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ISBN Book: 978-3-906304-67-0

ISBN E-Book: 978-3-906304-77-9

Vorwort | Anne Rüffer

Damit Fische weniger leiden und Fischer nicht auswandern müssen

Zurück zum Anfang: Von Hühnern zu Fischen

Faire Fische aus Schweizer Seen

Exkurs 1 – Richtlinien 2000 fair-fish für die Fischzucht

Exkurs 2 – Richtlinien 2000 fair-fish für den Fischfang

Exkurs 3 – Zwischenspiel mit Zierfischen?

Faire Fische aus Afrika

Exkurs 4 – fair-fish zu Senegals Fischereipolitik

Exkurs 5 – Warum nicht Dosenfisch per Schiff?

Exkurs 6 – Warum nicht in Europa fair fischen?

Exkurs 7 – Kampagnen statt Projekte

Zurück zur Aquakultur: Wann ist es Fischen wohl?

Exkurs 8 – Tut es den Fischen denn weh?

Exkurs 9 – Wie fair-fish fast eine Musterfischzucht bekam

Übergabe an die nächste Generation

Welchen Fisch kann ich noch essen?

Anhang

Glossar

Anmerkungen

Bildnachweis

Biografie des Autors

Dank

Vorwort

Anne Rüffer, Verlegerin

2. Dezember 2015, Genf. Im voll besetzten »Auditorium Ivan Pictet« hat sich ein hochrangiges Publikum versammelt, um die aktuellen PreisträgerInnen des Alternativen Nobelpreises zu ehren. Selten stimmt die Adresse eines Ortes so unmissverständlich mit den Inhalten der Veranstaltung überein wie an diesem Abend: »Maison de la paix«. Deutschlands Umweltministerin Barbara Hendriks und UN-Generaldirektor Michael Møller eröffnen den Anlass, der unter dem Titel steht: »On the Frontlines and in the Courtrooms: Forging Human Security.«

In der darauf folgenden Diskussion der vier PreisträgerInnen von 2015 fällt auf einmal die Aussage, die mich elektrisiert: »Die UN wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, um nachfolgende Generationen vor der Geisel des Kriegs zu bewahren. Seither hat es über 170 Konflikte gegeben – und ihr habt die Möglichkeit einer Abschaffung von Kriegen nie diskutiert? Come on, guys, das ist doch unglaublich!« Verlegenes Gelächter und ungläubiges Staunen im Publikum, doch Dr. Gino Strada, Gründer der internationalen Hilfsorganisation »Emergency« weiß nur zu gut, wovon er spricht: Seit den frühen 1990er-Jahren baut er Kliniken in Kriegsregionen und kümmert sich um die zivilen Opfer – 10% sind KämpferInnen der verschiedenen Kriegsparteien, 90% ZivilistInnen. Er beendete sein Statement mit der Feststellung: »Nennt mich ruhig einen Utopisten, denn alles ist eine Utopie, bis jemand seine Idee in die Tat umsetzt.«

Einer der wohl meistzitierten Sätze der letzten Jahrzehnte lautet: »I have a dream.« Nicht nur Martin Luther King hatte einen Traum – viele Menschen träumen von einer gerechteren Welt für alle. Und es sind einige darunter – mehr als wir wissen und noch lange nicht genug –, die ihren Traum mit Engagement, Herz und Verstand realisieren. Es sind PionierInnen in ihren Bereichen, man mag sie – wie Gino Strada, Martin Luther King, Mutter Teresa oder Jody Williams – durchaus UtopistInnen nennen. Doch: Jede große Errungenschaft begann mit einer Idee, einer Hoffnung, einer Vision.

Den Funken einer Idee, einer Hoffnung, einer Vision weiterzutragen und damit ein Feuer des persönlichen Engagements zu entzünden, das ist die Absicht, die wir mit unserer Reihe »rüffer&rub visionär« verfolgen. Im Mittelpunkt steht die persönliche Auseinandersetzung der AutorInnen mit ihrem jeweiligen Thema. In packenden Worten berichten sie, wie sie auf die wissenschaftliche, kulturelle oder gesellschaftliche Frage aufmerksam geworden sind, und was sie dazu veranlasste, sich der Suche nach fundierten Antworten und nachhaltigen Lösungen zu verpflichten. Es sind engagierte Texte, die darlegen, was es heißt, eine persönliche Verpflichtung zu entwickeln und zu leben. Ob es sich um politische, gesellschaftliche, wissenschaftliche oder spirituelle Visionen handelt – allen AutorInnen gemeinsam ist die Sehnsucht nach einer besseren Welt und die Bereitschaft, sich mit aller Kraft dafür zu engagieren.

So vielfältig ihre Themen und Aktivitäten auch sein mögen – ihr Handeln geschieht aus der tiefen Überzeugung, dass eine bessere Zukunft auf einem gesunden Planeten für alle möglich ist. Und: Wir sind davon überzeugt, dass jeder und jede von uns durch eigenes Handeln ein Teil der Lösung werden kann.

Kayar, einer der größten Fischereihäfen Senegals, morgens um fünf Mitte Januar 2005. Ein alter Fischer, der Chef der Handleiner [→], holt mich in der nachtdunklen Medina ab, unafrikanisch eine halbe Stunde vor der gestern vereinbarten Zeit. Hastig schlappt er zwischen den dicht nebeneinanderliegenden Pirogen [→] über den Sand, schaut sich immer wieder nach mir um, treibt mich zur Eile an. Am Strand angekommen, heißt er eine der Gestalten, die wartend um ein Boot versammelt stehen, sein Ölzeug auszuziehen. An seiner Stelle soll ich in die klamme Kluft schlüpfen, an der Bootskante mit anfassen, hauruck, bis die Piroge vom Strand geschoben ist und schwimmt, und nix wie reinspringen und ab. Banda Diouf, der Capitaine dicht hinter mir, dreht den Motor auf und jagt die faltbootenge Piroge mit Höchstgeschwindigkeit aufs Meer hinaus. Als die hellen Scheinwerfer von Kayars großem Fischerhafen entschwinden, herrscht reine Nacht. Mit wem hock’ ich eigentlich im selben Boot?

Ich klammere mich mit beiden Händen an Kanten, verkeile mich mit beiden Füßen gegen Spanten und bin vollauf damit beschäftigt, die heftigen Schläge der Wellen, die das Boot auf und ab und hin und her schütteln und, so fürchte ich, zum Kentern zu bringen drohen, durch ständiges Verlagern meines Gewichts auszugleichen. Bloß nicht rumrutschen! Was tut der Wahnsinnige da vor mir? Stellt sich aufrecht hin und … pinkelt, tatsächlich, seelenruhig und ohne über Bord zu kippen. Ich bin schon froh, dass mir keine Zeit fürs Frühstück geblieben war; ich weiß ja nicht mal, ob mein Magen seetüchtig ist.

Der Tag bricht an, der Capitaine hinter mir drosselt den Motor, sucht die richtige Stelle über einem Riff, dann wirft sein Kollege vorn im Bug einen Anker aus. Hier liegen wir in hoher Dünung, es schaukelt nicht minder, ich halte mich verkeilt und schaue den drei Jungen zu, die ihre Handleinen auswerfen, sie prüfend mit heftpflasterbewehrten Fingern führen und immer wieder einziehen, um die Köder an den Angeln zu ersetzen, Stücke von Fischen von gestern. Selten beißt einer an. »Marée haut«, sagt Banda, der mir gegenübersitzt, und zuckt die Achseln, als möchte er sich von vornherein entschuldigen: Bei Flut ist nicht gut fischen.

Tatsächlich tut sich auch bei den zwei anderen Fischern wenig. Nur Banda hat heute Glück; an seiner Leine mit acht Haken zappelt hin und wieder ein Fisch. »Tu veux essayer?«, fragt er mich und hält mir seine Leine hin. Ich winke ab. »Erklär mir lieber genau, wie du’s machst.« Er lässt die Leine über seinen Finger weggleiten, wartet, wartet, zieht kurz an – »Siehst du?«, sagt er mehr mit den Fingern als mit seiner Stimme. »Bei manchen Fischen musst du die Leine gehen lassen, wenn sie anbeißen, bei anderen hingegen musst du sogleich anziehen, damit sie hängen bleiben.« – »Und woher weißt du, welche Art von Fisch du an der Angel hast?« Er zuckt bloß wegwerfend die Achseln, soll wohl heißen: »Ist doch klar, Mann, ich mach ja nichts andres seit meiner Kindheit!« Und seit Generationen suchen sie täglich dieselben Plätze auf, kennen ihre Riffe genau, auch wenn sie sich heutzutage mittels GPS versichern, dass sie am rechten Ort angelangt sind.

Mein Hintern schmerzt vom langen Sitzen auf demselben Platz; doch meine Aufmerksamkeit ist meist bei Banda, der etwas Französisch spricht und es gern anwendet, derweil die anderen beiden stumm bleiben. Ich erfahre, dass die drei Cousins seit Jahren zusammen fischen. Ob sie ihre Arbeit lieben? »Travail? Ce n’est même pas un travail de merde!« Nicht mal eine Scheißarbeit sei das, lausig bezahlt, und Fische gebe es ja kaum mehr welche, weil die Spanier, die Japaner und die Koreaner das Meer im großen Stil leer fischen. Oder für sich leer fischen lassen, denke ich und sehe vor mir das Bild auf der kurzen Überfahrt mit der Fähre von der Insel Gorée zurück nach Dakar vor einem halben Jahr, als ich zum ersten Mal hier war: Bis zum Horizont trieben Tausende tote Fische auf dem Wasser, äußerlich unversehrt und frisch. Als des Rätsels Lösung traf der Blick wenig später auf ein koreanisches Fabrikschiff vor Anker. Hierher verkauften Pirogen ihren Fang, und von hier wurden unzählige Fische weggeworfen, weil sie irgendwelche Kriterien nicht erfüllten. »Mit diesen Fischen könnten doch Tausende ernährt werden«, hatte ich zu unserem Guide gesagt, und nach dessen höflichem Nicken nachgehakt: »Warum lässt eure Regierung das denn zu?« – »Wir sind eben ein armes Land«, meinte er leise, »und wir brauchen unbedingt Devisen …«

Doch es geht noch schlimmer: Ein halbes Jahr später, bei meinem dritten Aufenthalt im Senegal, erfahre ich, dass bessergestellte Nationen ihre Fischgier sogar devisenfrei zu stillen verstehen. Um Kosten zu sparen, holen Fabrikschiffe aus Südkorea (und wer weiß, woher sonst noch) einheimische Fischer samt deren Pirogen an Bord, fahren entlang Westafrika von Mauretanien bis Angola, ankern vor fischreichen Riffen und schicken die Pirogen aus, die in Senegal und anderen westafrikanischen Ländern freien Zugang zur Fischerei haben, egal, aus welchem Land sie kommen, und egal, wohin sie ihren Fang verkaufen. Jedenfalls bis damals, 2005, war das noch so, denn die traditionellen Fischereirechte waren nicht auf Schiffe aus Europa oder Asien ausgelegt. Und die Pirogenfischer aus dem Norden Senegals hatten nicht damit gerechnet, dass jenes koreanische Fabrikschiff, dem sie vor Angola so reiche Beute gebracht hatten, sie noch einmal zum Riff aussenden würde, um sich dann plötzlich auf und davon zu machen und sie in fernen Gewässern und ohne Lohn zurückzulassen. Allerdings lerne ich auch, dass einheimische Fachleute den Raubbau an den einst reichen Fischbeständen vor Senegals Küsten nicht mehr nur dem Verscherbeln von Fischereirechten an ausländische Industrieflotten anlasten, sondern auch der Befischung durch einheimische Pirogen, deren Zahl zunimmt, weil Menschen dürrer werdendes Acker- und Weideland in der Hoffnung verlassen, beim Fischfang wenigstens noch etwas zu verdienen, auch wenn sie dafür weder ausgebildet noch angemessen ausgerüstet sind.

Obendrein, sagt Banda und holt mich aus meinen Gedanken zurück, obendrein sei ihr Job extrem gefährlich; hin und wieder kentere eine Piroge und die Fischer ertränken. »Keine Schwimmwesten?«, frage ich, und gleichzeitig wird mir bewusst, dass ich selber ohne Schutz hier draußen hocke, in voller Kleidung und engem Ölzeug, das ich im Wasser nicht mehr vom Leib brächte … »Non, pas de gilets de sauvetage«, keiner hat das hier, es fehle schlicht das Geld dazu. Tatsächlich, erfahre ich ein halbes Jahr später – erstaunt darüber, dass ich gleich beim Betreten der alten Fähre nach Foundiougne ermahnt werde, mir eine Schwimmweste anzuziehen –, dass das Tragen dieser Rettungswesten im Senegal tatsächlich bei jeder Fahrt auf dem Wasser Pflicht sei. Was fehlt, sind die Schwimmwesten selbst. Unsere KollegInnen von einer senegalesischen NGO hatten sich darum die Mühe gemacht, die lokale Produktion von Schwimmwesten an die Hand zu nehmen. Nach drei Serien hatten sie allerdings wieder aufgeben müssen, da sich im ganzen Land kein Material für die Schwimmhilfen mehr auftreiben ließ. Stattdessen erbarmte sich China (egal welches; beide beglückten das Land mit Projekten und schielten nach dessen Rohstoffen) und schenkte Senegal Abertausende von Schwimmwesten, die nun zu 5000 hiesigen Franc verkauft werden. Das entspricht fünf einfachen Mittagessen in einem lokalen Restaurant. Die Fischer aber tragen weiterhin keine dieser gilets chinois; vielleicht ist ihnen die Widmung auf der Rückseite nicht ganz geheuer: »Amitié de la République de Chine (Taiwan).« Wie auch immer; eines hat die Schenkung mit Sicherheit bewirkt: Die heimische Produktion der Lebensretter bleibt in weite Ferne gerückt.

Kurz, für Banda mag es weniger beschämend und jedenfalls einfacher gewesen sein, das Abhandensein von Schwimmwesten mit dem landesüblichen Mangel an Geld zu erklären. Ob er denn im letzten Jahr nicht EUR 100 erhalten habe? »Von wem?« – »Nun, in ganz Afrika bekommt Senegal am meisten Entwicklungshilfe, USD 100 pro Kopf und Jahr!« Er stutzt, lacht dann: »Non, jamais vu ça, mir hat noch keiner was gegeben, und ich kenne keinen, der was gekriegt hätte. Aber wenn ich mal Geld hab, hau ich ab. Emigration weißt du?«

»Wohin denn?«

»Italien, Spanien …«

»Du kommst heute höchstens noch bis Marokko; dort hat Europa einen hohen Zaun aufrichten lassen!«

»Nun, ich werd’ mich durchschlagen …«

»Und wenn: Bei uns ist nicht nur das Klima zu kalt für dich; da wartet keiner auf dich!«

»Ich kenn aber einen, der hat’s geschafft und hat jetzt einen tollen Job in Amsterdam!«

»Nun, da hat einer Glück gehabt, einer von Zehntausenden. Aber wo fühlst du dich denn zu Hause?«

»Na, hier, ist doch klar!«

»Warum willst du denn weg?«

»Ich will was andres machen als fischen; keiner von uns Jungen will noch fischen.«

»Was wär denn eine Alternative?«

»Keine, es gibt hier nichts andres.«

»Keine Touristen an diesem schönen Strand hier?«

»Nein, nichts. Ja, doch, es gibt Pläne, alle haben hier schon Pläne, die Franzosen, die Italiener, die Spanier, die Kanadier, die Amerikaner, aber passiert ist noch nichts.«

»Da seid mal froh; wenn die hier loslegen, werdet ihr von Weißen überschwemmt, aber Arbeit kriegt ihr dennoch keine, denn die bringen ihr Personal gleich mit.«

»Sicher nicht; unser Präsident wird schon dafür sorgen, dass wir die Arbeit kriegen, wenn sie dann mal da ist! Aber es tut sich ja nichts …«

»Habt ihr keinen Austausch mit jungen Fischern in anderen Ländern? Die hätten ja vielleicht Ideen …«

»Nein, wie denn?«

»Na, per Internet!«

»Hab mal davon gehört; der jetzt in Amsterdam lebt, hat’s mir mal kurz gezeigt. Aber wir haben ja nicht mal einen Computer …«

»Und wenn wir euch einen mitbrächten nächstes Mal und jemand es euch beibringen würde?«

»Mais ça serait super!«

Genug zugeschaut. Ich enthülle den Stock aus rostfreiem Stahl, den wir für unser Projekt hier entwickelt haben. Damit können Fische gleich nach der Entnahme aus dem Wasser rasch und einfach betäubt und getötet werden. Den Fischessenden hier ist das wohl egal; in Europa aber wächst die Zahl jener, die es vorzögen, Fische zu kaufen, die nicht in großen Netzen an Bord geschüttet wurden und qualvoll verenden mussten. Wer täglich für andere Fische fängt, sie sterben sieht und sich in der Stille der Arbeit so seine Gedanken macht, kann etwas Mitleid mit dem Tier schon nachvollziehen, bloß: Wie soll er denn jeden Fisch erlösen, ein ganzes Netz voll, und selbst wenn, der Mehraufwand lohnt sich ja dann doch wieder nicht … Senegals Fischer sehen das offenbar anders als ihre Kollegen im Norden; sie verdienen so wenig, dass ein wenig mehr schon viel wäre. Ich führe den Betäubungsschlag auf den Kopf des Fisches vor, drehe den Stock in der Hand um 180 Grad, setze den Kiemenschnitt durch die Schlagader zum Ausbluten. Dann zeige ich auf die Spur, die das mit Schraubgewinde versehene Stockende auf dem Fischkopf hinterließ, dank der sich später leicht kontrollieren lässt, ob der Fisch betäubt worden ist. Banda beobachtet alles aufmerksam, lässt sich den Sinn erklären, versucht es selbst. »Geht ganz gut«, meint er, »und für solche Fische gibt’s dann einen höheren Preis?«

»Ja!«

»C’est intéressant, ça; da würden wir uns das mit dem Abhauen vielleicht nochmals überlegen …«

Ob ich denn noch nicht genug hätte, will Banda wissen. Ich sei nicht hier, um genug zu haben, antworte ich, sondern um ihre Arbeit eins zu eins mitzuerleben. Wie lange sie denn jeweils auf dem Meer blieben?

»Etwa sechs Stunden, je nachdem.«

»Nun, wir sind ja erst zwei Stunden draußen.«

»Mais ce n’est pas la pêche aujourd’hui. Wir sind ja heute nicht zum Fischen ausgefahren, sondern weil du dafür bezahlt hast.«

»Ich habe nicht bezahlt, um ausgefahren zu werden. Ich habe bezahlt, weil ihr sagtet, dass ihr weniger fangen werdet, wenn ich mitfahre, und ihr Zeit braucht für das, was ich euch zeige.«

»Alors, on rentre? Willst du jetzt zurück?«

»Nein, wir gehen zurück, wenn ihr mit dem Fischen fertig seid.«

Neugierig beginnen uns Kollegen von Banda in ihren Pirogen zu umkreisen. Ganz so, als wär hier ein toubab, ein Weißer, an Bord eines Fischerboots eine Rarität. Worte in Wolof, der regionalen Sprache, fliegen hin und her, die ich nicht verstehe; Scherze, offenbar, und eher derbe. »Was sagen die denn?« Banda erklärt, seine Kollegen machten sich darüber lustig, dass er und sein Cousin überhaupt die Angeln auswürfen, heute, da ich ja den ganzen Tag schon finanziert hätte, und einer rufe grad, ich soll sie alle nur auch bezahlen, dann könnten sie nach Hause. Verdammt, das hat sich schnell rumgesprochen! Ich schwöre mir, nie wieder für eine Trainingsfahrt von künftigen Projektteilnehmern zu bezahlen; ich hatte schon gestern ein eigenartiges Gefühl, als ich dem Schnorren des Capitaine nachgegeben hatte.

Nach sechs Stunden habe ich wieder Boden unter den Füßen, doch der Strand schwankt bedenklich unter mir. Ein gutes Zeichen, meint Banda: »Das bedeutet, dass du gar nicht seekrank werden kannst.« Ich möcht’ es nicht drauf ankommen lassen, wasche mich und ziehe mir etwas anderes an, bevor ich mich von den jungen Fischern zu ihnen nach Hause führen lasse, durch enge Gassen der Medina, in weite sandige Innenhöfe. Kinder lachen mich neugierig mit großen Augen an, Frauen schauen lächelnd zu Boden, Väter und Onkel, stolz darauf, dass ihre Söhne den Beruf fortführen, heißen mich willkommen wie einen alten Freund, obwohl ich kein Wolof spreche, mit nur einer Frau verheiratet bin (was Männer und Frauen hier so erklärungsbedürftig finden wie wir die Polygamie) und mich nicht nach Mekka verneige (was die meisten hier täglich tun), geschweige denn nach Rom (was sie ersatzweise begrüßen würden). Die Jungen, die mich zu ihnen geführt haben, ziehen sich nach der ersten Begrüßung diskret zurück. Es schickt sich nicht, eine andere Ansicht zu äußern als jene der Älteren, also ziehen sie es vor, abwesend zu sein. Die Väter aber begrüßen mich nicht nur im Innersten ihrer Häuser, sondern im Innersten ihrer Hoffnung. Wie soll ich ihnen erklären, dass es kein Auskommen mehr gibt für alle auf dem Schiff?

Als ich ein halbes Jahr später in Kayar nach Banda frage, ist er nicht mehr da. Er sei nach Spanien gegangen, erfahre ich. Das Geschäft mit »fairen Fischen« kam für ihn zu spät. Seine Kollegen aber zählen immer noch darauf, dass es endlich einmal einen Fairen Handel mit Fischen geben wird.

Hilft es, wenn ich nur noch Fische aus Entwicklungsländern kaufe? [→ Kapitel »Welchen Fisch kann ich noch essen?«]

Alles hatte 1977 begonnen. Für den Schutz der Umwelt hatte ich mich als junger Linker schon länger engagiert. Ich musste damals mit sehr wenig Geld auskommen, nachdem ich einen gut bezahlten, aber langweiligen Job geschmissen hatte und mich als Halbtagsallrounder von der »LeserZeitung« anstellen ließ. Ich hatte mich zur selben Zeit von meiner WG verabschiedet und lebte zum ersten Mal allein in einer Wohnung, die ich spottbillig mieten konnte, weil die Liegenschaftsverwaltung gar nicht dachte, dass sich jemand für dieses »Loch« interessieren würde. Ich legte eine Liste von etwa zwanzig Abendessen an, die ich in dreißig Minuten auf meinen Tisch zaubern und deren Zutaten ich günstig und ohne lange Umwege einkaufen konnte. Eintellermenüs wie Blumenkohl an Tomatensauce, Reis mit Pilzen und Erbsen, Chorizos oder Sherryhuhn auf Kichererbsen, manches aus der Konservendose, immer scharf, immer Salat dazu und billigen Rotwein aus der Literflasche. Huhn? Pouletschenkel aus dem Supermarkt, keine Ahnung, woher die kamen. Genauso wenig wie die Leber, die Nieren, die Blutwürste, die ich mittags in einer Arbeiterkneipe verzehrte. Billig und schnell, sodass es noch für ein Bier reichte, bevor ich zurück zur Arbeit musste.

Von Milchkühen auf Rädern

Eines Tages blieb ich an einer kleinen Zeitungsnotiz hängen, die auf einen Dokumentarfilm Bezug nahm: In den USA gebe es Versuche mit einem neuartigen Stallsystem, bei dem die Milchkühe auf Wägelchen herumgefahren würden, vom Futter zum Melkstand zur Kotgrube. Wenige Zeilen nur, doch das Bild, das sie in mir hervorriefen, hat sich mir tief eingebrannt. Schlagartig wurde mir bewusst, wie weit ich von der Realität entfernt war, deren Produkte ich mir täglich einverleibte. Wenn jemand überhaupt auf die Idee kommen konnte, ein System auszutüfteln, um Tiere derart effizient zu nutzen, wie weit war die Ausbeutung von Tieren denn schon vorangekommen? Bis dahin hatte ich Tierschutz als Freizeitbeschäftigung wohlmeinender Hunde- und Katzennarren mit leicht misanthropischem Einschlag gesehen, die mit ernsthaftem Umweltschutz wenig gemein hatte; nun begann ich mich dafür zu interessieren, was Menschen mit Nutztieren anstellen, weil ich spürte, dass hier etwas aus dem Gleichgewicht geraten war.

Ungefähr ein Jahr später organisierte die »LeserZeitung« im Rahmen einer Umweltreihe im Zürcher Corbusier-Haus eine Podiumsdiskussion mit ein paar klingenden Namen; einer davon war Roger Schawinski, Journalist, Fernseh-Konsumentenschützer und Privatradiorebell. Mit auf dem Podium saß Lea Hürlimann, Künstlerin und nach eigener Aussage eine »wild gewordene Hausfrau«, die 1974 ihrem Zorn über die Zustände in der landwirtschaftlichen Tierhaltung Luft gemacht hatte, was zu einem Artikel in der damaligen Gratiszeitung »ZüriLeu« und zu 1400 empörten Zuschriften von LeserInnen führte, die Maßnahmen erwarteten. So wurde Lea Hürlimann wie einst Winkelried bei der Schlacht in Sempach in die Spieße der Gegner nach vorn gestoßen. Ordner voller Dossiers füllten ihr Schlafzimmer und lange Gespräche ihre Telefonrechnung. Zusammen mit Freunden gründete sie einen kleinen Verein mit dem programmatisch langen Namen Konsumenten-Arbeits-Gruppe zur Förderung tier- und umweltfreundlicher Nutztierhaltung (kurz KAG). Vier Jahre später saß sie also auf dem Podium, legte sich kundig und mit Verve ins Zeug, ließ sich von niemandem den Schneid abkaufen und war um keine Antwort verlegen. Ihre Entschiedenheit beeindruckte mich derart, dass ich keine andere Erinnerung mehr an diesen Anlass habe und damals nur eines wollte: hernach mit Lea Hürlimann ins Gespräch zu kommen und ihr Anliegen bei uns ins Blatt zu bringen.

Im Frühsommer 1979 mussten meine Freundin und ich die Wohnung in Zürich räumen; die von uns zusammen mit einigen Mietern erstrittene Fristerstreckung war abgelaufen, die einst von der »Roten Fabrik« erbaute Arbeitersiedlung war von einem Handwerker zwecks Totalsanierung gekauft worden. Wir zogen zusammen mit Freunden in ein Haus mit 2000 m2 Garten am Rand von Winterthur, grade noch rechtzeitig, um Gemüse anzupflanzen. Für mich vollkommenes Neuland, das ich mir mit Fachliteratur und viel Schweiß und Schwielen erschloss. Und weil zur Liegenschaft auch ein Hühnerstall gehörte, kauften wir uns sechs schöne, stolze New-Hampshire-Legehennen, gewährten ihnen großzügigen Auslauf im ganzen Garten und holten uns Rat bei Lea Hürlimann, der Retterin der damals letzten wenigen bäuerlichen Freilandhühnerhaltungen. Da ich bis dahin nie Tiere gehalten hatte, war ich erstaunt, wie einfach es mir die Hühner machten: Sie schienen zufrieden mit Futter und Umschwung und legten täglich fünf Eier. Als wir wenig später die kleine Herde um einen Hahn vergrößerten, fanden wir täglich sogar sechs Eier. Doch nachdem wir den Hahn hatten schlachten müssen, weil er unsere kleinen Kinder angriff, waren es wieder fünf Eier pro Tag, denn nun übernahm eines der Hühner die Funktion des Hahns: Es spürte Nahrung auf, sicherte das Terrain und wachte über die Kolleginnen.

Mein Arbeitsaufwand für die Eier war gering, im Durchschnitt kaum mehr als eine Viertelstunde pro Tag, weniger als die Zeit, die ich manchmal mit dem Beobachten der Tiere verbrachte, allmählich verstehend, wie dumm es ist, Hühner als dumm zu betrachten.

Vom Jagen und Sammeln

Ein Jahr später, 1980, scheiterte die Fusion der »LeserZeitung« mit dem Alternativmagazin »Focus« nach wenigen Monaten. Wir von der »LeserZeitung« wurden vom eben erst gegründeten Verein M-Frühling angeheuert, als Redaktion der Zeitschrift von oppositionellen Migros-Genossenschaftern, die andere Personen und Ideen in die Führung der größten Detailhandelskette der Schweiz bringen wollten. Nach Ende der Kampagne entschloss ich mich, fortan als Selbständiger mein Auskommen zu suchen, weil ich meine verschiedenen Fähigkeiten und Kenntnisse weiter anwenden und vertiefen wollte. Meine ArbeitskollegInnen hielten mich für verrückt: ausgerechnet jetzt, da ich bald Vater würde? Ich hatte Glück, fand ein paar Aufträge, darunter von Lea Hürlimanns KAG, ich half meiner Partnerin beim Nähen von Kinderkleidern für ihr Geschäft und hatte viel Zeit für Arbeiten in Haus und Garten, für die Hühner, Enten, Kaninchen und Katzen und vor allem für meine erste Tochter. Ich sammelte viele neue Erfahrungen und hatte viel Zeit zum Nachdenken; auch jede Nacht, während der einstündigen Schneckenjagd mit Taschenlampe und Schere entlang der Gemüsebeete. Dabei verfiel ich ins Philosophieren, wohl ähnlich wie ein Bauer, der einen halben Tag lang seinen Acker pflügt, oder wie ein Fischer, der frühmorgens alleine auf dem See seine Netze hievt.

So dachte ich etwa darüber nach, dass nicht nur der menschliche Verdauungsapparat, sondern wohl auch unser Bewusstsein sich in den letzten zehntausend Jahren seit der Agrarrevolution nicht mehr verändert hat: Wir sind im Kern noch immer Jäger und Sammler. Warum also sperren wir Tiere und Pflanzen in eine enge Umwelt, die sie sich selber nicht aussuchen konnten? Die Tiere, die wir zu unserer Ernährung oder zu unserer Freude halten, würden vermutlich anders leben, wenn sie frei entscheiden könnten; die Pflanzen würden an anderen Orten und in anderen Gemeinschaften wachsen. Die Menschheit hat mit der Zucht von Lebewesen eine große Verantwortung auf sich genommen: Jetzt sind wir dafür verantwortlich, dass Milliarden von Tieren ein gutes Leben vom Anfang bis zum Schluss führen können. Unsere Vorfahren hatten als Jäger und Sammler »nur« die Verantwortung für einen guten Tod.

Von kastrierten Katern

Dass etwas nicht stimmt mit unserem Verhältnis zu Tieren war mir schon wenige Jahre zuvor aufgefallen. Wir hatten damals in Zürich ein Katzenpaar und bald auch vier Junge. Der stolze Kater war ein liebevoller Vater, doch hin und wieder musste er alleine um die Häuser ziehen, kam aber stets nach ein paar Stunden zurück, zum Glück, denn einer Krankheit wegen brauchte er täglich Medikamente. Eine wahrscheinlich gutmeinende Dame im Quartier griff sich das vermeintlich vernachlässigte Tier, sperrte es in ihre Wohnung und brachte es zum Tierarzt, der den Kater untersuchte und kurzerhand kastrierte. Das erfuhren wir erst ein paar Tage später, als besagte Dame endlich auf die von uns ausgehängten Zettel reagierte, den Kater freiließ und uns anrief, um die Bezahlung der nicht gewollten Tierarztleistung einzufordern. Ich war schockiert und erkundigte mich bei verschiedenen Tierschutzorganisationen, was davon zu halten sei. Damals galten Tiere im Schweizer Recht noch als Sachen, und da der Kater ja nun wieder nach Hause gekommen sei, bestünde für uns kein Schaden, im Gegenteil: Es sei sogar ein Gewinn, dass der Kater nicht mehr zeugungsfähig sei, also nicht mehr zur schon unkontrollierten Vermehrung der Katzen beitragen könne; damit werde das Leid vieler unerwünschter Katzen vermieden. Einzig in der Frage der Entschädigung gaben uns die Angefragten recht. Das Entscheidende war für mich damit nicht beantwortet, ja nicht einmal gestreift, und mein Zorn war noch immer groß genug, um die Erfahrung in einer Kurzgeschichte mit dem Titel »Für die Freilassung aller Haustiere und deren Rückführung in die Gärten des Quartiers«1 zu verarbeiten. Und im Zorn schrieb ich da unter anderem: »Man kastriert halt eben, und die Wissenschaft scheint das sogar noch zu rechtfertigen. Schau, Universität, du Hure der Neunmalklugen und Siebengescheiten! Ich schüttle mich bei der Erinnerung an Psychologievorlesungen, wo von der grundlegenden Differenz zwischen Tier und Mensch die Rede war, von der Geschlossenheit und Bedingtheit tierischer Existenz.«

Wie richtig war es also, Hühner um ihrer Eier willen zu halten, auch wenn sie viele Freiheiten genossen? Und wie richtig war es, als Selbstversorger Kohl, Salat, Tomaten zu pflanzen, ohne zu wissen, ob sie da von selber gedeihen würden? Warum musste ich mich täglich um sie kümmern, sie vor Schnecken und anderen Schädlingen schützen? Und warum war ich in der Konfrontation mit Schnecken so fraglos aufseiten der Kohl- und Salatköpfe? Was war da noch Natur, was menschliche Planung und Ausbeutung? Was die KAG für die Nutztiere tat, schien mir gut und wichtig, doch nur ein halber Schritt angesichts des Umstands, dass wir mental Jäger und Sammler geblieben sind und Tiere und Pflanzen in diesem Bewusstsein nur jagen oder pflücken sollten – doch wie, wenn wir die Erde inzwischen mehr als zehnmal so zahlreich besiedeln? In meinem Alltag jedoch handelte ich eher wie ein fürsorglicher Kleinbauer, ungeachtet des inneren Dilemmas. Inzwischen war meine zweite Tochter zur Welt gekommen, die Zeit zur Kontemplation wurde knapper; schließlich mussten wir »unser« Haus wegen Eigenbedarfs des Eigentümers verlassen und 1985 mit allen Lebewesen und der ganzen Habe nach Trogen ziehen, in ein großes Haus, dessen Besitzer nebenbei eine kleine Landwirtschaft mit ein paar Schweinen, Schafen, Rindern und Hühnern betrieben. Kaum eingezogen, benachrichtigte mich Lea Hürlimann, dass sie sich einer schweren Brustkrebsoperation unterziehen müsse und ihr der Arzt dringend geraten habe, ihre tagefüllende Arbeit für die KAG auch danach nicht wieder aufzunehmen.

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166 стр. 44 иллюстрации
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9783906304779
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