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Inhalt
Vorwort von Oberstaatsanwalt Andreas Bachmann
Kapitel 1 Matchfixing – was ist das? Das Milliarden-Business der Manipulation
Kapitel 2 Es begann mit einer Lüge – mein Werdegang bei der Polizei
Kapitel 3 Die Sonderkommission Flankengott
Kapitel 4 Jeder ist käuflich
Kapitel 5 Wettpaten
Kapitel 6 Die FIFA
Kapitel 7 Der DFB
Kapitel 8 Der Weg nach vorn
Vorwort
von Oberstaatsanwalt Andreas Bachmann
»Nicht quatschen, handeln!« – so sind die Arbeit von Michael Bahrs und sein Enthusiasmus für das Thema Sportbetrug auf den Punkt gebracht. Dieses Buch ist deshalb so wichtig, weil es von einem »Macher« verfasst worden ist, der in der Materie arbeitet. Was bedeutet das? Er hört Telefonate ab, in denen Sportereignisse abgesprochen werden, er durchsucht die Wohnungen derjenigen, die ihr Geld mit dem Manipulieren von Wettkämpfen verdienen und verdienen wollen, und er nimmt sie fest. Eigenhändig. Er spricht mit den Betroffenen, den Opfern und Tätern, von Mensch zu Mensch. Ohne Vorbehalte und Schranken. Das kann er wie kaum ein Zweiter. Er ist dabei kein Polizeibeamter, sondern ein fragender Mensch, der wissen möchte: Aus welchem inneren Anlass wird jemand zum Straftäter, warum zerstört jemand den Sport oder lässt sich darauf ein? Meistens gelingt es Michael Bahrs, einen »Draht« zu den Betroffenen zu bekommen, er hört ihnen zu und die Beschuldigten merken, dass sich jemand für sie interessiert. Jetzt könnte man einwenden, das ist doch ganz normale Polizeiarbeit, das macht jeder Polizist genau so, was ist denn jetzt das Besondere?
Das Besondere ist, dass Michael Bahrs genau weiß, worum es geht, er tritt seinem Gegenüber mit offenem Visier gegenüber. Das bedeutet natürlich nicht, dass andere Polizisten gegenteilig arbeiten. Es heißt vielmehr, dass er sich in die Täter hineinversetzt, mit ihnen darüber auf Augenhöhe spricht, nicht vorverurteilt, sondern Informationen sammelt, er bekommt vielfach sogar Vertrauen geschenkt und gibt den Betroffenen das Gefühl, sich im Rahmen des rechtlich Möglichen für sie einzusetzen. Aber er zieht auch klare Grenzen und lässt diese nicht verwischen. Diese Umstände machen das Buch zu einer in Deutschland einzigartigen Quelle an Berichten über Sportbetrug, wie es dies bisher noch nicht gegeben hat. Wann hat jemand denn einmal zehn Jahre in diesem Bereich gearbeitet? Niemals zuvor hat es so etwas gegeben; daher hat Michael Bahrs viel zu erzählen, aus allen Bereichen, national und international, viele Geschichten erlebt, die alle bis auf den letzten Punkt und das letzte Komma genau so passiert sind. Er hat dazu beigetragen, dass Europas größtes Sportmanipulationsverfahren in den Jahren 2009 bis 2015 mit 17 Verurteilungen vor den Gerichten Bochums geendet hat, eine einzigartige Erfolgsbilanz.
Die mediale Öffentlichkeit giert bei entdecktem Sportbetrug nach namhaften Sportlern, die in der Öffentlichkeit bloßgestellt werden sollen. Dies spielt für den Strafverfolger nur eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger sind diejenigen Straftäter, die die Sportler verleiten, die, so die wörtliche Aussage eines in den Bochumer Prozessen Verurteilten, im Monat bis zu 1.000.000. - Euro einsetzen, um Wetten auf abgesprochene Ergebnisse zu platzieren. Dies sind die wahren Zerstörer des Sports, sie animieren die Sportler zu ihrem Handeln und nutzen deren Fehler schamlos aus. Auch dieses Bild wird in dem vorliegenden Buch bildhaft skizziert, so dass man manchmal den Kopf vor Unglauben schütteln muss und manchmal vor Abscheu vor der Skrupellosigkeit von Menschen. Michael Bahrs zeichnet diese Bilder und macht aus hochgelobten Sportlern, die in der Öffentlichkeit stehen, fehlbare Menschen. Ebenso bringt er die Unzulänglichkeiten der Strafverfolgung und das teilweise Desinteresse der betroffenen Sportverbände ans Licht. Den einen fehlen die Fachleute, und die anderen wünschen nicht, dass »ihre« Sportart im Licht der Öffentlichkeit negativ dargestellt wird. Dies alles macht es den Tätern leicht, aber das Spiel ist noch lange nicht zu Ende …
Kapitel 1
MATCHFIXING – WAS IST DAS? DAS MILLIARDEN-BUSINESS DER MANIPULATION
Es ist einer dieser Champions-League-Abende, irgendwann im Oktober des vergangenen Jahres: dritter Spieltag der Gruppenphase. Acht Spiele, und mit dabei sind die ganz großen Namen: Real Madrid, Bayern München, Manchester City und Juventus Turin. Natürlich geht es um Punkte für das Weiterkommen in das Achtelfinale. Doch die Fußball-Öffentlichkeit ist keineswegs elektrisiert von diesen Spielen. Woran liegt das? Kann es so etwas wie »zu viel Fußball« für Fans überhaupt geben? Oder spielt es eine Rolle, dass im internationalen Profifußball viel Geld und die Macht der großen Vereine etwas für den Sport Grundlegendes verändern? Die Entwicklung des Fußballgeschäfts im letzten Jahrzehnt hat vor allem einen Dreh- und Angelpunkt: die Maximierung der Erlöse. Aufgeblähte Fußball-Weltmeisterschaften, in bis zu vier Kalendertage zerstückelte Bundesliga-Spieltage, immer mehr Spieltage in den europäischen Vereinswettbewerben, dazu die Nations League der Nationalmannschaften und die Klub-WM. Worum geht es dabei eigentlich noch? Um sportliches Kräftemessen? Die Geschichten, die der Fußball schreibt, sind heute ganz andere: Der brasilianische Fußballprofi Neymar wechselt für 222 Millionen Euro vom FC Barcelona zu Paris Saint-Germain. Eine Fußball-Weltmeisterschaft wird nach Katar vergeben. Investoren kaufen sich weltweit in den Sport ein und pumpen Milliardensummen in einzelne Mannschaften. FIFA-Präsident Gianni Infantino spricht gar von einem »25-Milliarden-Dollar-Deal«, will aber die Geldgeber nicht nennen.1
Dabei lebt aus meiner Sicht die Fußball-Leidenschaft immer noch von einer gewissen Romantik, vom Duell David gegen Goliath oder von sogenannten Derbys, wenn die regionale Nähe zweier Klubs Fußballanhänger und Einwohner gleichermaßen elektrisiert. Ich freue mich bei einem Fußballturnier auf Überraschungen. Auf das, was Sport im Allgemeinen ausmacht: Man weiß vorher nicht, wer am Ende gewinnt. Ich erinnere mich zu gern an die Europameisterschaft 1992, als »meine« Dänen den haushohen Favoriten Deutschland in Göteborg mit 2:0 besiegten und den Titel gewannen. Oder als die Isländer bei der EM 2016 im Achtelfinale England mit 2:1 niederkämpften.
Hat es tatsächlich noch mit sportlichem Wettkampf zu tun, wenn die ersten vier Mannschaften aus England automatisch an der Champions League teilnehmen dürfen, aber der schwedische oder dänische Meister noch in einer Qualifikationsrunde um die Teilnahme spielen muss? Rein sportlich gesehen ist das aus meiner Sicht nicht gerecht, wenn sich der Meister der einen (kleinen) Liga für die Teilnahme am europäischen Meisterwettbewerb noch gesondert qualifizieren muss, während der Dritt- oder Viertplatzierte der anderen (großen) Liga automatisch dabei ist, obwohl er gar keinen Titel gewonnen hat. Stattdessen werden die großen Klubs durch die ständige Teilnahme an der lukrativen Champions League immer vermögender, und die kleinen Vereine werden wirtschaftlich – und mittelbar auch sportlich – abgehängt. Auch die nationalen Ligen in Norwegen, Schweden oder anderen – aus fußballerischer Sicht »kleineren« – Ländern haben mit den Folgen zu kämpfen: Die Mannschaften, die an europäischen Wettbewerben teilnehmen und so mehr Geld einnehmen können, haben in ihren jeweiligen Ländern fast schon ein Abonnement auf den Meistertitel. Die Polarisierung schreitet somit immer weiter fort.
Man kann eigentlich nur zu folgendem Schluss kommen: Der Fußball ist aus den Fugen geraten, und Geld regiert die Fußballwelt. Ich möchte jetzt nicht den Moralapostel spielen, aber die Frage ist natürlich, was wollen wir am Ende des Tages haben? Denn eines ist klar, je mehr Geld im Fußball landet, desto attraktiver wird der Sport auch für Kriminelle. Und einer dieser Anlaufpunkte für die Organisierte Kriminalität ist der weltweite Sportwettenmarkt. Kein Experte kann mit Sicherheit sagen, wie viel Geld mit Wetten genau umgesetzt wird, aber mittlerweile, so sind sich alle Experten einig, sind wir bei über einer Billion Euro angekommen. Das ist die Zahl, die ich immer wieder aus verschiedenen Quellen höre. Eine unvorstellbare Summe, die gleichzeitig klarmacht, weshalb der Wettmarkt Verbrecher wie ein Magnet anzieht. Jeder Ermittler wird bestätigen, dass dort, wo viel Geld im Spiel ist, das Problem der Geldwäsche immer präsent ist. Und Glücksspiel im Allgemeinen ist ein Vehikel für Geldwäsche, denn es ist eine Branche, in der sehr hohe Bargeldsummen zirkulieren.
Bereits seit vielen Jahren versucht auch der organisierte Sport einen Teil vom Kuchen abzubekommen. Seit 2018 ist der Wettanbieter Tipico Sponsoringpartner der Deutschen Fußball Liga (DFL), und seit 2015 ist der Anbieter Geschäftspartner des FC Bayern München. Die Spots mit Oliver Kahn waren lange geradezu allgegenwärtig in jeder Unterbrechung eines Bundesligaspiels und in jeder Werbepause. Ende 2018 gibt der Deutsche Fußball-Bund (DFB) bekannt, dass die Partnerschaft mit dem Wettanbieter bwin erweitert wird. Auf der Homepage ist zu lesen: »Die Kooperation umfasst künftig Werberechte für den DFB und die Nationalmannschaften für eine Laufzeit vom 1. Januar 2019 bis zum 31. Dezember 2022. Darüber hinaus hat bwin Werberechte für den DFB-Pokal, die 3. Liga und die Frauen-Bundesliga erworben.«2 Jetzt sitzt also auch die deutsche Fußball-Nationalmannschaft im Boot mit einem Wettanbieter.
Das kann man natürlich machen, aber wenn Sie mich fragen, wie ich zum Geschäft mit Sportwetten stehe oder zu diesem Sponsoring, dann sage ich: »Das ist Teufelszeug.« Darauf wird gerne entgegnet: »Was redest du für einen Unsinn, du kannst nicht alles mit Wettmanipulation in Zusammenhang bringen.« Nein? Wir können uns alles schönreden, und wir können versuchen, die Probleme zu umschiffen, indem wir immer nur gute Beispiele bringen. Und sagen, wie toll doch alles ist – aber das entspricht eben nicht der Realität. Immer wieder höre ich von Fußballfunktionären: »Wetten ist ja nicht verboten.« Ja, das ist richtig. Doch wenn ich mir bestimmte Wettanbieter anschaue, dann wird es sehr schnell problematisch. Denn unsere Ermittlungen haben ergeben, dass die Köpfe unseres kriminellen Netzwerks in Wettbuden gearbeitet hatten. Teilweise waren sie sogar Franchiseunternehmer. Damit ist das eine Branche, die aus meiner Sicht per se Probleme hat.
Es ist Realität, dass vor vielen Fußballspielen Werbung der Wettanbieter und hochkarätige ehemalige Fußballer, wie Oliver Kahn oder Lukas Podolski, auf den Bildschirmen zu sehen sind und Botschaften der Wettanbieter vertreten. Menschen, die wetten, brauchen genau das und werden davon angezogen. Wenn Sportwetten geradezu glorifiziert werden, dann wird man die Öffentlichkeit sowie betroffene Fußballprofis und den Nachwuchs nicht für Themen wie Spielsucht oder Wettbetrug sensibilisieren können. Die sagen nämlich dann (zu Recht): »Was mache ich denn hier schon Verbotenes?«
Die Werbung scheint ihren Zweck zu erfüllen. Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Goldmedia beliefen sich die Einsätze für Sportwetten 2018 in Deutschland auf 8,8 Milliarden Euro, 2019 waren es bereits knapp 9,3 Milliarden Euro.3 In den letzten fünf Jahren haben sich damit die Einsätze mehr als verdoppelt. Doch die Gefahr des Matchfixings beziehungsweise der Spielmanipulation und des Wettbetrugs ist immer allgegenwärtig. Die International Betting Integrity Association (IBIA) mit Sitz in Brüssel hat sich als Verband konstituiert, um das Thema Integrität bei Sportwetten zu verfolgen. 46 der führenden europäischen Wettanbieter sind Mitglied, darunter auch bwin, bet-at-home und XTip, der Wettanbieter der deutschen Glücksspiel-Gruppe Gauselmann. Natürlich kann ich die Zahlen der IBIA nicht abschließend bewerten, weil ich sie nicht überprüfen kann. Sie liefern aber zumindest Anhaltspunkte.
Laut IBIA gab es im Jahr 2018 bei den Wettanbietern, die Mitglied im Verband sind, 267 auffällige Wetteinsätze in 13 Sportarten. Tennis (178) und Fußball (52) waren dabei die Spitzenreiter. Ich bin sehr skeptisch, was diese Zahlen angeht, denn die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches darüber liegen. Das belegen unsere Ermittlungen. Und auch bei den Wettanbietern gab und gibt es Mitglieder krimineller Netzwerke, die in Wettmanipulationen involviert sind. Sie werden wohl kaum Interesse daran haben, eine höhere Anzahl an manipulierten Spielen zu veröffentlichen.
Dabei stelle ich mir oft die Frage, wer ist eigentlich an der Bekämpfung des Themas Wettbetrug wirklich interessiert? Ich glaube, dass die Thematik Matchfixing/Spielmanipulation nirgendwo richtig im Fokus steht – bei den Fußballverbänden nicht, aber auch nicht bei den Strafverfolgungsbehörden. Das hat viele Gründe. Zum einen muss man erklären, was Matchfixing überhaupt ist und von welcher Tragweite wir hier sprechen. Ein einfaches Beispiel: Wenn man die Bevölkerung fragen würde, in welchen Bereichen die Polizei verstärkt ermitteln soll – im Bereich Matchfixing oder Wohnungseinbrüche? Dann werden Sie bei 100 Befragten vermutlich 100 Menschen haben, die sagen werden, im Bereich der Wohnungseinbrüche. Denn die wenigsten wissen, was Matchfixing überhaupt ist. Dementsprechend werden bei den Ermittlungsbehörden natürlich auch die Prioritäten verteilt. Öffentlichkeitswirksam sind vor allem die Bekämpfung von Terrorismus, Cybercrime, Einbruchsdelikten. Matchfixing werden Sie auf dieser Liste – wenn überhaupt – ganz weit unten finden. Und immerhin gibt es ja Ermittler, die sich mit Sportkorruption beschäftigen.
Aber was genau ist überhaupt Matchfixing, also Spielmanipulation beziehungsweise Wettbetrug? Im Internet gibt es unzählige Definitionen der Begrifflichkeiten von Matchfixing. Seitenweise wissenschaftliche und analytische Abhandlungen befassen sich mit dieser Thematik. So kompliziert kann und möchte ich es nicht erklären. Ich berichte hier über meine Erfahrungen und über die Manipulationsarten, mit denen ich es zu tun hatte. Allerdings gibt es noch weitere Methoden der Spielmanipulation, zu denen ich mich hier nicht äußere.
Wenn ich mich zurückerinnere an meine aktive Fußballzeit, gab es in den unteren Ligen (Kreis-, Bezirks- und Landesliga) Spielkonstellationen, in denen es für die eine Mannschaft um Auf- oder Abstieg ging. Und der Gegner stand irgendwo im Niemandsland der Tabelle und spielte nur noch um die sogenannte »goldene Ananas«. Oftmals kamen die Spieler der Mannschaften aus demselben Ort oder kannten sich vom Arbeitsplatz. Nicht selten kam es dann vor, dass es kurz vor den Begegnungen Gespräche wie dieses gab: »Wenn ihr uns gewinnen lasst, bekommt ihr einen Kasten Bier.« Obwohl ich behaupten darf, dass es während einer Saison auch in diesen Klassen enormen sportlichen Ehrgeiz gab, setzte bei so einer Spielansetzung der Gedanke des Fair Play offenbar aus. Zurückblickend kann ich wohl sagen, dass es als normal angesehen wurde, dass man solche Gespräche überhaupt führte.
Ich muss an dieser Stelle ganz klar sagen, dass ich der absolut falsche Ansprechpartner für so eine Spielabsprache gewesen wäre. Ich wollte immer gewinnen. Aber muss man tatsächlich diese Handlungen schon als Matchfixing – Spielmanipulationen – bewerten? Fakt ist, dass es sich um eine Beeinflussung handelt, wenn ich absichtlich verliere und daher eine andere Mannschaft nicht absteigt oder aufsteigt. Selbst wenn die Motivation lediglich darin besteht, jemandem einen freundschaftlichen Gefallen zu tun. Sport ist Wettbewerb. Also ist so etwas unfair. Strafrechtlich aber unbedeutsam. Aber wenn ich diesen Gedanken weiterspinne, wo lande ich dann? Warum sollte man später, als Fußballprofi, nicht auch ein Spiel unsportlich beeinflussen, wenn am Ende einer solchen Manipulation das vermeintlich große Geld ausgezahlt wird?
Ich spiele selbst aktuell noch Fußball in Altherrenmannschaften. Und ich renne dort ja nicht ständig mit Ohrenklappen durch die Gegend, sodass ich, gewollt oder ungewollt, Gespräche auf dem Fußballplatz mitbekomme. Bei den Altherren spielen Trainer und Betreuer von Vereinen aus dem Ruhrpott mit. Und vor jedem Saisonfinale gleichen sich die Gespräche. Es gibt immer wieder Leute, die irgendetwas über Manipulationen bei Auf- und Abstiegsspielen zu berichten haben. Die Vereine, die da genannt werden, spielen in der Westfalenliga, der Oberliga Westfalen oder im Großraum Dortmund. Zum Teil heißt es da, dass das Ergebnis des kommenden Spiels A gegen B doch schon vorher feststehe, oder dass Verein XY sowieso nicht mehr alles für einen Sieg tue und so weiter.
Was sich im ersten Moment nach einem Stammtischgespräch anhört, ist bei näherer Betrachtung aber durchaus brisant. Anscheinend sind diese Abläufe im Amateurbereich normal. Viele meiner Mitspieler wissen, dass ich Polizist bin. Deshalb vertiefen sie diese Gespräche eher selten mit mir. Nur wenn ich ihnen Abläufe einer Manipulation erklären soll, fragen sie mich. Viel interessanter und gesprächsbereiter sind sie, wenn es um professionelle Fußballspiele geht. Da vermischen sie dann ihr eigenes Wissen aus dem Amateurbereich mit meinen Erläuterungen und bilden sich eine Meinung. »Ist doch sowieso alles krumm – geht doch nur um Kohle«, sagen sie mir dann oft. Wenn ich sie darauf hinweise, dass sie ja schon mal im Amateurbereich damit anfangen könnten, den Sumpf trockenzulegen, höre ich oft in Ruhrpott-Deutsch: »Lass gut sein, solln se doch alle machen. Ich pöhle hier noch bis zu meiner Rente und der Rest ist mir egal.« Pöhlen ist im Ruhrgebiet ein Synonym für Fußballspielen. Entscheidend ist aber die Einstellung – die Selbstverständlichkeit, mit der Manipulationen offenbar hingenommen werden. Kaum einer regt sich darüber auf, obwohl im Grunde jeder weiß, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht.
Eine der massivsten Manipulationsmöglichkeiten, mit denen ich konfrontiert wurde, besteht darin, dass sich Investoren in einen Verein einkaufen, um im Anschluss Einfluss auf die Mannschaft und den jeweiligen Spielausgang nehmen zu können. Der gesamte Verein wird durch die Kriminellen unterwandert. Das läuft in etwa so ab: Ein finanziell nicht so gut aufgestellter Verein wird durch die Kriminellen angesprochen. Man stellt finanzielle Mittel in Aussicht und kündigt zudem an, weitere Spieler und auch Funktionäre im Verein zu installieren. Häufig drängt man auch noch auf die Auswechslung des Trainerteams. Das Argument Geld ist natürlich verlockend, und viele Vereine sehen zunächst tatsächlich die Chance, sportlich wieder einen Aufschwung zu erleben. Dem »Investor« geht es jedoch nur darum, seine Machtposition auszunutzen, um fortan Einfluss auf den Spielausgang zu nehmen und so zum Beispiel am Wettmarkt illegale Gewinne einzustreichen. Es werden Vorbereitungsspiele oder Freundschaftsspiele organisiert, mit dem Hintergrund, auch dort weisungsgemäß zu agieren – also zu manipulieren. Erst allmählich erweist sich das vermeintliche sportliche Engagement als Mittel zum Zweck, dessen Antrieb reine Geldgier ist. Hierbei möchte ich auf eine Dimension hinweisen, die oftmals völlig außer Acht gelassen wird: die Fußballspieler. Die Profis dieses Vereins, die bereit waren, an einer Manipulation mitzuwirken und vielleicht dennoch über hohe spielerische Qualitäten verfügen, sind natürlich fortan erpressbar. Sollten sie also irgendwann einmal die Chance bekommen, zu einem erfolgreichen und bekannten Team wechseln zu können, sind manipulative Handlungen dieser Spieler sehr wahrscheinlich. Denn diese Fußballspieler sind das Kapital der Verbrecher.
Eine weitere Form der Spielmanipulation ist die Einflussnahme von Kriminellen auf die Profis selbst. In den folgenden Kapiteln werde ich solche Abläufe genau beschreiben.
Die Hintermänner kommen größtenteils aus der illegalen Glücksspielszene und haben sich über die Jahre ein Netzwerk von Mitstreitern aufgebaut, die sich in der Wett- oder Glücksspielszene bestens auskennen. Sie verfügen über besondere Kontakte, die dazu geeignet sind, möglichst hohe Wetten in vielen unterschiedlichen Ländern zu platzieren. Der asiatische Markt ist so etwas wie das Schlaraffenland – sowohl für Kriminelle, als auch für herkömmliche Wettspieler. Denn der dortige Wettmarkt kennt keine Limits. Die niedrigsten Spielklassen – auch deutsche Amateurspiele – sind bewettbar. Und die Wetteinsätze sind fast unbegrenzt.
Diese günstigen Rahmenbedingungen nutzen die Kriminellen aus und brauchen dafür lediglich ein Werkzeug: Fußballspieler. Es ist leider Realität, dass sich Sportler für Manipulationen gewinnen lassen. Denn es ist auch für die Sportler lukrativ. Nein, ich schere nicht alle über einen Kamm. Und ja, es gehört vermutlich nur eine geringe Anzahl von Sportlern einem solchen Netzwerk an. Aber nicht jeder Fußballspieler – auch nicht jeder professionelle Fußballspieler – ist Millionär. Und die Halbwertszeit einer Karriere ist begrenzt. Der monetäre Anreiz, mit vermeintlich wenig Aufwand ein Spiel zu manipulieren, ist daher sehr verlockend. Also haben wir hier eine Form der Manipulation, die eine Absprache zwischen kriminellen Wettsetzern und Fußballspielern voraussetzt. Beide vereinbaren ein Spielereignis, auf das Einfluss genommen wird, und platzieren hohe Wetten. Für ihr Handeln auf dem Platz bekommen die Sportler durch die Kriminellen einen gewissen Anteil ausgezahlt. Wobei die Fußballspieler natürlich durch ihr Handeln auch zu Kriminellen werden – sich also nicht von ihnen unterscheiden.
Eine weitere Form der Manipulation ist die mit Schiedsrichtern. Auch sie können zu dem zuvor erwähnten Kreis derer zählen, die mit dem kriminellen Netzwerk zusammenarbeiten und Absprachen treffen. Jedoch gibt es bei den Schiedsrichtern noch eine weitere Form der Manipulation: die falsche Identität. Es werden Schiedsrichter zu Spielen angesetzt, die in der Realität überhaupt nicht auf dem Platz stehen. Sondern es pfeifen völlig andere Personen. Häufig findet man diese Konstellation bei Vorbereitungsspielen im Trainingslager. Vor jeder Saison werden die obligatorischen Trainingscamps von Profimannschaften aufgesucht – Belek, Málaga, Mallorca, Istrien, um nur einige zu nennen. Dort tummelt sich vor jedem Freundschaftsspiel ein Pool an Schiedsrichtern. Den Vereinen ist es völlig egal, wer ein solches Vorbereitungsspiel pfeift. Den Kriminellen nicht. Denn während das Ergebnis für die Mannschaften eine eher untergeordnete Rolle spielt, ist das Resultat der Goldesel für Matchfixer. Denn auch auf solche Vorbereitungsspiele lassen sich Wetten platzieren. Und zwar sehr hohe.
Dazu fällt mir ein Sachverhalt ein, der dies treffend belegt: Ich befand mich mit meiner Familie im Urlaub, als ich ein Sportmagazin durchblätterte. In einem winzigen Absatz wurde über ein Vorbereitungsspiel in der Türkei zwischen Werder Bremen und AZ Alkmaar berichtet. Das Spiel endete 2:1 für Bremen. Auffällig war für mich die Nachspielzeit in so einem bedeutungslosen Vorbereitungsspiel. Ganze zehn Minuten ließ der bulgarische Schiedsrichter nachspielen. Da war für mich klar, irgendetwas stimmt hier nicht. Ich informierte den Bochumer Oberstaatsanwalt Andreas Bachmann, um Ermittlungen aufzunehmen. Es stellte sich heraus, dass sich der angesetzte Schiedsrichter zum Zeitpunkt des Spiels überhaupt nicht in der Türkei aufgehalten hatte. Unter seinem Namen hatte ein ganz anderer Schiedsrichter die Partie gepfiffen. Niemand wusste davon. Im Rahmen der Ermittlungen fuhr ich zusammen mit Andreas Bachmann nach Bremen, und wir vernahmen den damaligen Geschäftsführer von Werder, Klaus Allofs, als Zeugen. Wir wollten von ihm wissen, wie so ein Freundschaftsspiel organisiert wird. Wer ist für die Ansetzung der Schiedsrichter zuständig, was passiert in einem Trainingslager vor Ort, wie kann es passieren, dass ein Schiedsrichter eine Begegnung pfeift, obwohl er gar nicht für das Spiel vorgesehen war? Werder Bremen war nicht die einzige Mannschaft, die von so einem Vorfall betroffen war. Im Laufe der Ermittlungen wurden weitere Begegnungen von Bundesligisten bekannt, die einen ähnlichen Verlauf hatten. Und die Antworten der Verantwortlichen auf unsere Frage, wie solche Spiele organisiert werden, waren inhaltlich gleich: Es gibt spezielle Agenturen, um Trainingslager inklusive Freundschaftsspielen zu organisieren. Die Vereine kümmern sich nicht selbst um die administrativen Dinge, schon gar nicht darum, welcher Schiedsrichter angesetzt wird. Der Fokus wird auf die Trainingsbedingungen gelegt. Aus Sicht der Verantwortlichen kann ich das verstehen. Wenn ich jedoch weiß, dass ich als Verein dazu benutzt werde, Manipulationen zu ermöglichen, finde ich, sollte auch in diesem Ablauf ein Umdenken stattfinden.
Damals konnte ich in Absprache mit dem DFB erreichen, dass Schiedsrichterbeobachter aus Deutschland zu den Freundschaftsspielen entsandt wurden. So weit ich informiert bin, liegt die Ansetzung eines Schiedsrichters für ein Vorbereitungsspiel im Aufgabenbereich des jeweiligen Fußballverbandes des Austragungsortes. In Belek wäre also der türkische Fußballverband, in Málaga der spanische Fußballverband verantwortlich. Der DFB hat somit keine Möglichkeit, eigene Schiedsrichter einzusetzen. Aber sollte nicht jeder Fußballverband Interesse daran haben, dass die Spiele manipulationsfrei ablaufen? Doch Jahr für Jahr geschieht das Gleiche: Die Verbände der Mannschaften, die ihre Trainingslager im Ausland durchführen, halten sich heraus. Das ist für mich nicht nachvollziehbar.
Ein Wort noch zu den Agenturen, die solche Komplettpakete anbieten. Auch hier gibt es schwarze Schafe, die auf besondere Weise mit den Schiedsrichtern zusammenarbeiten. Oder gar ganze Mannschaften dazu benutzen, um zu manipulieren.
Und damit wäre ich bei der nächsten Methode, mit der ich im Rahmen der Ermittlungen zu tun hatte: Eine nur zum Zweck der Manipulation gegründete Sportagentur schreibt Nationalverbände an, um sich als Organisator von Länderspielen anzubieten. Afrikanische Staaten etwa finden in der Auswahl von internationalen Freundschaftsspielen weniger Beachtung. So ist es selten der Fall, dass eine europäische Nationalmannschaft gegen ein kleines afrikanisches Land ein Länderspiel austrägt. Warum das so ist, kann ich nicht beurteilen. Dass das so ist, haben nicht nur die Gespräche mit unterschiedlichen Funktionären der FIFA und der UEFA bestätigt, sondern die Kriminellen wählen genau deswegen solche Nationen als Ziel ihrer kriminellen Machenschaften aus.
Wenn eine Agentur auftaucht und damit wirbt, Länderspiele zu organisieren, finden sie bei kleineren Nationen sofort Gehör. Und wenn sie zudem noch anbietet, die komplette Nationalmannschaft mit Trainingskleidung auszustatten und den Spielern, Trainern und Funktionären ein »nettes« Handgeld offeriert, dann werden wenige dieser Nationen dieses – unmoralische – Angebot ablehnen. Selbst wenn die Agentur dann plötzlich vorgibt, wie viele Gegentore fallen müssen, damit sich der Aufwand lohnt, werden keine Fragen gestellt. Der eigene Mehrwert ist zu groß, um zu widerstehen, zumal weitere Länderspiele in Aussicht gestellt werden. Also im Grunde eine Gewinnerchance für ein kleines Land.
Wir sollten nicht so vermessen sein, nun gerade hier den Zeigefinger zu erheben und dieses Handeln zu verurteilen. Es gibt keinen Zweifel, dass auch diese Manipulationen den Sport töten. Es gibt ebenso wenig Zweifel daran, dass dieses Handeln falsch und strafrechtlich zu ahnden ist. Gleichwohl sollte man aber wenigstens einmal ein paar Minuten lang überlegen: Warum machen die das? Und vielleicht kommt man dann zu dem Ergebnis, dass womöglich innerstaatliche Strukturen von Korruption durchtränkt sind. Da leben Leute, die wachsen in einem Land voller Gewalt auf, wo das Recht des Stärkeren siegt. In diesen Ländern regiert die Willkür oder gar der Terrorismus. Bürgerkriegsähnliche Zustände sind an der Tagesordnung. Und jetzt sagen wir den Fußballspielern, die unter solchen Bedingungen aufwachsen: »Hört zu, es ist absolut nicht richtig, dass ihr einen Trainingsanzug und ein paar Fußballschuhe annehmt und dafür im Gegenzug zwei Gegentore absichtlich kassiert.« Wer will das rechtfertigen? Ich jedenfalls nicht.
Eine zum Zweck der Spielmanipulation ins Leben gerufene Sportagentur macht sich gerade die schwierigen Lebensbedingungen in den besagten Ländern zu Nutze. Ich habe etliche Schriftstücke und Kommunikationen zwischen einer derartigen »Sportagentur« und Fußballverbänden ausgewertet. Die Masche ist immer ähnlich: Es werden ein paar Referenzen genannt, dann schlägt man ein Länderspiel vor, zeigt sich bereit, sämtliche Kosten für die Reise und Übernachtungen zu übernehmen. Anschließend wartet man auf eine Reaktion des Verbandes, die in der Regel nicht lange auf sich warten lässt: Der Verband zeigt sich interessiert. Dann wird seitens der Agentur eine Teilnehmerliste für die Reise angefordert. Und schon dabei fällt auf, dass der Verband offensichtlich großes Interesse daran hat, jedem, der irgendwie zum Kreis der Nationalmannschaft gehört, in den Genuss eines solchen Angebotes kommen zu lassen. Offensichtlich hat man auch beim Fußballverband recht schnell erkannt, dass die Anfrage nicht aus rein sportlichem Interesse gestellt wurde, sondern man weiß sehr wohl, in welche Richtung diese Geschäftsbeziehung gehen wird.
Und dann ist es nicht unüblich, dass der Verband sogar noch Forderungen stellt. Es soll noch so etwas wie eine Antrittsprämie plus Ausstattung plus Handgeld gezahlt werden. Diesen Forderungen kommt die Sportagentur gern nach. Denn schließlich kann ein Länderspiel bewettet werden. Und in den Wettbüros – insbesondere in den asiatischen – spielt es keine Rolle, ob die Nationen, die da gegeneinander spielen, eher unbedeutend für den Weltfußball sind.
Mit welcher Dreistigkeit in Sachen Spielmanipulation vorgegangen wird, zeigt ein weiteres Beispiel, mit dem ich im Laufe unserer Ermittlungen zu tun hatte. Den Formen der Manipulation sind anscheinend keine Grenzen gesetzt. So gab es in der Vergangenheit immer wieder sogenannte Geisterspiele. Das sind Fußballspiele, die nur auf dem Papier und im Angebot verschiedener Wettanbieter existieren. Kriminelle Wettsyndikate organisieren fiktive Partien und sorgen dafür, dass Wettanbieter diese Spiele in ihr Angebot aufnehmen. Da weltweit jeden Tag Tausende Fußballspiele stattfinden, haben Wettanbieter sogenannte Daten-Scouts vor Ort in den Stadien oder an den jeweiligen Fußballplätzen. Durch diese Scouts wird der Spielverlauf digital an den Wettanbieter übermittelt, und dieser erstellt daraufhin die entsprechende Wettquote. In der Realität sieht das folgendermaßen aus: Der Scout übermittelt den Spielverlauf und entscheidende Spielereignisse wie zum Beispiel Spielerwechsel, Rote Karten, Gelbe Karten usw. Natürlich auch Tore. Und auf diese Scouts haben es die Kriminellen abgesehen: Sie werden bestochen und mit einem fiktiven Spielverlauf ausgestattet, den sie an den Wettanbieter übermitteln sollen – und fertig ist das sogenannte Geisterspiel.