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Nach einer gefühlten Ewigkeit war es dann soweit, dass ich mich von meinem Platz erheben konnte, mir schnell mein Handgepäck schnappte und der Schlange im Flugzeug hinaus an die frische Luft folgte.
Für einen kurzen Moment hielt ich inne, schloss die Augen, holte tief Luft und sagte zu mir selbst: „Urlaub - jetzt komm ich!“
Der fluchtartige Strom riss mich mit, hinein in die Boardingbrücke, auf in die große Halle des Ankunftsterminals bis hin zum Gepäckband, an dem sich bereits eine große Menschentraube versammelte. Leicht schmunzelnd und mich selbst fragend, warum sich eigentlich immer alle am Anfang eines solchen Gepäckbandes anstellen, lief ich an ihnen vorbei und wartete weiter hinten. Hier konnte ich fast schon ungestört und entspannt nach meinen Koffer anstehen und den Blick immer wieder von dem Band zu meinen Mitreisenden schweifen lassen. Die der vorderen Traube, waren bereits so kurz nach der Ankunft von der Rempelei und dem Gedrängel frustriert. Kein Wunder! Wäre ich an ihrer Stelle auch, aber so übernahm ich die Rolle der relaxten Beobachterin und stellte dabei fest,
dass sich bei fast neunzig Prozent, so tippte ich, folgendes Muster erkennen ließ: Die Männer standen unmittelbar und genervt am Band, sehnsüchtig nach den Gepäckstücken Ausschau haltend. Fast schon wie auf der Jagd; wenn Beute gesichtet, sofort zuschnappen! Die Frauen hingegen, das komplette Gegenteil. Sie kämpften währenddessen mit den quengeligen Kindern, die der Meinung waren, in der großen Halle Fange oder Verstecke spielen zu müssen. Wenn sie damit nicht beschäftigt waren, warteten sie ungeduldig mit den noch leeren Gepäckwagen mit oder ohne den artigen Kindern in der imaginären zweiten Reihe. Frauen stärken den Rücken der Männer, heißt es. Hier der optische Beweis. Unglaublich dieses Einheitsbild!
Warum am Anfang eines Urlaubs sich schon so stressen und die Stimmung gen Nullpunkt wandern zu lassen? Wozu? Der Koffer läuft doch die gesamte Bandschlaufe ab. Sprich, hier hinten kommt er genauso an, wie ganz vorn. Ja gut, wenn ich am Anfang inmitten des Gedrängels stehen würde, hätte ich natürlich meinen Koffer eher, als am Ende des Bandes. Dazwischen lag ein Unterschied von maximal einer Minute, wenn überhaupt. Verschmerzbar und ich hatte Zeit, immerhin befand ich mich im Urlaub und nicht auf der Flucht. Weiterhin ist zu bedenken, dass die Busse, die mich und auch alle anderen zu den jeweiligen Hotels bringen, sowieso warten, bis der Letzte eingestiegen ist, der noch mit muss. Also wozu die Eile? Natürlich möchten alle so schnell wie möglich in ihr ersehntes Hotel und sind bereits voller Erwartungen und ganz gespannt, aber wie schon beschrieben, der Bus und der letzte Passagier.
Wie froh war ich an der Stelle, alleine gereist zu sein. Ich musste lediglich auf einen einzigen Koffer warten, brauchte niemanden einfangen und mir kein Gequengel anhören. Ich konnte mich lächelnd an meinen Gepäckwagen festhalten und die schöne Atmosphäre auf mich wirken lassen, die wahrscheinlich niemand anderes bemerkt hatte: Am anderen Ende der Halle bot die große Fensterfront Blick auf die angedockten Flugzeuge. Das Schönste daran war, dass die Sonnenstrahlen direkt durch diese Glaswand schienen und nicht nur die Halle so hell und freundlich wirken ließen, sondern auch mein Herz. Gleichzeitig flutete Serotonin meinen Körper. Ich genoss. Das Vorrücken des Zeigers an der Wanduhr wurde zwar von Kindergeschrei übertönt, dennoch nahm ich den Klang ganz leise in meinem Ohr wahr. Dieses Klacken flüsterte mir ein „Herzlich Willkommen Lena“ zu. Einfach wunderbar.
Auf einmal trübte die Schönheit des Momentes, denn erneut überkam mich der Drang des Urinierens. Was war nur mit meinem Unterleib los? Lag es an zu vielem Kaffee, den Druckunterschied zwischen Himmel und Erde oder war es der Gedanke an Meeresrauschen? Aufregung? So oder so nervte es.
Ich versuchte, diesen zu unterdrücken, aber ich glaube, jeder kennt das Gefühl, wenn man etwas bewusst verdrängen möchte, denkt man genau an das und spürt das zu Verdrängende umso deutlicher. So erging es mir gerade. Umso mehr ich versuchte, mich abzulenken, umso bewusster spürte ich meine volle Blase. Nur leider konnte ich mich von dem Gepäckband nicht entfernen, so lange mein Koffer nicht in Sichtweite und auf meinen Gepäckwagen war. Ich konnte auch niemanden damit beauftragen, nach meinem Lederrechteck Ausschau zu halten. Die anderen Passagiere waren alle mit sich selbst beschäftigt und gereizt. Abstand wahren und nicht ansprechen, war hier definitiv die bessere Strategie.
Schon auf der Stelle auf- und abtretend, erspähte ich mein braunes Ungetüm. Die Erlösung! Natürlich kam er als vorletztes Gepäckstück. Ausgerechnet. Mit aller Kraft wuchtete ich den schweren Koffer auf den Wagen und steuerte zielorientiert und ganz eilig die Toiletten an. Ein großes und unerwartetes Problem trat auf. Der Gepäckwagen war viel zu groß für die winzige Toilettenkabine. Was nun? Ich konnte meine Gepäckstücke nicht unbeaufsichtigt draußen stehen lassen. Sie mussten mit rein! Im Umkehrschluss bedeutete dies für mich, den Koffer wieder von dem Wagen herunterhieven und mit diesem, meiner Jacke und dem Rucksack mich in die Kabine zwängen. Das war gar nicht so einfach, wenn man bedenkt, dass die Tür noch auf- und wieder zugehen sollte. Die Jacke war das geringste Problem, gefolgt von dem Rucksack, aber mein großer Koffer, ich, die Toilettenschüssel an sich und dann eben die Tür. Der adipöse Mann aus dem Flugzeug, der in meiner Sitzreihe außen saß - ich war mir nicht sicher, ob er hier überhaupt reingepasst hätte. Selbst ohne Koffer war es bereits eine Herausforderung, in die wirklich winzige Kabine hinein zu kommen. Welcher Architekt konzipiert so etwas? Ich glaube nicht, dass derjenige jemals diese Örtlichkeit besucht hat und wenn, musste seine Statur entweder eine ganz Dürre sein oder spätestens da seine Fehlplanung bemerkt haben.
Liebe Bauingenieure, Architekten oder alle anderen Planer, falls Sie dieses Buch jemals lesen sollten, bitte beziehen Sie diese Überlegungen bei der nächsten Planung mit ein: Alleinreisende, viel Gepäck, weit entfernt von Modelmaßen, Toilette! Mehr muss ich nicht sagen.
Als ob das nicht schon genug war, wischte ausgerechnet jetzt die Putzfrau durch. Ich war mir nicht sicher, ob sie das Rot in der Türschlossverriegelung übersah, aber sie versuchte ernsthaft, mit ihrem Schrubber durch den Spalt unter der Tür Richtung meiner Füße zu wischen. Dabei eckte sie natürlich an mein Gepäck und an meinen Schuhen an. Ganz klar. Wohin, wenn kein Platz ist? Sie schien mich tatsächlich nicht zu bemerken. Zumindest hörte sie nicht auf. Immer wieder stieß sie an meine Füße. „Hallo?! Hier ist kein Platz und außerdem hätte ich gerne meine Ruhe!“, wollte ich am liebsten vor Empörung rufen. Ich geriet leicht ins Schwitzen. Was hatte ich nur getan, dass ich nicht einmal in Ruhe ein kleines Geschäft verrichten konnte? Zuerst das in die Toilette hineingequetschte, jetzt die nervige Putzfrau. Was sollte als nächstes kommen? Nun wünschte ich mir, ich wäre doch mit jemanden zusammen verreist. Derjenige könnte draußen auf mein Gepäck aufpassen, während ich hier ...
„Nein, nein, nein. Ich bin alleine. So, wie ich es wollte.“ Gemäß dem Zitat: Besser alleine sein, aber nicht einsam, als einsam zu sein und nicht alleine.
Da musste ich jetzt durch. Ein lautstarkes Räuspern und ein gequältes Husten verschreckte letztendlich die Putzfrau und mit Schweißperlen auf der Stirn quetschte ich mich wieder aus der winzigen Kabine raus. Achtung, Bauch einziehen und am besten alle anderen Körperteile ebenfalls! Menschen mit Platzangst hätten hier ihre Klaustrophobie definitiv überwunden oder sie wären an ihr zerbrochen.
Nach nochmaligen Personen- und Gepäckkontrollen atmete ich endlich die tunesische Luft ein. Diesmal so richtig. Ich befand mich vor der Gepäckhalle, sprich hinter mir das Flughafengebäude. Es ist schwer zu beschreiben und dennoch können alle Reisenden diese einzigartige Atmosphäre und das damit geweckte Empfinden nachvollziehen. Ein herzerwärmendes, ausfüllendes, tief durchatmen lassendes, Sorgen vergessendes und wunderschönes Flair. Das mediterrane Klima schrie förmlich nach Urlaub. Selbst die Gerüche, die mir in die Nase stiegen, rochen anders. Irgendwie nach Sand, Salz, Meer, Jasmin, Wasserpfeifentabak. Warme und trockene Luft umgab mich. Palmblätter beugten sich im kaum spürbaren Wind ganz sanft hin und her. Ich genoss den Moment. Spürbar. Ich schloss meine Augen und lauschte. Von allen Seiten dudelte orientalisch klingende Musik aus den Autoradios, im Hintergrund des Öfteren lautstarkes Hupen von der viel befahrenen Straße. Dazu gesellte sich Gebrabbel zahlreicher Leute in allmöglichen Sprachen. All die Laute klangen wie eine Melodie in meinen Ohren. Mein Zuhören wurde jedoch prompt von einem Anrempeln gestört. Ein älterer Mann kollidierte mit seinem rechten Arm direkt in mein Kreuz. Ich erschrak. Schlagartig öffnete ich meine Augen. Er lief weiter, als wäre nichts gewesen. Als ob nicht genug Platz gewesen wäre, nein, musste er ausgerechnet bei mir entlanglaufen, mich stoßen und mich aus meinem akustischen Sinnesgenuss rausreißen. Mürrisch starrte ich ihm hinterher und überprüfte umgehend meinen Rucksack, ob alle meine Habseligkeiten an Ort und Stelle waren, wo sie hingehörten. Über die Methoden von Taschendiebe hört man ja so einige Gruselgeschichten. Ich hingegen konnte aufatmen. Die Mentalität des Landes trübte nicht; ein heimtückischer Trick passte nicht zu der überragenden Gastfreundlichkeit!
Mit erhöhtem Puls bemerkte ich erst jetzt, was für ein hektisches Treiben auf dem Parkplatz herrschte. Es galt lebenswichtige Fragen zu stellen und diese beantworte zu bekommen. Zum Beispiel: Wer muss in welches Hotel und somit zu welchem Bus? Wer gehört zu wem, und manchmal fragte ich mich auch, warum? Aber das ist ein anderes Thema!
Wo sind nur all die lächelnden Menschen, in der Hand die Schilder mit der Aufschrift „TUI“ oder ähnlichen Reiseanbietern? Sie würden jetzt Ordnung in das Chaos bringen. Und wo waren eigentlich die Mitreisenden abgeblieben, die mich seit Anfang des Fluges begleitet und mit ihren Blicken ausgezogen hatten? Fleischbeschauung beendet? Sie waren auf jeden Fall nicht hier und selbst wenn, konnte ich mir sicher sein, dass ich nicht mehr ihr Hauptaugenmerk war, sondern die Nummern an den zahlreichen Bussen. Sie standen in Reihe und Glied auf dem Parkplatz und die Busfahrer luden jeweils eifrig die Koffer ein. Auch ich erspähte weit hinten mein Gefährt. Nummer sechsundachtzig, das war Meiner. Mit meinem Rucksack auf dem Rücken und in der einen Hand meine Reisepapiere hechelte ich leicht schwitzend dem Bus entgegen. Ich bereute gerade erneut, so viele Sachen in den Koffer eingepackt zu haben. Vor allem überlegte ich vehement, welcher spitze Gegenstand sich am liebsten direkt durch die Lederwand in mein Bein bohren wollte. Ich beschloss zukünftig nicht an der Mitnahme meiner Sachen zu sparen, aber mir zu Weihnachten einen Hartschalenkoffer mit Rollen zu wünschen.
An der Nummer sechsundachtzig angekommen, lächelte mich der Busfahrer freundlich an, verglich meinen Namen mit seiner Passagierliste, nickte und erlöste mich von meinem unhandlichen Koffer, indem er das Lederstück in den dafür vorgesehenen Raum verstaute. Endlich. Erwartungsvoll und um mindestens hundert Kilogramm leichter stieg ich in den Bus ein und suchte mir einen Fensterplatz. Die Klimaanlage war ausgeschalten und die Luft stand. Wie sollte es anders sein, dieser Bus startete als Letzter von allen Reisebussen. Der Grund war eine Zigeunerfrau.
Sie fiel mir bereits vor ein paar Stunden am Flughafen in Berlin auf. Als ich in der Warteschleife am Check-in-Schalter stand, kreuzten sich unsere Blicke mehrmals. Sie reiste ebenfalls ohne Anhang und stach mir ins Auge, da sie nur aß. Permanent. Sie verschlang während des Wartens zwei Brötchen, ein Apfel, eine Banane, einen Schokoladenriegel, ein Paar kalte Wiener, ein großes Stück Gurke und lutschte ein paar Bonbons. Das war lediglich das, was ich sah. Gut, vielleicht war sie auch schwanger oder krank und ächzte nach vermehrter Nahrungszufuhr. Genauso wie ich es von anderen erwartete, stand es mir ebenfalls nicht zu, mir ein Urteil zu erlauben. Abgesehen von meinem Entsetzen des stetigen Verspeisens prägte ich mir ihr Gesicht aufgrund ihrer Kleidung ein und erkannte sie nun wieder. Sie hatte erst jetzt den Bus gesichtet, kam dennoch tiefenentspannt daher geschlendert und nahm irgendwann nach dem Einsteigen eine Reihe vor mir Platz. Nun konnte es losgehen und das Gefährt setzte sich endlich in Bewegung. Langsam fuhr er aus dem Flughafengelände. Gespannt sah ich aus dem Fenster. Das Fahrzeug bog nach rechts auf die Straße ab, fuhr ein kurzes Stück, bog links auf die gegenüberliegende Fahrspur ein und dann vernahm ich schon den Namen meines Hotels durch die Lautsprecher. Ich wusste, mein Hotel lag in Flughafennähe, aber dass es tatsächlich so nah lag, das hatte ich im Vorfeld nicht geahnt. Direkt gegenüber und wenn ich direkt schreibe, dann meine ich das auch so. Unmittelbar. Die beiden Gebäude trennten lediglich eine vierspurige Straße mit einer Ampelkreuzung und ein paar Grünflächen. Ich schmunzelte in mich hinein, denn als ich dies realisierte, fragte ich mich selbst, warum ich nicht gleich zu dem Hotel gelaufen bin und stattdessen über eine halbe Stunde lang in dem stickigen Bus auf die Abfahrt gewartet hatte. Wie heißt es sprichwörtlich so schön: Hinterher ist man immer schlauer.
Den Fußmarsch sparte ich mir für den Rückreisetag auf.
Ich sprang als Einzige von meinem Sitzplatz auf, griff nach dem Handgepäck und lief langsam und aufgeregt zugleich den schmalen Gang vor zur Tür. Ich war am Ziel meiner Anreise, während die anderen Passagiere noch mehr oder weniger lang den Transfer über sich ergehen lassen mussten.
Der Busfahrer reichte mir meine Koffer und verabschiedete sich freundlich, bevor er erneut in sein Gefährt einstieg, sich hinter das Lenkrad quetschte und losfuhr.
1. Tag – Endlich da!
Da stand ich nun. Endlich da!
Im cremefarbenen Marmor erstreckte sich das Eingangsportal des Hotels, in der Mitte ein schwarzes Schiebetor. Dessen Gitterstäbe versprühten den
Charme eines Gefängnistores, welche meine Euphorie etwas einbremste. Ein Mann in Uniform erspähte mich und öffnete die Pforte. Langsam und quietschend fuhr das Tor von links nach rechts und hielt nach zwei Metern an. Ich trat mit meinem Gepäck ein. Den Eindruck einer Haftanstalt erweckend, schloss sich hinter mir das Schiebetor lautstark. Sofort wich die Unsicherheit, denn vor mir ragte, wie auf einem Postkartenmotiv, das weiß strahlende Hotel vor dem blauen, wolkenfreien Himmel empor, eingesäumt von Palmen, Kakteen und anderen Grünpflanzen. Ein großer Schriftzug auf dem Dach des Gebäudes wies mich darauf hin, dass ich tatsächlich richtig war. Es wäre schlecht gewesen, wenn sich der Busfahrer vertan oder ich mich verhört hätte, denn der Bus war bereits auf dem Weg zu den anderen Unterkünften und da hätte ich wirklich dumm dagestanden. Aufgrund der nicht zu übersehenden Druckbuchstaben konnte ich mir sicher sein, dass ich vor dem Hotel stand, welches ich gebucht hatte. Glück für mich und vielen Dank dem Ideenträger solcher Schriftzüge auf Hausdächern!
Der erste und gleichzeitig irritierende Eindruck wandelte sich in einen sehr Positiven. Ich war gespannt, was mich alles erwarten würde und schleifte wieder einmal meinen viel zu unhandlichen und schweren Koffer hinter mir her Richtung des Haupteingangs des Hotels.
Nach dem Überwinden von vier Stufen öffneten sich vor mir die beiden Glasschiebetüren und ich betrat die Hotelhalle. Meine Erwartungen wurden jetzt schon weit übertroffen. Ich wusste nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte. Überwältigt von dem Anblick staunten meine Augen, meine Pupillen vergrößerten sich, der Mund stand mir auf. Es war, als würde ich in eine andere Welt eintauchen. Überall heller Marmor, mit braunen Türen abgesetzt. In der Mitte des Foyers befand sich ein kleiner Springbrunnen aus dunklem Marmor, aus dem kristallklares Wasser plätscherte und geradeaus erstreckten sich riesengroße Schiebetüren, die direkt zur Terrasse hinausführten und weiter zum Strand. Da konnten die Pensionen, die Michael und ich bislang für unsere Wochenendausflüge und Kurzurlaube gebucht hatten, keinesfalls mithalten. Im Vergleich waren sie eher minderwertige und heruntergekommene Absteigen.
Ich war im Paradies! Während ich noch alles bewunderte und mein Glück gar nicht fassen konnte, kam ein Page auf mich zu und nahm mir mein Gepäck ab. „Where are you from?“, fragte er neugierig. Ich erwiderte ihm, in meinem schlecht sprechenden Englisch, dass ich aus Deutschland komme, alleine reise, aber auch in Ruhe gelassen werden möchte. Wozu lange herumreden? Fakten sind effektiver! Er nickte verständnisvoll und zeigte auf einen Sessel im Foyer, auf dem ich Platz nehmen sollte. Zweifelnd, warum ich dies machen sollte, befolgte ich dennoch seine Anweisung. Der Page verschwand für einen kurzen Moment hinter dem Rezeptionstresen und kam mit einem Begrüßungscocktail in der Hand lächelnd zurück. Er stellte diesen auf den Tisch ab und reichte mir gleichzeitig einige Unterlagen zu dem Haus sowie das Wichtigste, meinen Zimmerschlüssel. Ich las mir die Unterlagen durch, füllte die Angaben zu meiner Person aus und legte mir währenddessen den Cocktail auf den Genuss.
Ja, das musste ich zugeben, das machte ich tatsächlich. Ich genoss regelrecht, hier in diesem Sessel zu sitzen, ein Mixgetränk zu schlürfen und mir einen ersten Eindruck von dem Hotelinneren zu verschaffen. Ich muss sagen, ich war sehr angetan. Es gefiel mir hier richtig gut. Den Geruch, den Klang, die Atmosphäre, dies alles ließ ich auf mich wirken. Im Gegensatz zu dem Beginn meiner Reise, der von merkwürdigen Blicken, Musterungen und des Tragens des schweren Koffers geprägt war, war nun der Empfang in diesem Hotel umso angenehmer und freundlicher. Es zog eine warme Brise von den Terrassentüren herein in die Lobby. Alle an mir vorbeigehenden Gäste sahen sehr zufrieden aus und es roch richtig nach mediterranem Flair, Erholung, Urlaub. Ach, herrlich!
Der Page von vorhin kam erneut auf mich zu und unterbrach mich in meiner gedanklichen Schwärmerei. Der traute sich was, mich während meines Genießens zu stören! Im Normalfall hätte ich ihm das übel genommen, da ich aber gerade erst angereist war, wusste ich, ich hatte noch einige Tage vor mir und somit alle Zeit der Welt, die vielen Eindrücke auf mich wirken zu lassen und den Gebäudekomplex samt der kompletten Anlage zu erkunden und zu entdecken.
Der freundliche Page nahm die von mir ausgefüllten Unterlagen, mein leeres Glas sowie mein Gepäck und begleitete mich auf mein Zimmer. Bis auf das letzt Genannte legte beziehungsweise stellte er alles auf den Rezeptionstresen beim Vorbeigehen ab. Die Fahrstuhltür öffnete sich und wir betraten den kleinen Raum. Der Laufbursche drückte den Knopf für die vierte Etage und bereits nach wenigen Minuten standen wir auch schon in diesem Stockwerk. Ich ließ meinem netten Gehilfen den Vortritt und folgte ihm wie ein braves Schoßhündchen bis vor die Tür meines neuen Quartiers für die nächsten acht Tage.
Der Eintritt wurde gewehrt. Im ersten Moment konnte ich vor Dunkelheit nur Umrisse erkennen und das Aussehen des Zimmers erahnen. Erst als der Page die bleischweren und dunkel gemusterten Vorhänge aufzog, konnte ich mir ein Bild von den Räumlichkeiten verschaffen. Cremefarbene Fliesen schmückten den Fußboden des Zimmers. Ein Schreibtisch, ein Sessel, ein Sofa und zwei separat stehende Betten sowie ein Kleiderschrank mit dunkelbraunen Holz ergänzten das Gesamtbild. Generell war dies sehr dunkel und erdrückte mich, aber zum Schlafen oder kurz Verweilen genügte es.
Der Page bemerkte meinen etwas enttäuschten Blick über die Dunkelkammer und belehrte mich, dass alle Zimmer aufgrund der Sonneneinstrahlung und entsprechendem Temperaturanstieg innerhalb der Mauern des Hotels so dunkel gehalten sind. Ich zeigte mich einsichtig und überreichte ihm ein kleines Trinkgeld. Nach dieser Gabe verschwand der hilfsbereite Mann und ließ hinter sich die Tür ins Schloss fallen.
Ich atmete tief durch und zauberte mir selbst ein Lächeln ins Gesicht. Angekommen in meinem Wunschurlaub! Unfassbar. Ich war hier, hier in Tunesien. Zwar allein, jedoch mit Glück geflutet. Ich inspizierte mein Zimmer sowie das dazugehörige Bad und war zufrieden. Trotz der Finsternis fühlte ich mich wohl und wer verbringt schon im Urlaub die meiste Zeit im Zimmer? Wohl die Wenigsten. Ich nicht, zumindest nicht freiwillig.
Welch´ ein großes Pech ist es, im Urlaub krank zu werden
und somit gezwungener Maßen das Bett des Zimmers hüten oder vor der Toilettenschüssel Stellung beziehen zu müssen. Nur leider kann man diese Situationen manchmal einfach nicht vermeiden. Wie schnell erkälten sich Reisende durch die Klimaanlage in Bussen oder öffentlichen Gebäuden. Andere bekommen Magenschmerzen durch Lutschen von Eis oder vom Trinken des Leitungswassers. Letzteres unterliegt nicht immer den deutschen Standards und obwohl vor dem Trinken der klaren Flüssigkeit gewarnt wird, ignoriert manch einer dies gekonnt und muss dann Vorliebe mit seinem Hotelzimmer nehmen. Selbst das Treten auf einen Seeigel oder Schürfwunden aufgrund Unachtsamkeit sind nicht ausgeschlossen. Selbst mir ist so ein Erlebnis vor vielen Jahren im Urlaub wiederfahren:
Damals noch als schulpflichtiges Kind verreiste ich mit meinen Eltern in der Türkei. Direkt am Meer, mit weißem Strand, aber kleinen Steinchen im Wasser. Der Hoteleigene Fotograf hielt diverse Szenen mit seiner Kamera fest und bot die Bilder gegen einen viel zu überteuerten Preis zum Kauf an. Auch mich lud er zu einem professionellen Fotoshooting ein. Blauäugig wie ich damals war, stimmte ich dem Blitzlichtgewitter zu. Während ich mich darauf freute, konnten meine Eltern auf ihrer Strandliege entspannen und relaxen, was mir als junges Mädchen sowieso zu langweilig war.
Nach einigen Fotos am Strand hatte der Fotograf die glorreiche Idee, mich für ein paar Bilder im Meer in Szene zu setzen. Ich folgte seinem Einfall und legte mich auf Steinen im seichten Wasser auf den Bauch. Die ersten Bilder waren noch spaßig und großartig gelungen, bis einige Wellen an den kleinen und großen Steinen brachen, auf den ich lag. Da diese mit Algen übersät und somit sehr rutschig waren, schlidderte ich bei jeder Welle leicht hin und her. Das ging so lange gut, bis eine größere Welle kam und mich mitzog. Ich rutschte über die Algen und wurde auf Steine gespült, die mit kleinen Muschelschalen bestückt waren. Mehrmals tauchte ich unter. Aufgeregt rang ich nach Luft. Kaum befand sich mein Kopf über Wasser, schwappte mir gleiches ins Gesicht. Mit meinen Händen versuchte ich hektisch Halt an den Steinen zu finden. Bis mir das gelang, schlitzten die scharfkantigen Schalen meine Beine auf und das Wasser färbte sich sofort rot. Meine Handinnenflächen schmerzten. Erst als die Wellen leicht abebbten, konnte ich sicheren Boden unter den Füßen gewinnen. Durch das Schlucken von Wasser hustete ich wie wild. Atmen! Ängstlich blickte ich an mir hinunter, da ich einen brennenden Schmerz wahrnahm.
Ich erschrak. Meine Knie waren aufgeschürft, so auch meine Schienbeine, selbst meine Unterarme. Schürfwunden sowie offene Wunden, aus denen ich mehr oder weniger stark blutete, zierten meine Körperstellen. Ich bekam leicht Panik, wurde nervös. Der Fotograf brach sofort das Shooting ab, kam auf mich zu und reichte mir seinen Arm. Ich henkelte mich bei ihm ein und er führte mich schnurstracks in das Hotel zurück.
Neben der Rezeption befand sich eine Tür mit der Aufschrift „Direktor“. Der Fotograf klopfte an und dann betraten wir gemeinsam den Raum, ohne vorher auf ein „Herein“ oder „Ja, bitte“ zu warten. Der Direktor sah uns und erschrak ebenfalls. Er sprang von seinem Bürostuhl auf, bot mir den Platz an und öffnete anschließend die Tür des kleinen Arzneischrankes. Ich musste wirklich schlimm ausgesehen haben! Der Fotograf ließ von meiner Seite ab, verabschiedete sich von uns beiden und bevor er die Tür schloss, entschuldigte er sich in aller Höflichkeit bei mir. Am Ende unseres Urlaubes schenkte er mir als Wiedergutmachung die Bilder. Das fand ich eine sehr nette Geste von ihm. Somit blieb mir der Zwischenfall als Urlaubserinnerung für immer in meinem Gedächtnis, allein durch die Erinnerungsfotos.
Der Direktor kniete sich mit einem kleinen, braunen Glasfläschchen und mit Wattebällchen bewaffnet, vor mich. Mit einem nassen Waschlappen, den er zuvor mit klarem, kaltem Wasser befeuchtet hatte, reinigte er zuerst meine Wunden. Anschließend träufelte er etwas von der geheimnisvollen Flüssigkeit aus der Glasflasche auf ein Wattebällchen und fing an, diese auf meine offenen Körperstellen zu tupfen. „Bitte nicht erschrecken, das ist Jod. Es könnte gleich etwas brennen“, äußerte er vorwarnend. Das hätte er sich sparen können. Bereits bei der ersten Berührung und noch bevor er den Satz zu Ende gesprochen hatte, hätte ich an die Decke springen können. Etwas brennen? Das war wirklich gutgesagt und mehr als untertrieben! Eher ein Lodern! Dieser Möchtegern-Doktor hatte doch gar keine Ahnung! Es brannte höllisch, im wahrsten Sinne. Als würde ich selbst brennen, unter Flammen stehen. Ich krallte mich an der Armlehne des Stuhles fest und versuchte, vor Schmerzen nicht zu schreien. Das konnte ich unterdrücken, aber nicht die Tränen, die mir in diesen Moment in die Augen schossen. Diese Qualen hörten einfach nicht auf, denn ich war im Besitz von zwei Knien und meine Schienbeine sowie Unterarme und Handflächen hatten auch Verletzungen erlitten, die es ebenfalls zu versorgen galt. Der Direktor beeilte sich und merkte zum Abschluss an, dass ich für die nächsten Tage nicht mehr baden gehen solle. Das Salzwasser des Meeres würde in Berührung mit meinen Wunden ebenfalls brennen, zwar nicht so sehr wie das Jod, aber zum Verspüren von Schmerzen würde es reichen. Super Aussichten!
Natürlich schenkte ich ihm anfangs keinen Glauben und wollte auf das Baden nicht verzichten. Somit wagte ich mich bereits am nächsten Tag in das offene Meer und wurde sofort eines Besseren belehrt. Zwei Wochen nach Beendigung des Urlaubs waren meine Wunden verheilt und ich war um eine Erfahrung reicher. Nein, eigentlich um Drei. Eine Erfahrung war, sich nicht auf solche Hotelfotografen einzulassen. Das Legen auf schmierige und glitschige Steine sollte ich zukünftig meiden. Die Wichtigste überhaupt: Das Hören auf einen Hoteldirektor oder generell auf ältere und erfahrenere Menschen.
Mein Gepäck hatte der Page vor eins der Betten abgestellt. Auf dem Schreibtisch befand sich ein DIN-A4-Blatt mit der Aufschrift „Liebe Urlauberin, wir freuen uns, Sie in ihrem wohlverdienten Urlaub begrüßen zu dürfen! Genießen Sie die Zeit der Ruhe und der Erholung und lassen Sie Ihre Seele baumeln! Lernen Sie neue Länder, Menschen und Kulturen kennen, denn die kostbare Zeit des Jahres bleibt der Urlaub! Es grüßt Sie Ihr Team des Reisebüros.“ Das war eine nette Geste, über welche ich mir sehr freute. Manchmal sind es eben doch die kleinen Dinge, die das Leben lebenswerter und schöner machen.
Trotz des Hinweises des Pagen, dass es ohne die dunklen, wuchtigen Vorhänge rasch schnell warm in dem Zimmer werden konnte, ließ ich diese auf. Gegen Wärme hatte ich so rein gar nichts. Ich war schließlich im Urlaub, im Süden und da war ich auf Temperaturen jenseits der Zwanzig- Grad-Marke eingestellt. Außerdem wollte ich regelrecht schwitzen, statt zu frieren.
Einen großartigen Ausblick hatte ich von meinem Hotelzimmer. Direkt auf den großzügig angelegten Hotelgarten inklusive der Minigolfanlage und des Tennisplatzes, der großen Wiese, den zahlreichen Palmen, den grünen Hecken und den Blühpflanzen. Nicht zu vergessen, direkter Sichtkontakt zum Flughafenterminal. Das lange, weiße Gebäude samt Tower. Bei der Entfernung gut sichtbar. Geschätzte Luftlinie hundert Meter. Gespannt war ich auf den Geräuschpegel, wenn die Flugzeuge starteten und landeten und hoffte, dass die Schallwellen Erbarmen mit mir haben. Im Laufe des Urlaubs hörte ich davon kein einziges Geräusch.
Am Ende des Horizonts erstreckte sich eine karge Sand- und Kieslandschaft, welche an das Azurblau des Himmels grenzte. Der Blick auf das Meer war mir verwehrt, hatte jedoch den Vorteil der Windstille. Die Winde, die vom Ozean kamen, prallten an der anderen Hotelseite ab und so spürte ich keinen einzigen Lufthauch. Lediglich den der Klimaanlage in meinem Zimmer.
Ich lehnte mich an die weiße Brüstung meines kleinen Balkons, auf dem sich zwei weiße Plastikstühle und ein kleiner, weißer Klapptisch befanden. Nichts Besonderes, aber durchaus ausreichend. „Hier werde ich mir in den nächsten Tagen ein Glas Rotwein oder ein Glas Bier schmecken lassen und es mir gemütlich machen“, dachte ich.
Der Blick auf die Uhr verriet, dass es bereits vierzehn Uhr war. Das Mittagessen wollte ich mir nicht entgehen lassen. Bezahlt war schließlich bezahlt und so begab ich mich in das Foyer. Zeit zum Auspacken fand ich heute bestimmt noch und wenn es erst am späten Abend soweit seien sollte. Immerhin drängelten Nichts und Niemand. Ich war alleine und konnte mir meine Zeit frei einteilen. Eine ganz neue Erfahrung, an die ich mich noch gewöhnen musste.