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Arber Shabanaj

Die Glocken der Stille

Erzählungen

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Das Exposé zu meinem Buch mit dem Titel „Die Glocken der Stille“

Der Junge mit der Narbe

Der Ingenieur Arkamendon Vlora

Das Geschenk

Der Mentor und sein Schüler

Der Preis

Schuhe der Scham

Die Spuren

Arabi Glatzkopf und die Merita

Das Porträt

Haus, wo sind deine Spiegel?

Autorenvita - Autobiografie mit Informationen zu meinem beruflichen und schriftstellerischen Werdegang

Impressum neobooks

Das Exposé zu meinem Buch mit dem Titel „Die Glocken der Stille“

Arber Shabanaj

Die Glocken der Stille

Erschienen bei Neopubli

1. Auflage März 2019

Arber Shabanaj

Die Glocken der Stille

Erzählungen

Schöngeistige Literatur / Belletristik


Impressum

Texte: © 2021 Copyright by Arber Shabanaj

Umschlag: © 2021 Copyright by Arber Shabanaj

Verantwortlich

für den Inhalt: Arber Shabanaj / Jembiter Liber

Am Bierweg 22

86316 Friedberg, Bayern

as-arber@live.de

Druck: neobooks - ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

In meinem Buch „Die Glocken der Stille“ berichten zehn Erzählungen von politischen und gesellschaftlichen Themen der jüngsten Geschichte.

Fünf von diesen emotionalen Geschichten verstehen sich vor dem Hintergrund eines Landes, das - obwohl sehr kultiviert - über Jahrhunderte von Eindringlingen und Eroberern drangsaliert wurde. Sie gehören zu den politischen und gesellschaftlichen Sphären und Etappen, die das Volk der Albaner durchleben musste. Durch den Kontext zwischenmenschlicher Beziehungen, erhält der Leser ein anschauliches Bild von diesem Land und seiner Bevölkerung.

Die weiteren fünf Erzählungen spielen in meiner „neuen Heimat“ Deutschland, wo ich inzwischen lebe und arbeite.

Der Leser erlebt mit, wie ein Betrieb von den eigenen Beschäftigten demontiert wird, wie ein Ingenieur mit Diplom einer Tätigkeit nachgehen muss, für die er eindeutig überqualifiziert ist, um so seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

Ebenso muss ein talentierter Poet Waschpulver verkaufen, während sein Schüler als Schreiber in der Bevölkerung anerkannt ist und zur Parteiversammlung eingeladen wird. Das ist kein Einzelschicksal, denn ein Ingenieur verkauft Zollstöcke, ein Oberbefehlshaber Socken und auch ein Mikrobiologe befindet sich unter den Händlern auf dem Markt …

Die Gedanken- und Gefühlswelt von jungen Menschen, von Heranwachsenden stehen im Mittelpunkt der Erzählungen „Der Junge mit der Narbe“ und „Das Geschenk“. In der ersten Erzählung, wird das Thema „Suche nach den wahren Eltern“ angesprochen.

Ein anderer junger Mann erlebt seine erste leidenschaftliche Liebe zu einem Mädchen, das einer ganz anderen sozialen Schicht angehört. Er selbst leidet unter dem Verhalten seines oft alkoholisierten Vaters und kommt aus recht ärmlichen Verhältnissen.

In „Schuhe der Scham“ geht es um die unterschiedliche Einstellung der Menschen, die sich etwas „preiswert“ besorgen wollen. Am Beispiel des (scheiternden) Kaufes gebrauchter Schuhe mache ich die tiefen gesellschaftlichen Risse in meiner Heimat bitter sichtbar.

Die Erzählung „Der Preis“ befasst sich mit dem Leben und Arbeiten von Schriftstellern und trägt autobiografische Züge. Hier schildere ich eindringlich die tiefe Kluft zwischen armen und reichen Familien. Ich hinterfrage verschiedene Auslegungen von Moral und Anstand, von Scham und Selbstverständnis.

Dann gibt es noch den älteren, alleinstehenden Mann, der die Frauen an der Wasserstelle auf seinem Grundstück beobachtet und der eine junge Frau durch geliehenes Geld an sich bindet.

Im Mittelpunkt der Geschichte „Das Porträt“ stehen die Sorgen und Nöte einer Vertriebenenfamilie, die in Deutschland erleben muss wie sie durch bürokratische Maßnahmen, welche denjenigen imponieren, die in ihrem Herzen ein deutschsein für sich reklamieren und die anderen abschotten wollen, schikaniert wird.

Die Erzählung „Die Spuren“ handelt von dem Verhältnis des neuen Dorfschullehrers zu dem allgemein als „Idiot“ bekannten Lars, der mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln versucht, die Freundschaft des Lehrers zu erringen.

Dann gibt es die junge Frau, die es wegen einer Verbrennung nicht ertragen kann, ihr Gesicht in einem Spiegel zu betrachten. Sie erfährt aber Hilfe von Seiten des Mannes, der sie innig liebt.

Die Texte sind sehr poetisch und bildreich verfasst, insbesondere, wenn es sich um die Schilderung von Liebesszenen handelt.

Der Wert eines literarischen Werkes ist nicht nur durch den Umgang mit der verfassten Sprache zu bemessen - ein Gedanke, den zahlreichen Autoren auf dem deutschen Markt durchaus nochmal aufgreifen sollten.

Nach langer Zeit als geduldeter Asylbewerber und ohne einen Sprachkurs besucht zu haben, habe ich nun in erstaunlich gutem Deutsch nicht nur über das Leben meiner Landsleute sehr emotional, besonders über ihre zwischenmenschlichen Beziehungen, sondern auch über meine eigenen Erlebnisse geschrieben.

Die Geschichten sind durchweg humoristisch angelegt, obwohl sie alle einen ernsten Hintergrund haben. Der Leser soll schmunzeln, sich amüsieren und sieht sich schließlich doch einem schwerwiegenden Problem gegenüber.

Entscheidende Informationen werden oft „beiläufig“ vermittelt, nur dem aufmerksamen Leser zugänglich gemacht, der Andeutungen versteht und auch „zwischen den Zeilen“ zu lesen imstande ist. Oft kommt es zu überraschenden Wendungen und unerwarteten Pointen.

Ich hoffe, dass sowohl durch die Vielfalt der angesprochenen Themen, als auch durch die sprachliche Gestaltung das Interesse des Lesers geweckt wird.

Arber Shabanaj

Der Junge mit der Narbe

Stadt W. ist die Stadt von 1001 Merkwürdigkeiten. Dort kannst du selbst die unglaublichsten Geschichten erleben. Einige Tage Aufenthalt unter der Sonne in dem Lokal von Giacome Gianone reichen völlig aus, um beim Kaffeetrinken das Leben der unterschiedlichen Protagonisten dieser mittelgroßen bergischen Stadt kennenzulernen. Bei den Geschichten handelt es sich entweder um eine wahre Erzählung oder sie ist in eine Intrige verpackt, wobei weder die Eine, noch die Andere als zutreffend zu bezeichnen ist.

Doch in jedem Fall leben hier die Einwohner mit der Erwartung, dass etwas geschehen wird, damit sie unter den Anderen als etwas Besonderes gelten können. Vor dem Lokal ist es möglich, einige Male die gleichen Gesichter zu sehen, Menschen mit den gleichen Anzügen und Gehformen, die dir eine Begrüßung widmen oder wenigstens ein kleines Zeichen voller Höflichkeit und Affinität. Jemand, der aus einer anderen Stadt kommt, insbesondere die aus der Hauptstadt, könnte jene Geste als sehr wertvoll einschätzen. Ausreichend ist es, die Erscheinung eines einigermaßen Intellektuellen mitzubringen oder an dem Tisch von Jemandem mit Namen zu sitzen.

Nicht alle, die woanders herkommen, könnten das Interesse mitbringen, sich in die Erlebnisse der Menschen, mit denen keinerlei Verbindung besteht, rein zu versetzen. Wenn man neu in einer Stadt ankommt, orientiert man sich ohnehin als erstes an den logistischen Dingen, die den Beitrag dazu leisten, den Weg zum Hotel und zur Post nicht zu vergessen. In jedem Fall wäre es nicht empfehlenswert, in dieser etwas kleineren Großstadt, statt die Straße, die zum Hotel „Inter City“ führt, die andere zu nehmen und durch die Papagei Straße zu gehen, die dich ins nirgendwo führt.

Jedenfalls, da die Stadt ein kuscheliges Kultur- und Kunstleben betreibt, dort wo die Bibliothek sowohl von Schülern als auch von Bürgern genutzt wird, solltest du dich mit etwas außerhalb deines Zuständigkeitsgebietes beschäftigen, nur keine Bange, denn das wird hier irgendwie zum Beruf.

Hier wussten sie alle, dass sich Vera, Busch Breitfelders Tochter, in den Sohn des Polizeichefs verliebt hatte. Sie verlangten auch, die Wahrheit bekannt zu geben, wie es Nuria Zeynepe Idriza, die Brotverkäuferin, geschafft hatte, erst nach fünfzehn Jahren Ehe schwanger zu werden. Also, ob ihr Ehemann, Recep-Muharrem Avdylrrahman, sie geschwängert habe - allerdings über ihn wurde längst erzählt, dass er in diesem Aspekt nicht fähig sei - oder der Brotfahrer, Ehud Isidor Stern, mit dem sie sich in dem Laden eingeschlossen hatte, unter dem Vorwand: Den Tagesplan besser koordinieren zu wollen.

Es wird auch diskutiert, ob und wie sich die Beziehung zwischen der Schulleitung des Gymnasiums und dem Bildungschef entwickelt hätte. Das Verhältnis zwischen den Beiden war dermaßen kristallisiert, weil der Schulleiter im Fach Physik, der einzigen Tochter des Chefs eine Zwei gegeben hatte.

Über die Verhältnisse zwischen Giuseppe und Dutz Assimilchen diskutierte keiner. Die Zwei waren seit Ultimo miteinander verbunden und keiner von den Beiden wagte den Schritt sich zu verloben. Sie waren der Überzeugung, dass danach die Ehefrauen und Kinder die höchste Priorität hätten, und demzufolge ihre Freundschaft in Vergessenheit geriet.

Anders war der Stand der Dinge bei Flora und Mark. Für die ganze Stadt galten sie als Mann und Frau, nur sie lebten nicht zusammen. Marks Mutter hatte ihre Verwarnung ausgesprochen, dass nur erst wenn ihr Sarg abtransportiert werden würde, Frank Sprinters Tochter in ihrem Zuhause als Braut eintreffen dürfe. Sie hatte es so häufig zum Ausdruck gebracht, dass sie sich nicht einmal vorstellen konnte, seine Tochter durch ihre Tür rein zu lassen, während ihr Vater, Frank, mit seinem Sprinter von Tür zu Tür fuhr und die Toiletten und Abflüsse von den privaten Häusern reinigte. Der Mutter war die Tatsache gleichgültig, dass unter dem Klang ihres hartnäckigen Klaviers, Mark und Flora am Ende der Straße mit Küssen beschäftigt sein könnten. Dennoch, eine familiäre Beziehung, mit Frank, würde sie nie im Leben zulassen.

Mit Sicherheit in einer großen Stadt wie Berlin, würden solche Ereignisse spurlos in Vergessenheit geraten und kaum eine derartige Neugier auslösen. In W. aber, die sarkastisch auch als „Regenloch“ tituliert wird, dort wo häufig die Sonne mit dem Ritual der Ereignisse auf- und untergeht, haben sie einen besonderen Effekt.

Das Ganze lernte ich kennen, während ich einen Kaffee trank, den mir Busch ausgegeben hatte, ein Mitarbeiter unserer Zeitung. Nun hatte ich es geschafft, mir auch einige Gesichter einzuprägen.

Mark hatte eine schwarze Narbe an der Wange, und es war leicht, ihn nicht mit den Anderen zu verwechseln. Jedoch Ehud Isidor Stern hatte keine Besonderheit aufzuweisen. Schon möglich, dass er etwas Derartiges im Versteck hatte, abgesehen davon, dass Nuria Zeynepe Idriza sich beim Brote zählen so schlimm verzählt hatte. Während dessen spazierten Giuseppe und Dutz bis zum Sonnenuntergang ohne jegliche Gesellschaft. Und in der Zeit, wenn die Anderen nach Hause gingen, besetzten die Beiden den Tisch in Giacome Gianones Restaurant, denselben Tisch, wo sie schon seit fünfzehn Jahren getrunken haben.

Sicherlich gelang es mir nicht, schon am ersten Tag Vera mit dem Sohn des Polizeichefs zu sehen. So wie es aussah, warteten sie bis die Nacht sich breit machte, um sich endlich irgendwo am Rande hinter den Appartements zu treffen.

Es war mein erstes Mal, dass ich diese Stadt besuchte. Als Journalist, wäre ich in der Lage hunderte von Geschichten zu hören, überzeugt davon, dass ich morgen oder übermorgen, woher soll ich genau wissen wann, mir eine davon zu Gemüte führen und selber nutzen würde. Der Chef meiner Redaktion hatte insbesondere uns jungen Journalisten empfohlen, jedes Ereignis „anzuziehen“ - wie er sich ausdrückte -, weil ein Journalist im Leben mit einem Magneten oder einem Geheimagenten zu vergleichen ist.

Mit Busch, dem Mitarbeiter, wechselten wir vom Café aus in ein Restaurant, und dort hatte er eine nette Überraschung für mich uns vorbereitet. Von irgendwoher hatte er eine Forelle klargemacht und stellte sie vor uns hin.

„Es ist eine Seeforelle.“, sagte er zu mir. „Ich habe sie heute beim Angeln gesichert. Da ich Giacome gut kenne, überließ ich es ihm, sie hier im Lokal für uns zuzubereiten. Ich weiß, dass für euch Berliner, dies eher eine seltsame Sache ist.“

Busch schien sich äußerst gut mit dem Schnaps zu verstehen. Er trank mit Genuss und nicht wie in unserer Gegend mit einem Schluck. Dazu strahlte er Freude aus, beim Zuhören oder auch unterschiedliche Geschichten und Ereignisse zu erzählen. Jene Geschichten waren mit einer unendlichen Chronik zu identifizieren. Während den wenigen Stunden des Zusammenseins, die wir hatten, gleich wie das Skelett aus der Forelle, holte er das Skelett aus seiner eigenen Stadt raus.

Möglicherweise wegen des weiten Weges von Berlin aus, möglicherweise wegen der freigelassenen Dunstwölkchen und der Wärme des Lokals, formten meine Augen regelrechte Weite.

„Du bist müde.“, sagte er zu mir.

„Nein“, sagte ich, „dass mag nur so rüberkommen.“

Zwischenzeitlich ging die Tür des Restaurants auf und Flora und Mark traten ein. Sie setzten sich an ihren Tisch neben dem Fenster. In der Mitte des Tisches stand ein Strauß mit Rosen.

„Frau Duden ist angetan von Blumen.“, sagte Busch zu mir, überzeugt davon, dass mir die Rosen einen Eindruck beschert haben müssten. „Mark bringt sie täglich mit.“

Irgendwie wollten es meine Augen und landeten mit einem Blick auf die Beiden. Flora und auch Mark, voller Toleranz, widmeten mir eine Begrüßung und anschließend schauten sie einander in die Augen.

Flora musste immerschon hübsch gewesen sein, sehr hübsch. Selbst jetzt, während sie - laut Busch - auf die Vierzig zuging, strahlte sie eine auffallende Frische aus, wegen der auch eine Dreißigjährige neidisch werden könnte. Ihre Augen verfügten über eine besondere Lebendigkeit. Mark, mit dem Körper eines Leistungssportlers ausgestattet, ging sehr sparsam mit den Bewegungen um, die er machte. Er, ein Mensch, für den die gesamte Welt nur über einen Namen verfügte: Flora. Selbst wenn fast jeder sich bei ihm und Flora in Verbindung mit der banalen Geschichte der Ablehnung seiner Mutter vorstellig machte und ihn fragte, ob er sich dabei nicht wie eingeklemmt fühlte. Er war sich jedoch sicher, dass hinterher jeder von ihnen - wenn’s darum ging „das Menschlich sein“ zu definieren -, ihm recht geben würde.

„Wie alt ist diese Geschichte?“, fragte ich den Busch.

„Älter als zwanzig Jahre vielleicht. Mark hat Sport in dem Gymnasium unterrichtet, Flora war Schülerin in der Wirtschaftsschule. In einer Veranstaltung lernten sie sich kennen. Dort hatten sie einander das Wort gegeben. Doch Mark hat immer wieder gewartet. Erst als sie das Abitur abgeschlossen hatte, ging er zu seiner Mutter. Die Mutter, oder Frau Duden, wie sie alle nannten, ein äußerst sensibler Mensch, verlangte von ihrem Sohn ein Foto von ihr. Gleich als sie Flora sah, konnte sie sich vor lauter Freude nicht beherrschen. Floras Augen, voll mit Leben und Licht betankt, die Augenbrauen und die Löcher, die sich an ihren beiden Wangen formten, bescherten ihr eine selten begegnende Ausstrahlung. Als Frau Duden jedoch erfuhr wessen Tochter sie war, wurde sie wie ein graues Meer während der Flut.

Sie fühlte sich wie ein nichtakkordiertes Klavier und gab ihren Schwur ab, dass sie nie im Leben eine familiäre Beziehung mit Frank zu Stande kommen lassen würde. Mark, wie auch Flora, waren jung und widmeten derartiger wild-ausgesprochener Ablehnung keine besondere Aufmerksamkeit. Sie lebten mit den Küssen, die sie einander abends gaben, häufig unter dem Vordach von Marks Haus, häufig auch unter den Klängen einer Sonate, die zwischen den Fingern und der Seele von Marks Mutter, wie ein Wasserfall floss. Sie glaubten daran, dass eine empfindsame Seele, wie die ihre, eines Tages von ihrer unendlichen Liebe geknackt würde und, dass Frau Duden ihnen die Tür ihres Herzen aufmachen würde. Nun mal Frau Duden, von Natur aus eine strenge und seriöse Frau, lebte mit ihre Künstlerseele, die die von Beethoven, List und Strauß übertraf, und sie hatte kaum vor eine Beziehungsmissionarin zu werden und selbst mit einer „Etüde Funebre“ den Fäkaliensprinter von Frank, Floras Vater, zu begleiten. Sie spürte eine tiefe Enttäuschung, eine sehr tiefe, als sie daran denken musste, wessen Tochter Flora war. In welchem übermäßig vulgären Ambiente sie aufgewachsen und wie es möglich war, dass ihr Sohn hinter ihr her schlich. Vielleicht wollte Mark sich auch nicht so verhalten - wie es viele junge Leute taten -, und so das Herz seiner Mutter verletzen, indem er Flora als abgeschlossenen Akt mit nach Hause brachte. Nicht nur aufgrund seiner Bescheidenheit, sondern auch weil seine Mutter seit Jahren an einem kranken Herz litt, und er stets äußerst vorsichtig damit umging, um ihr keine harten Aufregungen zu bescheren.

Nun so, auf die leise Art, waren einige Jahre vergangen. Mark und Flora versteckten sich danach nicht mehr vor den Augen der Stadt, wie vorher. Bis eines Tages erzählt wurde, dass Flora zu einem Fortbildungskurs nach Köln gegangen war und sie für einige Monate keiner gesehen hatte. Mark fehlte am Samstag und Sonntag in der Stadt, und alle wussten, dass er nach Köln gefahren war, um Flora zu treffen.

Doch warum Flora nicht in ihr eigenes Haus zurückgekommen war, den Grund dafür hat keiner so richtig mitbekommen. Eine Frau, namens Aroma, von Natur aus sehr fleißig und als Quatschkünstlerin bekannt, sagte, dass ihr Vater Flora aus dem Haus geworfen hätte. Sie sollte entweder Mark heiraten oder sein Haus nicht mehr betreten. Ein Anderer hätte Flora aus der Kölner Geburtsklinik kommen sehen. Ein Weiterer hat gesagt, dass sie unter einer Krankheit leide und sie wollten dies der Stadt verheimlichen … Doch, in jedem Fall, das waren nur Desinformationen und davon hat es einige gegeben, keine davon traf zu …

So bis an dem Tag, als sie mit Mark auf den Straßen der Stadt gesehen wurde, war sie noch viel hübscher als vorher. Ihr Gesicht wirkte noch femininer und strahlte derartiges Licht und Leben aus, sodass selbst wenn du ein alter Mann gewesen wärest, würde sie dich jung machen.

Frau Duden war nicht zu brechen, auch selbst nicht als Floras Vater, Frank, starb, obwohl ein enger Freund der Familie, Tom Dick, spontan ein derartiges Gespräch eröffnete:

„Frau Emma“, sagte er ihr wie gewöhnlich, dabei nannte er ihren Vornamen, „ist etwa die Zeit gekommen, wo Sie die Grenze ihres Willens überspringen, um das zu akzeptieren was Sie bis gestern abgelehnt haben …“

Sie roch worauf er hinaus wollte und hob ihre rechte Augenbraue, völlig überrascht von demjenigen, von dem sie dachte, er sei auf ihrer Seite, der sich aber offensichtlich gegen sie stellte.

„Ich verstehe dich dieses Mal nicht, Herr Tom.“

Tom, als Sohn eines alten Händlers, hatte schon in seiner Jugend viel von der Welt gesehen, wie auch Frau Emma. Insbesondere die Stadt Wien, die Hauptstadt der Herren Europas, hatte ihn schon länger für sich gewonnen. Er war behindert, da er einen Arm hinter einem Zug in dem Bergwerk verloren hatte, in dem er während seiner Knastzeit arbeitete. Also, weil er sich kaum mit anderer Arbeit beschäftigte, außer mit Lesen, hatte er alle Zeit der Welt vorbei zu kommen, um mit Frau Duden zu diskutieren und dabei jeden Abend klassische Musikstücke zu hören, die ihm die Seele jünger machten. Davon abgesehen glaubte Frau Duden, dass in Tom ein wahrer Familienfreund steckte, mit dem sie sich nicht nur auf einer gesellschaftlichen Ebene verbunden fühlte. Für sie war das von sehr großer Bedeutung, und sie hatten bei sehr verschiedenen Dingen eine identische Denkweise. Beide waren in einem fortgeschrittenen Alter und geprägt von den Ereignissen von gestern, sodass, wenn du ihre Gespräche hören würdest, du davon überzeugt wärst, dass es darin kaum das Heute und auch nicht das Morgen gibt. Die einzige Verbindung die Frau Duden mit dem Heute hatte, war der Klavierkurs, den sie den beiden Töchtern des Doktor Christs kostenlos gab, weil deren Großvater ein Ass-Anwalt in Wien war.

„Es sind so viele Jahre vergangen, Frau Emma, und die Jahre tun ihr Ding. Sie ist mittlerweile über dreißig. Mark sowieso …“

Frau Duden erwartete kaum einen derartigen Schlag von Tom.

Eine Hälfte ihres Lebens hatte sie verloren, seitdem Mark mit Franks Tochter zusammen gekommen war, und jetzt war sie dabei ihren alten Freund, Tom, ganz zu verlieren.

Aus einer kleinen Tasche ihres Hemdes holte sie die Packung heraus und steckte sich zügig eine „Ramipril“ Tablette in den Mund. Tom, der über ihre Herzunruhen sehr gut Bescheid wusste, wurde plötzlich kreideblass, sodass jetzt Frau Duden, eine ganz andere Unruhe spürte: Ob Herr Tom, etwa dort, bewusstlos liegen bliebe.

„Nimm du auch eine, Herr Tom …“

Der Andere, wie ein kleines Kind, steckte eine „Ramipril“ Tablette in den Mund, davon überzeugt, dass er das auch brauchte.

Er schaute der Dame in die Augen und sagte mit Mühe:

„Verzeihen Sie mir, Frau Emma …“

Die Dame, die sehr selten solche hohen Wellen ausprobierte, fand nicht mal ein Wort um ihm Antwort zu geben, sondern wandte sich langsam dem Klavier zu, machte dessen Deckel hoch und fing an „die Mondsonate“ zu spielen.

*

Jemand trat stürmisch in das Restaurant ein und ich stellte, auf der Stelle, die Verbindung her. Das war Tom Dick, der Mensch mit einem Arm. Vielleicht wollte Busch sagen, dass es einer der schönsten Zufälle oder Wunder der Stadt war, als er ohne einen Blick auf die anderen Menschen zu werfen, auch selbst ohne „Guten Abend“ zu sagen, sich zu Mark und Flora begab. Tom sprach flüchtig mit Mark. Mark stand ohne Höflichkeiten auf, flüsterte seiner Geliebten schnell etwas zu und verließ das Restaurant wie bei einer Flucht. Hinter ihm, mit großer Eile, ging auch Flora raus. Herr Tom Dick jedoch ging wegen seines Alters wesentlich langsamer und war sehr außer Atem.

„Weil Frau Duden krank ist!“, sagte Busch.

„Weil …“, wiederholte ich.

Der Kellner hatte mit der Reinigung begonnen, und das bedeutete, dass wir uns auch beeilen mussten.

„Die meisten Lokale hier machen um 21.00 Uhr zu.“, erklärte mir Busch. „Aber, wenn du möchtest, ist es kein Problem, dann bleiben wir solange du willst.“

In der Tat, spürte ich das Bedürfnis, mich ins Bett zu legen.

Auf dem Weg zum Hotel war der Krankenwagen zu sehen, wie er mit hoher Geschwindigkeit die Straße passierte und in Richtung Teschestraße fuhr, dort wo Frau Duden ihr Haus hatte.

An dem kommenden Tag starb Frau Duden. Diese Nachricht bekam ich mit, gleich als ich zur Rezeption hinabstieg. Der Mitarbeiter an der Rezeption, überzeugt davon, dass ich seit gestern viele Ereignisse seiner Stadt mitbekommen hätte, erzählte mir mit Aufmerksamkeit sogar, dass ihre Beerdigungszeremonie an dem kommenden Tag stattfinden wird. Als ob ich als Gast in der Stadt eine Verpflichtung empfände, dort hinzugehen, damit ich mein Beileid aussprechen könnte.

Den Morgenkaffee trank ich mit Busch zusammen. Jetzt war es eindeutig zu begreifen, dass die Anwesenden über Frau Duden diskutierten. Sie bewunderten sie, umso mehr aber ihr Klavier, über das behauptet wurde, ins vergangene Jahrhundert zu gehören.

Sollte es in Wien angeboten werden, mit dem magischen Klang und der künstlerischen Ausstattung, würde dessen Hersteller inzwischen, als Gegenwert, seine gesamte Fabrik eintauschen, laut Aussage eines bekannten Jazzmusikers.

Vielleicht hatte das, was Busch mir gestern Abend über Mark und Flora erzählt hatte, sowie über Frau Duden und Herrn Tom Dick, mich in eine tiefe Überlegung hineinversetzt. Ich war dabei, in meinen Gedanken eine Reportage zu skizzieren. Doch zunächst ließ ich diesen Gedanken fallen, weil unser Chef „derartigen Steinbruch“, wie er es nannte, nicht akzeptierte, obwohl andere Zeitungen ihn für maßgeschnitten hielten. Unsere seriöse Zeitung war damit nicht zu identifizieren. Ich wollte jedoch unbedingt etwas mehr erfahren und fragte Busch gleich nach dem Kaffee stürmisch danach:

„Sollten wir doch hingehen, um unser Beileid auszusprechen?“

Busch erzählte mir, dass er sogar mit der Absicht gekommen sei. Da am vergangenen Abend, bei der warmen Begrüßung, die wir von Mark und Flora beim Spazieren und dann auch im Restaurant erhalten hatten, wir fast dazu verpflichtet wären, einen Beileidsbesuch zu machen.

Die Teschestraße war eine Straße, die mit Straßen der Stadt vergleichbar war. Mit Appartements in vier- und fünfstöckigen Häusern, fast gleich verteilt ausgestattet. Mit Kiosken, sowie auch hier und da einem Lokal und mit Menschen, die jeweils ihren eigenen Beschäftigungen nachgingen. Die Straße hatte nur ihren besonderen Namen, da es Gerüchte gab, die Sippe Tesche habe sich von dort aus losbewegt. Auch führte die Straße nirgend wohin, weil sie am Haus der Frau Duden endete.

Das Haus wirkte wie eine Villa, die mit einer modernen Architektur gebaut war. Seit dem Tod des Hausherren vor einigen Jahren, als Mark noch ein Schüler war, fehlte dem Garten eine pflegende Hand. Die Bäume waren schief und streuten ohne System vor sich her, an einigem Krautgewächs war eindeutig zu merken, dass hier seit Jahren kein Meister tätig gewesen war. Der Blick des Betrachters fiel sofort auf die Blumen. Das Klavier und die Blumen waren Frau Dudens Lebenspassion.

In dem Raum, gegenüber vom Hauseingang, warteten Mark und Flora und zwei weitere Frauen, mit Sicherheit Toms Familienangehörige. Laut Busch, der mir auf dem Weg erzählte, hatte Frau Duden keine Angehörigen in dieser Stadt, aber möglicherweise könnten später ein paar Verwandte aus Düsseldorf kommen.

Um die Wahrheit zu sagen, auf dem Weg zu Frau Dudens Haus, wurde der Gedanke wie ein Lichtstrahl in mir wach, dass sich jemand über ihren Tod freuen könnte, und dieser Mensch wäre Flora. Denn es wäre bestimmt nicht lustig, deine jungen Jahre auf der Straße zu verplempern, vierzig Jahre alt zu werden, und noch immer keinen Menschen zu haben, der dich mit Ehefrau oder Mutter anspricht.

Doch während den wenigen Minuten meines Aufenthaltes dort, spürte ich wie ich mich getäuscht hatte.

Flora flossen die Tränen während Mark sprach und dabei der Name von Frau Duden genannt wurde.

„Vielleicht wenn ich nicht in diesem Kreis wäre, hätte sie länger gelebt!“, sagte Flora und ihr flossen die Tränen erneut.

Mark schaute sie gefühlvoll an, da er ihre Seele gut kannte und er war sich sicher, dass sie nie etwas tun würde, wenn ihre Seele das nicht zugelassen hätte.

Einer erzählte uns, dass sie unter dem Schlafkissen von Frau Duden Floras erstes Foto gefunden hätten, das der Sohn ihr mitgebracht hatte, um sie kennen zu lernen.

So wurde, an diesem Tag und am folgenden, Frau Duden zum Hauptthema jeden Gespräches. Am nächsten Tag musste ich nach Berlin zurückkehren.

*

Nach drei Jahren, war ich erneut geschäftlich in der Stadt W.

Als ich dort in einen Linienbus eingestiegen war, tauchten vor meinen Augen Mark und Flora auf und auch sie, die ich nie gesehen hatte, Frau Duden. Ich dachte, mit Sicherheit würde das Paar mittlerweile um ein Kind reicher sein, und von großer Bedeutung wäre es gewesen, sollte es ein Mädchen sein und die Beiden hätten ihr den Namen der Großmutter gegeben, Emma. Ich war nahezu ungeduldig, endlich die Stadt zu erreichen und wie vor drei Jahren, den Mitarbeiter der Zeitung, Busch, zu treffen, um von ihm alles zu erfahren.

Der Tag war herrlich, wie auch jeder andere Frühlingstag. In den umliegenden Feldern wurde gearbeitet. Ich aber - der Ich dienstlich für die Zeitung unterwegs war - interessierte mich nicht so sehr für die Tagesarbeit. Jene Aufgabe möchte der Chef der Grünen für sich rekultivieren, und die anderen freiwilligen Korrespondenten. In meiner optischen Linse war die Seele der einfachen Menschen, obwohl ich schon immer gespürt hatte, dass in einer Zeitung nicht alles gesagt werden konnte. Gewöhnlich, was ich dort nicht unterbringen konnte, schrieb ich in meine Erzählungen, die ich abends in meiner Wohnung verfasste.

Also wusste ich, dass mir irgendwo eine nicht abgeschlossene Erzählung geblieben war, der ich ohne sie beendet zu haben, bereits den Titel gegeben hatte: „Frau Duden“. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb ich, sobald ich in den Linienbus eingestiegen war, die realen Protagonisten vor meinen Augen hatte, doch auch die aus meinen Phantasien, um die ich rundum kreierte.

Der Linienbus gehörte nicht zu den neuen Modellen, dennoch tat der Fahrer alles, um mich auf einem der vorderen Sitze unterzubringen, sobald er erfuhr, dass ich Journalist war. Schon möglich, um mir damit eine Art „Kommodität“ gestalten zu wollen, hielt er für mich sogar den Nebensitz frei.

Während der Fahrt, als sich jemand dort hinsetzen wollte, argumentierte der Fahrer spontan, der Sitz sei für den Gutachter reserviert, der feststellen würde, ob sein Bus noch fahrtüchtig sei und der würde während der Fahrt dazusteigen.

„Sie wurde von mir erfunden, die Geschichte mit dem Gutachter.“, sagte der Fahrer, nachdem wir die ersten einhundert Meter gefahren waren. Damit wollte er mir wohl klar machen, dass er den Platz für mich freihielt, um mich nicht mit einem weiteren Fahrgast zu belästigen.

„᾿Bruder‘(! ...), der vermeintliche Gutachter taucht kaum auf.“, beschwerte sich einer der Fahrgäste. Derselbe sagte, dass er von Übelkeit heimgesucht wird, wenn er stehen müsse.

286,40 ₽
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151 стр. 3 иллюстрации
ISBN:
9783742769862
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