Читать книгу: «Die Braut des Rebellen», страница 2
Theola schwieg.
2.
Die Kutsche fuhr weiter, und Catherine wandte sich wieder dem Premierminister zu.
„Wer ist dieser Vasilas?“ fragte sie neugierig.
„Ein Revolutionär“, antwortete dieser. „Ein Mann, der überall Unruhe stiftet. Meine Truppen haben den Befehl, ihn auf der Stelle niederzuschießen, aber zum Teil sind die Soldaten ja so blöd, daß sie ihn nicht einmal erkennen. Sie brauchen jedoch keine Angst haben, Lady Catherine. Sobald wir im Palast sind, wird der Feldmarschall die Fahndung anberaumen. Diesmal wird der Mann gefunden, und damit ist der Fall ein für allemal erledigt.“
Theola beobachtete Captain Petlos aus dem Augenwinkel. Der junge Offizier war blaß und machte einen sehr besorgten Eindruck. Sie wußte nicht, was das alles auf sich hatte, spürte jedoch, daß es von großer Bedeutung war.
Falls Alexius Vasilas tatsächlich ein Mitglied der Familie war, die ehemals in Kawonien regiert hatte, warum war er dann wie ein ganz einfacher Mann angezogen? Und warum lebte er in dem Armenviertel, durch das sie gerade gefahren waren?
Nach den Worten des Premiers zu schließen, jagte man ihn schon seit geraumer Zeit. Unter solchen Umständen war es ein Zeichen besonderen Mutes, daß er sich aus dem Haus gewagt hatte, um das verletzte Kind zu holen. Das alles war sehr verwirrend. Auch die Tatsache, daß die Stadtteile, in denen die Armen wohnten, menschenleer und wie ausgestorben waren. Einmal durch sie hindurch, säumten wieder jubelnde Bürger die Straßen ein. Jetzt sah man auch überall Bilder von Catherine. An Hauswänden, an Laternenpfosten, an Zäunen. Zahlreiche Leute hatten sogar Abbildungen von Catherine aus Zeitungen ausgeschnitten und auf ein Stück Pappe geklebt. Sie hielten sie stolz in die Luft.
Das gefiel Catherine.
„Sie haben Bilder von mir!“ rief sie.
„Natürlich, Lady Catherine“, entgegnete der Premierminister. „Das Volk heißt seine zukünftige Königin willkommen. Die Menschen lieben Sie. Nicht nur, weil Sie Engländerin und sehr hübsch sind, sondern auch wegen der Legende.“
„Wegen welcher Legende?“ fragte Catherine.
„Es gibt eine uralte Prophezeiung. Sie besagt, daß im Land Friede und Reichtum herrschen werden, wenn eine blonde, weißhäutige Prinzessin über das Meer kommt, um in Kawonien auf dem Thron zu sitzen.“
„Wie interessant“, entgegnete Catherine.
„Als ich Ihr Bild sah, Lady Catherine, wußte ich sofort, daß Sie die Prinzessin sind, von der die Legende spricht.“
„Aber ich bin ja gar keine Prinzessin.“
„In Kawonisch bedeutet das Wort auch nicht allein Prinzessin, sondern auch liebliche Dame von großer Bedeutung.“
Catherine war geschmeichelt und lächelte, aber Theola spürte, daß das Volk nicht wegen der Legende, sondern auf Befehl des Premiers jubelte.
Catherine winkte huldvoll aus der Kutsche. Sie sah in dem blaßblauen Kleid, das fast die Farbe ihrer Augen hatte, sehr Englisch und sehr attraktiv aus. Die Federn auf ihrem Hut wehten im Wind.
Sie kamen über einen großen Platz und bogen in einen breiten Boulevard ein, an dessen Seiten herrschaftliche Häuser in gepflegten Gärten standen. Und dann konnte man den Palast sehen.
Er war beeindruckend. Als sie näher kamen, war sich Theola sicher: der Palast war eine Nachbildung des Schlosses Schönbrunn in Wien.
Fontänen und Statuen schmückten den großen Platz vor dem Palast. Die Leibgarde des Königs war ebenso farbenprächtig wie die große Anzahl vornehmer Gäste, die auf den Stufen des Palastes warteten. Die Geschmeide der Frauen und die Orden der Männer glitzerten im Schein der Sonne, der alles einzuhüllen schien, als wolle der Himmel damit dem Festtag seinen Segen geben.
Als die Kutsche zum Stehen gekommen war, schritt über einen roten Samtläufer ein Mann in einer blütenweißen Uniform.
Das muß der König sein, dachte Theola und fragte sich, wie Catherine in diesem Moment zumute sein mußte. Sie begegnete zum ersten Mal ihrem zukünftigen Mann, und das Herz schlug ihr sicher bis zum Hals hinauf.
Je näher der König kam, desto enttäuschter war Theola. Bis jetzt war alles wie im Märchen und so hinreißend gewesen, daß sie angenommen hatte, der König müsse wie ein griechischer Gott sein.
Doch König Ferdinand war ein ganz durchschnittlich aussehender Mann von mittlerer Größe. Er neigte zur Korpulenz und trug dieselbe kalte, abweisend arrogante Haltung zur Schau wie meistens auch Catherine.
Theola stieg nach Catherine aus der Kutsche und sank in einem tiefen Knicks zu Boden. Dann kamen zwei Stunden, in denen kaum Zeit zum Atem holen blieb. Sie wurde zahlreichen Menschen vorgestellt, die alle Deutsch sprachen und aus Österreich stammten. Theola konnte sich des Gefühls nicht erwehren, daß sie und Catherine wie seltsame, fremde Tiere betrachtet wurden. Alles stierte sie an, ihre simpelsten Bemerkungen wurden mit gieriger Aufmerksamkeit bedacht.
Catherine wird es genießen, so wichtig genommen zu werden, dachte Theola irgendwann.
Seit sie England verlassen hatten, zeigte sich ihre Cousine zum ersten Mal in bester Laune. Sogar der Herzog war so geschmeichelt, daß er, ganz entgegen seiner Natur, leutselig und verbindlich war.
Und dann waren Catherine und Theola schließlich allein. Man hatte sie in den königlichen Wohntrakt gebracht, beide Frauen saßen nun in einem weißgoldenen Salon.
„Mama hatte recht“, war das erste, was Catherine ausrief. „Ich werde es genießen, Königin zu sein.“
„Das denke ich mir“, entgegnete Theola. „Das Volk hat dich ja auch mit großem Jubel begrüßt.“
„Wundert dich das?“ fragte Catherine spitz. „Der Premierminister hat mir immer und immer wieder versichert, wie glücklich er und seine Kollegen sind, daß eine Engländerin auf dem Thron sitzen wird.“
„Ich habe eher an die Leute gedacht“, meinte Theola.
„Ach, die!“ Catherine zog ein abfälliges Gesicht.„Die Hochzeitsfeierlichkeiten - die übrigens sehr viel Geld kosten werden, wie mir der König versichert hat und ...“
„Weißt du eigentlich, daß es in Zanthos kein Krankenhaus gibt?“ fiel Theola der Cousine ins Wort.
„Das kümmert mich wenig“, erwiderte Catherine scharf. „Wenn du immer noch an das Kind denkst, dessentwegen du dich so skandalös benommen hast, dann muß ich dir sagen, daß du dich lächerlich machst. Wenn du dich weiterhin so miserabel zu benehmen gedenkst, werde ich Papa bitten, dich nach England mit zurückzunehmen. Das werde ich wahrscheinlich sowieso tun. Ich bin überzeugt davon, daß es eine Menge von charmanten Österreicherinnen gibt, die sich darum reißen, meine Hofdame zu werden.“
Theola hielt die Luft an. Sie wußte nur zu gut, welches Los in England auf sie wartete. So schnell wieder zurückgeschickt zu werden, die Idee war grauenvoll.
„Verzeih mir“, sagte sie bescheiden. „Es tut mir leid.“
„Das kann dir auch leid tun. Benimm dich in Zukunft, wie es sich gehört, Theola! Der Premierminister war sehr verärgert, daß du dich diesem Offizier in den Weg gestellt hast. Rebellen gehören schließlich erschossen.“
Nur mit Mühe konnte Theola die Worte zurückhalten, die ihr sofort in den Sinn kamen. „Darf ich jetzt in mein Zimmer gehen und mich umziehen?“ bat sie stattdessen. „Ich nehme an, daß du mich in einer Stunde wieder brauchst.“
„Schon früher. Beeile dich! Du mußt diesen neuen Zofen erklären, wie ich angezogen und frisiert zu werden wünsche.“
„Ist gut, Catherine.“
Eine Zofe brachte Theola in ihr Zimmer. Es lag neben dem Schlafgemach Catherines. Dieses war elegant und geschmackvoll eingerichtet. Die Möbel stammten offensichtlich aus Wien, denn alles war in barockem Stil gehalten.
Im Palast gab es übrigens nirgends einen Kamin, wie Theola es von zu Hause gewöhnt war. Die Räume wurden nach Wiener Art durch Kachelöfen geheizt.
Die Gemälde in den Gängen des Palastes zeigten entweder die Vorfahren König Ferdinands oder Landschaften und Szenen aus Österreich. Nichts ließ darauf schließen, daß man sich in einem Mittelmeerland befand.
Theolas Schlafzimmer war natürlich viel kleiner, als das der Cousine, aber es war sehr gemütlich und natürlich auch in österreichischem Stil eingerichtet.
Als Theola eintrat, waren gerade zwei Zimmermädchen damit beschäftigt, ihre Koffer auszupacken. Theola bedankte sich auf Kawonisch, die beiden Mädchen sahen sie erstaunt und gleichzeitig erfreut an.
Das eine Mädchen war noch blutjung und wurde offensichtlich von dem älteren, das an die dreißig sein mochte, angelernt.
„Aber Sie sprechen ja unsere Sprache, Fräulein“, rief das ältere Zimmermädchen aus und lächelte.
„Ich versuche es zumindest“, erwiderte Theola. „Sie müssen mir bitte helfen und mich immer verbessern, wenn ich Fehler mache.“
„Wir dürfen im Palast nur Deutsch sprechen, Fräulein.“
„Aber nicht, wenn Sie mit mir zusammen sind“, sagte Theola. „Bitte nicht. Sie helfen mir doch, wenn Sie Kawonisch mit mir sprechen. Ich möchte die Sprache so gerne perfekt beherrschen.“
Beide Mädchen strahlten.
Ich muß mich beeilen, dachte Theola, als sie vor dem Schrank stand und überlegte, was sie anziehen sollte.
Ihre Garderobe war jämmerlich. Jeder Penny, den sie für Theola ausgegeben hatte, hatte der Herzogin weh getan. Sie hatte daher immer den billigsten Stoff ausgesucht, den es gegeben hatte. Aber wenn es das allein gewesen wäre! Düstere Farben ohne Druck - Theola mochte manchmal gar nicht hinsehen.
Obwohl ihre Mutter das Geld hatte sehr einteilen müssen, hatte sie alles getan, um Theola hübsch zu kleiden. Sie hatte pastellfarbene, weiche Töne ausgesucht und die Sachen meist selbst genäht.
Theola war so groß wie Catherine, aber sie war viel schmaler und zierlicher gewachsen und hatte viel feinere Züge.
„Wenn ich doch nur wie eine griechische Göttin aussehen würde!“ hatte Theola als Kind einmal zu ihrem Vater gesagt. „Wie Aphrodite möchte ich gern aussehen.“
Richard Waring hatte gelacht und Theola in die Arme genommen.
„Wie Aphrodite wirst du wahrscheinlich nie aussehen, mein Kleines“, hatte er geantwortet, „aber vielleicht wie eine der Nymphen, die aus dem Meer kamen und auf der Insel Delos lebten, um dem Gott des Lichts zu dienen.“
„Wie hieß der Gott des Lichts, Papa?“
„Er hieß Apoll und hat die Welt mit der Macht seiner Schönheit erobert. Er besaß keine irdischen Güter, hat den Menschen aber trotzdem reich beschenkt. Er hat ihm das Licht der Sonne gebracht.“
Von dem Tag an hatte Theola den Gott Apoll ebenfalls glühend verehrt. Er war für sie zum Inbegriff der Liebe geworden.
Erst nachdem Jahre vergangen waren, hatte Theola verstanden, warum ihr Vater sie mit einer Nymphe verglichen hatte. Sie hatte ein sehr fein geschnittenes, herzförmiges Gesicht mit riesengroßen Augen.
Und in diesen Augen lag - was ihr nicht bewußt war - eine geheimnisvolle Tiefe, die in die unsichtbare Welt zu führen schien, mit der ihr Vater so vertraut gewesen war.
Sie war blond, aber nicht von dem goldenen Blond wie Catherine. Ihr Haar hatte einen Glanz, der an Platin erinnerte. Ihre Haut war sehr weiß, und Theola wirkte wegen der freudlosen Kleider, die zu tragen sie gezwungen war, meistens unnatürlich blaß.
Theola hatte sich manchmal gefragt, ob die Herzogin absichtlich versuchte, das Licht auszulöschen, von dem ihr Vater so oft gesprochen hatte und von dem sie wußte, daß es in ihrer Seele glühte.
Ihr Leben im Schloß des Herzogs war voll von Trübsal gewesen. Harte Arbeit, harte Worte - manchmal hatte sie sich gar nicht mehr an die Zeiten erinnern können, wo sie das Gefühl gehabt hatte, in den Wolken zu schweben und ein Teil des Schönen zu sein, das ihren Vater zu umgeben schien.
Erst nach des Tages Hast hatte sie sich manchmal in der Dunkelheit ihres Zimmers die Worte ihres Vaters ins Gedächtnis zurückgerufen.
„Die Stimme des Gottes, der den Menschen auffordert, in sich das Glühen des heiligen Lichts zu suchen, kann man nur in der Stille hören.“
„Welches Kleid werden Sie tragen, Fräulein?“ fragte das ältere Zimmermädchen und unterbrach somit Theolas Gedanken.
Eines ist so scheußlich wie das andere, dachte Theola, sprach es aber nicht aus. Draußen schien die Sonne, die Farbenpracht der Pflanzen und Blüten in den Gärten war paradiesisch. Catherine würde eine weiße Robe tragen, die mit rosa Röschen übersät war, und Theola hatte die Wahl zwischen einem grauen Hemdblusenkleid aus billigstem Batist, einem graubraunen Kleid aus fadenscheiniger Baumwolle und einem schmutzig blauen Kleid mit Puffärmeln, das an einen Winterhimmel erinnerte.
„Das graue“, sagte sie.
Während ihr die Mädchen den Rock zurecht zupften, kämmte sich Theola, wobei sie kaum in den Spiegel sah.
Obwohl sie wirklich kaum zwanzig Minuten gebraucht hatte, war Catherine schon wieder gereizt, als sie zurückkam.
„Da bist du ja endlich!“ rief sie. „Sag diesen Trampeln, daß ich meine besten Seidenstrümpfe haben will.“
Catherine hatte Englisch gesprochen, aber der Ton war der Zofe und den beiden Mädchen, die ihr halfen, nicht entgangen. Sie sahen verschreckt und ängstlich drein. Theola war überzeugt davon, daß sie ihre Sache gut und richtig machen wollten, aber Catherine war wie immer ungeduldig und vor allem ungerecht. Sie verlangte von einem Dienstboten, daß er automatisch wußte, was sie gerade wollte. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, ihre Wünsche klar und deutlich zu äußern.
Theola hatte die Strümpfe im Handumdrehen gefunden und erklärte den Mädchen, wie deren neue Herrin bedient zu werden wünschte.
Schon nach einem Moment war ein Lächeln auf allen drei Gesichtern. Die Mädchen waren emsig bemüht, Theolas Anweisungen zu befolgen, während sich Catherine im Spiegel betrachtete und langsam bessere Laune bekam.
„Dieses Kleid steht mir wirklich fabelhaft“, sagte sie. „Daß auch nur eine Frau im Palast eleganter ist als ich, kann ich mir nicht vorstellen.“
„Es steht dir wirklich ausgezeichnet“, sagte Theola, und sie meinte es auch. „Du wirst die Schönste sein.“
„Allerdings!“ Catherine warf arrogant den Kopf in den Nacken. „Ich werde meine Garderobe in Zukunft aus Paris kommen lassen.“
„Das kann aber sehr teuer werden.“
Catherine zuckte mit den Schultern.
„Na und? Das Geld wird vorhanden sein, darauf kannst du dich verlassen. Der Premierminister hat mir zwar erzählt, daß das Land hoch verschuldet ist, aber das kann doch mir egal sein.“
„Hoch verschuldet?“ fragte Theola. „Das ist ja schrecklich.“
Catherine sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Was kümmert das dich denn? Mir ist das egal, das schwöre ich dir.“
„Aber dann muß die Bevölkerung ja noch mehr Steuern bezahlen“, meinte Theola. „Du wirst dir vorstellen können, daß sie schon genug abgeben mußten, bis dieser Palast gebaut war.“
„Das ist doch nicht mehr als recht und billig“, entgegnete Catherine. „Sie können doch nicht erwarten, daß ihr König in einer Lehmhütte wohnt.“
Catherines Stimme war aggressiv, und Theola konnte sich kaum verkneifen, darauf hinzuweisen, daß der Bau eines Krankenhauses wichtiger gewesen wäre. Aber sie wußte, daß es keinen Sinn hatte, mit Catherine über derlei Dinge zu sprechen. Catherine dachte nur an sich und ihr Äußeres.
Theola jedoch mußte immer wieder an die ärmliche Behausung denken, in die sie das Kind gebracht hatten. Lehmfußboden und keinerlei Komfort. Zwei Holzstühle, ein Tisch und ein Bett, weiter nichts. Sowohl die Mutter als auch das Kind hatten einen unterernährten Eindruck gemacht.
Theola verstand nur zu gut, warum die Kawonier nicht mehr lachten und tanzten. Ihr König gab Unsummen für einen Palast aus, aber für die Armen wurde nichts getan.
Theola ertappte sich dabei, wie sie inständig hoffte, daß die Soldaten, die inzwischen zur Verfolgung ausgeschickt worden waren, Alexius Vasilas nicht fanden.
Gut, er hatte sie voll Verachtung angesehen, aber sie wußte, weshalb. Er glaubte, daß sie zu dem Regime gehörte, gegen das er rebellierte.
Er war der bestaussehende Mann, den sie je gesehen hatte. War er eine Art Apoll, der seinen Landsleuten helfen und das Licht zeigen wollte, das sie auf ein besseres Leben hoffen lassen konnte? Oder war er lediglich ein Anarchist, der Gesetz und Ordnung haßte und Chaos hervorrief, ohne etwas dagegen zu setzen? Theola konnte es sich nicht vorstellen. Er war bestimmt ein Mensch, der seine Träume verwirklichen und alles zum Guten wenden wollte.
Sie fragte sich, ob sie ihn je wiedersehen würde.
Und als sie etwas später inmitten der vielen österreichischen Adeligen und Offiziere auf dem Empfang stand, den der König gab, kam es ihr höchst unwahrscheinlich vor.
„Leben Sie schon lange hier?“ fragte sie eine der Damen.
„Seit zehn Jahren“, bekam sie zur Antwort. „Seine Majestät wünschen, von Landsleuten umgeben zu sein.“
„Ist es Ihnen denn nicht schwergefallen, Österreich zu verlassen?“ fragte Theola.
„Manchmal hatte ich schon Heimweh“, erwiderte die Dame. „Aber inzwischen sind wir ja so zahlreich, und fast jeder ist mit jedem entfernt verwandt. Kawonien hat ein phantastisches Klima. Ich sage es oft zu meinem Mann - das ist eine der wertvollsten Eigenschaften dieses Landes.“
„Wir sind hier eine sehr fröhliche Gesellschaft“, meinte später am Abend ein ältlicher Baron zu Theola. „Ich bin überzeugt davon, Miss Waring, daß Sie sich blendend amüsieren werden.“
„Ich hoffe vor allem, das Land kennenzulernen“, entgegnete Theola.
Der Baron sah sie verständnislos an.
„Aber alles, was von Wichtigkeit ist, spielt sich doch hier in der Stadt und am Hofe ab“, entgegnete er. „Es gibt natürlich die Bärenjagden, aber ich bezweifle, daß Sie das interessiert. Die Damen der Gesellschaft pflegen nicht daran teilzunehmen. Am Hofe gibt es dafür immer genug Abwechslung für unsere Damen. Ein neues, hübsches Gesicht wie Ihres, Miss Waring, und natürlich das unserer zukünftigen Königin, erregen immer Aufsehen.“
Es mangelte nicht an jungen österreichischen Junggesellen, die alle Offiziere waren, aber Theola fand sie samt und sonders steif und mühsam in der Unterhaltung. Man zollte ihr zwar ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit, aber das wahrscheinlich nur, weil sie die Cousine Catherines war. Bald, so nahm sie an, würde sich jedoch herumgesprochen haben, daß sie niemand von Wichtigkeit war.
Ihre Annahme sollte sich bestätigen.
Catherines scharfer, unfreundlicher Ton Theola gegenüber, die fast beleidigenden Zurechtweisungen des Herzogs in aller Öffentlichkeit - nichts entging den versnobten, standesbewußten Österreichern. Sie waren bekannt dafür, daß sie vor lauter Ehrfurcht vor dem Protokoll kaum ein Glas an die Lippen heben konnten, ohne Angst haben zu müssen, irgendeine spezielle Regel der Etikette zu verletzen.
„Ich habe mir erzählen lassen“, sagte Catherine zu Theola, „daß die Damen in Wien sogar beim Essen die Handschuhe anbehalten.“
„Wie lächerlich!“ entgegnete Theola und lachte. „Und unbequem obendrein. Das muß eine Königin mit häßlichen Händen erfunden haben.“
„Eine ähnliche Bemerkung“, sagte Catherine spitz, „soll auch die Kaiserin Elisabeth gemacht haben. Der ganze Hof war schockiert.“
„Hoffentlich führst du diese Unsitte hier nicht ein“, meinte Theola. „Bei den Temperaturen, die in Kawonien herrschen, wäre bestimmt niemand begeistert.“
„Ich werde darüber nachdenken“, meinte Catherine von oben herab.
Von Tag zu Tag wurde Catherine überheblicher. Sie paßte sich voll und ganz der Art des Königs an.
Jedes Mal, wenn Theola Seine Majestät zu Gesicht bekam, fand sie von neuem, daß er geradezu unausstehlich langweilig und in völlig unbegründetem Maße von sich überzeugt war. Es gab Momente, wo der Herzog seinen zukünftigen Schwiegersohn nur mit Mühe zu ertragen schien oder seine nichtssagenden Bemerkungen einfach ignorierte. Theola konnte sich in solchen Situationen ein Schmunzeln nur schwer verkneifen.
Daß alles am Hofe König Ferdinand fürchtete, war offensichtlich, und Theola war überzeugt davon, daß er als Regent gnadenlos war. Allein wie er seine Untergebenen und die jungen Offiziere behandelte, war Beweis genug. Der König war Autokrat und kannte nur die eigenen Gefühle.
Theola hätte Mitleid mit ihrer Cousine empfunden, hätte sie nicht festgestellt, daß Catherine das Verhalten und Benehmen Ferdinands bewundernswert fand und ihn imitierte, wo sich nur die Gelegenheit bot.
Wenn Theola in Catherines Schlafzimmer kam, fand sie oft die Zimmermädchen in Tränen aufgelöst. Mit eigenen Augen hatte sie es zwar nie gesehen, aber sie vermutete, daß Catherine die armen Dinger mit der Haarbürste oder was sie gerade zur Hand hatte schlug, genau wie die Herzogin Theola geschlagen hatte. Und da Catherine viel zu ungeduldig war, den Mädchen auch nur das geringste beizubringen, erwartete sie von Theola, daß diese von früh bis spät zu ihrer Verfügung stand. Wenn Theola im herzoglichen Schloß schon wenig Zeit für sich selbst gehabt hatte, so hatte sie jetzt noch weniger. Deshalb hielt sie es auch für unwahrscheinlich, daß sie nach der Hochzeit nach England zurückgeschickt werden würde. Catherine kam ohne sie nicht aus, und das war in sich ein Trost.
Aber Theola fürchtete langsam, daß sie nichts anderes zu sehen bekommen würde, als die eleganten Räume des Palastes mit ihren Stuckverzierungen und die streng angelegten Gärten darum herum.
„Fahren wir denn nie in die Stadt oder einmal aufs Land?“ fragte Theola Captain Petlos.
„Das kommt sehr selten vor“, antwortete er. „Zu dieser Jahreszeit nie. Die Damen finden es zu heiß.“
„Ich wäre so gern einmal draußen“, sagte Theola lächelnd.
„Vielleicht ergibt sich nach der Hochzeit die Möglichkeit“, entgegnete der junge Offizier. „Wenn Sie jetzt den Vorschlag machen, stoßen Sie bestimmt auf Ablehnung.“
„Ich komme mir in diesem Palast wie eine Gefangene vor.“
„Mir geht es manchmal nicht anders. Aber ich komme wenigstens raus, wenn der Feldmarschall seine Truppen besichtigt.“
„Es gibt so viel, was ich gerne sehen würde“, meinte Theola und seufzte.
„Wenn Ihre Cousine Königin ist, müssen Sie sie dazu überreden, ab und zu ein Picknick zu veranstalten. Oder einen Ausflug.“
Theola nickte, aber sie war überzeugt davon, daß Catherine zu so etwas nicht zu überreden war. Sie würde voll damit ausgefüllt sein, die Königin zu spielen, Intrigen zu spinnen, zu klatschen und an den krampfhaften Amüsements teilzunehmen, die sich täglich wiederholten.
Ich darf mich nicht beschweren, dachte Theola immer wieder. Ich sollte dankbar sein, daß ich überhaupt hier bin und nicht mehr auf dem herzoglichen Schloß leben muß.
Ihren Onkel hatte sie selten zu Gesicht bekommen, denn er wurde in der Gesellschaft herumgereicht. Zwei Tage vor der Hochzeit jedoch ließ er Theola rufen.
Sie gingen in den Salon der Königin, wo er auf sie wartete. Die Angst, er könne ihr eröffnen, daß sie mit ihm nach England zurück mußte, begleitete sie.
„Ich muß dich sprechen, Theola“, sagte der Herzog, als sie in den Salon kam.
„Natürlich, Onkel Septimus“, antwortete Theola nervös.
„Ich reise am Tag nach der Hochzeit ab. Da du mit Catherine viel zu tun haben wirst, ist das vielleicht die letzte Gelegenheit, dich zu sprechen. Du wirst hier bleiben, bis dich Catherine nicht mehr braucht. Eines möchte ich bis dahin klarstellen: du wirst dich tadellos benehmen und wirst dich vor allem für keinen Mann interessieren. Auch wirst du es nicht zulassen, daß ein Mann sich für dich interessiert!“
Theola sah den Onkel mit großen Augen an.
„Wie soll ich das denn verstehen?“ fragte sie.
„Das werde ich dir erklären. Ob du in England lebst oder in Kawonien, dein Vormund bin ich! Ohne meine Einwilligung kannst du nicht heiraten! Und diese Einwilligung wirst du von mir nie bekommen. Deine Mutter hat unserem Namen Schande gemacht, und ich bin nicht bereit, einem Mann, der dich zur Frau nehmen will, zu erklären, daß deine Mutter hinunter geheiratet hat. Dein Vater war nichts mehr als ein besserer Dienstbote.“
Der angewiderte Ton traf Theola mehr als die verletzenden Worte. Sie biß die Zähne zusammen und holte tief Luft.
„Hier hat man dich als meine Nichte und Catherines Cousine akzeptiert“, fuhr der Herzog fort. „Daß jemand von der skandalösen Mesalliance deiner Mutter erfährt, ist absolut unnötig. Aber du weißt davon, und ich ebenfalls. Deshalb wirst du unverheiratet bleiben und die Sünden deiner Eltern durch Demut und Arbeit büßen bis an dein Lebensende.“
„Aber Onkel Septimus ...“
„Wage es, dich gegen mich aufzulehnen!“ schrie der Herzog. „Es wird kein Wort mehr darüber verloren! Du wirst dich so verhalten, wie ich es dir befehle! Catherine hat die Anweisung, dich auf der Stelle nach Hause zu schicken, wenn du dir auch nur die kleinste Kleinigkeit zuschulden kommen läßt. Und was dir dann blüht, wird dich ewig bereuen lassen, daß du nicht folgsam gewesen bist. Ist das klar?“
„Ja, Onkel Septimus.“
„Du kannst von Glück reden, daß Catherine dich gebrauchen kann, sonst wärst du erstens nicht hier und zweitens würde ich dich nie hier lassen. Zeige deine Dankbarkeit, indem du fleißig und bescheiden bist. Und wehe, du bist es nicht!“
Damit stand der Herzog auf und marschierte aus dem Salon. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, schlug Theola beide Hände vor das Gesicht. Daß sie nie heiraten sollte, sie konnte es nicht fassen! Sollte ihr das Glück verwehrt bleiben, das ihre Eltern zu strahlenden, ausgeglichenen Menschen gemacht hatte?
Was war ihr Vater in Oxford wegen seiner Intelligenz von allen verehrt und bewundert worden. Als er gestorben war, hatte Theola hunderte von Kondolenzbriefen bekommen. Sie hatte nie gewagt, sie ihrem Onkel zu zeigen. Er hätte sie nie gelesen, aber sie Theola unter Garantie weggenommen. Nach dem Tod ihrer Eltern hatte der Herzog alles verkauft, auch Dinge, die Theola gehört hatten. Sie hatte ins Schloß nur ihre paar Kleider mitbringen dürfen. Das wenige Geld, das sie gehabt hatte, war ihr weggenommen worden.
„Kann ich bitte etwas Geld haben, Onkel Septimus“ hatte Theola gefragt, als es feststand, daß sie mit nach Kawonien reisen sollte. „Ich brauche etwas für meine persönlichen Bedürfnisse.“
„Und welcher Art sind diese Bedürfnisse?“ hatte ihr Onkel zurückgefragt.
„Ich muß mir doch von Zeit zu Zeit etwas zum Anziehen kaufen. Ich muß auch einmal ein Trinkgeld geben können.“
„Wenn man selbst nicht viel mehr als ein Dienstbote ist, erwartet keiner von einem, daß man Trinkgeld gibt“, hatte der Onkel in seiner beleidigenden Art geantwortet. „Und was deine Garderobe anbelangt, Catherine wird schon dafür sorgen, daß du das Notwendigste hast.“
„Aber ich kann doch nicht mit leerem Portemonnaie reisen.“
„Dann läßt du dein leeres Portemonnaie zu Hause!“
Das einzige, was Theola besessen hatte, waren drei Goldmünzen von ihrem Vater, die sie in einem kleinen Kästchen versteckt hatte. Jede Münze hatte ihre Bedeutung.
Die eine stammte aus dem Jahr 1855, ihrem Geburtsjahr. Die zweite war 1868 geprägt worden, in dem Jahr, in dem sie konfirmiert worden war. Und die dritte schließlich hatte sie mit den anderen beiden zum Geburtstag bekommen, als sie fünfzehn geworden war.
Theola hatte sich vorgenommen gehabt, sich nie von den Münzen zu trennen, doch der Unfall mit dem kleinen Mädchen hatte sie so betrübt, daß sie der armen Familie eine der Münzen geschenkt hatte.
Sie hatte es nicht eine Sekunde bereut.
„Freust du dich auf deine Hochzeit?“ hatte Theola die Cousine am Abend dieses Tages gefragt, als sie von einem Ball zurückgekommen waren, auf dem sich Theola wieder einmal gelangweilt und sich wie eine graue Maus gefühlt hatte.
„Klar, denn dann bin ich Königin“, hatte Catherine geantwortet.
„Und meinst du, daß du mit König Ferdinand glücklich werden wirst?“
„Ich finde es angenehm, mit ihm zusammen zu sein“, sagte Catherine, nachdem sie einen Moment überlegt hatte. „Und außerdem bewundere ich, wie er das Land regiert.“
„Hat er mit dir darüber gesprochen?“
„Er hat mir gesagt, daß die Kawonier eine strenge Hand brauchen und unter Druck gehalten werden müssen. Sie sind zu einem Teil griechischer Abstammung und daher sehr temperamentvoll.“
„Aber es ist doch ihr Land“, meinte Theola, ohne vorher nachzudenken.
„Aber ganz gewiß nicht!“ entgegnete Catherine scharf. „Es ist Ferdinands Land. Er hat mir erzählt, wieviel er schon getan hat, um das Ansehen des Landes auf internationaler Basis zu heben.“
„Zum Beispiel?“ fragte Theola.
„Andere Monarchen sprechen voll Respekt von ihm. Er ist schließlich erst seit zwölf Jahren Regent von Kawonien. Schau dir doch an, was er in der kurzen Zeit zustande gebracht hat.“
„Was hat er denn zustande gebracht?“ fragte Theola.
„Den Palast. Als er ankam, war das ein altes, baufälliges Schloß, weiter nichts. Und die Stadt bestand aus einem Durcheinander von ärmlichen Häusern. Nicht ein anständiges Geschäft hat es gegeben. Die Damen mußten ihre Spitzen und Ripsbänder aus Athen oder Neapel kommen lassen!“
Theola sagte nichts. Darauf gab es nichts zu sagen. Die Gefühle und die Armut der Kawonier interessierten Catherine nicht. Sie machte sich ja nicht einmal die Mühe, die Menschen überhaupt kennenzulernen.
„Ich möchte jetzt schlafen gehen“, sagte Catherine. „Ich möchte morgen ausgeschlafen sein, um die ankommenden Hochzeitsgäste würdig empfangen zu können.“
„Bist du denn gar nicht nervös?“ fragte Theola.
„Warum soll ich denn nervös sein?“ entgegnete Catherine. „Wie du weißt, bin ich dazu geboren, Königin zu sein. Und daß ich eine bildschöne Braut sein werde, daran zweifelst du wohl nicht, oder?“
„Nein, natürlich nicht.“
„Die Kathedrale ist zwar nicht sonderlich groß, aber es wird schon jeder hineinpassen.“
„Die Kawonier sind doch bestimmt griechisch-orthodox.“
„Ich glaube schon“, meinte Catherine desinteressiert. „Aber der König ist Katholik. Da die katholische Kirche von Zanthos sehr klein und unscheinbar ist, hat Ferdinand beschlossen, sich in der griechisch-orthodoxen Kirche trauen zu lassen. Sie ist viel größer und auch viel pompöser.“
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