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Читать книгу: «Detektiv Dagobert», страница 7

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Als sie sich’s aber nach dem Mah­le im Rauch­zim­mer, Frau Vio­let auf ih­rem Lieb­lings­plätz­chen, be­quem ge­macht hat­ten, da er­teil­te sie ihm so­fort das Wort.

»Die Ar­beit ist ge­tan, Frau Vio­let«, be­gann er. »Mei­ne Mis­si­on ist er­füllt. Sie wer­den mit die­sen elen­den Brie­fen nicht mehr be­hel­ligt wer­den. Und auch du, Grum­bach, wirst der Unan­nehm­lich­keit ent­ho­ben sein.«

»Was mich be­trifft«, er­wi­der­te die­ser, »so hät­te es mich bei mei­ner Metho­de auch wei­ter nicht son­der­lich ge­stört. Je­den­falls hast du mich aber wie­der ein­mal tief zu Dan­ke ver­pflich­tet, Da­go­bert.«

»Er­zäh­len Sie!« dräng­te Frau Vio­let.

»Ich weiß nicht, Gnä­digs­te, ob es nicht rät­li­cher wäre, dass Sie sich mit der Tat­sa­che der Be­frei­ung be­gnüg­ten, ohne nach den ein­zel­nen Um­stän­den zu for­schen.«

»O nein, Da­go­bert, ich will al­les wis­sen!«

»Gut. Also – den Mis­se­tä­ter hät­ten wir!«

»Wer ist es?«

»Wie ich be­reits be­merkt habe, ein Zi­ga­ret­ten­rau­cher, der glat­tra­siert ist. Wie ich dar­auf­ge­kom­men bin, wis­sen Sie. Wir wa­ren bis da­hin ge­kom­men, dass mir ei­ner Ih­rer Freun­de von sei­nem bür­ger­li­chen Sul­tan flor an­bot.«

»Wer ist das?«

»Am nächs­ten Tage mach­te ich die­sem Man­ne mei­nen Be­such, und zwar zu ei­ner Zeit, wo ich be­stimmt wuss­te, dass er nicht zu Hau­se sein wer­de. Ich konn­te das wis­sen; denn ich hat­te mich er­kun­digt. Er war zu je­ner Zeit bei ei­ner Büh­nen­pro­be be­schäf­tigt. Mein Be­such war nö­tig und nütz­lich. Ich konn­te mei­ne Vor­keh­run­gen tref­fen. Als ich Sie heu­te Mor­gen ver­ließ, fuhr ich zum Kri­mi­nal­kom­mis­sär Dr. Wein­lich. Das ist der ein­zi­ge fä­hi­ge Kopf bei un­se­rer Kri­mi­nal­po­li­zei. Wir sind be­freun­det und tau­schen ge­le­gent­lich un­se­re Er­fah­run­gen und Beo­b­ach­tun­gen aus. Ich darf wohl sa­gen, ohne un­be­schei­den zu sein, dass wir uns ge­gen­sei­tig an­re­gen und ge­gen­sei­tig von­ein­an­der ler­nen. Ich trug ihm den Fall vor und frag­te ihn, ob er be­hilf­lich sein wol­le, die be­droh­te Ehre und den Frie­den ei­nes an­ge­se­he­nen Hau­ses zu schüt­zen. Ich ver­lang­te nicht ein amt­li­ches Ein­grei­fen, er­klär­te die­ses so­gar von vorn­her­ein für aus­ge­schlos­sen. Ich brauch­te nur einen sach­kun­di­gen und ein­drucks­vol­len Zeu­gen zu der Ver­hand­lung, die ich vor­hat­te. Er war so­fort mit von der Par­tie, und wir fuh­ren zu dem Man­ne, den wir die­ses­mal – des­sen hat­te ich mich schon ver­si­chert – zu Hau­se tra­fen. Der Schwar­ze ist heu­te üb­ri­gens wie­der ganz vor­züg­lich, Frau Vio­let, und was Ihren Ko­gnak be­trifft, so woll­te ich schon längst ein­mal fra­gen –«

»Ach, Da­go­bert, las­sen Sie jetzt doch die Ko­gnak­fra­ge! Er­zäh­len Sie wei­ter!«

»Nein, wirk­lich! Für Ko­gnak, müs­sen Sie wis­sen, bin ich Ken­ner, und da –«

»Da­go­bert!«

»Also wir tra­fen den Mann zu Hau­se.«

»So sa­gen Sie doch end­lich um Got­tes wil­len, wer es ist!«

»Er emp­fing uns groß­ar­tig. Auch zu Han­se ganz – pè­re no­ble

»Da­go­bert! Sie wol­len doch nicht sa­gen – –«

»Ich will.«

»Doch nicht Wal­ter –«

»Wal­ter Fran­ken­burg, der große Mime und vä­ter­li­che Men­schen­freund.«

»Das ist ent­setz­lich!«

Er emp­fing uns also groß­ar­tig. Mich woll­te er gleich nur um­ar­me, ich wink­te aber ge­las­sen ab. Ich mach­te es kurz und ent­schie­den. Ich stell­te den k. k. Po­li­zei­o­ber­kom­mis­sär Dr. Wein­lich vor, den ich gleich mit­ge­bracht habe, da wir ei­ner ganz nie­der­träch­ti­gen Lum­pe­rei auf der Spur sei­en. Dann zog ich zwei Brie­fe aus der Ta­sche, den von vor­ges­tern und den heu­ti­gen, bei­de noch un­er­öff­net.

»Ken­nen Sie die­se Brie­fe, Herr Fran­ken­burg?«

»Nein. Man wird doch nicht glau­ben –«

»Was wird man nicht glau­ben?«

»Dass ich sie ge­schrie­ben habe!«

»Wa­rum soll­ten denn Sie sie nun nicht ge­schrie­ben ha­ben kön­nen? Es könn­te ja ihr In­halt zu­fäl­lig auch ein hoch­an­stän­di­ger sein!«

Er merk­te, dass er sich ver­fan­gen hat­te, und er­bleich­te, im­mer war er aber noch ganz der Hel­den­va­ter. Er sei hier zu Hau­se und wer­de sein Haus­recht wah­ren. Er sei nicht ge­son­nen, sich in sei­ner Woh­nung we­gen ei­ner eben­so schmäh­li­chen als un­be­grün­de­ten Ver­däch­ti­gung förm­lich ver­hö­ren zu las­sen.

»Ich war der Mei­nung«, ent­geg­ne­te ich, »dass Sie ein Ver­hör hier dem im Ge­richts­saa­le vor­zie­hen wür­den.«

»Im Ge­richts­saa­le, Herr, wer­den Sie sich zu ver­ant­wor­ten ha­ben!«

»Ich fürch­te nur, dass Sie mir kei­ne Ge­le­gen­heit dazu bie­ten wer­den. Also Sie leug­nen. Das ist Ihr Recht. Sie wis­sen aber lei­der nicht, dass ich Sie mit mei­nen Be­wei­sen wie in ei­nem ei­ser­nen Schraub­stock hal­te. Sie kön­nen zap­peln, so viel Sie wol­len, Sie kom­men nicht mehr los.«

»Die Be­wei­se möch­te ich ken­nen!«

»So­fort. Ich hat­te mir die Ehre ge­ge­ben, ges­tern bei Ih­nen vor­zu­spre­chen. Sie ha­ben mei­ne Kar­te doch vor­ge­fun­den?«

»Ja.«

»Ha­ben Sie sie noch?«

»Ja­wohl, hier ist sie.«

»Scha­de. Sie hät­ten sie ver­nich­ten sol­len. Denn sie bil­det nun ein star­kes, viel­leicht das stärks­te Be­weis­stück ge­gen Sie.«

»Was soll die Kar­te ge­gen mich be­wei­sen? Sie schrei­ben mir auf ihr, ob ich nicht in der nächs­ten Zeit im Klub der In­dus­tri­el­len et­was vor­tra­gen woll­te. Ich habe bis jetzt we­der zu­ge­sagt, noch ab­ge­lehnt. Wie soll ich da nun et­was ver­bro­chen ha­ben?!«

»Sie wol­len noch im­mer nichts zu­ge­ben. Ge­hen wir also me­tho­disch vor. Zu­nächst wäre ich also in der Lage, Ih­nen nach­zu­wei­sen, dass sich das­sel­be Brief­pa­pier, das zu die­sen an­ony­men Su­de­lei­en ver­wen­det wor­den ist, in Ihrem Schreib­ti­sche vor­fin­det.«

»Wer kann das be­haup­ten?«

»Ich. Ich bin nicht um­sonst fünf Mi­nu­ten an die­sem Schreib­tisch ge­ses­sen, wenn auch un­ter den sorg­li­chen Au­gen Ih­rer Wirt­schaf­te­rin, die mir die Hon­neurs mach­te. Hier, Herr Kri­mi­nal­kom­mis­sär, was für Par­füm ha­ben die­se bei­den Brie­fe?«

»Ich glau­be, es ist ein leich­tes Veil­chen­par­füm«, er­wi­der­te Dr. Wein­lich, nach­dem er die Brie­fe zur Nase ge­führt hat­te.

»Ei­ner­lei, was es ist«, er­klär­te ich, »je­den­falls bil­li­ge Sor­te. Für Par­füms bin ich Ken­ner. Die Haupt­sa­che ist, wol­len Sie ein­mal, Herr Kri­mi­nal­kom­mis­sär zur obe­ren Schreib­tischla­de rechts rie­chen.«

»Es ist in der Tat ge­nau das­sel­be Par­füm.«

»Das ist die Haupt­sa­che. Sie wol­len uns die Lade nicht auf­schlie­ßen, Herr Fran­ken­burg. Ich nö­ti­ge Sie nicht, ob­schon ich glau­be, dass wir dort einen Be­weis fin­den könn­ten. Al­ler­dings kei­nen ge­nü­gen­den. Das gebe ich Ih­nen zu. Sie kön­nen auch sonst be­ru­higt sein. Wir ha­ben kei­nen Haus­durch­su­chungs­be­fehl mit, kön­nen Sie also auch nicht zwin­gen. Wir könn­ten uns ja schließ­lich einen sol­chen Be­fehl ver­schaf­fen, aber wir brau­chen ihn nicht. Ich habe et­was Bes­se­res. Als ich an die­sem Ti­sche zu sit­zen die Ehre hat­te, habe ich die Ge­le­gen­heit be­nutzt, um aus die­sem Ve­xier­ring, den Sie an mei­nem Fin­ger se­hen, drei Trop­fen in Was­ser auf­ge­lös­ter Bron­ze­far­be in Ihr Tin­ten­fass zu träu­feln. Sie konn­ten den klei­nen Scherz nicht be­mer­ken, Herr Fran­ken­burg, er hat Sie aber fest­ge­macht. Die Kar­te, die ich schrieb, war das letz­te Do­ku­ment, das an die­sem Schreib­tisch mit glanz­lo­ser Tin­te ge­schrie­ben wur­de. Was spä­ter ge­schrie­ben wur­de, muss­te, wenn die Tin­te ein­mal ein­ge­trock­net war, den ver­rä­te­rischen und un­wi­der­leg­li­chen Me­tall­glanz auf­wei­sen. Ver­glei­chen Sie gü­tigst die­se bei­den Brie­fe, Herr Kri­mi­nal­kom­mis­sär. Der eine ist vor, der an­de­re nach mei­nem Be­su­che ge­schrie­ben wor­den, wie die Post­stem­pel aus­wei­sen.«

»Auch das ist un­ver­kenn­bar«, be­stä­tig­te Dr. Wein­lich.

»Tat­sa­che ist nun, dass Sie alle Schreib­ti­sche Wiens ge­richt­lich durch­su­chen las­sen kön­nen, auf kei­nem wird die­se ab­son­der­li­che Tin­te wie­der­zu­fin­den sein. Glau­ben Sie nun, Herr Wal­ter Fran­ken­burg, dass ich Sie fest­hal­te?«

»Nun, hat er ge­stan­den?« frag­te Frau Vio­let in höchs­ter Span­nung.

»Er war ge­bro­chen, gab je­den Wi­der­stand auf und al­les zu. Und nun, Frau Vio­let, rüs­ten Sie sich zur großen Ge­richts­ver­hand­lung!«

»Was fällt Ih­nen ein, Da­go­bert?! Soll ich mich viel­leicht als Zeu­gin hin­aus­stel­len und dann in den Sen­sa­ti­ons­be­rich­ten durch alle Zei­tun­gen schlei­fen las­sen!!«

»Ja, was soll ich sonst mit dem Man­ne an­fan­gen?«

»Schaf­fen Sie ihn ab aus Wien, le­gen Sie ihm sonst eine Buße auf, was Sie wol­len, aber mich las­sen Sie aus dem Spie­le!«

»Merk­wür­dig, wie man sich täu­schen kann! Ich dach­te, weil Ih­nen die­se Art der Stra­fe bei der Grä­fin viel zu mild schi­en –«

»O, das war et­was ganz an­de­res!«

»Ich weiß nicht, ob es et­was ganz an­de­res war, aber für alle Fäl­le habe ich auch ihn vom Fleck weg ver­bannt. Er wird nie mehr eine Wie­ner Büh­ne be­tre­ten, au­ßer­dem schickt er die­sen Be­trag für Ihren Wohl­tä­tig­keits­ver­ein, mei­ne Gnä­digs­te. Den Aus­weis wird er in den Zei­tun­gen fin­den. Das Schlag­wort wird lau­ten: ›Von ei­nem über­wie­se­nen Schur­ken‹, und er wird sich er­ken­nen.«

1 Ge­päck oder (fall­wei­se) Kut­sche <<<

2 beu­tel­ar­ti­ge Da­men­hand­ta­sche mit Zug­bän­dern <<<

3 (frz.) hier etwa: kom­me, was wol­le <<<

4 Früh­stück <<<

5 (franz.) Hel­den­va­ter. <<<

Zweiter Band

Dagoberts unfreiwillige Reise.

An­dre­as Grum­bach, sei­ne Gat­tin, Frau Vio­let, hat­ten sich ge­ra­de zu Ti­sche ge­setzt, als Da­go­bert ein­trat. War das eine Über­ra­schung! Seit zwei Mo­na­ten hat­ten sie ihn mit kei­nem Auge ge­se­hen. Er war förm­lich ver­schol­len ge­we­sen.

»Es ist schön von Ih­nen, Da­go­bert, dass Sie we­nigs­tens noch am Le­ben sind!« be­will­komm­ne­te ihn Frau Vio­let freu­dig er­regt, wäh­rend ihm Grum­bach mit Herz­lich­keit die Hand schüt­tel­te.

»Ich gebe zu, es ist ein hüb­scher Zug von mir, aber es hät­te wahr­haf­tig nicht viel ge­fehlt –«

Er vollen­de­te nicht, und man frag­te nicht. Man wuss­te von frü­her her schon, dass er bei Ti­sche, so­lan­ge die auf­war­ten­de Die­ner­schaft noch ab und zu ging, nicht zum Re­den zu brin­gen sein wer­de, und so frag­te man sich vor­der­hand nur ge­gen­sei­tig das Be­fin­den ab und er­ging sich sonst in all­ge­mei­nen und gleich­gül­ti­gen Re­dens­ar­ten.

Der Be­dien­te, der ge­ra­de die Sup­pe ser­vier­te, hat­te gar nicht erst den Wink der Haus­frau ab­ge­war­tet, son­dern, wie es sich für einen gut­ge­schul­ten Die­ner, der den Brauch des Hau­ses kennt, ge­hört, aus frei­en Stücken und im eig­nen Wir­kungs­krei­se für den Gast ein fri­sches Ge­deck auf­ge­legt.

Frau Vio­let war aber doch rie­sig neu­gie­rig, und sie hat­te auch al­len Grund dazu. Zwei Mo­na­te sich nicht an­schau­en zu las­sen und gar kein Le­bens­zei­chen von sich zu ge­ben – so et­was war über­haupt noch nicht da­ge­we­sen! Da­go­berts Ant­litz wies eine Bläs­se wie von über­stan­de­ner Krank­heit auf, und sein Pe­trus­kopf er­schi­en ihr nun noch viel in­ter­essan­ter als schon frü­her. Sie kann­te die große Pas­si­on Da­go­berts, sich als Ama­teur-De­tek­tiv um Din­ge zu küm­mern, in Sa­chen hin­ein­zu­mi­schen und ih­nen nach­zu­ge­hen, die ihn ei­gent­lich gar nichts an­gin­gen und sich da­bei ge­le­gent­lich in recht be­denk­li­che und ge­fähr­li­che Zwi­schen­fäl­le ver­wi­ckeln zu las­sen. Sie er­in­ner­te sich da­bei dank­ba­ren Ge­mü­tes, welch wich­ti­ge Diens­te er mit sei­ner merk­wür­di­gen Gabe scharf­sin­ni­ger Kom­bi­na­ti­ons­kunst als Gent­le­man-De­tek­tiv wie­der­holt auch ih­rem Hau­se schon ge­leis­tet habe.

Als der Die­ner auf einen Au­gen­blick das Zinn­ner ver­ließ, konn­te sie sich nicht ent­hal­ten, ihm die Fra­ge zu­zu­flüs­tern: »Sie wa­ren ver­reist, Da­go­bert?«

»Ja­wohl, eine klei­ne Rei­se – ei­gent­lich eine un­frei­wil­li­ge Rei­se.«

»Wo­hin?«

»Nach Press­burg.«

»Eine Stun­de von Wien – das ist doch kei­ne Rei­se!«

»Es sind so ge­gen sech­zig Ki­lo­me­ter.«

»Man bleibt nicht zwei Mo­na­te in Press­burg, noch dazu im Win­ter!«

»Sehr rich­tig. Für die Rück­fahrt muss­te ich al­ler­dings einen klei­nen Um­weg ma­chen so von un­ge­fähr zwei­tau­send Ki­lo­me­tern. Ich bin näm­lich über Men­to­ne1 zu­rück­ge­kom­men.«

Die Un­ter­hal­tung wur­de un­ter­bro­chen, als der Die­ner wie­der ein­trat. Frau Vio­let, die ja wuss­te, dass Da­go­bert, wie er das im­mer gern ge­tan hat­te, nach Tisch beim schwar­zen Kaf­fee im Rauch­zim­mer, sei­ne Er­leb­nis­se in der Zwi­schen­zeit er­zäh­len wer­de, war doch zu un­ge­dul­dig, ei­ni­ges Nä­he­re jetzt schon zu er­fah­ren, um nicht eine neu­er­lich sich dar­bie­ten­de Ge­le­gen­heit zu ei­ner Fra­ge zu be­nüt­zen.

»Sie wa­ren na­tür­lich wie­der – in Ge­schäf­ten fort, Da­go­bert?«

»Ich ant­wor­te wie Franz Liszt ant­wor­te­te, als ihn ein Po­ten­tat frag­te, ob er in Wien gute Ge­schäf­te ge­macht habe: Ich ma­che kei­ne Ge­schäf­te, ich ma­che Mu­sik, Ma­je­stät.«

»Aber ich mein­te ja – die Mu­sik, Da­go­bert!«

Auch so wäre noch ein Miss­ver­ständ­nis mög­lich ge­we­sen. Denn tat­säch­lich hat­te Da­go­bert die große Pas­si­on auch für die Mu­sik, die er lei­den­schaft­lich lieb­te. Auch da galt er als hin­ge­bungs­vol­ler Ama­teur, und da­bei hät­te er es sich kei­nes­wegs ge­fal­len las­sen, bloß als Di­let­tant an­ge­se­hen zu wer­den. In Wahr­heit hat­te Frau Vio­let gar nicht die Mu­sik ge­meint, son­dern sei­ne an­de­re Lieb­ha­be­rei, die für die De­tek­tiv­kunst. Die­se Kunst­lieb­ha­be­rei war ihr an ihm doch noch die in­ter­essan­te­re.

Als dann die klei­ne Ge­sell­schaft das Rauch­zim­mer be­trat, rich­te­te Frau Vio­let dem Gas­te, den sie der an ihm un­ge­wohn­ten Bläs­se hal­ber noch im­mer als Pa­ti­en­ten be­trach­te­te und da­her mit ei­ner ge­wis­sen Müt­ter­lich­keit be­trau­te, sei­nen Sitz in der Nähe ih­res Lieb­lings­plätz­chens am Ka­min her. Der Haus­herr selbst nahm sei­nen ge­wohn­ten Platz am Ranch­tisch­chen in der Mit­te des Zim­mers ein. Der Kaf­fee war ser­viert, man hat­te sich mit Zu­cker, die Her­ren mit Zi­gar­ren, Frau Vio­let mit ei­ner Zi­ga­ret­te ver­sorgt. Man war un­ter sich und un­ge­stört.

»Sie ha­ben sich si­cher wie­der in ir­gend­ei­ne ver­rück­te Ge­schich­te ein­ge­las­sen, Da­go­bert«, be­gann Frau Vio­let.

»Sehr ver­rückt, mei­ne Gnä­digs­te!«

»Sie wer­den ein­mal schlecht da­bei weg­kom­men, Da­go­bert. Ich habe Sie oft ge­nug ge­warnt.«

»Man schafft sich sei­nen Le­bens­in­halt, Frau Vio­let. Wis­sen Sie, was ich ei­gent­lich am al­ler­liebs­ten täte?«

»O ja, am liebs­ten wür­den Sie – Mu­sik ma­chen.«

»Das tue ich so wie so. Die tiefs­te Sehn­sucht gilt im­mer dem Un­er­reich­ba­ren, und am liebs­ten möch­te man ge­wöhn­lich das tun, was man nicht kann.«

»Was möch­ten Sie denn also am al­ler­liebs­ten tun?«

»No­vel­len schrei­ben.«

»Aber – Da­go­bert!«

»Da ich das aber nicht kann – lei­der! – so trach­te ich we­nigs­tens, mei­ne No­vel­len zu er­le­ben.«

»Er­leb­te No­vel­len – das ist auch schon et­was, viel­leicht mehr und Bes­se­res als ge­schrie­be­ne.«

»Ob auch Bes­se­res – das möch­te ich nicht so schroff be­haup­ten, Frau Vio­let! Das Le­ben ist ko­los­sal frucht­bar im Dich­ten, aber es dich­tet nicht im­mer kunst­ge­mäß. Wo nach al­len Re­geln der Kunst eine ver­folg­te Un­schuld not täte, da fehlt ge­wöhn­lich die Un­schuld, und wo man den geist­sprü­hen­den Baron brauch­te, wie einen Bis­sen Brot, dass er mit sei­ner wun­der­vol­len Vor­ur­teils­lo­sig­keit zum Schlus­se al­les ins rich­ti­ge Ge­lei­se brin­ge, da ist im Le­ben weit und breit kei­ne Spur von ihm zu ent­de­cken. So sind denn mei­ne No­vel­len ei­gent­lich im­mer recht kunst­los ge­fügt, und sie ge­ra­ten sehr sel­ten zu ei­nem all­seits be­frie­di­gen­den Ab­schluss. Die Kunst­form der No­vel­le –«

»Mein lie­ber Da­go­bert, das al­les ist si­cher sehr schön und gut, was Sie mir da ent­wi­ckeln wol­len, aber es ist nicht das, was ich von Ih­nen er­war­te.«

»Ver­zei­hung, Gnä­digs­te. Ich weiß, dass ich ver­pflich­tet bin, Ih­nen mei­ne Beich­te ab­zu­le­gen. Ich be­gin­ne also mei­ne No­vel­le, die ei­gent­lich kei­ne ist, weil –«

»Kei­ne Phi­lo­so­phie mehr, Da­go­bert. Ich wün­sche Tat­sa­chen.«

»Gut. Eine Tat­sa­che war es, dass mein Arzt ei­nes schö­nen Ta­ges – es war so um die Mit­te Ok­to­ber her­um – an mir eine leich­te Le­be­r­an­schwel­lung und gleich­zei­tig eine klei­ne Gal­len­af­fek­ti­on fest­stell­te.«

»Sie wa­ren lei­dend, Da­go­bert, und ha­ben uns kei­ne Mit­tei­lung ge­macht!«

»Der Esel mein­te, ich hät­te viel­leicht ein we­nig zu gut ge­lebt. Als ob man über­haupt zu gut le­ben könn­te. Na­tür­lich habe ich im­mer dar­auf ge­hal­ten, so gut als mög­lich zu le­ben, aber ich bin ein Epi­kurä­er und habe mir im­mer et­was zu­gu­te ge­tan auf mei­ne Weis­heit im Ge­nie­ßen.«

»Nun scheint Sie Ihre Weis­heit ge­le­gent­lich doch im Sti­che ge­las­sen zu ha­ben.«

»Mei­ne Le­ber hat mich im Sti­che ge­las­sen. Ich hät­te Bes­se­res von ihr er­war­tet. Also nun los mit der Karls­ba­der Kur! Es war nicht nö­tig, des­halb nach Karls­bad zu fah­ren; sie konn­te auch zu Hau­se er­le­digt wer­den. Der Arzt hat­te es gnä­dig ge­macht mit mir. Des Mor­gens vor dem Früh­stück einen an­stän­di­gen Be­cher Mühl­brunn, dar­auf so­fort eine hal­be Stun­de spa­zie­ren lau­fen – das war al­les. Die Sa­che war mir un­ge­wohnt und nicht eben an­ge­nehm. Gleich in al­ler Got­tes­frü­he fort­ren­nen und so zweck­los spa­zie­ren ge­hen – das ist nie mein Fall ge­we­sen, aber es muss­te sein.«

»Dem Arz­te muss man fol­gen, Da­go­bert!«

»Na­tür­lich. Ich schie­be also los und hat­te gleich am ers­ten Tage mei­ne No­vel­le.«

»Sie ha­ben im­mer Glück ge­habt.«

»Es kommt dar­auf an. Wie Sie wis­sen, habe ich mein Jung­ge­sel­len­heim vor kur­z­em nach der Eli­sa­beth-Pro­me­na­de ver­legt, die sich ja, wie Sie wis­sen, groß­ar­tig her­aus­ge­macht hat. Frü­her hieß sie Ros­sau­er Län­de und un­se­re Stadt­vä­ter ha­ben sie jetzt erst um­ge­tauft. Ich fin­de, dass das eine recht über­flüs­si­ge Wal­lung von Vor­nehm­tue­rei war. Ross-Au-Län­de – so gut deut­sche Wör­ter, die fri­sche und an­ge­neh­me Vor­stel­lun­gen we­cken. War es da un­be­dingt nö­tig –«

»Gott, Da­go­bert – ich war­te auf Ihre No­vel­le!«

»Ich woll­te nur sa­gen, das da­mit die Li­nie für mei­ne Spa­zier­gän­ge ge­ge­ben war.«

»Na­tür­lich! Die Pro­me­na­de ist sehr schön.«

»Im Ge­gen­teil – durch­aus nicht na­tür­lich. Die Pro­me­na­de – wenn Sie das küh­ne Bild ge­stat­ten wol­len – wächst mir näm­lich schon zum Hal­se her­aus. Wenn man den Weg tag­täg­lich oh­ne­dies mehr­mals ma­chen muss, dann wird man sich ihn nicht auch noch zum Spa­zie­ren­ge­hen aus­su­chen. Das wäre ja töd­lich lang­wei­lig. Für mich war es also klar, dass ich mei­nen Weg über die Bri­git­ta­brücke neh­men muss­te, in die Bri­git­tenau, den zwan­zigs­ten Be­zirk, in den ich frü­her äu­ßerst sel­ten ge­kom­men war und den ich da­her fast noch gar nicht kann­te. Als Grill­par­zer in sei­nem ›Ar­men Spiel­mann‹ die Bri­git­tenau schil­der­te, da war sie wirk­lich noch eine Au, jetzt ist sie eine Groß­stadt für sich mit ei­ner al­ler­dings ver­hält­nis­mä­ßig recht ar­men Be­völ­ke­rung. Da konn­te ich im­mer­hin er­war­ten, Neu­es zu se­hen und man­cher­lei An­re­gung zu emp­fan­gen.«

»Ich selbst bin in mei­nem Le­ben noch nicht dort ge­we­sen, Da­go­bert.«

»Gleich bei der Brücke ist dort jetzt der ›Schan­zel‹ der Obst­markt, eta­bliert. Ein hüb­sches, far­bi­ges Bild. Da hat­te ich sie nun vor mir, förm­lich in Reih und Glied auf­ge­stellt, die be­rühm­ten Schan­zel­wei­ber, be­rühmt ob der Ko­los­sa­li­tät ih­rer Lei­bes­for­men und nicht min­der ob der Ko­los­sa­li­tät der Derb­heit ih­rer Aus­drucks­for­men, wenn sie ge­reizt wer­den oder sonst in schlech­ter Lau­ne sind. Vor ih­nen auf um­fäng­li­chen Ge­stel­len Ber­ge von Obst, das sie feil­hal­ten; hin­ter ih­nen der Do­n­au­ka­nal, die zahl­rei­chen Obst­schif­fe mit ih­rem schier un­er­schöpf­li­chen In­halt. Ein pracht­vol­les, bun­tes Bild! Ich schrei­te die Stän­de lang­sam ab, und als ich am vier­ten Stand vor­bei­ge­kom­men war, da wuss­te ich, dass mei­ne not­ge­drun­ge­nen Spa­zier­gän­ge nun doch über die lang­wei­li­ge ärzt­li­che Vor­schrift hin­aus eine Art Zweck und Ziel ha­ben wür­den. Ich wer­de da am Rück­weg eben­falls vor­bei­kom­men und mor­gen wie­der und über­haupt alle Tage, so­lan­ge noch das Mar­ty­ri­um der kur­ge­mä­ßen Le­bens­wei­se dau­ern soll­te.«

»Aha – cher­chez la fem­me«

»Sehr rich­tig, mei­ne Gnä­digs­te. Sie ken­nen mich. Es war aber auch ganz merk­wür­dig.«

»Es wird doch nicht gleich eine Grä­fin un­ter die Obst­wei­ber ge­gan­gen sein?«

»Das al­ler­dings nicht. Ich glau­be aber, dass so man­che Grä­fin sich be­glück­wün­schen könn­te –«

»So schön war sie, Da­go­bert?«

»Nicht ein­fach schön. Sie war über­ra­schend in der Um­ge­bung. Den­ken Sie sich un­ter den wet­ter­har­ten Ko­los­sal­wei­bern ein zier­li­ches Fi­gür­chen, Ku­bikin­halt bei Wei­tem nicht die Hälf­te von dem der üb­ri­gen Be­rufs­ge­nos­sin­nen. Die ver­kör­per­te An­mut. Nicht we­sent­lich ele­gan­ter ge­klei­det als die üb­ri­gen; ja sie trug, wie die an­de­ren, ein weit, für mei­nen Ge­schmack zu weit aus­la­den­des Kopf­tuch, so­dass man förm­lich Kunst­stücke ma­chen muss­te, um ihr ins Ge­sicht zu se­hen, aber wie sie ihr Zeug trug, das war doch et­was ganz an­de­res! Und auch sonst. Die an­de­ren hat­ten ihre Füße in war­me Filz­pat­schen ge­steckt der Herbst hat­te schon recht rau ein­ge­setzt – sie trug ganz ent­zücken­de Stie­fel­chen, die un­ter dem ge­schürz­ten Kleid vor­treff­lich zur Gel­tung kan­ten. Ihre Hän­de wa­ren auf­fal­lend klein und schön, aber fest von der Ar­beit, und wie sie ih­ren Obst­kram ord­ne­te, be­merk­te ich, dass sie einen Ehe­ring trug.«

»Und von dem Ge­sicht, der Haupt­sa­che, re­den Sie nichts?«

»Das kommt zu­letzt; das ist das merk­wür­digs­te. Sie kön­nen sich das Feins­te vor­stel­len, und Sie wer­den ihr nicht zu­recht tun. Wie soll ich’s Ih­nen nur an­schau­lich ma­chen? Sie er­in­nern sich der köst­li­chen ty­pisch eng­li­schen Frau­en­schön­hei­ten, die Du­mou­ri­er für den ›Pun­ch‹2 zu zeich­nen pfleg­te. Der bra­ve Künst­ler ist längst tot, sonst hät­te man glau­ben kön­nen, sie sei ei­nes sei­ner be­lieb­tes­ten Mo­del­le ge­we­sen. Wahr­haf­tig das Ur­bild ei­nes der eng­li­schen Ideal­mäd­chen, ob­schon ihr Haar dun­kel war. Sie trug es an der Sei­te ge­schei­telt, und so be­schat­te­te eine kunst­voll ge­bausch­te Haar­wel­le die fei­ne Stir­ne. Das Kinn, die Lip­pen, die zart­ge­zeich­ne­te Nase – kurz ein Ge­sicht, das un­ter den Hof­da­men der Kö­ni­gin von Eng­land nicht über­rascht hät­te, das aber bei ei­ner ›Frau So­pherl vom Nasch­mark­t‹ noch ei­ni­ger­ma­ßen auf­fal­len muss­te.«

»Ich wer­de hin­ge­hen und mich über­zeu­gen, Da­go­bert!«

»Und Sie wer­den mir dann zu­ge­ben, dass ich nicht über­trie­ben habe. Ich ko­ket­tier­te na­tür­lich so­fort scharf hin­über, aber er­folg­los. Ich wur­de kei­nes Blickes ge­wür­digt. Auf dem Rück­weg die­sel­be Ge­schich­te: sie be­merk­te mich nicht. Sie be­grei­fen, Gnä­digs­te, dass so et­was schmerzt. Man ist es sonst ge­wohnt, be­merkt zu wer­den. Man schmei­chelt sich doch –«

»Ich bin ganz un­be­sorgt, mein lie­ber Da­go­bert, Sie wer­den sich schon be­merk­bar ge­macht ha­ben!«

»Ich dan­ke für die gute Mei­nung, mei­ne Gnä­digs­te; ich fürch­te aber, dass Sie mich in die­sem einen Fal­le über­schät­zen. Auch an den nächs­ten Ta­gen äu­gel­te, lieb­äu­gel­te ich hin, ver­geb­lich. Sie be­sorg­te ihre Sa­chen bei ih­rem Stand und sah über­haupt nie­man­den an. Das gab mir zu den­ken.«

»Na­tür­lich! Ihr Her­ren der Schöp­fung steht gleich vor ei­nem un­lös­ba­ren Pro­blem, wenn ein­mal ein hüb­sches Frau­en­zim­mer sich nicht ge­neigt zeigt, euch die ge­büh­ren­de Auf­merk­sam­keit zu er­wei­sen!«

»Ich such­te nach ei­ner Er­klä­rung die­ser völ­li­gen Gleich­gül­tig­keit der Flucht der Er­schei­nun­gen ge­gen­über und glaub­te, sie in ei­ner star­ken in­ne­ren Be­nom­men­heit zu fin­den. Die­se jun­ge Frau muss­te ir­gen­det­was ha­ben, was sie mit zwin­gen­der Aus­schließ­lich­keit be­schäf­tig­te. Ich hat­te sie mir im­mer ge­nau, sehr ge­nau an­ge­se­hen, und da hat­te ich auch zwei ganz fei­ne Li­ni­en be­merkt, die sich vom An­satz der zart­ge­schwun­ge­nen Na­sen­flü­gel zu den Mund­win­keln zo­gen. Von die­sen bei­den Li­ni­en schloss ich zu­nächst auf ein Leid oder auf ein Lei­den. Das ver­min­der­te mein In­ter­es­se nicht. Ich nahm mir vor, wenn ich Obst kau­fen wer­de – und ich wer­de Obst kau­fen – es selbst­ver­ständ­lich nur bei ihr zu kau­fen. Ich kauf­te also, kauf­te wie­der­holt. Sie füll­te mir die Wein­trau­ben in den Pa­pier­sack, wog, wech­sel­te mit völ­li­gem Man­gel ir­gend­wel­cher per­sön­li­cher An­teil­nah­me. Kein Lä­cheln, wenn ich wie­der­kam, nicht ein­mal das lei­ses­te An­zei­chen, dass sie mich über­haupt wie­der­er­ken­ne. Auf mei­ne Ver­su­che, Ge­sprä­che an­zu­knüp­fen, ging sie nicht ein. Sie ant­wor­te­te ein­sil­big, teil­nahm­los. Sie war die per­so­ni­fi­zier­te Teil­nahm­lo­sig­keit. Da konn­te ich hun­dert Jah­re lang Wein­trau­ben ein­kau­fen, ohne ihr auch nur um einen Schritt nä­her zu rücken.«

»Für Ihr Geld hat­ten Sie auch auf mehr nicht An­spruch, Da­go­bert, als auf Wein­trau­ben.«

»Das ist nicht ganz rich­tig, mei­ne Gnä­digs­te. Als Kund­schaft hat man auch An­spruch auf ein freund­li­ches Lä­cheln als Zu­ga­be. Ich ge­ste­he, mein In­ter­es­se be­gann ab­zu­flau­en. Die reiz­vol­le Er­schei­nung übte zwar noch im­mer ihre An­zie­hungs­kraft, die An­mut war un­leug­bar und war ent­zückend, und doch das Gan­ze schi­en nicht be­seelt. Ich be­gann mei­ne psy­cho­lo­gi­schen Er­klä­run­gen um­zu­deu­ten und jene fei­nen Li­ni­en, die dem Ge­sicht­chen et­was Ver­gräm­tes ga­ben, um­zu­wer­ten. Die­se Li­ni­en sind ein­fach von der in­ner­li­chen Bös­ar­tig­keit ei­nes un­ge­zü­gel­ten Na­tu­rells ge­zo­gen.«

»Das ist wie­der ech­ter Da­go­bert! So sind die Män­ner. Weil sie ihn nicht an­lä­chelt, muss sie gleich eine bös­ar­ti­ge Kat­ze sein!«

»Al­ler­dings, sie schi­en mir nun mehr bös­ar­tig als ver­grämt, ver­teu­felt hübsch, aber bös­ar­tig. Mei­ne ur­sprüng­li­che Be­geis­te­rung für die Prin­zes­sin un­ter den Ple­be­je­rin­nen muss­te noch einen wei­te­ren Stoß er­lei­den. Ich stand in der Nähe, als eine Dame bei ihr Wein­trau­ben ein­kau­fen woll­te, als Anna Bur­g­hol­zer – ich brau­che wohl nicht erst zu sa­gen, dass ich ihre Ge­ne­ra­li­en längst schon aus­ge­kund­schaf­tet hat­te – bei mei­nen Be­zie­hun­gen zur Po­li­zei üb­ri­gens eine sehr ein­fa­che Sa­che, eine Nach­fra­ge beim Markt­kom­missa­ri­at – aber hal­ten wir uns da­mit nicht auf –«

»Nein, Da­go­bert, das dür­fen Sie nicht so ne­ben­säch­lich be­han­deln. Sie war also wirk­lich ver­hei­ra­tet?«

»Ja­wohl. Ihr Mann war Fi­scher –«

»War – ist es hof­fent­lich noch?«

»War Fi­scher in Ka­gran, jen­seits der großen Do­nau. Von dort aus zog er täg­lich in die Lo­bau, üb­ri­gens ein his­to­ri­scher Bo­den, auch As­pern und Wa­gram lie­gen in der Nähe, und übte dort sein Ge­wer­be aus.«

»Schön, und was war es mit der Dame, die Wein­trau­ben kau­fen woll­te?«

»Sie hat­te sich ver­mes­sen, sich selbst die Trau­ben aus­zu­su­chen, und so­gar den sträf­li­chen Ver­such ge­wagt, be­son­ders schö­ne Trau­ben von un­ten weg her­aus­zu­zie­hen, wo­durch al­ler­dings der gan­ze Bau leicht ins Wan­ken hät­te ge­ra­ten kön­nen. Anna Bur­g­hol­zer ver­wies ihr das kurz und schroff, und als die Dame dar­auf­hin, viel­leicht weil sie die Mah­nung über­hört oder an­ge­nom­men hat­te, dass die schar­fe Zu­rück­wei­sung un­mög­lich ihr ge­gol­ten ha­ben kön­ne, nicht so­fort Or­der pa­rier­te, da be­gann Anna Bur­g­hol­zer eine Standre­de so ur­kräf­ti­ger Art, dass die Dame er­schreckt und wort­los da­vo­neil­te. Der Re­de­strom flu­te­te aber wei­ter, und die ent­fes­sel­te Obst­markt­frau­en-Be­red­sam­keit brach­te in schier end­lo­ser Rei­he so durch­aus or­di­näre Be­schimp­fun­gen her­vor, dass ich selbst wie an­ge­don­nert da­stand. Das also war mei­ne eng­li­sche Hof­da­me!«

»Ge­schieht Ih­nen schon recht, Da­go­bert! Ein hüb­sches Lärv­chen ge­nügt Ih­nen, um gleich alle er­denk­li­chen Vor­zü­ge da­mit in Ver­bin­dung zu brin­gen. Ihr alle seid be­sto­che­ne Rich­ter!«

»Da war al­ler­dings auch nicht der lei­ses­te Un­ter­schied mehr von den üb­ri­gen Markt­wei­bern zu ent­de­cken. Von mei­ner Schwär­me­rei war ich nun so ziem­lich ge­heilt, und ich be­schloss, mich für die Dame nicht wei­ter zu in­ter­es­sie­ren. Schon am nächs­ten Tage aber wur­de mein In­ter­es­se wie­der auf das leb­haf­tes­te an­ge­regt. Als ich wie­der dort in ge­mes­se­ner Ent­fer­nung vor­bei­ging – sie selbst be­merk­te mich bei mei­nen Pro­me­na­den nie­mals – sah ich einen Mann bei ihr ste­hen, und zwar nicht vor dem Ver­kaufs­stand, son­dern hin­ter dem­sel­ben ganz dicht ne­ben ihr, der so­fort mei­ne vol­le Auf­merk­sam­keit her­aus­for­der­te. Ich um­kreis­te den Schau­platz und stell­te mei­ne Beo­b­ach­tun­gen an. Sie wis­sen, gnä­di­ge Frau, ich habe et­was vom Jagd­hund an mir.«

»Ich weiß, Da­go­bert.«

»Ich hat­te eine Wit­te­rung in die Nase be­kom­men. Das war et­was für mich. Eine fa­mo­se Fi­gur. Eine hohe, sehr kräf­ti­ge Ge­stalt. Star­ker dunk­ler Schnurr­bart. Das der­be, blat­ter­nar­bi­ge Ge­sicht et­was bleich. Die Klei­dung fun­kel­na­gel­neu, aber von or­di­närer Ele­ganz. Lich­ter, reh­le­der­far­bi­ger Über­zie­her, neu­er Zy­lin­der­hut, Lack­schu­he, die phä­no­me­nal großen Hän­de in Glacéhand­schu­hen ste­ckend, die noch das kräf­ti­ge rote Hand­ge­lenk se­hen lie­ßen. Ich pos­tier­te mich hin­ter die bei­den, lehn­te mich ans Ufer­ge­län­der und tat, als sei ich ganz in An­spruch ge­nom­men von dem Trei­ben auf den Obst­schif­fen. Da­bei be­hielt ich aber den Ele­gant na­tür­lich scharf im Auge.«

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