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Andreas A.F. Tröbs

Wie der kleine Muck erwachsen wurde

Geschichten um Mukhtar und Shakira

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung

Prolog

Das Dorf und die Wette

Mukhtar (Muck) und Vater

Die unglaublichen Abenteuer des Schlangenbeschwörers

Auf dem Weg zur Sultanstadt

Maon – Die Stadt des Sultans

Das Katzenhaus

Wunderdinge

Falsches Zeugnis

Der Schnellläufer des Sultans

Im großen Thronsaal

Des Sultans Stimmungsmacher

In den Gemächern Shakiras

Auf der Wettkampfstrecke

Der Gefangene

Im Feigenhain

Auf dem Basar

Das Treffen

Sultan und Großwesir

Der Geist aus der Lampe

Epilog

Impressum neobooks

Widmung

meinen Kindern Christiane, Juliane und Lucas

Prolog

Kennst du Wilhelm Hauff? Vielleicht sogar seine „Geschichte von dem kleinen Muck“? Fein! „Die Geschichte um Mukhtar und Shakira“ ist eine Fortsetzung des Hauff’schen Märchens (und heißt jetzt „Wie der kleine Muck erwachsen wurde“) und wartet, neben bekannten Begebenheiten, mit vielen neuen Handlungssträngen, verrückten Charakteren und neuen Schauplätzen auf. Der kleine Muck ist groß geworden und heißt jetzt Mukhtar. Na ja, Muck ist nicht wirklich groß, aber mit 18 ist man ja fast erwachsen. Wie Mukhtar aber wirklich groß wird, wie er sich streckt, dehnt und wie sein Buckel verschwindet, erfährst du in diesem Buch, das zudem viele andere Überraschungen und Wendungen für dich bereithält.

Beispielsweise triffst du auf Hassan Ibn Odd Set, der wirklich böse ist und darum auch seiner gerechten Strafe nicht entgehen kann. Du lernst Mustafa N’Atter, einen extrovertierten Schlangenbändiger, kennen, dem Mukhtar das Leben rettet und der schließlich sein bester Freund wird.

Der Reiselust Mukhtars ist es zu verdanken, dass er nach seinem Entschluss, seine Heimatoase zu verlassen, in Maon eintrifft, der Stadt des Sultans. Nachdem er in der neuen Umgebung vieles beobachtet hat, findet er Unterschlupf bei einer alten Frau, deren Katzen er fortan hüten muss. Das Stadtbild ist geprägt von einer augenfälligen Armut und von den mächtigen Mauern und dem Glanz des Sultanspalastes, zu dem er sich so manches Mal hinauf träumt, um die feenhafte Prinzessin Shakira, von der er nur das Beste hört, kennen zu lernen. Zu seinem großen Glück findet er bei der Alten zwei Zauberdinge: Pantoffeln und löwenhäuptiges Stöckchen. Mit ihrer Hilfe gelangt Mukhtar (schneller als es ihm vielleicht lieb ist) über die hohen Mauern in den Sultanspalast.

Noch größer wird sein Glück, als er, dort angekommen, auf ein Mädchen trifft, welches noch schöner als der junge Morgen ist. Verblüfft nimmt er an, dass sie bestimmt Prinzessin Shakira ist. Und wirklich, sie ist es tatsächlich! Jedoch die Prinzessin leugnet das zuerst. Sie beginnt ein Spiel und sagt Mukhtar, sie heiße Nefa und sei eine Sklavin des Sultans. Mukhtar setzt alles auf eine Karte. Er kennt die Macht der Zauberpantoffeln und will Murad Marat Hon, des Sultans Leibläufer, im Wettkampf besiegen, um für sich und seine geliebte Nefa ein gutes Auskommen zu finden, doch Nefa will ihn um jeden Preis davon abbringen. Wird es einen Wettlauf geben? Wenn ja, wie geht alles aus? Natürlich spannend und atemberaubend schnell. Dabei triffst du auf skurrile, dumme oder lustige Typen, auf verfremdete oder versteckte Anspielungen auf bekannte Firmen, Slogans und gängige Werbegags unserer Zeit. Und da gibt es noch Dschinni, den Geist aus der Lampe, der für allerlei Turbulenzen und Verwirrung sorgt.

Aber spielt die Geschichte nicht im 9. Jahrhundert? Ja und nein! Egal, gibt dich einfach dem Genuss dieses Buches hin und sei gewiss, dass die Lust am Weiterlesen nie versiegt, wenn du nur einmal damit angefangen hast …

Andreas A. F. Tröbs

Das Dorf und die Wette

Der Stich des Skorpions

Omar, ein einfacher junger Mann mit Lendenschurz, ausgemergeltem Körper und schmuddeligem Turban, zog mühelos den gefüllten Lederbalg voller Wasser aus dem Brunnen. Am Himmel, fernab, zogen einige Aasgeier gemächlich ihre Kreise. Aus dem Wüstendorf nahe der Gold- und Weihrauchstraße erklang wütendes Hundegekläff. Omar sah zu, wie sich zwei Hunde um einen alten Knochen balgten. Sie stritten und zerrten so heftig, dass Omar unwillkürlich für den schwächeren der beiden Partei ergriff. Doch wie immer gewann der mit der meisten Kraft und trug den Knochen wie eine Trophäe stolz davon. Die Pächter der Dorfkaten mit ihren buckligen Strohdächern, die sich teils selbstbewusst, teils angstvoll vor den mächtigen Sanddünen duckten, schien dieses Spektakel nicht zu stören.

Die Menschen hatten sich dieses Fleckchen Erde über Generationen hinweg erobert und ihm Ackerland, Obst- und Gemüsehaine, also ihre Lebensgrundlage, abgetrotzt. Omar widmete sich wieder seiner Arbeit. Die von der Quelle aufsteigende Kühle tat ihm gut, er atmete tief und sog genüsslich die feuchte Luft ein. Der schon fadenscheinige Sisalstrang rieb sich, wie seit Jahr und Tag, an dem trockenen Querholz über dem Brunnen. „Ganz schön dünn, dieser Strick, der müsste mal ausgewechselt werden!“, murmelte Omar mit prüfendem Blick und legte wie gewohnt die linke Hand auf die Brunneneinfassung. Plötzlich spürte er einen furchtbaren Schmerz in dieser Hand. Mit einem lauten Aufschrei fuhr Omar zusammen und sah einen Skorpion, der immer noch kampfeslustig seinen bewehrten Schwanz aufgestellt hatte. Doch schließlich sah das Tier sein Heil offenbar doch in der Flucht. „Du verdammtes Mistvieh!“ Omar starrte ungläubig auf das giftige Gliedertier und rief erbost: „Warte, ich will dich lehren, einen rechtschaffenen Mann zu stechen!“ Zornig griff er nach einem Stein und zermalmte das giftige Tier mit einem Schlag. Schadenfroh beobachtete er seine letzten Zuckungen und frohlockte: „Du wirst keinen mehr stechen, du alte Bestie!“, lachte kurz und böse auf, kratzte mit einem Holzstück den Brunnenrand sauber und schaute sich nach allen Seiten um. „Komisch, kein Mensch weit und breit zu sehen“, dachte er. „Selbst das Hundegebell hat niemanden aus seiner Hütte gelockt! Wo sind denn nur die jungen, hübschen Sklavinnen von Hassan Ibn Odd Set? Normalerweise sind die immer die ersten! Lachen und albern hier rum, sind kess, manchmal richtig anzüglich und verbreiten Leben auf diesem grünen Wüstenfleck!“ Er lächelte trotz seiner Schmerzen: „Wie mich Leila, dieses samtäugige Kätzchen, immer anschmachtet, obwohl sie weiß, dass ich Weib und Kinder habe!“ Die schmerzende Hand riss ihn kurz aus den Gedanken, dann wunderte er sich wieder: „Ist das nicht seltsam? Keine Menschenseele zu sehen!“ Plötzlich fiel es ihm ein, seine Augen begannen zu leuchten und er rief: „Ich Trottel! Vergangene Nacht wurden ja die Uhren umgestellt, wir haben ja jetzt Sommerzeit! Aber ich darf um diese Zeit schon Wasser holen!“, nörgelte er, „da kennt Latifa nichts!“ Er spürte, wie der hinterhältige, ziehende Schmerz zunahm, sich in wellenartigen Krämpfen den Arm hinaufzog und im Kopf weiterpochte.

Omar schüttelte sich wie einer der Hunde, die er beobachtet hatte, biss die Zähne zusammen und versuchte, das Gift aus der kleinen Wunde zu saugen. Erfolglos, denn er hatte nichts, um die Wunde zu öffnen. Nichts Scharfes, nichts Spitzes. Die Wunde einfach mit den Zähnen aufbeißen? Dazu fehlte ihm Entschlossenheit und Mut. Sein Mund wurde trocken und ein jähes Zittern erfasste ihn. „Jetzt nur nicht schlappmachen!“, schoss ihm durch den Kopf. In seiner verzweifelten Lage entdeckte er Latifa, sein Weib, das mit großen Schritten angelaufen kam. „Endlich kommt mein Weib! Sie wird aus allen Wolken fallen, wenn sie hört, was mir widerfahren ist! Sie wird mir Trost spenden und bestimmt Mittel und Wege wissen, um mir zu helfen!“, freute sich Omar.

„Bei Allah!“, rief Latifa, kaum, dass sie in Hörweite war. „Ich denke: Omar wird schon alle Krüge mit Wasser gefüllt haben und ich kann gleich zwei mitnehmen. Aber nein, der Herr ruht sich lieber aus, hält Maulaffen feil und lässt Allah einen guten Gott sein! Wahrscheinlich glaubt er, nicht am Brunnen, sondern mit der Wasserpfeife im Kaffeehaus zu sitzen, um mit den Männern über die Weiber zu tratschen!“ Ihre Stimme wurde noch schärfer: „Ich muss das Baba ghanush vorbereiten, die Kinder haben Hunger!“ Omar schaute nur wortlos, stützte sich auf und verbiss sich ein Stöhnen.Aus seiner sonst so braunen Haut schien alle Farbe gewichen, seine Augen hatten den gewohnten Glanz verloren und er keuchte hörbar: „Ich wurde eben von einem Skorpion gestochen, mir ist jetzt nicht nach Witzereißen! Bist du von allen guten Geistern verlassen, mich hier so zu überfallen? Lass mich jetzt erst einmal in Ruhe und vor allem mit deinem Baba ghanush zufrieden!“ Latifa stemmte beide Arme in die Hüften und wetterte: „So, du wurdest also von einem Skorpion gestochen? Das ist noch lange kein Grund, dass du mich auf mein Wasser, das ich so dringend brauche, warten lässt! Ich werde dir helfen …“ Doch sie wurde unsicher und erklärte, nun etwas versöhnlicher: „Stell dich nicht so an! Konntest du nicht besser aufpassen! Wie kann man nur einen Skorpion übersehen?“ Sie beruhigte sich und prüfte kritisch den Stich: „Also Omar! Ich kann nicht viel erkennen. Diese Stelle hier ist leicht gerötet und etwas geschwollen – daran stirbt man nicht!“

„Aber der Skorpion ist doch giftig!“ Omar sah seine Frau verstört und vollkommen fassungslos an.

„Giftig? Dass ich nicht lache! Nicht jeder Skorpion bringt einen Menschen um!“, belehrte sie ihn. „Eine Kobra ist giftig, wirklich giftig! Aber ein Skorpion? Lächerlich, einfach lächerlich, aber das kriegen wir wieder hin! Wir haben Wasser, Tücher und heilenden Tee. Du wirst sehen, wie schnell das Gift damit ausgetrieben wird!“ Sie betrachtete ihren Mann mit hellen, spöttischen Augen.

Plötzlich wurde sie nachdenklich: „Pass auf: Wenn du schon mal dieses Missgeschick …“ Sie hielt inne und formulierte den Satz mit verschlagener Miene neu:

„Das trifft sich gut!“

„Was trifft sich gut?“ Er schaute verständnislos.

„Na, dass dich ein Skorpion gestochen hat!“

„Das ist nicht dein Ernst!“ Omars Gegenwehr war schwach. Er erhob seine Augen zum Himmel. „Schau dir die Geier an! Sie kreisen schon. Sie warten nur auf eine Gelegenheit, um herabzustoßen. Dabei ist es ihnen egal, ob ich noch am Leben bin. Wichtig ist, dass ich mich nicht mehr wehren kann. Diese Kreaturen! Die kommen in Scharen, trampeln auf mir herum und zerren mein letztes bisschen Leben aus dem Leib. Dann liege ich still und bin ein gefundenes Fressen für diese gefiederten Teufel!“„Nun ist es aber gut mit dieser Schmierenkomödie!“„Schmierenkomödie? Ich sah vor dem Unglück noch keine Geier am Himmel kreisen! Erst kurz nach dem Skorpionstich, da waren sie plötzlich da!“ Er flüsterte mit geistesabwesenden, verschwörerischen Augen: „Es scheint, als hätten sich Skorpion und Geier abgesprochen!“

„Ja, ja! Fragt sich jetzt nur noch, wer wen geschickt hat! Waren es die Geier, die sagten: ‚Hey, Skorpion, stich doch schnell mal den Omar, wir hatten lange nichts mehr zu fressen!’ Oder führte gar der Skorpion die Regie und sagte: ‚Hey, Geier! Ich steche jetzt den Omar, aber ihr müsst mich dann vor ihm beschützen, weil ich euch etwas zum Frühstück besorgt habe!’“ Latifa schaute zu Boden und fuhr mit dem Fuß über die Überreste des Skorpions. „Aber aus dem Schutz scheint nicht viel geworden zu sein!“, stichelte sie, strich ihrem Mann über den Kopf und flüsterte: „Armer Omar! Ich habe es doch nicht böse gemeint, als ich sagte, dass es sich gut trifft! Eigentlich wollte ich damit sagen, dass wir, wo dich nun einmal unglücklicherweise dieser dreimal verfluchte Skorpion gestochen hat, noch unseren Nutzen aus diesem Unglück ziehen könnten!“ Omars halb geschlossene Augen öffneten sich augenblicklich. „Weib, bist du noch bei Sinnen? Du willst einen Nutzen aus meinem Unglück ziehen?“

„Aber klar doch!“ Sie machte eine Pause: „Ich sage nur: Hassan Ibn Odd Set!“, und in ihren Augen funkelte es geschäftstüchtig. Omar stöhnte, aber dieses Mal nicht wegen der Schmerzen: „Hassan Ibn Odd Set, der Dorfälteste!“ Jetzt begriff er: „Du willst um mein Leben wetten?“ Sie bejahte und nickte heftig mit dem Kopf, schüttelte ihn aber gleich wieder resolut. „Nicht ich werde um dein Leben wetten, sondern Hassan Ibn Odd Set! Du bist lediglich das Wettobjekt!“ „Wettobjekt? Geht’s noch? Kennst du eigentlich Hassan Ibn Odd Set? Du weißt doch, dass der nicht rechtschaffen ist und die Leute betrügt!“, keuchte er. „Wenn sie betrogen werden wollen?“ „Komm jetzt!“, versuchte Omar, sie von ihrem Vorhaben abzubringen, „Wette! Mach nicht so ein Aufsehen! Wir gehen still in unsere Hütte und du machst mich wieder gesund – fertig!“ „Aber es fallen doch genügend auf seine üblen Machenschaften herein!“, verbiss sie sich in ihren Gedanken und spann ihn weiter: „Hast du nicht begriffen? Jetzt sind wir einmal dran, den Reibach zu machen! Für uns! Verstehst du, für uns allein! Omar, das ist unsere Chance, endlich eine zweite Ziege zu bekommen oder vielleicht sogar einen Ochsen! Das wäre doch gelacht, wenn uns das nicht gelingen würde! Wir wissen, dass dieser Stich (Allah möge uns beistehen) nicht tödlich sein wird! Du musst einfach nur so tun, als ob du mit dem Tode ringst! Also nur laut genug schreien, dich zu unserer Hütte schleppen und auf unser Lager werfen! Glaub mir, du wirst sehen, wie sehr das Hassan Ibn Odd Set imponieren und wie sehr er uns bei unserem kleinen Trick helfen wird. Weil er dann glaubt, sich damit selbst am meisten zu helfen!“ „Trick? Wieso?“ Omar hatte plötzlich Mühe, sich zu konzentrieren. Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. „Ganz einfach!“, erklärte Latifa geduldig: „Hassan Ibn Odd Set macht die Leuten glauben, dass du an diesem Stich sterben wirst, aber in Wirklichkeit setzt er heimlich auf deine Genesung. Nur so kann er ein Geschäft machen, nur so macht er immer seine Geschäfte!“ Sie ließ ihn nicht mehr antworten, schob sich unter seinen Arm und flüsterte: „Hab Vertrauen, Omar, alles wird gut! Los, stütz dich auf mich, mach ein schmerzerfülltes Gesicht, vergiss nicht, laut wehzuklagen, und lass mich nur machen!“ „Da brauche ich mich gar nicht zu verstellen!“, jammerte Omar wahrheitsgetreu. Latifa winkte ab und schob sich noch weiter unter Omars Arm. Sie taumelte unter seinem Gewicht und verließ mit ihm mehr schwankend als laufend den Brunnen: „Hilfe, Hilfe! Omar wurde von einem wilden Skorpion gestochen, seht nur, wie sehr er leidet und wie schlimm er zugerichtet ist!“, rief sie unaufhörlich und stöhnte laut, weil sie unter dem Gewicht ihres Mannes fast zusammenbrach. Omar gab die zweite Stimme in diesem Trauerspiel, sodass das laute Gemeinschaftsgezeter seine Wirkung nicht verfehlte.

Die Wette

Die stille Ortsmitte füllte sich rasch mit Menschen, die das laute Spektakel mitleidig oder sensationslüstern betrachteten. „Wetten, dass der das nicht mehr lange macht!“, hört man einen rufen. „Ich halte dagegen“, meinte ein anderer, „der Stich eines Skorpions ist zwar heimtückisch, aber nicht immer tödlich!“, und glotzte wie ein stupider Komodowaran.

Es dauerte nicht lange, da ertönte von hinten eine herrische Stimme: „Platz da, aus dem Weg!“ Der Besitzer der Stimme, Hassan Ibn Odd Set, ein mittelgroßer, fetter Mann mit faltigem Bulldoggengesicht, stechendem Blick, wehendem Gewand und breitem Leibgürtel, bahnte sich resolut einen Weg durch die gaffende Menge: „Oh Omar, konntest du nicht aufpassen? Weißt du nicht, dass der Stich eines Skorpions tödlich ist?“, begann er ohne Umschweife und mit täuschend echtem Mitleidsgesicht. „Du weißt, was das Reglement in solch einem Fall vorsieht?“ Er betrachtete Omar lauernd und mit kalten Augen. Als dieser nicht antwortete, setzte er nach: „Nein? Macht nichts, ich sag’s dir besser noch einmal! Also: Begib dich direkt in deine Hütte, beschleunige deinen Schritt, gehe nicht über Umwege und ziehe bei mir noch keine 400 Sultanos ein!“ Danach heulte er mit falschem Mitleid wieder: „Ach, Omar, ich hörte, was dir widerfuhr. Wie konnte das nur geschehen? Allah ist mein Zeuge, das wir alle mit dir fühlen. Sei unbesorgt, ab jetzt geht alles seinen geregelten und oasischen Gang. Jetzt im Augenblick errichten meine Sklaven beispielsweise gerade das mobile Wettbüro vor deiner Hütte. Das ist wichtig! Du weißt doch, wie sehr die gesamte Dorfbevölkerung darauf erpicht ist, mit dir ‚mitzufiebern’ und deine Genesung mit einer Wette zu unterstützen. Sag nun frei heraus, was ich noch für euch tun kann!“ Ohne ihn zu Wort kommen zu lassen, setzte er nach: „Armer Teufel! Tut es denn sehr weh?“ Dann näherte er sein faltiges Doggengesicht an Omars Ohr und sabbelte: „Stirb mir ja nicht hier auf der Straße, hörst du! Bei mir steht noch keine einzige Wette zu Buche. Du weißt doch, zehn Prozent von allem gehört dir oder deiner Witwe!“ Er lachte verächtlich und zischte: „Nichts für ungut! War nur’n Scherz! Also los, ab! Husch, husch, ab in die Hütte!“ Er rieb sich hinter ihrem Rücken die Hände und rief ihnen mit lauter und aufgeräumter Stimme nach: „Und die Hütte darfst du keinem anderen außer mir öffnen! Denk an das Reglement! Hörst du?“

Dann überließ er die beiden ihrem Schicksal und eilte davon, um sein Wettbüro, das auch an diesem Tag wieder Wetten auf Leben oder Tod annahm, so schnell wie möglich zu öffnen. Die Luft in dem einzigen Raum der winzigen Hütte, die sich Omar und Latifa mit ihren drei Kindern und einer Ziege teilten, war heiß und stickig. Latifa hatte die ganze Nacht an Omars Lager gewacht. Diese Nacht hatte alle Spottlust von ihr genommen, denn Omars Arm war zu einem unförmigen Klumpen angeschwollen, und sein Zustand hatten ihr tiefe Falten in die Stirn gegraben. Er redete im Fieber und warf sich unter lautem Stöhnen hin und her. Der Morgen graute. Mit dem Geschrei der Kinder erhob sich auch ein lautes Meckern der Ziege, deren Euter voll und deren Magen leer war. Rastlos wechselte Latifa die kühlenden Tücher auf Omars Arm. Das Feuer unter dem gusseisernen Wasserkessel drohte zu verlöschen und musste mit frischem Brennmaterial versorgt werden. Als erstes nahm Latifa die Ziege aus dem Verschlag, schob sie unsanft zur Tür hinaus und rief: „Mach, dass du rauskommst! Such dir im Hain was zu fressen!“ Dann wandte sie sich um und sah nach den Kindern. Den beiden größeren gab sie die Reste vom Baba Ghanush in je eine Holzschüssel und hieß sie, es zu essen. Das jüngste nahm sie auf den Arm, legte es an und setzte sich mit lautem Schnaufen an Omars Lager. Omar war erwacht und sah sein Weib mit liebevollem Blick an: „Gut, dass ich in den vergangenen Tagen für genügend Brennmaterial gesorgt habe!“, und schaute zu dem großen Haufen getrockneten Kamelmist, der etwas entfernt in einer Ecke lag. Sie lächelte schwach und strich Omar sorgenvoll über die Stirn: „Dass dir dieser verwünschte Skorpion so arg zusetzen würde, hätte ich auch nicht gedacht!“ „Aber, Latifa, daran stirbt man doch nicht!“ Er versucht ein zaghaftes Lächeln: „Das habe ich jedenfalls nicht vor. Zwar wird es schwer für dich, da du jetzt statt drei plötzlich vier Kinder hast. Aber“, er versuchte, Zuversicht und Hoffnung in seine Stimme zu legen, „du wirst sehen, in ein paar Tagen bin ich wieder auf den Beinen!“ Seine Stimme klang rau und kratzig. Er räusperte sich: „Ich werde leben und denen etwas husten!“ „Du hast recht, ich will alles tun, damit es dir bald wieder besser geht! Aber unser Gewinn wird einmalig sein. Schau dir Hassan Ibn Odd Set an, beim Propheten! Der gewinnt immer! Und was der alles besitzt: drei große Felder mit je einem Brunnen, ein richtiges Haus, sogar Sklaven, viele Kamele, Ochsen, Ziegen und Frauen und was weiß ich nicht noch alles!“

„Hassan Ibn Odd Set!“ Omar lachte bitter. „Der hat sich doch dem Scheitan verschrieben, irgendwann wird der kommen, um ihn zu holen. Das ist keiner, an dem man sich ein Beispiel nehmen kann. Hörst du, Weib!“ Er schnaufte vor Anstrengung, der Schweiß brach ihm aus. „Das ist kein Beispiel für uns! Wir wissen, was er mit dem gewonnenen Vieh anstellt. Jawohl! Er treibt es auf den Basar von Sultanstadt und wandelt es dort in klingende Münze um. Er ist der Einzige hier im Dorf, der Sultanos oder gar Gold besitzt. Bei Allah, der Scheitan soll ihn holen, diesen dreimal verfluchten Halsabschneider, der mit unsereinem seine miesen Geschäfte macht!“

Im selben Augenblick ertönte draußen vor der Hütte die laute und markante Stimme Hassan Ibn Odd Sets, lockend und geschäftstüchtig. „Leute, eilt herbei und wettet! Keiner weiß, wie Omars Chancen stehen! Wir alle fühlen mit ihm, aber ihr kennt das Reglement! Bei Gewinn verdoppelt sich euer Wetteinsatz, und bei Niederlage verliert ihr euren Wetteinsatz. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Zögert nicht länger! Nie war es einfacher, neuen Reichtum zu erlangen!“ Er zeigte sich leutselig und aufgeräumt: „Ah, Achmed! Guten Morgen! Was bringst du mir? Oh, einen Ochsen!“, dann rief er laut: „Leute, schaut Achmed an: Den Tüchtigen und den Mutigen hat Allah lieb! Ihm ist das Glück hold!“ Dabei klopfte er dem schüchternen Mann auf die Schulter und flötete: „So, Achmed, geh nun wieder an deine Arbeit! Ich werde dich im Gewinnfalle informieren, Allah sei mit dir und deiner Familie! So, der nächste!“ Das Scharren und Murmeln der Leute, die sich bereits seit einiger Zeit vor dem Wettbüro drängten, erhob sich wie Aasgeierrufe in die Luft und vermischte sich mit dem Meckern und Muhen ihrer Tiere. Die Tiere waren ihr Wetteinsatz, sie waren die Träger ihrer Hoffnungen auf eine bessere Zukunft. An etwas anderes dachten sie nicht, zu groß war ihre Hoffnung auf einen Gewinn.

„Wie geht es Omar?“, erkundigte sich ein kleines, dürres Männchen mit großen Augen. „Bei Allah, Laeith, du weißt doch genau, dass das Reglement verbietet, Auskünfte über betroffene Personen zu erteilen!“ Hassan Ibn Odd Set, der das sagte, blitzte Laeith aus listigen Schlitzaugen an. „Ich wollte dich doch nur fragen! Schließlich ist das meine letzte Ziege, die ich besitze. Sie ist zwar alt und dürr, aber sie gibt immer noch jeden Tag, den Allah werden lässt, ein bisschen Milch!“ Hassan Ibn Odd Set winkte den Alten nah zu sich heran und flüsterte verschwörerisch hinter vorgehaltener Hand: „Eigentlich dürfte ich es dir nicht sagen!“, er rollte Angst einflößend mit den Augen. „Du weißt doch: das Reglement!“ Hassan Ibn Odd Set machte eine gezielte Pause, ehe er weiterflüsterte: „Omar soll es gar nicht gut gehen!“ Er setzte eine mitfühlende Miene auf, die der Alte, ohne es zu bemerken, kopierte und dabei sehr ernst blickte und heftig nickte.

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264 стр. 25 иллюстраций
ISBN:
9783847607236
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Bookwire
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