieder trinkbar zu machen oder sogar, um gefährliche Stürme abzumildern, damit keine ganzen Städte in Schutt und Asche verwandelt wurden.
»Zauberkundige sind da, um zu dienen«, erhob sich eine kräftige Frauenstimme von der gegenüberliegenden Wand über das Stimmengewirr, die Halle hörte sie an. »Magie sollte immer nur zum Wohle aller eingesetzt werden, zum Heilen und zum Erneuern, so will es das Gesetz.«
Kacey sah die Frau an, bemerkte ihre Empörung und beschwichtigte sie mit einer Geste. »Ich weiß, mein Antrag klingt drastisch, aber bitte, ihr kennt mich mittlerweile alle, habt mich oft angehört, ich war immer der festen Überzeugung, dass Magie dazu da ist, dem Wohl der Gemeinschaft zu dienen, und ich bin selbst ein Feind der Vorstellung, magische Kriege zu führen. Doch hier geht es darum, dass wir die Erlaubnis bekommen, uns selbst zu verteidigen. Denn hätte das Mädchen ihre Angreifer, die ganz offensichtlich nach ihrem Leben trachteten, in einem Impuls durch magisches Feuer oder Eis niedergestreckt, würde sie wegen ihres Vergehens hängen.«
Nun brach erneutes Chaos aus, denn seine Magierkollegen stimmten lautstark zu und es wurden sich verschiedene Ansichten durch den Raum entgegengerufen.
Ein älterer Lord erhob sich, schneeweißes Haar und glatte Wangen, strenges Gesicht, er fuchtelte wütend mit einem Arm. »Ihr sagt, wir würden Euch kennen? Was, wenn Ihr uns die ganze Zeit etwas vorgespielt habt, um unser Vertrauen zu erschleichen, um es jetzt auszunutzen?«, klagte er Kacey an, sodass einige andere sichtlich ins Grübeln kamen. »Ihr tut so, als ob Ihr nur das Wohl aller im Sinn habt, und dann bringt Ihr uns dazu, Verbote aufzuheben, damit Ihr die Herrschaft über die Stadt übernehmen könnt!«
Was?! Kacey war auf alles vorbereitet gewesen, aber nicht darauf, dass man ihm unterstellen könnte, dass er die Stadt an sich reißen wollte. Entsprechend ungläubig blinzelte er den Mann an.
»Ich sage Nein!«, rief der Mann aus und sprach nun zu allen, bevor Kacey sich hatte fangen können und begriff, wie die Stimmung kippte. »Wo kämen wir denn da hin, meine Lords und Ladys, wenn wir plötzlich alle Gesetze aufheben würden. Unsere Vorväter haben sich etwas dabei gedacht, als sie diese Verboten aufschrieben, sie wollten uns schützen! Die Magie ist mächtig, sie muss ihre Ketten anbehalten. Vergessen wir nicht, dass dieser Kult von Hexenjägern nicht ohne Grund entstand! Wir würden ja auch keinen Jaguar unter uns herumlaufen lassen und darauf hoffen, dass sein Instinkt, zu töten, nicht erwacht!«
»Vergebung«, mischte Kacey sich ein, freundlich und nachsichtig, obwohl ihm der eigene Herzschlag in den Ohren rauschte. »Aber bitte vergessen wir nicht, dass die Richtlinien für Magie von den gleichen Männern verfasst worden waren, die auch dafür verantwortlich waren, alle kurzlebigen Völker mit runden Ohren und ohne Fänge zu dem puren Bösen zu erklären, und außerdem Sklaven hielten.«
Davon wollte der Elkanasai gar nichts hören, er winkte grunzend ab, als ob Kacey ein schmutziger Straßenjunge wäre, dessen Meinung ihn nicht interessierte. »Ihr seid doch gar nicht objektiv, Ihr stammt nicht von hier, Ihr wart Sklave und vor allem seid Ihr selbst ein Magier!« Und wieder wandte er sich an alle. »Wenn wir erlauben, dass Magie zur Verteidigung eingesetzt wird, dann wird sie auch bald zur tödlichen Waffe gemacht. Und am Ende nehmen sie sich das ganze Land oder gar das Reich der Götter!«
Ein anderer aus den unteren Reihen stimmte ihm zu und erhob sich mit den Worten: »Schaut doch, was in Nohva geschehen ist, wo die Magier keine Akademien besitzen und keine Regeln bezüglich der Magie! Dort, wo die Magie frei ausgelebt werden durfte, nach eigenem Ermessen, starben so viele Menschen, ob gewollt oder durch Unfälle, dass sich ein Kult erhoben hat. Aus purer Verzweiflung!« Er wandte sich an die Emporen der Magier, legte seine Hände aneinander und verneigte sich tüchtig. »Verzeiht, ich will keinem etwas unterstellen, ich profitiere selbst von der Magie, aber wir Normalsterblichen müssen uns auch vor ihrer dunklen Seite schützen – und wir wollen euch vor euch selbst schützen.«
Nobel, dachte Kacey, aus diesem Mann sprach lediglich die Angst. Doch die Diskussion brannte heiß im Raum, mit solch einem Tumult hätte er niemals gerechnet. Dass man ihm durch die Bürokratie Steine in den Weg legen würde hatte er erwartet, aber eine offene, hitzige Debatte war für Elkanasai äußerst untypisch und zeugte davon, wie brisant dieses Thema bereits war.
Es hatte sich in die Köpfe der Bürger geschlichen, war bis in die hohe Politik vorgedrungen und spaltete sie. Innerhalb weniger Wochen.
»Wir haben sicher nicht vor, die Magie gegen unsere eigenen Brüder und Schwestern zu wenden«, wandte Kacey ein, »und ich spreche auch nicht davon, dass wir jedem Magier gestatten, überall und nach Belieben Zerstörung anzurichten.« Er musste lauter rufen, wenn er Gehör finden wollte, und erhob die Stimme. »Es geht lediglich darum, dass sich ein Magier mit seiner eigenen Magie verteidigen darf!«
»Dann soll er doch ein Schwert tragen«, rief jemand. Kacey konnte ihn unter all den aufgebrachten Togenträgern nicht herauserkennen.
»Wie soll sich ein einziger Magier mit einem Schwert gegen fünf Angreifer zur Wehr setzen?«, sagte nun auch der Professor zu seiner Linken. Dankbar legte Kacey dem älteren Kollegen eine Hand auf die Schulter seiner nachtblauen Robe.
»Wir können auch nur ein Schwert benutzen, um uns zu verteidigen, warum soll euch mehr gestattet sein als uns?«
Neid. Ein weiterer Grund, die Magie zu hassen. Kacey schloss kurz die Augen, musste sich sammeln. Es war völlig surreal, was hier geschah, er konnte es nicht begreifen. Und doch wusste er, dass der Fehler bei ihm lag, denn in einer so heiklen Situation hätte er nicht um mehr Freiheiten für seinesgleichen bitten dürfen, das hatte ihren Gegnern nur noch mehr Brennholz für Argwohn und absurde Geschichten und Ängste geliefert.
Aber was für eine Wahl hatte er, wenn er seine Schule schützen wollte?
Irgendwo hörte er jemanden zu einem anderen sagen: »Und am Ende tritt er die Wahl zum Kaiser an. Stell dir das mal vor, erst soll in Nohva ein Hexenprinz auf den Thron, dann wollen die Magier das Kaiserreich übernehmen.«
»Das kann er doch nicht, oder?«
»Jeder darf sich zur Wahl stellen.«
»Aber nur, wer die Gesetze achtet.«
»Na ja, der ist doch auch ein Prinz, Sohn des Kaisers, viele schätzen ihn. Warts nur ab, in ein paar Jahren haben die Magier uns ganz übernommen, dann gibt’s uns nicht mehr.«
Empörtes Einatmen folgte.
Kacey wünschte, er hätte das nicht mit angehört, Zweifel und Missgunst ihm gegenüber gingen ihm immer besonders nahe, da er nichts mehr wollte, als gemocht zu werden.
Er machte eine beschwichtigende Geste. »Ich versichere, dass wir lediglich um unsere Sicherheit besorgt sind. Wir wollen euch allen weiterhin dienen…«
»Brauchen wir sie denn wirklich, geschätzter Rat?«, rief eine junge Lady zur Empore der Kaiserin hinauf. »Ist es vielleicht nicht sogar Zeit, diese Akademie dicht zu machen? Dann kann sie nicht mehr angegriffen werden!«
Der Rat ignorierte Zwischenrufen, solange er mit der Kaiserin flüsterte. Doch ihre Worten fanden weitere Zustimmung. Und plötzlich stand die Frage im Raum, ob die Stadt die Magier überhaupt brauchte.
»Wir wollen euch dienen!«, rief Kacey und spürte doch, wie ihm die Zuhörer entglitten. »Wir wollen euch heilen, eure Ernten retten, eure Kinder sicher zur Welt bringen! Um euch zu dienen, brauchen wir aber auch euren Schutz und eure Zusicherung, dass wir nicht hängen, sollten wir uns einmal selbst verteidigen müssen!«
»Wer stirbt, wie viel Ernte es gibt und wessen Kind lebt oder nicht, bleibt allein den Göttern überlassen«, konterte der Mann mit der strengen Miene. »Das ist nun mal das Gesetz der Natur!«
Und so etwas von einem Elkanasai, der ohne die Magie wohl kaum sein Alter erreicht hätte – oder einfach Glück gehabt hatte.
»Verzeiht«, sagte Kacey beherrscht und kummervoll zu ihm, »aber das würdet Ihr bestimmt nicht sagen, hättet Ihr eine Frau oder ein Kind bei der Niederkunft verloren. Oder andere Angehörige, die zu früh aus der Welt schieden, weil die Pest sie holte.«
Nun erntete er laute Zustimmung, denn viele im Raum hatten gewiss schon einmal von der Magie profitiert und dank ihrer ein Familienmitglied aus dem Griff des Todes gerettet.
Er konnte nicht fassen, was er da hörte, wie kalt und ignorant diese Bürger sein konnten. Ein wenig begriff er Riaths Wut, er hatte das Gefühl, mit bloßer Vernunft und Logik gegen Wände zu laufen, oder gar noch mehr Misstrauen zu wecken.
Der Rat und die Kaiserin hatten zu ende beratschlagt. Als Ari ihre Hand zu einer beruhigenden Geste hob, verstummten alle Anwesend schlagartig. Als hätte das ganze Chaos nie stattgefunden.
»Danke, Oberster Magister Kacey«, sagte die Kaiserin mit ihrer samtenen Stimme ruhig zu ihm und bedeutete ihm, sich zu setzen.
Kacey strich die weite Toga glatt und nahm Platz.
Ari übernahm das Wort. »Was die Frage angeht, ob wir die Magier brauchen oder nicht, lautet die Antwort natürlich ganz klar Ja, dies kann ich bereits verkünden, liebe Anwesenden. Denn was wären wir ohne die Magie, sie ist Teil dieser Kultur, sie brachte uns den Fortschritt und sie sorgt für unsere Gesundheit und dafür, dass wir nicht Hunger leiden.« Sie ließ die Worte wirken, und Kacey sah sich aufmerksam um, entdeckte missgünstig verzogene Münder, aber hörte keinen Einspruch, denn Ari sagte die schlichte Wahrheit, ohne Magie lebte das Kaiserreich nicht.
Dann fuhr sie fort: »Und natürlich brauchen unsere Magier einen Ort, an dem sie leben und ihre Fähigkeiten studieren können. Einen Ort, an dem sie sicher sind. Es ist kein Gefängnis und das soll es auch nicht sein, es soll eine Zuflucht sein.«
Aber das war sie nicht mehr, dachte Kacey bitter, er fühlte sich dort selbst nicht mehr sicher.
Ari sah ihn an, ihr Blick war streng. »Dies berücksichtigend, gestatten wir das von Euch heraufbeschworene Kraftfeld.«
Er konnte seinen Ohren kaum trauen, blinzelte, bevor er begriff. »Danke, Eure Majestät«, brachte er hervor und wandte sich mit einem erleichterten Auflachen an seine Kollegen.
»Doch«, sprach Ari weiter, und obwohl ihre Miene streng wirkte, sah er auch das Mitgefühl und die unausgesprochene Entschuldigung in ihren sanften Augen, »habt Ihr, Oberster Magister, Eure Position ausgenutzt, um Schüler dazu zu bringen, ein Verbot zu missachten.«
Er fühlte, wie seine Freude dumpfer Leere wich, sein Gesicht wurde ernst.
»Du hast ohne unsere Erlaubnis«, fuhr sie im vertrauterem Tonfall fort, »und ohne unseren Rat gehandelt. Obgleich wir die Dringlichkeit deines Vorgehens verstehen und deine Ehrlichkeit schätzen. Dennoch müssen wir alle Fakten berücksichtigten, und du hast etwas Verbotenes getan, wenn auch in guter Absicht. Wir verhängen eine Geldstrafe, die Summe wird vom Rat aufgesetzt und schriftlich an dich übermittelt.«
Glücklicherweise war Kacey durch seine Bücher und Forschungen recht wohlhabend, und Geld bedeutete ihm ohnehin nichts, aber noch glücklicher konnte er sich schätzen, dass das Kaiserreich ein zivilisierter Ort war, denn in anderen Ländern hätte man ihn wohl zu dreißig Peitschenhieben verurteilt. Oder einem halben Jahr Zwangsarbeit.
Er legte eine Hand auf seine Brust und neigte dankbar den Kopf vor der Kaiserin und dem Rat, der aus vier alten Greises mit kleinen, verschlagenen Augen bestand. Ihm war wohl bewusst, dass er die milde Strafe seiner Stiefmutter zu verdanken hatte.
»Über deinen Antrag berät der Rat mit dem Kaiser nach seiner Rückkehr.« Ari musste wieder eine Hand heben, weil Zwischenrufe laut wurden. Sie ebbten sofort wieder ab, wie Mäuse, die sich im Stroh versteckten, wenn sich die Katze noch einmal umdrehte. »Es ist ein heikles Thema, das ist uns allen bewusst, der Rat und der Kaiser werden sich darüber viele Gedanken machen und alle Sichtweisen in Erwägung ziehen, liebe Anwesenden. Ich appelliere aber noch einmal an die Menschlichkeit, wir wollen uns alle sicher fühlen, und nach allem, was die Magier seit Jahrhunderten für uns tun, sollten wir ihnen weiterhin Respekt zollen, so sehr ihre Fähigkeiten den ein oder anderen auch das Fürchten lehren. Wir sind alle gleich und wir haben alle ein Recht auf Unterstützung und Verständnis.« Sie winkte ab, bevor jemand Einwand erhob. »Diese Angelegenheit ist vertagt. Ashen, nächster Tagespunkt!«
Ashen, des Kaisers fleißiger Schreiberling, hakte mit einer Schreibfeder einen Punkt auf seiner Liste ab und las dann vor: »Nächster Punkt: Steuererhöhung für Politiker zu Gunsten der Gutsbesitzer.«
Der Tumult, der daraufhin losbrach, erweckte den Glauben, die Kaiserhin hätte verkündet, das Balg eines Dämons zu erwarten und das Kaiserreich der Unterwelt auszuliefern.
Kacey schweifte gedanklich ab und war nur noch körperlich anwesend. Er griff zu Feder und Tinte und kritzelte unleserlich die Skizze eines überfälligen Briefes auf die Rückseite seiner Notizen.
Er wusste nicht, ob er ihn abschicken würde, doch der Wille dazu war seit Beginn der Versammlung deutlich gewachsen. Er hatte sich selten so allein und machtlos gefühlt.
Nicht einmal als Sklave.
~2~
Die Kanalisierung großer Magie über eine weite Entfernung hinweg konnte einen gewöhnlichen Magier auslaugen bis zum Herzstillstand.
Einen gewöhnlichen Magier.
Nicht den dunklen Prinzen. Und doch spürte natürlich auch er die große, mentale Anstrengung überdeutlich. Es war, wie nach einer langen, kräftezehrenden Krankheit zu erwachen und festzustellen, dass die Muskulatur abgebaut hatte, Beine und Arme sich wie flatternder, haltloser Stoff anfühlten, nicht wie Gliedmaßen. Wenn der Schwindel im Kopf zunahm, sobald man sich aufsetzte. Und wenn man Hunger hatte, aber bereits eine Keule Fleisch den Magen rebellieren ließ.
Immerhin schien das Blut zu helfen, das Marks ihm stündlich bringen ließ. Mit einem weiteren Tag Verspätung gelang es Riath dann endlich, aufzustehen und sich ein Hemd und eine Hose überzuziehen. Dafür hatte er den verdammten Schneesturm in Carapuhr allerdings loslassen müssen. Vermutlich klarte das Wetter im Norden bereits auf, was bedeutete, der Kaiser würde seinen Rückweg antreten.
Doch Riath glaubte ohnehin, dass Eagle längst Boten geschickt hatte, die das Kaiserreich über die »Wahrheit« informiert hatte. Anders konnte er sich Kaceys Schweigen nicht erklären.
Er musste ihn persönlich sprechen, es war höchste Zeit. Doch wenn ihn jemand in der Stadt erkannte, würde er wohl im Kerker und am Ende vor dem Henker landen. Dieses Mal, da war er sich absolut sicher, würden sie ihm den Kopf abschlagen. Da der letzte Angriff auf sein Leben nicht von Erfolg gekrönt gewesen war.
Nein, wenn er sich in der Stadt blicken ließe, müsste er zuvor einige Verbündete an Land gezogen haben.
Gedankenverloren strich er mit den Fingerspitzen über seine Narbe, die sich als hauchdünner Strich auf seiner Kehle abzeichnete. Sie war so gut verheilt, dass sie nur noch einer Falte glich, die keine Sonne abgekommen hatte. Dennoch spürte er, wenn er an sie erinnert wurde, die Atemnot, das Brennen, die Angst. Er hatte damals nicht gewusst, dass er den Anschlag überleben würde. Sterben war etwas Schreckliches, so voller instinktiver Furcht, voller Kälter, Schmerzen und Qual. Riath sah das Gesicht seines Mörders deutlich vor sich, immer wieder, jede Nacht, und in seinem Inneren brodelte eine so lebendige, heiße Wut, dass er brüllen und irgendetwas zerstören wollte, nur um dem Druck in seiner Brust ein wenig Luft zu verschaffen.
Er beherrschte sich, hob sich all die Wut für seinen allerletzten Zug auf, und wenn er Jahrzehnte darauf wartete, war es das wert.
Riath trat aus seinem Zelt in das Lager, wo seine Leute bereits tüchtig ihrer Arbeit nachgingen. Knechte kümmerten sich um die Feuer, das Essen, putzten Rüstungen, Stiefel, Zaumzeug und Sättel, leerten Bettpfannen aus, striegelte die kräftigen, ausdauernden Pferde aus Nohva.
Sie hatten die Zelte in einer dichten Baumgruppe aufgeschlagen, direkt ins Unterholz, das sie nun wie ein natürlicher Wall umgab. Das Blätterdach des Urwaldes war dicht, doch es gab diese eine Lücke, durch die die Sonne drang und direkt auf Riaths Zelt fiel.
»Mein Prinz!«, begrüßten ihn seine Getreuen ebenso wie die Knechte, die ihm begegneten, legte ihre Fäuste auf ihre Herzen und neigten huldvoll das Haupt, als er an ihnen vorüber ging. Er beachtete sie gar nicht, ihre Unterwürfigkeit war ihm so vertraut wie das Kribbeln der Sonne auf seinem Gesicht.
Disziplin musste sein, er hatte bei Wexmell gesehen, wohin zu intime Vertraulichkeit mit den Untertanen führte. Wie sie den Respekt vor dem Amt verloren hatten, wie sie den König als Freund, denn als Herrscher angesehen und geglaubt hatten, sich alles erlauben zu dürfen, einschließlich öffentlichen Beleidigungen und Drohbriefen. Und das nur, weil Wexmell sich weigerte, Zauberkundige in Nohva in Gefängnisse zu stecken oder sie zu Sklaven der Allgemeinheit zu machen. Es war sogar von magischer Kastration die Rede gewesen, was für einen Magiebegabten bedeutet, seiner Fähigkeiten beraubt zu werden.
Riath ließ unter seinen Leuten niemals zu, dass sie vergaßen, wer er war. Er war nahbar, er trank und kämpfte Seite an Seite mit seinen Getreuen, er unterhielt sich mit Knechten, er machte sich auch mal die Finger schmutzig, doch er erlaubte niemals, dass sie in seiner Gegenwart vergaßen, dass er ihr Prinz war und sie ihm Respekt schuldeten. Und Treue.
Und bisher hatte ihn niemand aus den eigenen Reihen verraten, im Gegenteil, er hatte dadurch sogar mehr Leute gewonnen, darunter Marks, der zuvor gegen die Magier rebelliert hatte.
Allerdings musste Riath gestehen, war es nicht mehr sonderlich schwer gewesen, den Krieger zu überzeugen, nachdem er mit eigenen Augen gesehen hatte, dass die Hexenjäger sinnlos brandschatzten und mordeten. Er würde niemals Marks ratloses, schmutziges Gesicht vergessen, als er ihn mitten in dem brennenden Dorf erblickt hatte, inmitten der völlig außer Kontrolle geratenen Hexenjäger, die wie die Barbaren über unschuldige Bauern hergefallen waren, wegen eines angeblichen Hexenmädchens. Eine Lüge, erschaffen von den Jägern, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Um das Volk mit Gewalt zu zwingen, den Magiern keinen Unterschlupf zu gewähren.
Da war dieser Junge gewesen, Riath erinnerte sich genau, als er im Lager vor einem der Feuer zum Stehen kam und die züngelnden Flammen erblickte. Er sah es noch vor sich, als wäre es gestern gewesen, ein Bursche im Alter von zehn Sommern rannte über die Straße und schrie so spitz, dass seine Stimme den Kampflärm übertönte. Ein helles, gellendes Kreischen, das von einer ungeheuren Qual zeugte. Er hatte gebrannt, lichterloh in Flammen gestanden, geschrien und war an Marks vorbeigerannt, eine Qualm- und Hitzewolke hinter sich herziehend, bis er einfach zusammengebrochen war, nicht mehr als ein zu Kohle verbranntes Stück Menschenfleisch. Marks hatte ihm mit grauenhaftem Unglauben nachgesehen und dann Riath am Ende der Straße erblickt. Er hatte geblinzelt, den Kopf geschüttelt, und Riath war langsam auf ihn zugegangen und hatte ihm die Wahl gelassen. Marks war auf die Knie gefallen – und versuchte noch heute Wiedergutmachung zu leisten. Riath war sich sicher, dass sein Getreuer noch immer von dem Jungen träumte.
Sie hatten die Hexenjäger gemeinsam vertrieben, aber der Schlange noch nicht den Kopf abgeschlagen. Es wäre zu riskant gewesen, in ihre Nachhut einzufallen.
Mak kam durch die Zelte auf Riath zugetrabt, die langen Ohren eingeknickt und mit der Rute wedelnd.
Riath begrüßte ihn, ging in die Hocke und ließ zu, dass der kleine Racker seine Pfoten auf seine Brust stellte, damit sie auf Augenhöhe waren. Mak hechelte erhitzt, als wäre er stundenlang gerannt, in seinen Augen glitzerte absolute Zufriedenheit und an seinen Lefzen klebte frisches Blut.
»Hast du eine Gazelle gerissen, kleines Reißzähnchen?« Riath kraulte ihn ausgiebig, der dünne Kopf des Schakals wirkte winzig und zerbrechlich in seinen großen Pranken, doch er ging so sanft mit ihm um wie mit einem Neugeborenen. »Keine Nachricht von unserem Schönling, hm?«
Riath griff in den Beutel, der um Maks Rumpf gebunden war und runzelte verwundert die Stirn. Seine Finger ertasteten ein Stück Pergament.
Damit hatte er nicht gerechnet.
Während Mak an ihm hochsprang und seinen Hals voller Zuneigung leckte, tätschelte Riath ihn nur noch halbherzig, da all seine Gedanken auf den Brief gerichtet waren. Obgleich es kein richtiger Brief war, sondern ein kurzer, winziger Zettel ohne Sigel und unsauber gefaltet. Er klappte ihn auseinander und las die wenigen Worte. Nur ein Satz, keine Namen. Das war auch nicht nötig.
Riath warf die Nachricht ins Feuer, seine Miene war undurchdringlich, aber in seinem Inneren verspürte er ein erdrückendes Gefühl.
»Komm«, sagte er dann ernst, »gehen wir ein Stück.«
Er wollte sich die Beine vertreten, auch wenn sich seine Knie noch immer anfühlten, als bestünden sie aus eingeschmolzenem Stahl.
Vom Lager führte ein schmaler Trampelpfad durch den dichten Urwald eine Anhöhe hinauf.
Er verscheuchte alle Gedanken.
Die schwüle Hitze legte sich bald nicht nur auf Riaths Haut und sorgte dafür, dass sein schwarzes Hemd an ihm klebte, sondern drang auch in seine Lunge ein und ließ ihn schwer schnaufen.
Mak sprang leichtfüßig neben ihm her, seine lange Zunge hing fast auf dem Boden, doch er jagte weiterhin begeistert allem nach, was sich bewegte.
Der Weg unter Riaths Stiefeln wurde steinig und immer steiler. Neben ihm plätscherte ein breiter Nebenarm des Blue Water, dem Hauptfluss Elkanasais. Der Fluss mündete in einem riesigen See, der von hohen Felsen umsäumt war. Riath stieg seitlich einige Klippen hinauf, bis er die Baumkronen des Urwaldes durchbrochen und über dem Dach des Waldes auf einem großen, braunen Felsen herauskam.
Mak hatte eine Schlange im Maul, sie bewegte sich nicht mehr, und zog sich in den Schatten eines kantigen Felsen zurück, um sie in aller Ruhe zu zerfleischen. Riath hatte nie erlebt, dass einer seiner Schakale von einem anderen Tier gebissen oder gestochen worden war, selbst als Welpen waren sie ungeheuer schlau und treu gewesen, weshalb er erst auf die Idee gekommen war, sie als Boten einzusetzen. Wenn sie nicht gesehen werden wollten, wurden sie auch nicht gesehen.
Riath ging langsam zum Rand der Klippe, braunes Gestein bröselte und rieselte hinab in die Tiefe, plätscherte ins weit entfernte, stille Wasser.
Ob dort unten gefräßige Alligatoren lauerten? Wasserschlangen? Drachen?
Heute war ein schwermütiger Tag, bereits nach dem Aufwachen hatte Riath sich in Grübeleien verloren. Vergangenes ließ ihn nicht los. Manchmal war es genau wie in den Jahren kurz nach dem Tod seines Vaters, als er dieser haltlose, verwirrte Junge gewesen war, der nicht wusste, was er eigentlich wollte und wohin sein Weg ihn führte. In gewisser Weise wusste er es immer noch nicht, er folgte einfach den Pfaden, die sich ihm boten, und jagte denen hinterher, die ihm Böses wollten, ohne Gnade, ohne Rücksicht auf Verluste. Was sollte er auch sonst tun, es kam gar nicht in Frage, dass er einen von ihnen verschonen würde. So war er einfach nicht gestrickt.
Sein Problem war, dass er nicht so einfältig handelte wie seine Feinde, er wollte sie nicht bloß töten, das hätte er längst gekonnt, wenn er es beabsichtigt hätte. Oh nein, er wollte sie vernichten. Er wollte, dass sie zusahen, wie alles, was sie kannten, brannte. Er wollte ihnen ihre Welt rauben und sie brechen, wollte sie in eine kalte, einsame Zelle stecken und sie zusehen lassen, wie die Welt zu einem Ort wurde, den sie hassten.
Rachsüchtig, so hatte Wexmell ihn genannt. »Du bist rachsüchtig, Riath, und das bringt dir irgendwann den Tod, oder den Menschen, die du liebst. Lass ihn ziehen, er will doch nur, dass wir uns entzweien, er will dich rauslocken, damit ich dich nicht mehr schützen kann.«
»Du bist der, der uns entzweit, Wexmell! Er hat versucht, mich zu töten, und du lässt ihn einfach flüchten!«
»Ihm zu folgen würde Kriege nach sich ziehen, Riath, du musst umsichtiger werden!«
»Und du musst endlich anfangen, etwas zu unternehmen, statt da zu sitzen und an die Vernunft zu appellieren. Er hat uns verraten!«
»Und im Gegenzug willst du ihn jetzt töten, woraufhin irgendein anderer wiederrum Rache an dir üben wollen wird. Verstehst du es nicht? Rache hört niemals auf, wenn man einmal damit anfängt. Gib ihm nicht das, was er von dir erwartet!«
Das hatte er nicht und das würde er auch nicht, oh nein, Riath würde grundsätzlich immer genau das tun, was man gerade nicht von ihm erwartete. Genau wie vor wenigen Wochen in Carapuhr, womit niemand von seinen Gegnern gerechnet hätte.
Aber es ist alles ein wenig schiefgelaufen.
Beinahe wäre es ihm gelungen, beinahe hätte er Großkönig Melecay alles geraubt. Wäre dieser fanatische Ziegenhirte nicht größenwahnsinnig geworden und hätte versucht, den Großkönig zu töten. Nein, das wäre viel zu einfach für diesen Mistkerl. Riath hatte sich einmischen und Desith und Vynsu zu Melecays Rettung schicken müssen.
So einfach würde er diesen Hurensohn nicht davonkommen lassen. »Du stirbst mir nicht einfach davon, Melecay, so leicht mache ich es dir nicht.«
Für sie beide hatte das Spiel gerade erst begonnen. Es wurde Zeit für den nächsten Zug.
Riath riss sich die Stiefel von den Füßen und warf sie zur Seite, dann trat er barfuß weiter vor. Der Fels war heiß, verbrannte ihm die Sohlen. Er blickte hinab, spürte den Sog der Tiefe, hörte wie sie flüsterte und ihn verlockte. Er machte noch einen Schritt, direkt ins Leere, und stürzte sich mit den Füßen voran in den Abgrund. Sein Körper zischte wie ein Pfeil nach unten, die Landschaft rauschte an ihm vorbei und wurde von einem Bild zu einer undeutlichen, grünbraunen Kulisse. Seine Füße tauchten ins kühle Nass, er sank wie ein kerzengerader Baumstamm in den See. Das Wasser schlug über ihm zusammen, bremste seinen Fall, sodass seine Zehen den Grund des Sees nur sanft berührten, statt auf ihm zu zerschlagen.
Er setzte sich im Schneidersitz hin, die Arme vor der Brust gekreuzt, und schloss die grünen Augen. Durch das Wasser drangen die Geräusche und das Licht der Welt nur gedämpft zu ihm herab und er nutzte diese Ruhe, um intensiv über seinen nächsten Schritt nachzudenken.