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Anton Schaller

Insel des Todes

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Impressum neobooks

Kapitel 1

Und da passierte es ... Simon Winslow trat auf einen dicken Ast, der krachend unter seinen Schuhen zerbrach.

Die Männer am Lagerfeuer zuckten zusammen, sprangen in die Höhe.

Die Lichtkegel einiger starker Taschenlampen schnitten durch die Dunkelheit.

Simon Winslow spürte die Angst, die seinen ganzen Körper überschwemmte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte der Mann auf seine Gegner, die sich mit langsamen Schritten näherten. Zweige wurden zur Seite gebogen, Äste zersplitterten.

Wie festgenagelt verharrte der Mann auf der Stelle. Schweiß perlte in Strömen über seinen ganzen Körper. Die Todesangst lähmte ihn für einige wertvolle Sekunden.

Doch dann löste sich plötzlich die Erstarrung.

Simon Winslow warf sich herum und begann zu laufen. Mit den Händen kämpfte er sich eine Schneise durch den dichten Urwald und rannte, ohne einen Blick zurückzuwerfen.

Plötzlich stolperte er über eine Wurzel, stürzte schwer zu Boden, fiel mit dem Gesicht voran in das modrig riechende Erdreich. Mit einem Aufschrei wälzte sich Winslow herum und kam stöhnend wieder auf die Beine. Hinter ihm geisterten die Lichtfinger der Taschenlampen durch die Dunkelheit. Sie kamen immer näher.

Winslow saugte die faulig riechende Luft in seine pumpenden Lungen, wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und stolperte weiter durch das dichte Gestrüpp. Aufgescheuchte Vögel flatterten mit schrillen Lauten davon, und das Zirpen der Libellen zerrte an seinen aufgewühlten Nerven. Der Urwald kam nie zur Ruhe.

Winslow spürte die Zweige, die in sein Gesicht klatschten und blutige Striemen hinterließen. Er hatte nur einen Gedanken: Fort von hier! Doch die Verfolger kamen immer näher...

Winslow spürte, wie ihm langsam die Luft ausging. Immer keuchender wurden seine Atemzüge. Das Blut in seinen Schläfen klopfte schmerzhaft. Mechanisch setzte er einen Fuß vor den anderen, strauchelte, fing sich wieder und setzte seinen Weg fort.

Dann hatte er mit einem Mal das Ende des Dschungels erreicht. Vor ihm lag der breite Sandstrand. Winslow blieb für einen Moment stehen, beugte sich nach vorn und stützte beide Hände auf seine Oberschenkel. Vom Meer her wehte ein kühler, erfrischender Wind. Winslow atmete tief durch, versuchte neue Kräfte zu sammeln. Monoton klatschten die Wellen ans Ufer. Wie unzählige Diamanten glitzerten die Wassertropfen im Licht des Mondes.

Winslow stapfte dann durch den Sand, sank ein, kämpfte sich mühsam wieder heraus und strebte dem Meer zu.

Doch da waren die Verfolger heran. Winslow spürte direkt körperlich die Lichtbündel, die seinen Rücken trafen, und er hörte das derbe Lachen der Männer, das in seinen Ohren dröhnte.

Winslow warf sich herum. Panik entstellte sein blutendes Gesicht. Geblendet schloss er die Augen, hob abwehrend die Hände in die Höhe, taumelte ein Stück nach hinten, verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden.

Völlig entkräftet wälzte sich Winslow herum. Sein Gesicht war mit nassem Sand verklebt. Er sah die schweren Stiefel seiner Verfolger nur wenige Zentimeter vor seinen Augen.

Da wusste der Mann, dass er endgültig verloren hatte.

Kapitel 2

Mit einem Schrei durchbrach Tom die Wasseroberfläche, riss sich die Tauchermaske vom Gesicht und fuchtelte erregt mit den Armen herum. Mark fuhr erschrocken in die Höhe. Das kleine Ruderboot begann beängstigend zu schaukeln.

”Komm schnell!”, schrie Tom und gestikulierte wild.

Mark schnappte sich in Windeseile seine Flossen, schlüpfte hinein und griff nach seiner Tauchermaske. Dann sprang er ins Wasser, dass es nur so klatschte. Mit heftigen Flossenschlägen schwamm er auf seinen Freund zu. Tom zitterte direkt vor Aufregung. Das Gesicht des afroamerikanischen Jungen hatte eine ungewöhnlich bleiche Färbung angenommen.

”Ich - ich hab' da unten was gefunden! Es ist schrecklich ...”

”Nun sag' schon, was los ist!”, drängte Mark, während er sich mit leichten Flossenschlägen über Wasser hielt.

”Da unten ist - ist eine Leiche!”, brachte Tom unter heftigen Atemzügen hervor, und Mark spürte plötzlich, wie es eiskalt seinen Rücken herauf kroch. ”Das kann doch wohl nicht wahr sein!”, entfuhr es dem blonden Jungen, doch er wusste mit absoluter Sicherheit, dass sein Freund die Wahrheit sagte.

Das Meer wirkte auf ihn plötzlich kalt und bedrohlich, obwohl die Sonne vom Himmel herunter heizte und das Wasser wärmte.

”Dann also los!”, presste Mark zwischen den Zähnen hervor und holte ein paar Mal tief Luft.

Beinahe gleichzeitig tauchten die beiden Jungen ab und verschwanden unter Wasser. Mit lautlosen Flossenschlägen glitten sie in die Tiefe. Bunt schillernde Fächerkorallen breiteten sich vor ihnen aus, und silbrig glänzende Fische suchten rasch das Weite. Mark folgte Tom. Und da streckte der Junge plötzlich seine Hand aus.

Mark wandte den Kopf in die angegebene Richtung, und seine Augen hinter der Glasscheibe schienen zu erstarren. Das Herz des Jungen klopfte wie wahnsinnig.

Tatsächlich!

Dort drüben zwischen den Felsblöcken war ein Mann! Er stand beinahe aufrecht, wurde nur von der leichten Strömung sanft hin- und her bewegt. An seinen Beinen waren schwere Eisenplatten befestigt, sodass der Körper nicht an die Oberfläche treiben konnte.

Mark blickte in das wächserne Gesicht des Toten. Die Augen standen weit offen. Der Leib war aufgedunsen, die Kleidung zerfetzt.

Der Junge musste sich abwenden. Sein Magen rebellierte.

Dazu kam noch die Atemnot. Wild hämmerte sein Herz gegen die Rippen. Der Drang nach frischem Sauerstoff war übermächtig. Leichte Schleier begannen bereits vor seinen Augen zu tanzen. Die Schläfenadern pochten. Höchste Zeit zum Auftauchen!

Mit kräftigen Flossenschlägen machte sich der Junge auf den Rückweg. Den Kopf weit in den Nacken zurückgelegt, die Arme eng an den Körper gepresst ...

Die Sonnenstrahlen drangen wie silberne Lanzen in die Tiefe herab. Der dunkle Bootsrumpf wirkte von unten direkt unheimlich. Mark stieg immer höher und tauchte dann endlich auf. Keuchend schnappte er nach Luft, strich sich die Haare aus dem Gesicht und blickte sich um. Und da durchschnitt auch schon Tom die Wasseroberfläche.

So schnell sie konnten, schwammen die beiden Jungen zu ihrem Boot.

***

”Ihr wisst ja gar nicht, was ihr mit eurem scheußlichen Fund angerichtet habt!”, polterte Ramiro, der schwergewichtige Dorfpolizist, und stieß schnaubend den Zigarrenrauch aus seinem Mund. ”Nichts als Scherereien habe ich nun am Hals! So was hat es hier bei uns noch nie gegeben!”

”Also hätten wir Sie besser gar nicht verständigen sollen?”, fragte Mark enttäuscht, der zusammen mit seinem Freund im altersschwachen Bootsschuppen saß und das Verhör über sich ergehen ließ.

”Ach was!” Ramiro machte eine wegwerfende Handbewegung. ”So habe ich das nicht gemeint ...” Und wiederum nahm der breitschultrige, muskulöse Beamte einen tiefen Zug aus seiner stinkenden Zigarre. Die goldenen Knöpfe seiner Fantasieuniform glitzerten im Licht der Sonne. ”Ich meine ja bloß, dass es hier auf dieser Insel bis jetzt noch nie eine Gewalttat gegeben hat. Und jetzt auf einmal ein Mord.” Ramiro deutete auf die Straße hinaus, wo zwei seiner Beamten gerade dabei waren, die Leiche in einen Kastenwagen zu verfrachten. ”Der Mann wurde erschossen - und ich tappe völlig im Dunkeln!”

”Aber Sie kennen doch seinen Namen!”, erinnerte Tom und schob seine bunte Schildkappe aus der Stirn. Die beiden Freunde hatten noch immer ihre Badehosen an, da es erbärmlich heiß war.

”Schon! Nur was soll ich bloß mit ihm anfangen? Simon Winslow ist mir völlig unbekannt. Ein Privatdetektiv aus San Francisco. Was hatte der hier auf dieser Insel bloß zu suchen?”

”Vielleicht war er einem Verbrechen auf der Spur?”

Ramiro lachte lauthals. ”Auf meiner Insel gibt es keine Verbrechen ...”

”Anscheinend doch”, grinste Tom. Schließlich ist der Mann ja keines natürlichen Todes gestorben ...”

”Ha, ha, ha, du Spaßvogel! Sag mir lieber, was ihr zwei Großstadt-Kücken eigentlich bei uns verloren habt?”

”Wir - wir machen hier Ferien!”

”So ganz allein?”, fragte der große Polizist misstrauisch und spannte seine Muskeln, dass sein Hemd in allen Nähten knackte.

”Natürlich nicht”, gab Mark zur Antwort. ”Meine Tante hat uns eingeladen ...”

”Wie heißt denn deine Tante?”, fuhr Ramiro schnell dazwischen und zückte seinen alten, zerfledderten Notizblock.

”Margaret Milford”, gab Mark bereitwillig Auskunft, und Ramiro notierte die Adresse.

”Dann seht zu, dass ihr jetzt nach Hause kommt. Meine Befragung ist für heute zu Ende. Wenn ich noch irgendetwas wissen will, weiß ich ja, wohin ich mich wenden muss.”

Und mit einer gönnerhaften Handbewegung entließ der wuchtige Polizist die beiden Freunde.

Mark und Tom verließen das Bootshaus und schlenderten über den knarrenden Bohlenweg. Und hier stolperten sie beinahe über Bud Morgan, dem der Bootsverleih gehörte. Der Mann saß am Rande des Steges und ließ seine Füße ins Wasser baumeln. Bekleidet war er mit einem grell gestreiften Hemd und einer groß karierten kurzen Hose, die so eng war, dass sie seinen dicken Bauch kaum bändigen konnte. Bud Morgan hielt eine Angel in der Hand und blickte mit verklärtem Lächeln auf die glitzernden Wellen, die ans Ufer spülten.

”Ich habe heute kein Glück”, beklagte sich der dicke Mann mit dem roten Mondgesicht. ”Die verdammten Biester wollen und wollen einfach nicht anbeißen ...”

”Was haben Sie denn für einen Köder an der Angel?”, fragte Tom und trat interessiert näher.

”Köder - ?”, dehnte der Dicke mit schiefem Lächeln. ”So etwas brauch' ich doch nicht! Ich fange meine Fische immer mit Laserstrahlen ...”

Mark und Tom blickten sich an. Und sie fanden bestätigt, was sich die Leute im Dorf erzählten. Bud Morgan galt als verrückt. Ein seltsamer Kauz, der nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte.

”Mit Laser! Ja, das ist gut!”, ging Mark auf das Spiel ein und wollte nun genau wissen, wie sich der Dicke die Sache vorstellte.

”Ganz einfach”, erklärte Bud Morgan und zog die Angel aus dem Wasser. ”Dieses Kästchen hier vorne dran ist meine Laserkanone. Die hab' ich selbst gebaut. Darauf bin ich mächtig stolz ...”

Die beiden Jungen grinsten.

”Und wie funktioniert denn dieses Wunderding?”, wollte Tom unbedingt wissen, und der Dicke beeilte sich voller Eifer, den beiden Freunden sein Patent zu erklären. ”Also, seht mal her, Jungs! Die Sache ist an sich ganz einfach. Man muss nur darauf kommen. Aber wenn man so ein Köpfchen hat wie ich, ist das überhaupt kein Problem. Eines Nachts fiel mir ein, wie man diese Kanone konstruieren muss ...”

Bud Morgan redete und redete. Mark und Tom verstanden kein Wort, unterbrachen den eigentümlichen Kauz aber aus Höflichkeit nicht.

Als Bud Morgan mit seinen Ausführungen zu Ende war, warf er die Angelrute mit Schwung zurück ins Wasser und brummte: ”Hoffen wir, dass die Fische nun endlich herbei schwimmen. Normalerweise fange ich jeden Tag mindestens fünfzig Stück davon ...”

Mark und Tom lachten, wünschten dem Dicken noch viel Erfolg und marschierten dann zu ihren Fahrrädern, die sie im Schutz einiger Palmen abgestellt hatten.

Die Jungen verstauten ihre Taucherausrüstung in den Satteltaschen und schwangen sich auf ihre Drahtesel. Kräftig traten sie in die Pedale und machten sich auf den Heimweg ...

Es dauerte nicht lange, da näherte sich ihnen von hinten ein klappriger, alter Lieferwagen. Mark blickte sich kurz um. Dicke Rauchwolken quollen aus dem Auspuff. Der linke Kotflügel schepperte. Langsam kam das Gefährt näher.

Mark konnte nicht sagen warum, aber auf einmal beschlich ihn ein unbestimmtes Angstgefühl. Die Straße war wenig befahren. Der Lieferwagen kam direkt aufreizend langsam näher. Es sah fast so aus, als würde er sich vorsichtig heranpirschen. Dann setzte er plötzlich zum Überholen an. Der Motor heulte auf, krachend wurde in den nächst höheren Gang geschaltet. Der Wagen zog an den beiden Jungen vorbei. Mark versuchte einen Blick ins Wageninnere, doch die Scheiben waren dunkel und verschmutzt. Mark hielt die Luft an, als er in den heißen, übel riechenden Ruß wölke aus dem Auspuff radelte. Dann war das Auto vorbei. Mark atmete auf. Die Räder wirbelten den Sand der unasphaltierten Straße in die Höhe. Wie ein feiner Schleier senkte er sich über die beiden Freunde, die kräftig zu husten begannen.

Und da - plötzlich blieb das Auto vor ihnen stehen!

Da war sie wieder - die Angst, die Mark gerade gespürt hatte. Sein Mund wurde pulvertrocken. Ein Blick zu Tom - auch sein Freund hatte mitbekommen, dass etwas nicht stimmte.

Die beiden Freunde bremsten ab und stiegen von ihren Fahrrädern. Sie wischten sich über die schweißnassen Gesichter, die von feinem Sand verklebt waren.

Der Lieferwagen rollte langsam rückwärts.

Mark und Tom blickten sich an. Sie spürten beinahe körperlich die große Gefahr, die auf sie zukam. Was sollten sie tun?

Schon wälzte sich die Sandwolke heran, schon war das unregelmäßige Blubbern des alten Motors deutlich zu hören, und dann stieg der Fahrer mit einem Mal voll aufs Gaspedal. Die Maschine heulte auf, der Wagen schoss rückwärts.

Mark ließ vor Schreck das Fahrrad fallen und machte einen Satz zur Seite.

”Weg hier!” schrie er seinem Freund zu. ”Fort von der Straße! Lauf, was du kannst!”

Tom reagierte zum Glück im selben Moment, ließ ebenfalls sein Fahrrad fallen und sprang davon.

Keine Sekunde zu früh!

Mit schaurigem Kreischen mähte der Lieferwagen die Fahrräder nieder. Metall schepperte und schrie. Ein Reifen platzte. Dann war es vorbei.

Der Fahrer schaltete in den ersten Gang und gab Gas. Der Lieferwagen preschte in einer dichten Staubwolke davon ...

Mark und Tom kamen zögernd aus ihren Verstecken. Die Knie der beiden Freunde waren weich wie Pudding. Misstrauisch blickten sie sich um. Doch der Lieferwagen entfernte sich immer mehr.

”Hast du das gesehen!”, stöhnte Mark und blickte mit zusammengebissenen Zähnen auf den Haufen Metall zu ihren Füßen. Voller Zorn ballte Tom die Hände und schüttelte sie drohend.

”Irgendjemand wollte uns einen Denkzettel verpassen!”, presste Mark mit grimmiger Miene hervor. "Ich kann mir nur einen einzigen Grund vorstellen, warum jemand schlecht auf uns zu sprechen ist ...”

”Du meinst, weil wir den Toten im Meer entdeckt haben?”

”Hast du eine andere Erklärung? Jemand wollte sich offensichtlich an uns rächen. Und ich verwette meinen Kopf, dass dieser Jemand der Mörder von Simon Winslow ist ...”

Kapitel 3

Wolken zogen am Himmel auf, der eine stahlgraue Färbung angenommen hatte. Sie verdichteten sich immer mehr und erzeugten finstere, drohende Gebilde. In der Ferne leuchteten grelle Zickzackbänder auf, und die Luft schien vor Elektrizität direkt zu knistern. Der Wind nahm an Heftigkeit zu, das Meer wurde unruhig und bildete kräuselnde, schnappende Wellen.

Mark und Tom saßen im gemütlich eingerichteten Wohnzimmer von Tante Margaret und berichteten von ihren abenteuerlichen Erlebnissen. Monoton drehte sich der riesige Ventilator an der Decke und spendete etwas Kühlung. Durch die große Panoramascheibe hindurch konnte man das aufziehende Gewitter gut beobachten.

Bäume und Sträucher bogen sich unter der Gewalt des Sturmes, wurden herumgerissen und gebeutelt. Ein paar Palmenzweige schlugen immer wieder gegen das Fenster. Das Brausen des Windes wurde immer lauter, erfüllte die ganze Atmosphäre. Tante Margaret lauschte gespannt, was die beiden Freunde berichteten.

”Das ist ja unglaublich!”, stöhnte die alte Dame dann entsetzt und fuhr sich über ihre langen weißen Haare. ”Wenn man bedenkt, in welcher Gefahr ihr beide euch befunden habt ...”

”Halb so schlimm!”, grinste Tom, der sein seelisches Gleichgewicht längst wiedergefunden hatte.

Rotglühende Blitze sausten nun in kurzen Abständen über den inzwischen schwarz gewordenen Himmel, und der prasselnde Regen hämmerte auf die Erde herab. Krachende Donnerschläge ließen das kleine Haus erzittern, sodass Tante Margaret erschrocken zusammenfuhr. Die beiden Jungs grinsten nur. Ihnen machte dieses Unwetter nicht das Geringste aus. Im Gegenteil. Sie liebten diese schaurige Atmosphäre und fanden sie richtig toll. ”Ich werde mich wohl nie richtig an diese Tropengewitter gewöhnen”, sagte die alte Dame mit entschuldigendem Lächeln. ”Obwohl ich schon so lange hier lebe. Aber zurück zu unserem eigentlichen Problem: Euer Bericht macht mir große Sorgen. Ich kann mir nicht erklären, wieso auf dieser friedlichen Insel auf einmal die Hölle los ist. Und vor allem verstehe ich nicht, wieso euch jemand nach dem Leben trachtet. Ihr seid doch noch Kinder und habt keinem Menschen etwas getan ...” Die alte Dame wischte sich über das Gesicht, stand auf und ging unruhig hin und her. Wiederum peitschte der Wind einige Palmwedel gegen die Scheibe, und Tante Margaret fuhr erschrocken zusammen. ”Meine Nerven sind nicht mehr die besten, und daher kann ich keine Ruhe finden, solange ihr in so großer Gefahr seid.“

”Halb so schlimm!”, verkündete Mark überlegen. ”Wir beide wissen uns schon zu wehren, wenn's darauf ankommt ...”

Tante Margaret lachte bitter auf und starrte durch das große Fenster hinaus ins tosende Unwetter. Der Sturm wühlte das Meer auf, und riesig hohe schaumige Wellen spülten ans Ufer.

”Glaubt ihr wirklich, dass ihr gegen ein paar eiskalte Verbrecher nur die geringste Chance habt?”

”Die Kerle wollten uns nicht töten”, versuchte Mark, seine Tante zu beruhigen. ”Die Sache mit den Fahrrädern sollte doch bloß eine Warnung sein.”

”Das meint ihr! Auf jeden Fall werde ich Ramiro um Rat fragen, denn er ist schließlich für die Sicherheit der Inselbewohner zuständig.”

”Ich glaube aber nicht, dass uns dieser Zigarren rauchende Dorfpolizist eine große Hilfe sein wird!”, vermutete Tom und ließ seine strahlend weißen Zähne blitzen. ”Der Mann hat auf uns den Eindruck gemacht, als würde er am liebsten seine Ruhe haben. Ich möchte wetten, dass er nie im Leben den Mörder von Simon Winslow findet ...”

”Schon weil er nicht lange nach ihm suchen wird!”, warf Mark mit kratziger Stimme ein. ”Ramiro wird den Fall als unerledigt zu den Akten legen. Das ist auch meine Meinung!”

In diesem Moment zuckte wieder ein schwefelgelber Blitz über den Himmel, und der berstende Donnerschlag folgte Sekundenbruchteile später.

Und da ging plötzlich das Licht aus ...

Von einem Augenblick auf den anderen saßen die drei Hausbewohner im Dunkeln. Der Blitz musste die elektrische Leitung zerstört haben. Auch der Ventilator an der Decke kam zum Stillstand.

Es war stockfinster bis auf das sekundenlange Aufleuchten der gleißenden Blitze.

”Das hat uns jetzt gerade noch gefehlt!”, stieß Tante Margaret mit flatternder Stimme hervor und tastete sich durch den Raum. ”Irgendwo habe ich ein paar Taschenlampen verstaut. Mal sehen, ob ich sie noch finde.”

Und wiederum fauchte eine Sturmbö vom Meer herüber, erfasste die Palmen mit brutaler Gewalt und peitschte sie gegen das Fenster. Der Regen trommelte wie wahnsinnig aufs Dach, klatschte gegen die Scheiben und verwandelte das Erdreich draußen vor der Tür in eine einzige Schlamm-Masse.

Stühle wurden gerückt. Tante Margaret schrie leise auf, als sie gegen irgendein Hindernis stieß, und dann rief sie erfreut: ”Ich hab' sie gefunden! Hier!”

Eine Taschenlampe flammte auf. Ihr Licht geisterte durch die Dunkelheit. ”Die könnt ihr nehmen!”, sagte die alte Dame, während sie für sich eine zweite Lampe hervorholte. ”So, damit sitzen wir wenigstens nicht in absoluter Finsternis!” Mark hielt die Lampe fest an ihrem metallenen Bügel und erkundigte sich: ”Wo sind denn hier die Sicherungen?”

Tante Margaret trippelte voran. Im Vorraum wies sie mit dem Lichtstrahl auf ein kleines Kästchen, das in der Ecke angebracht war.

Mark schaute hinein und stieß schnaubend die Luft aus. ”Sieht nicht gut aus. Da hat der Blitz ganze Arbeit geleistet. Die Leitungen sind alle verschmort. Heute lässt sich da nichts mehr machen.”

Die alte Dame seufzte: ”Ausgerechnet jetzt muss das passieren, wo ihr bei mir auf Besuch seid. Es ist zum Verrücktwerden!”

”Beruhige dich doch, Tante Margaret!”, seufzte Mark und legte seine rechte Hand auf die Schulter der alten Dame. ”Das macht uns beiden doch nicht das Geringste aus. Im Gegenteil! So ist alles viel romantischer ...”

”Und gefährlicher!”, ergänzte die alte Dame mit zittriger Stimme, während ein neuerlicher Donnerschlag das Haus erbeben ließ. ”Ich werde sehen, ob ich Ramiro erreichen kann.”

”Nicht nötig! Den brauchen wir nicht!”, wehrte Mark ab, doch Margaret Milford war schon ins Wohnzimmer geeilt und hob den Telefonhörer von der Gabel. Das Gesicht der alten Dame zerfiel. Angst leuchtete aus ihren großen Augen. Kein Laut drang aus der Muschel. Die Leitung war tot.

Und wiederum flammte ein feuriger Blitz übers Firmament und schlug weit draußen ins brodelnde Meer.

Verzweifelt ließ die alte Dame den Hörer sinken.

In diesem Moment klirrte eine Scheibe ...

Mark und Tom zuckten zusammen. Tante Margaret schrie auf.

”Wird der Wind gewesen sein!”, stieß der junge Schwarze zwischen den zusammengepressten Zähnen hervor.

”Oder die Mörder!”, hauchte die alte Dame und schwenkte die Taschenlampe ganz aufgeregt hin und her.

”Komm. Lass uns nachsehen!”, zeigte sich Mark mutig und schritt voran. Tom folgte ihm dichtauf. Margaret Milford zögerte. Dann rief die alte Dame den beiden Freunden nach: ”Wartet! Ich hole mir ein Messer aus der Küche ... Für alle Fälle!”

Wenig später tauchte Margaret Milford wieder auf. Im Lichtkegel der Taschenlampe funkelte die Schneide eines langen Fleischermessers. Die alte Dame machte nun einen gefassten Eindruck. Die Waffe in ihrer Hand vermittelte ihr das Gefühl von Sicherheit.

Gemeinsam pirschten die drei nun durch das Haus, leuchteten mit den Lampen in jede Ecke und blieben dann vor der Tür zur Vorratskammer stehen. Irgendetwas rumpelte im Inneren. Glasscheiben knirschten. Ein loser Laden wurde durch den Sturm bewegt und schlug monoton auf Holz.

Plötzlich war die Gefahr da!

Mark spürte, wie sich seine Nackenhaare sträubten. Obwohl er nicht hinter die Tür sehen konnte, wusste er mit untrüglicher Sicherheit, dass sie nicht mehr allein im Haus waren.

Die Hand mit der Taschenlampe begann leicht zu zittern. Der Junge schluckte. Wieder knirschten Glasscherben!

Mark warf einen Blick zurück. Sein Freund hielt sich dicht hinter ihm. Die Augen des Jungen waren starr auf die Türe gerichtet. Tante Margaret hielt ihr Messer so fest umkrampft, dass die Knöchel ihrer Finger weiß hervortraten.

Wieder wurde das ganze Haus von einem Donnerschlag erschüttert. Der Sturm orgelte und brauste.

Langsam streckte Mark die linke Hand aus, umfasste ganz vorsichtig den Türknauf und begann nun, ihn wie im Zeitlupentempo nach links zu drehen.

Der Junge hielt die Luft an. Schweißtropfen kullerten über seine Stirn. Das Schloss schnappte zurück. Mark versetzte der Tür einen heftigen Fußtritt, dass diese krachend nach innen schwang.

Die rechte Hand mit der Taschenlampe stieß vor. Der Lichtkegel erfasste in Bruchteilen von Sekunden den bärtigen, finster aussehenden Mann, der erschrocken zusammengefahren war.

Mark stand wie gelähmt. Tante Margaret schrie auf.

Der Bärtige reagierte als Erster. Mit einem zornigen Knurren stürzte er sich auf den Jungen und schlug ihm die Taschenlampe aus der Hand. Der Schmerz zuckte Mark durch den ganzen Arm. Die Lampe polterte zu Boden, kreiselte auf der Stelle und fegte mit ihrem Lichtkegel durch die Dunkelheit.

Der Fremde setzte nach, schlug brutal zu.

Mark stolperte nach hinten, kam ins Straucheln und riss Tom mit sich zu Boden.

Tante Margaret reagierte nun blitzschnell. Die Hand mit dem Messer sauste herab. Der Eindringling schrie auf, presste seine rechte Hand auf die schmerzende Wunde am linken Oberarm, aus der das Blut herunter rann.

Mit schmerzverzerrtem Gesicht kam der Mann wieder in die Höhe, wollte sich auf die alte Dame stürzen, doch da waren Mark und Tom schon zur Stelle.

Gemeinsam stürzten sie sich auf den Bärtigen und brachten ihn zu Fall. Schwer schlug sein Körper am Boden auf. Mark drehte ihm den Arm auf den Rücken, sodass der Mann vor Schmerzen aufheulte.

Tante Margaret stand wie ein Racheengel mit erhobener Hand über dem ungebetenen Besucher, und das Messer in ihrer Hand funkelte gefährlich ...

”Ich - ich gebe auf!”, quetschte der Eindringling mühsam hervor und wandte seinen Kopf ein Stück nach hinten. ”Lass meinen Arm los!”, bat er Mark, der das Handgelenk des Mannes fest umklammert hielt.

Zögernd lockerte der Jungen den harten Griff. Der Bärtige kam mit einigen unbeholfenen Bewegungen auf die Beine und blickte auf die heftig pulsierende Armwunde, aus der das Blut in regelmäßigen Abständen herausquoll.

”Was wollten Sie von uns?”, fragte Tante Margaret und richtete den Strahl ihrer Taschenlampe direkt ins verzerrte Gesicht des nächtlichen Besuchers. ”Los, heraus mit der Sprache!”

”Ich - ich sage kein einziges Wort!”, gab der Mann barsch zur Antwort und setzte sich taumelnd in Bewegung. ”Ich brauche einen Arzt, sonst verblute ich ...”

”Zuerst beantworten Sie meine Frage!“, beharrte die alte Dame auf ihrer Forderung und folgte jedem Schritt des Einbrechers. Mark und Tom gingen hinter ihm, bereit, jeden Augenblick zu reagieren, falls der Mann doch noch auf dumme Gedanken kommen sollte.

Doch der Bärtige sah nun nicht mehr so aus, als würde er es auf eine neuerliche Auseinandersetzung ankommen lassen wollen. Sein Arm schmerzte sicher höllisch, und der stete Blutverlust zehrte sicher an seinen Kräften.

”Ich will nur raus hier!”, zischte der Mann. ”Geh mir aus dem Weg!” Er stieß mit seiner gesunden rechten Hand Margaret Milford ein Stück zur Seite. Die alte Dame stolperte ein Stück nach hinten, und diesen Augenblick nützte der Bärtige, nahm all seine Kräfte zusammen und begann zu laufen, durchquerte das Wohnzimmer, stieß die Tür mit dem Insektengitter auf und stürzte ins Freie.

Mark und Tom folgten ihm. Sofort wurden sie von der Gewalt des Unwetters erfasst. Im Nu waren sie bis auf die Haut durchnässt. Aus zusammengekniffenen Augen starrten die Jungen dem Flüchtenden nach und rannten hinterher. Regen peitschte in ihr Gesicht Der Sturm fetzte ihnen beinahe die Kleidung vom Leib, Palmwedel klatschten ihnen ins Gesicht. Im aufgeweichten Boden kamen sie nur langsam voran.

Plötzlich war der Mann verschwunden - aufgesogen vom brüllenden, tobenden Unwetter, in dessen Regenschleiern sich jede Spur verlor ...

Enttäuscht brachen die beiden Freunde die Verfolgung ab und kehrten ins Haus zurück. Tante Margaret war gerade dabei, sich ein Glas Likör einzuschenken. ”Auf diesen Schrecken hinauf vertrag' ich einen ordentlichen Schluck ...”

Mark und Tom grinsten.

”Dem haben wir es aber gehörig gegeben!”, freute sich der Afroamerikaner und rieb die Hände gegeneinander. ”Der kommt so schnell nicht wieder.”

”Ganz bestimmt nicht!”, pflichtete Mark ihm bei, und Tante Margaret nickte auch bestätigend: ”Der Kerl braucht fürs Erste einen Arzt, der ihn ordentlich versorgt. Sonst kommt er noch in große Schwierigkeiten ...”

”Was ist denn das?”, fragte Tom plötzlich und deutete auf eine bestimmte Stelle am Boden. Etwas glitzerte und funkelte.

Mark kniete sich nieder und streckte die Hand aus.

”Das muss der Einbrecher verloren haben!”, sagte der Junge und präsentierte Tante Margaret und seinem Freund einen siebeneckigen Stern aus Silber, in dessen Mitte sich ein verziertes Doppelkreuz befand.

”Wahrscheinlich hing das Ding an einem Kettchen!”, vermutete Tom, ”und durch die Balgerei am Boden riss es ab.”

”Aber was soll das bedeuten?”

”Keine Ahnung!” Tante Margaret zuckte mit den Schultern. ”Ich habe dieses Zeichen noch nie gesehen.”

Und wiederum flammte ein Blitz auf und tauchte das Wohnzimmer sekundenlang in stechendes Licht. Dicht darauf folgte der krachende Donnerschlag.

”Die Sache ist mir unheimlich. Ich werde die ganz Nacht nicht schlafen können!”

”Keine Sorge, Tante Margaret!”, tröstete Mark die alte Dame. ”Schließlich sind wir beide ja bei dir und werden mächtig auf dich aufpassen!”

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9783847648284
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