Читать книгу: «Pfad des Feuers», страница 14

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IV

Sirian erwachte im stinkenden Wasser der Kanalisation.

Seine Glieder schmerzten, sein ganzer Körper fühlte sich an, als stecke er in einer eisernen Jungfrau.

Ich lebe noch …, dachte er erleichtert und kroch aus dem Wasser hinaus, zog sich mit letzter Kraft auf den rettenden Steinrand, der breit genug war, dass er sich auf ihn legen konnte; mit einem Ächzen legte er sich auf den Rücken, atmete tief durch und die Schmerzen in seinem Körper ließen ein wenig nach. Über ihm spiegelten sich die Reflektion der Fackeln im Dreckwasser, tanzten auf dem Tunnelgewölbe über ihm und Sirian schloss kurz die Augen, versuchte sich zu erheben, doch es gelang ihm nicht. Er spürte seine Beine nicht mehr.

Was ist passiert? Ich muss auf meinen Kopf gefallen sein, als … als der Fremde mich in die Kanalisation geworfen hat! Er wollte mich vor Azard schützen, der uns im nächsten Augenblick gefunden hätte; Azard … er hat Melanie getötet!

Mit einem Schlag waren die Erinnerungen wieder da und ruckartig setzte Sirian sich auf, ein stechender Schmerz schoss durch seinen Rücken; ein scharfes Knacken hallte durch die Kanalisation. Sirian verzog das Gesicht, seine Hände fuhren zu seinem Kreuz und er lehnte sich an die kalte Steinwand zu seiner Seite.

Melanie war tot. Seine zum Sterben verdammte Schwester war ihm genommen worden, durch einen kaltblütigen Mord, an dem er schuld war.

Ich habe ihr nie gesagt, dass sie sterben wird. Sie starb mit der Hoffnung wieder gesund zu werden. Sie starb in der Hoffnung, sie würde einmal aus der Hafenstadt herauskommen und ein schönes Leben führen …

Er hatte es ihr nicht gesagt; woher hätte sie es wissen sollen?

Und das nur, weil ich zu feige war, es ihr zu sagen. Sie wäre ermordet worden in dem Wissen, dass ihr damit ein viel schrecklicherer Tod genommen wird. Aber jetzt …

Sirian erbebte, heiße Tränen schossen in seine Augen und er schloss sie, lehnte seinen Kopf an die kalte Steinwand.

Er erinnerte sich an das erste Gefühl, das er empfunden hatte, als er erfahren hatte, dass seine Schwester wahrscheinlich tot war … Erleichterung.

Ich war erleichtert darüber, dass ich es ihr nicht mehr sagen musste … erleichtert darüber, dass ich ihr die Botschaft nicht würde überbringen müssen.

Sirian schüttelte in stiller Agonie den Kopf, bedeckte die Hände mit dem Gesicht und die Tränen rannen seine Wangen hinab, durch seine Finger hindurch und fielen glitzernd auf den dreckigen Steinboden.

Wie konnte er jemals wieder in den Spiegel sehen, wissend, dass er den Tod für seine Schwester noch schwerer gemacht hatte, als es ohnehin für sie gewesen wäre?

Er weinte.

Jedoch nicht wegen der Trauer oder wegen des Verlusts; sondern weil er nicht so empfand, wie er es als Bruder hätte tun sollen. Er sollte bestürzt sein über ihren Tod, sollte fluchen und weinen, weil er sie nicht hatte retten können. Stattdessen … blieb nur diese Leere und die Erleichterung, dass er niemals wieder mitansehen müsste, wie sie litt.

Die Wahrheit war es, wegen der er weinte; nämlich, dass er seine Schwester schon lange aufgegeben hatte, bevor sie ermordet worden war.

Ich war nicht für sie da, als sie mich am meisten brauchte; ich hätte es ihr sagen sollen, das weiß ich. Sie hätte es wissen wollen. Aber jetzt ist es zu spät.

Sirian löste seine Hände von seinem Gesicht, hievte sich auf die Knie und mit einem Keuchen erhob er sich, ein weiteres Mal knackte sein Rücken. Irgendwo hier musste es einen Ausgang geben!

Sirian hatte keine Ahnung, wie weit ihn das Wasser getrieben hatte; er könnte nun wahrlich überall in der Stadt sein.

Ich muss Aaron warnen! Wenn dieser Mörder hinter mir her war, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis er auch bei Aaron auftaucht; Aaron hat Familie.

Doch zuerst musste er sich irgendwo verstecken und sich kurz erholen, bevor er zu Aaron aufbrach.

Aber wer würde mich schon aufnehmen? Keiner, der ein wenig Verstand hat, gewährt einem von Mördern Gejagtem Asyl …

Sirian humpelte einige Schritte durch die Kanalisation und versuchte die schwarz werdenden Ränder seines Blickfelds zu ignorieren; seine Seite brannte höllisch und sein Rücken fühlte sich an, als sei seine Wirbelsäule ein gebrochener Ast.

Endlich erreichte er eine alte Holztür, von der er hoffte, dass sie ihn nach oben bringen würde. Als er seine Hand auf die Klinke legte und sie herunter drückte, öffnete sich die Tür mit einem leisen Klicken und Sirian seufzte erleichtert.

Der Letzte Herrscher hat mich wohl nicht ganz verlassen …

Sirian torkelte die steinerne Treppe hinauf und verdrängte den Gestank nach Mist und Exkrementen, der von ihm ausging.

Die Kanalisation und die darunterliegenden Katakomben waren eigentlich unzugänglich und wohlweislich verschlossen worden; kein Vertreter der Herrschaftsschicht wollte riskieren, dass die Schmuggler und Banditen die Kanalisation als Transportweg nutzten und sich so dem Zugriff der Gardisten entzogen. Der Letzte Herrscher hatte damit eigentlich weniger zu tun, seine Gefolgsleute wollten ihm nur alle entgegen arbeiten. So funktionierte der Staat Ascentás; ihr Gott gab nur Impulse und äußerte Wünsche – seltsamerweise strengte sich jeder nach Kräften an, jeden dieser Wünsche Realität werden zu lassen.

Als er hinaus an die Luft trat, umschlang ihn die vollkommene Dunkelheit der Nacht.

Weder regnete es, noch schneite es, die Luft war kühl und einen wunderbaren Augenblick lang fiel der Gestank von Sirian scheinbar ab. Der junge Adept atmete tief durch, legte den Kopf in den Nacken und lehnte sich an die Schwelle zur Kanalisationstür.

Kurz fielen die Schmerzen von ihm ab, sein gehetzter Atem beruhigte sich und erst jetzt hatte er das Gefühl, wirklich entkommen zu sein.

Ich bin in der Oberstadt! Hier wird man mich wohl kaum verfolgen und öffentlich umbringen; es hätte eindeutig schlimmer kommen können …

Wäre er in der Unterstadt herausgekommen, hätte das im Prinzip keinen Unterschied zur Hafenstadt gemacht. Hier in der Oberstadt jedoch, gab es Wachen und Gardisten, die durch die Straßen und Gassen patrouillierten, damit die Adeligen und Reichen der Hauptstadt ruhig schlafen konnten.

Sirian verließ die Gasse, von der aus man in die Kanalisation gelangte, trat auf eine der großen Straßen der Oberstadt und machte sich daran, zwischen den Ausgang der Kanalisation und sich so viel Entfernung zu legen, wie ihm nur irgend möglich war.

Er kannte nur einen einzigen Mann in der Oberstadt, der unter Umständen bereit wäre, ihn kurz aufzunehmen, damit er sich wenigstens waschen konnte.

Das Haus, das er suchte, stand am Ende der Straße und der Mann, zu dem er wollte, war ein gewisser Liyold. Er hatte Sirian damals aus dem Ghetto der Hafenstadt herausgeholt und in ein Ausbildungslager des Ordens geschmuggelt, wo man ihn für einen jungen Adepten hielt und ausbildete. Liyold war ein guter Freund seines Vaters gewesen und als dieser in Sirians dreizehntem Lebensjahr gestorben war, hatte Liyold das für ihn getan.

Kurz darauf hatte man den Betrug aufgedeckt, Sirian verhaftet und Liyold aus dem Orden ausgeschlossen. Seitdem hatte er ihn nur zwei weitere Male gesehen, das letzte Mal beim Begräbnis von Liyolds Frau.

Wäre Liyold nicht ein guter Freund Aarons gewesen, dann hätte es niemanden gegeben, der ihn aufgenommen hätte, eher im Gegenteil – er säße bis heute im Kerker.

Ekel überkam Sirian, als er an die Beerdigung von Liyolds Ehefrau dachte; man hatte sie in weiße Tücher gewickelt und einfach ins Meer geworfen, als wäre sie nicht mehr als Dreck, den es zu beseitigen galt. Zu jener Zeit hatte man Liyold wieder freigelassen in Rücksicht auf die lange Karriere im Ordens, die Liyold hinter sich hatte.

Liyolds Haus lag etwas abseits der anderen und fiel vor allem durch seine einfache Bauweise auf. Im Grunde war es ein Haus, wie man es in der Unterstadt fand, nur sah es nicht aus, als würde es bald zusammenfallen. Kalter Wind fegte durch die Straßen und Sirians Kleidung knirschte bei jeder Bewegung, da das Wasser in ihr langsam zu gefrieren begann. Zitternd schlang er die Arme um seinen Oberkörper, trat durch den kleinen Vorgarten und klopfte laut an die Tür.

Bitte sei da!, flehte Sirian in Gedanken.

Nervös sah sich Sirian über die Schulter, die Straße entlang. Niemand. Nicht einmal ein einziges Geräusch ertönte, nichts. Es war eine vollkommen ruhige Nacht. Von der anderen Seite der Tür her drangen die Geräusche schlurfender Schritte an Sirians Ohr, jemand fluchte leise, dann öffnete sich die Tür einen Spalt breit und jemand lugte vorsichtig heraus; Sirian atmete erleichtert aus.

„Wer da?“, knurrte eine kratzige Männerstimme leise und Sirian erkannte sie sofort wieder.

„Ich bin's! Sirian! Bitte, mach die Tür auf, Liyold!“, antwortete Sirian ebenso leise.

Die Tür wurde aufgerissen und an ihrer Stelle erschien ein etwas kleinerer Mann mit langem grauen Haar, das er im Nacken zusammengebunden hatte. Obwohl er zweifellos alt war, strahlte er noch immer dieses gewisse Etwas aus. Man hatte sofort das Gefühl vor einer Respektsperson zu stehen, wenn man Liyold sah.

Wahrscheinlich ein Grund dafür, dass er es im Orden einmal so weit gebracht hat …

„Sirian? Was im Namen des Letzten Herrschers machst du hier?“

Liyold verzog sein Gesicht, rümpfte die Nase und wandte kurz den Blick ab.

„Und wo hast du dich verdammt nochmal herum getrieben? Du stinkst widerlicher, als das Bordell in den Slums!“

Sirians Augenbrauen wanderten in die Höhe und unwillkürlich brachte er ein schwaches Lächeln zustande, wenngleich sein Körper gleich den Dienst zu versagen schien.

„Woher weißt du, wie es in dem Slumbordell riecht?“

Liyold schnaubte verächtlich, stützte sich auf den Gehstock, den Sirian erst jetzt bemerkte und musterte Sirian abschätzend.

„Vom Hörensagen – und jetzt sag mir sofort, was du hier willst, oder ich setze dich an die frische Luft!“

„Ich bin am Erfrieren, Liyold. Viel schlimmer könnte es nicht werden …“, Sirian trat einen Schritt näher, schloss kurz die Augen, bevor er weitersprach.

„Bitte, lass mich rein! Ich habe mächtigen Ärger am Hals, wenn du mich nicht rein lässt …“

„Das ist nur ein weiterer Grund, dich nicht rein zu lassen! Mach dich vom Acker, sonst weckst du meine Frau!“, unterbrach Liyold Sirian mürrisch und schickte sich an, die Tür zu schließen.

Sirian streckte eine zitternde Hand nach der Tür aus, drückte dagegen und starrte Liyold eindringlich in die Augen.

„Ich war auf dem Begräbnis deiner Frau Liyold. Bitte lass mich rein. Melanie wurde ermordet …“

Liyold hielt inne, starrte Sirian verblüfft an, dann seufzte er leise und winkte Sirian herein.

„Ach verdammt, dann geh schon rein, aber fass' nichts an! In meiner Wohnung steht noch von heute Nachmittag ein Zuber, spring da rein! Der Gestank ist unerträglich!“

Dankbar nickte Sirian, betrat das Haus und schloss hinter sich die Tür.

Das ganze Haus war voller Skulpturen, Gemälde und antiker Waffen und es fiel Sirian wirklich schwer, nichts anzufassen. Er wusste, dass Liyold im Kontinent weit herumgekommen war, weiter als jeder andere, den er kannte. Laut seinen Erzählungen und den Artefakten hier war er schon in allen Königreichen gewesen, bis auf Iridania, das große Kaiserreich, die ewige Wüste. Leute aus dem Norden waren dort nicht gerne gesehen und galten allgemein als vogelfrei.

„Ich sagte 'fasse nichts an' und geh in den verfluchten Zuber! Ich habe keine Lust heute noch einmal zu putzen! Vor allem, da ich, wie du ja schon so schlau bemerkt hast, keine Ehefrau habe, die das für mich machen könnte, so wie dieser Aaron!“, drang eine Stimme aus einem anderen Raum und gehorsam tappte Sirian zu dem Zuber und ließ sich samt der Kleidung hineinsinken. Das Wasser war eiskalt und Sirian biss die Zähne zusammen, damit sie nicht klapperten, aber alleine der Luxus von frischem, nicht stinkenden Wasser, war für ihn Grund genug, über die Temperatur hinweg zu sehen – dieses eine Mal.

Nach einem Augenblick kam auch Liyold zu der Wanne geeilt, in seinen Händen jeweils zwei schwarze Flaschen haltend. Ohne ein Wort zu sagen, entfernte er die Korken und kippte jeweils drei Tropfen von beiden Substanzen in das Wasser. Schlagartig wurde das Wasser warm und der Gestank der Kanalisation wurde durch einen ausgeprägten Lavendel-Geruch ersetzt. Der Dreck schien aus Sirians Kleidung gezogen zu werden, die Kälte verschwand endgültig aus Sirians Gliedern und er stöhnte zufrieden auf, ließ sich tiefer in das Wasser sinken.

„Das Zeug kostet so viel wie mein Haus, hab's von einem Schamanen aus Sarraka. Die Kerle dort wissen wirklich, wie es sich leben lässt. Wenn du aus dem Wasser heraus kommst, wirst du sofort trocknen, so dass du mir nicht alles dreckig machst.“

Liyold setzte sich an den Zuber, stellte die beiden schwarzen Flaschen weg und verschränkte wartend die Arme.

„Und jetzt sag mir, was mit deiner Schwester geschehen ist … ich habe vorhin wirklich geglaubt, du hättest gesagt, sie sei ermordet worden.“

Sirian hörte auf mit den Händen durch das warme Wasser zu streichen und starrte auf die wogende Wasseroberfläche. Er wollte noch nicht darüber reden.

Ich hatte nie vor, es ihm zu erzählen. Er hat sich nie um Melanie gesorgt und mir die Arbeit überlassen, als ich ihn gefragt hatte, ob er mir helfen wolle. Aber nun, da es ausgesprochen ist, komme ich wohl nicht mehr darum herum …

Die aufkeimenden Bilder in seinen Gedanken erstickend, legte er den Kopf in den Nacken und mied Liyolds forschenden Blick.

„Melanie wurde …“´, er stockte, schloss die Augen und seine Hände umklammerten fest den Rand des Zubers, „ich war kurz nicht da und jemand hat Männer dafür angeheuert, sie zu töten. Der Auftraggeber hat anschließend das Haus in Flammen gesetzt, zusammen mit denen, die er für den Mord engagiert hat.“

Er hob den Blick, sah Liyold direkt in die alten grauen Augen und in seinen Zügen standen Trauer, Zorn und brennender Hass.

„Ich war gerade nicht da, als es geschah! Ich konnte nichts tun …“

Liyold ließ den Kopf hängen und rieb sich mit einem endgültigen Seufzer die Stirn.

„Das … das tut mir leid. Sie war ein wunderhübsches, junges Mädchen … soweit ich mich erinnern kann; aber sie war mit Sicherheit zu jung und zu unschuldig, um zu sterben.“

Sirian erwiderte nichts, erwähnte nicht, dass sie ohnehin gestorben wäre und meinte irgendwo in der Ferne das Fauchen von Feuer zu hören, die Schreie der Menschen der Hafenstadt …

das Bild von Flammen, die das Haus seiner Schwester verschlangen.

„Wer? Wer würde so etwas tun? Und aus welchem Grund?“, flüsterte Liyold, beugte sich zu Sirian hinab und verzog seine Augen einen Moment zu Schlitzen.

Die Versuchung, es Liyold zu sagen, war groß. Beinahe hätte Sirian einfach alles herausgeschrien, was er wusste; dass Godric ermordet worden war, dass alle, die davon erfuhren und es nicht wissen durften, verschwanden … aber er durfte nichts verraten. Sonst würde Liyold ebenso verschwinden wie seine Schwester, einfach vom Antlitz Moréngards getilgt werden.

„Das kann ich dir nicht sagen. Ich würde dich nur mit hineinziehen in diese ganze Scheiße …“, wich Sirian endlich aus und ließ sich etwas tiefer ins Wasser sinken.

„Du weißt, dass du mir vertrauen kannst“, beharrte Liyold und legte seine Hände auf den Bottich, „sag es mir!“

Entschieden schüttelte Sirian den Kopf, erhob sich aus dem Zuber und trat aus ihm heraus.

Tatsächlich war er sofort trocken, nicht ein Tropen des – nun fast schwarzen – Wassers berührte den Teppichboden.

„Tut mir leid, aber ich kann nicht die Verantwortung für noch einen Toten tragen; dafür liegt mir zu viel an dir.“

Liyold schnaubte wütend, erhob sich ebenfalls und stemmte die Hände in die Hüften.

„Was machst du dann hier, wenn du es mir nicht sagen willst? Willst du über alte Zeiten plaudern? Dich irgendwo ausheulen? Wenn ja, dann suche dir gefälligst jemand anderen! Ich bin nicht Ragnir, ich bin nicht mehr zuständig für die Morde von unschuldigen Bürgern. Und selbst als ich es noch war, konnte ich nicht verhindern, dass Unschuldige zwischen die Fronten gerieten!“

Von all jenen Dingen, die Liyold sagte, blieb Sirian vor allem ein Name im Gedächtnis hängen; mit einem plötzlichen Lächeln im Gesicht klatschte er in die Hände.

„Das ist es!“, rief er aus und trat aus dem Zuber, eilte schnellen Schrittes auf die Türe zu.

„Was ist was? Verdammt, rede mit mir! Du bringst dich doch nur wieder in Schwierigkeiten!“, stöhnte Liyold auf, hechtete Sirian hinterher und hinderte ihn daran, aus der Tür zu laufen.

„Begreifst du es denn nicht? Du hast mir die Lösung doch gerade selbst gesagt!“

Sirian fasste Liyold an den Schultern und so etwas wie Schadenfreude trat auf sein Gesicht, als er daran dachte, was Azard bald geschehen würde, wenn alles so klappte, wie er es sich vorstellte.

„Ich gehe zu Ragnir! Ragnir ist der Einzige, den Azard fürchtet! Der Einzige, den er nicht töten konnte, auch als er noch einer der gefährlichsten Paladine des Ordens war! Ich werde gleich jetzt zu ihm gehen!“

Sanft aber bestimmt zog er Liyold aus dem Weg, streckte die Hand nach der Türklinke aus und öffnete die Tür. Liyold ließ es geschehen, trat einen Schritt zurück und schüttelte leicht den Kopf.

Sirian fluchte leise, wollte sich auf den Mund schlagen. In seinem Rausch hatte er Azards Namen erwähnt und damit war alles klar. Liyold wusste Bescheid.

„Liyold, ich …“, setzte Sirian an, doch der alte Mann unterbrach ihn mit einer Bewegung seiner Hand.

„Azard ist schwer zu kriegen, Sirian, aber ich mochte deine Schwester. Wenn du dir mit dem, was du vorhast, wirklich sicher bist, dann werde ich dich nicht aufhalten, aber ich möchte, dass du weißt, worauf du dich einlässt.“

Das Lächeln auf Sirians Lippen gefror und er senkte leicht den Blick, trat in die Türschwelle.

„Ich bin schon viel zu tief in die Dinge verwickelt, als dass ich mich jetzt noch zurückziehen könnte. Ich muss mich nur noch entscheiden, wie ich untergehen will. Kämpfend oder mich in einem dreckigen Loch verkriechend. Und ich bin zu alt,um mich zu verstecken.“

Sirian trat an Liyold heran, zögerte einen Augenblick, dann fiel er ihm um den Hals und drückte ihn fest an sich.

„Danke …!“

Liyold hielt verdutzt inne, bevor er die Umarmung fest erwiderte und sich schließlich von Sirian löste; er seufzte leise.

„Dann geh und kämpfe, so wie ich es von dir gewohnt bin!“

Sirian wandte sich um, lief aus dem Haus hinaus, die Sohlen seiner Lederstiefel knirschten im Kies.

An der Straße drehte er sich noch einmal um und hob eine Hand zu einem Abschiedsgruß.

V

Hoch über ihnen brauten sich dunkle Wolken zusammen.

Sie merkte es, als die Sterne am Himmel langsam zu verblassen schienen, die Sichel des Mondes zu einem wässrigen, matten Abbild verkam, dessen silbernes Licht kaum durch die dunkle Wolkendecke brechen konnte.

Luciana war alleine in dieser Nacht; die Flusspromenade der Unterstadt war nachts immer so gut wie leer, da die Gefahr überfallen zu werden, ziemlich groß war.

Ich denke, deswegen würden sich die Schmuggler hier mit mir treffen; wenn jemand an dieser Stelle der Unterstadt verschwindet oder tot aufgefunden wird, weckt das keinen Verdacht – es wäre ein normaler, trauriger aber mehr als nur realer Tag …

Da es mitten im Winter war, war die Sonne schon lange untergegangen und Luciana spürte ihre Glieder kaum noch, als sie sich von dem Ast des Baumes herunterfallen ließ, von dem aus sie das Haus überwacht hatte; augenscheinlich würde es keinen Hinterhalt geben, zumindest hatte sie niemanden auf dem Dach gesehen oder sonst etwas, das ihr Misstrauen erregen würde.

Eines der ersten Dinge, die sie während ihrer Ausbildung gelernt hatte, war es, den Ort für ein Treffen genau auszukundschaften; da sie keine Männer und auch ihre alte Truppe nicht mehr zur Verfügung hatte, musste sie dies nun selbst tun.

Sie sehnte sich bereits jetzt zurück zu ihrem Stoßtrupp, der sie zwar vielleicht nicht vollkommen geschätzt, aber wirklich respektiert hatte. Keiner der Männer hatte dies jemals zugegeben, jedenfalls nicht in ihrer Gegenwart, doch sie wusste es wegen der Art, wie sie zu ihr aufgesehen hatten – all das war nun weg, nichts mehr wert. Sie arbeitete für einen der besten Paladine des Ordens der Silberklinge und jagte einen Mörder, der sich von allen anderen in fast allen Belangen unterschied.

Mit einem Seufzen glitten ihre Gedanken wieder zu Godric, dem alten Priester, der sie aus den Trümmern ihres Elternhauses gezogen hatte, nachdem es abgebrannt war. Nur Alicia hatte noch überlebt; ihre Zieheltern waren von den Trümmern erschlagen worden.

Unwillkürlich fuhr ihre Hand zu dem Amulett um ihren Hals, das ihre magischen Fähigkeiten bannte und unter Kontrolle hielt; früher war es immer warm gewesen. Früher, als Godric noch gelebt hatte … jetzt war es eiskalt.

Wieso musstest du gehen? Wieso jetzt? Wieso auf diese Art und Weise? Ich habe mir immer vorgestellt, du würdest mich überleben, immer für mich da sein, wenn ich Hilfe brauche …

Luciana hob den Blick, lehnte sich an die Fassade eines Hauses und blickte hinauf in den bewölkten Himmel, eine einzelne Träne rann ihre Wange hinab.

Du hast mich zur Stadtgarnison gebracht, nachdem ich dem Orden unabsichtlich dabei geholfen hatte, eine Sekte von Magiern zu finden, die gegen den Letzten Herrscher rebellieren wollten. Du hast mein Talent erkannt, hast mit dem Erzbischof dafür gesorgt, dass ich als einzige Frau aufgenommen wurde – jetzt bin ich endlich hier, in einer Position, in die sich andere nur hinein wünschen können und du, dank dem ich all dies erreicht habe, … bist fort.

Luciana erinnerte sich an die Ausbildung; ja, sie wart hart gewesen, mehr als das sogar. Mehr als einmal war sie kurz davor gestanden, weinend das Handtuch zu werfen und einfach wieder in der Unterstadt zu verschwinden, doch Godric hatte sie jedes Mal aus ihrem Loch geholt und ihr geholfen. Er war ein guter Mensch gewesen, der es nicht verdient hatte, zu sterben.

Und auf keinen Fall auf eine so grauenhafte Weise, fügte sie in Gedanken hinzu und zuckte urplötzlich zusammen, als etwas knapp über dem Haus mit einem Zischen über sie hinweg schoss.

Ihr Blick schoss nach oben und die schwarzen Umrisse eines Exekutoren zeichneten sich vom Dunkels des Himmels ab, ein Schweif aus schwarzem Rauch folgte dem Flug des Wesens.

So etwas sollte nicht frei durch die Stadt fliegen dürfen ohne Einschränkungen …

Sie hatte keine Ahnung, was die Exekutoren wirklich waren; sie waren angeblich erst nach dem Sieg über die Vampire aufgetaucht und flogen nun des Nachts durch die Lüfte Moréngards. Jeder, der von den Spitzeln des Ordens denunziert wurde, wurde früher oder später von den Exekutoren geholt, es gab keine Ausnahmen. Selbst Paladine und Gardisten fürchteten diese Vertreter des Gesetzes und nur im äußersten Notfall wurden die Exekutoren gerufen – niemand wollte sie in seiner Nähe haben, wenn es irgendwie vermeidbar war.

Als Gardistin des Ordens wusste sie eine Menge über die Überwachungsstrategien des Regimes, mehr als jeder normale Bürger; dass es Spitzel gab, die jemanden verrieten, wenn man zu laut wurde, das war weitestgehend bekannt, wenn auch niemals offiziell bestätigt.

Der Letzte Herrscher fürchtete keine Rebellion, seine Macht war absolut und unbestreitbar; die Menschen unter ihm jedoch, sie fürchteten um ihre Macht innerhalb des Staates und taten alles, um einem Verlust dieser Macht vorzubeugen. Tatsächlich waren die meisten Sicherheitsvorkehrungen von dem Statthalter und ersten Kronrichter Lyras eingeführt worden, dem Stiefbruder des Letzten Herrschers. Es gab Gerüchte, dass die Statuen in der Stadt im Falle einer Rebellion erwachen und für den Orden kämpfen könnten, dass die Exekutoren und Spitzel sich sogar in Familien einschlichen und jedes Treffen zu belauschen versuchten. Die Bildnisse des Letzten Herrschers und der anderen Helden Ascentás konnten ihre Umgebung überwachen und es sollte angeblich Magier geben, die den ganzen Tag nichts anderes taten, als im Geiste diese Bilder durchzugehen, um sicherzugehen, dass nichts Auffälliges geschah.

Redner hetzten öffentlich gegen die Gegner des Letzten Herrschers und die wenigen, die gegen sein Gesetz verstießen; die öffentlichen Bekanntmachungen und Anschläge waren gespickt mit den Namen öffentlich Geächteter. Eine Rebellion könnte nur von oben kommen; wenn sich ein gewöhnlicher Bürger erhob, so würde er sofort geschnappt werden, bevor er auch nur den Versuch unternehmen konnte, dem Regime ernsthaften Schaden zuzufügen.

Luciana mochte das Regime nicht; im Gegenteil, sie verachtete sogar die Methoden, die die Regierenden ergriffen, um sich an der vom Letzten Herrscher verliehenen Macht zu halten.

Aber was für ein Mensch muss der Letzte Herrscher sein, wenn er gegen all dies nichts tut? Wie gleichgültig kann man sein, um über all diese Ungerechtigkeiten hinweg zu sehen?

Sie konnte sich vorstellen, dass ihr Gott sich mit Fragen der nationalen Sicherheit beschäftigen musste, auf der anderen Seite hielt er jedoch die absolute Macht in Händen. Er musste nur ein Wort sagen und alle Ungerechtigkeiten wären Geschichte!

Entweder ihm ist das alles hier egal und er genießt einfach nur seine Unsterblichkeit oder er steckt hinter all den Maßnahmen zur Unterdrückung des Volks … keine Ahnung, welche Option von beiden die Schlimmere wäre.

Es schien auf die Bürger so, als beschäftige sich der Letzte Herrscher seit dem Sieg gegen die Vampire mit etwas vollkommen Anderem, als der Führung des Landes.

Luciana schüttelte enttäuscht den Kopf und strich durch die schulterlangen blonden Haare.

„Wäre dieser Krieg gegen die Vampire niemals ausgebrochen, wäre all das nicht geschehen …“, flüsterte sie leise.

„Stimmt, dann wäre es vielleicht viel schlimmer gekommen und wir wären alle Blutsklaven der Vampire, die uns nach einem brüchigen Seperatfrieden doch noch unterworfen hätten“, antwortete jemand hinter ihr und Luciana wirbelte herum, ihre Hand fuhr zu dem versteckten Dolch.

Hinter ihr stand Damien, der sie leicht anlächelte.

„Nichts für ungut, Kleines, aber du versteckst dich nicht gerade unauffällig … du solltest an deiner Tarnung arbeiten“, fügte er hinzu und zwinkerte.

Fassungslos ließ Luciana den Griff des Dolches los und schnaubte, wütend darüber, dass sie ihn nicht gehört hatte.

„Ich hätte dir um ein Haar die Kehle durchgeschnitten und deine Leiche in den Fluss befördert, Damien … „, erwiderte sie kalt und Damiens selbstzufriedenes Lächeln gefror augenblicklich, „also erschrecke mich lieber nie wieder so!“

Damien nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte.

Gemeinsam schlenderten sie von dem Baum weg, in Richtung des Hauses, in dem die Schmuggler warten würden. Luciana spürte so etwas wie Unruhe in ihr anwachsen, während sie näher kamen und sie rieb sich immer wieder leicht nervös die Hände.

Die Schmuggler waren die Herrscher der Unterwelt in Moréngard; da Intrigen und Machtspielchen zwischen den hohen Tieren des Regimes nichts Unnatürliches mehr waren, mussten manche Waren auf dem illegalen Weg beschafft werden, Waren, die es gewöhnlicherweise niemals in den Umlauf schaffen würden. Hatte man jedoch Geld, so kannte man an den betreffenden Behörden ein wenig Geld fließen lassen und die Zensoren und Zöllner drückten ein Auge zu, bei genug Geld auch mal zwei. Die Waren der Schmuggler beschränkten sich jedoch meistens auf Informationen; Informationen, die sie von höchster Stelle hatten und die für viel Geld gekauft und benutzt werden durften. Der mangelnde Wille des Letzten Herrschers, sein Reich selbst zu führen, erleichterte es Schwarzmarkthändlern und den Schmugglern ungemein, ihrem Handwerk nachzugehen.

„Ich habe Angst“, gestand Luciana zögernd, als sie dem Haus immer näher kamen und Damien sah sie überrascht von der Seite an.

„Nun, bisher bist du doch noch ziemlich ruhig und gefasst … die Schmuggler sind, so weit ich das beurteilen kann, zivilisierte Leute, die nur dann töten, wenn sie jemand betrügen will. Trage ihnen einfach dein Anliegen vor und hoffe, dass sie es annehmen. Wenn du erst einmal mit ihnen im Geschäft bist und etwas hast, das sie wirklich haben wollen, dann ist dein Leben um einiges leichter.“

„Und was genau haben sie von dir?“, bohrte Luciana sofort nach und Damien senkte mit einem Lächeln den Kopf.

„Ich bringe den Schmugglern Leute, die mit ihnen Geschäfte machen wollen; über mich laufen die Handel ab, Kleines“, er tätschelte ihr leicht auf die Schulter und schnalzte mit der Zunge, „sprich Leute wie du, ihr seid mein Beitrag für die Schmuggler.“

Er ist ziemlich offen zu mir … entweder er vertraut mir wirklich so sehr, oder aber es weiß sowieso jeder, was er tut und er hat davon nichts zu befürchten. Das ist das Wahrscheinlichste. Niemand weiß, wer die Schmuggler sind und einige der adeligen Familien und Würdenträger leben von den Informationen, die ihnen die Schmuggler liefern. Verlören sie Damien als Kontakt, würde ihnen das ernsthaft schaden.

„Muss ich irgendetwas beachten?“, fragte Luciana leise, als sie vor der Tür des Hauses standen und Damien schüttelte entschieden den Kopf.

„Solange du nicht versuchst, sie hinter's Licht zu führen, wird dir nichts geschehen. Ich habe ein gutes Wort für dich eingelegt“, antwortete Damien beruhigend, aber Luciana unterdrückte ein Keuchen und wandte den Blick von ihm ab.

Wie passend, dass ich vorhabe, genau das zu tun. Das, was ich ihnen bieten kann, werde ich nie aushändigen dürfen, unsere Mission ist streng geheim. Sollte ich wirklich versprechen, sie über den Mord an Godric auf dem Laufenden zu halten, werde ich dieses Versprechen früher oder später brechen müssen … oder ich verrate Aaron. Jetzt kann ich noch umkehren und mir ein Verfahren wegen Missachtung eines Generalsbefehls einhandeln, das vermutlich sogar mit meinem Tod enden würde …

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