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Albrecht Greule / Jarmo Korhonen

Historische Valenz

Einführung in die Erforschung der deutschen Sprachgeschichte auf valenztheoretischer Grundlage

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Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung.

© 2021 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG

Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de

ISBN 978-3-8233-8478-6 (Print)

ISBN 978-3-8233-0306-0 (ePub)

Inhalt

  Vorwort

  Einleitung

 A. Deutsche Sprachgeschichte im Überblick1. Perioden der deutschen Sprachgeschichte2. Die Textüberlieferung in den historischen Sprachperioden3. Bibliografie der wichtigsten Grammatiken und Wörterbücher der deutschen Sprachperioden

  B. Der gegenwartssprachliche Valenzbegriff. Eine Zusammenfassung 1. Prädikate, Ergänzungen, Angaben 2. Verb-Aktanten-Konstellationen (VAK)

 C. Historische Valenz. Forschungsüberblick und Problembereiche1. Forschungsüberblick2. Probleme bei der Analyse der historischen Valenz3. Herausarbeitung der Verb-Aktanten-Konstellationen aus historischen Texten

 D. Valenz und Historische Grammatik1. Die Satzbaupläne im Zentrum der Syntax2. Von der Textanalyse zur Valenz und zu den Verb-Aktanten-Konstellationen3. Die linguistische Ersatzkompetenz (Prokompetenz)4. Vom historischen Korpus zur Valenz und zu den Satzbauplänen (Methoden)5. Die Satzbaupläne, Satzmodelle oder Satzmuster im Alt-, Mittel- und Frühneuhochdeutschen sowie im (Älteren) Neuhochdeutschen6. Die „logisch-grammatischen Satztypen“ in der deutschen Sprachgeschichte7. Polyvalenz in der deutschen Sprachgeschichte8. Historische Valenz und Wortbildung9. Historische Valenz und verbale Wortfelder10. Historische Valenz und Phraseologie11. Historische Valenz und Funktionsverbgefüge12. Historische Valenz und Textgrammatik13. Pragmatische Valenz historisch14. Historische Valenz und Konstruktionsgrammatik

 E. Historische Valenz und Lexikografie1. Historische Valenzlexika und valenzbezogene Informationen in historischen Allgemeinwörterbüchern des Deutschen2. Methoden der historischen Valenzlexikografie3. Projekte zur historischen Valenzlexikografie (HSVW, KHVL, MSVW)4. Historische Valenz und Digital Humanities

 F. Valenzwandel und Valenzentwicklung1. Valenzwandel: Satzglied- und Attributklassen2. Entwicklung der Valenz ausgewählter Verben und Verbphraseme vom Althochdeutschen bis zum heutigen Deutsch3. Valenzgeschichte(n)

 G. Lexikografischer Anhang1. Ausschnitt aus dem Syntaktischen Verbwörterbuch zu den althochdeutschen Texten des 9. Jahrhunderts (Greule 1999, 300)2. Probeartikel zum Mittelhochdeutschen syntaktischen Verbwörterbuch (MSVW)3. Probeartikel zum Historisch syntaktischen Verbwörterbuch (HSVW)4. Probeartikel zum Kleinen historischen Valenzlexikon (KHVL)

  Literatur zur Historischen Valenz

 Verzeichnisse1. Wörterbücher2. Korpora

  Verfasser- und Quellenregister

  Sachregister

Vorwort

Mit dem vorliegenden Handbuch, für dessen Inhalt wir gemeinsam verantwortlich zeichnen, wollen wir zum einen einen Überblick über die verschiedenen Forschungsaktivitäten im Zusammenhang mit der Übertragung der Valenztheorie auf die Beschreibung des Deutschen unter sprachgeschichtlichem Gesichtspunkt bieten und zum anderen die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung des Valenzmodells für die Erfassung des Sprachwandels und damit für die Schaffung von Voraussetzungen für ein besseres Verständnis historischer Texte lenken. Bei der Beschäftigung mit älteren Texten in lexikalischer, syntaktischer, phraseologischer und semantischer Hinsicht stellen synchronsynchron und diachrondiachron angelegte Wörterbücher ein unverzichtbares Hilfsmittel dar, und gerade auf dem Gebiet der Erstellung historischer lexikografischer Nachschlagewerke hat die Valenztheorie in den letzten Jahrzehnten wichtige Ansätze entwickelt. Entsprechend bildet die historische ValenzlexikografieValenzlexikografie neben der Erläuterung von Beziehungen zwischen Valenz und historischer Grammatik sowie von Aspekten des ValenzwandelsValenzwandel und der ValenzentwicklungValenzentwicklung einen deutlichen Schwerpunkt in unserem Buch.

Das Interesse für die Anwendung der Valenztheorie auf die deutsche Sprachgeschichte erwachte vor rund 50 Jahren. Bereits in der ersten Hälfte der 1970er-Jahre haben wir uns ‒ unabhängig voneinander ‒ vorgenommen, jeweils einen umfangreicheren Text mit valenzbasierten Methoden zu analysieren. In der Abhandlung von Albrecht Greule diente das „EvangelienbuchEvangelienbuchOtfrid von Weißenburg“ Otfrids von WeißenburgOtfrid von Weißenburg, in der von Jarmo Korhonen der Sermon „Von den guten Werken“ von Martin LutherLuther, Martin als Untersuchungsmaterial. Seitdem haben wir uns fast ununterbrochen mit dem Problemkomplex Valenztheorie und historische deutsche Sprachwissenschaft befasst und dazu mehrere Publikationen in unterschiedlicher Form vorgelegt. Unsere Zusammenarbeit hat sich in letzter Zeit besonders dadurch verstärkt, dass Jarmo Korhonen mit Hilfe eines Forschungsstipendiums der Alexander von Humboldt-Stiftung in den 2010er-Jahren am Institut für Germanistik der Universität Regensburg arbeiten konnte. Während dieser Zeit hat Albrecht Greule eine Idee entwickelt, einerseits ein umfassendes Historisch syntaktisches Verbwörterbuch mit Schwerpunkt auf der Valenz und andererseits ein Kleines historisches ValenzlexikonValenzlexikon zu erarbeiten.

Ende der 1970er-Jahre intensivierten sich die Forschungen zur historischen Valenz erheblich, sodass Albrecht Greule im Jahr 1982 einen diesbezüglichen Sammelband („Valenztheorie und historische Sprachwissenschaft“) herausgeben konnte. Schon damals zeigte sich, dass die einschlägigen Untersuchungen trotz der gemeinsamen theoretischen Grundlage recht divergent waren, was sich z.B. in den Methoden, der Terminologie und der Kennzeichnung der valenzbedingtenvalenzbedingt Bestimmungen (ErgänzungenErgänzung) widerspiegelte. Auch spätere historische Valenzstudien sind durch eine ähnliche Differenziertheit geprägt, weshalb wir uns entschieden haben, für unsere Darstellung keine formale Einheitlichkeit anzustreben, sondern die herangezogenen Publikationen etwa in Bezug auf die Gestaltung der Symbole von Ergänzungen unverändert zu dokumentieren und bei Bedarf kritisch zu besprechen.

Unsere Arbeit im Bereich der historischen Valenzforschung ist außer von der Alexander von Humboldt-Stiftung auch von der germanistisch-romanistischen Forschergemeinschaft CoCoLaC (Contrasting and Comparing Languages and Cultures) in der Abteilung für Sprachen der Universität Helsinki gefördert worden. Es konnten beispielsweise mehrere Arbeitstreffen und kleinere Kolloquien, auf denen wir unsere Überlegungen und Forschungsergebnisse präsentieren konnten, abwechselnd in Regensburg und Helsinki stattfinden. Beiden Institutionen sind wir zu Dank verpflichtet, desgleichen sprechen wir der Alexander von Humboldt-Stiftung für die Bewilligung einer großzügigen Druckkostenbeihilfe einen verbindlichen Dank aus. Schließlich danken wir dem Verlag für die gute Betreuung bei der Erstellung der Druckvorlage.

Regensburg und Helsinki, im März 2021

Albrecht Greule und Jarmo Korhonen

Einleitung

„Viel stärker noch als bei der Beobachtung der Gegenwartssprache stoßen wir beim Lesen älterer Texte auf Zeichen der Veränderung. […] Dies macht sich durch zahlreiche Verständnisprobleme fortwährend bemerkbar. Je älter ein Text ist, umso mehr häufen sie sich. […] Das Gute an den Schwierigkeiten im Umgang mit historischen Texten ist aber, dass sie uns die Tatsache der geschichtlichen Entwicklung einer Sprache nachhaltig verdeutlichen. […] Sprachgeschichtliche Kenntnisse helfen uns dabei, diese älteren Texte – und damit die Gedanken und Konzepte vorangegangener Generationen – richtig einzuordnen“.1

Im Vorwort zu seinem Werk betont JÖRG RIECKE darüber hinaus, dass es in der Sprachgeschichte um Grundlagen des Textverständnisses, um ein Verständnis für den Wandel von Kommunikationsformen und um Einblicke in den historischen Wandel bei der Erfassung und Interpretation unserer Welt geht.

Wir sind der Überzeugung, dass die Übertragung des aus den praktischen Belangen des Deutsch-als-Fremdsprache-Unterrichts der 1960er-Jahre entwickelten Valenzmodells auf die deutsche Sprachgeschichte den Ansprüchen an die Sprachgeschichtsschreibung, besonders dem Anspruch, Grundlagen des Textverständnisses zu schaffen, Vorschub leistet. Wir sehen dies darin begründet, dass die Beobachtung der semanto- und morphosyntaktischenmorphosyntaktisch Umgebung – in erster Linie – von Verben, wenn die historischen Texte der Valenzanalyse unterzogen werden, Erkenntnisse zutage fördert, die dann in lexikalische Verzeichnisse (analog oder digital) Eingang finden. Damit stehen syntaktisch untersuchte Verben aller Sprachperioden bereit und bieten sich zum historischen Vergleich an. Aufgrund der „ValenzgeschichteValenzgeschichte“, die für je ein Verb das syntaktische Verhalten und die semantische Entwicklung vom Ahd. bis zum Nhd. beschreibt, wird aus einem spezifischen Blickwinkel der Sprachwandel erfasst und erklärt. Die wichtigsten Beschreibungs- und Forschungsbereiche der historischen Valenz sind demnach Syntax, Phraseologie, lexikalische Semantik und Lexikografie.

Das Buch ist folgendermaßen aufgebaut. Zunächst erhalten die Leser einen knappen Einblick in die (periodisierte) deutsche Sprachgeschichte (Kapitel A), um die zeitlichen Dimensionen, die Textmenge und Themenfülle kennenzulernen, auf die sich die valenzbasierte Text- und Satzanalyse erstreckt. Kapitel B fasst den Forschungsstand zur gegenwartssprachlichen Valenztheorie zusammen. In Kapitel C geht es um die Probleme der Übertragung des ValenzbegriffsValenzbegriff in die deutsche Sprachgeschichte. Die Kapitel D und E präsentieren die Ergebnisse historischer Valenzforschung auf dem Gebiet der Grammatik und der Lexikografie, den Hauptgebieten der Anwendung der sprachhistorischen Valenz. Kapitel F beschreibt den Sprachwandel, soweit die Verbvalenz erklärend dazu beiträgt. Die aus unterschiedlichen Perspektiven verfassten Probeartikel zu Historischen VerbvalenzwörterbüchernValenzwörterbuch des Deutschen füllen den umfangreichen Anhang (Kapitel G).

A. Deutsche Sprachgeschichte im Überblick
1. Perioden der deutschen Sprachgeschichte

Auf der Grundlage der schriftlichen Überlieferung ergibt sich folgende Einteilung der Entwicklung der deutschen Sprache in zeitliche Abschnitte. Die zeitlichen Grenzen sind ungefähre und gerundete Jahreszahlen. Neben den im hochdeutschen Sprachraum entstandenen Texten findet auch die Entwicklung im niederdeutschen Sprachraum Berücksichtigung.

 1.1 Die althochdeutsche (und altsächsische) Zeit ca. 750‒1050 (ahd.) bzw. 9.‒12. Jh. (as.)

 1.2 Die mittelhochdeutscheMittelhochdeutsch (und mittelniederdeutscheMittelniederdeutsch) Zeit ca. 1050‒1350 (mhd.) bzw. ca. 1200‒1650 (mnd.)

 1.3 Die frühneuhochdeutscheFrühneuhochdeutsch Zeit ca. 1350‒1600 (fnhd.)

 1.4 Das NeuhochdeutscheNeuhochdeutsch ab ca. 1600 (nhd.)

1.1 AlthochdeutschAlthochdeutsch und Altsächsisch

Das Ahd. wird von dem sprachhistorisch nah verwandten AltsächsischenAltsächsisch durch den geografischen Raum, in dem es schriftlich festgehalten wurde, und durch lautliche Differenzen unterschieden. Die altsächsischen (altniederdeutschen) Aufzeichnungen weisen keine Reflexe der Zweiten (hochdeutschen) Lautverschiebung (germanisch /p, t, k/ > ahd. /ff, zz, hh/ bzw. /pf, tz, kch/) auf, sondern bewahren den germanischen Lautstand. Der Raum, in dem ahd. geschrieben wurde, wird durch die folgenden Schreiborte (Klöster, Bischofssitze) markiert: Trier, Echternach, Köln, Aachen, Mainz, Lorsch, Speyer, Frankfurt, Fulda, Würzburg, Bamberg, Weißenburg, Murbach, Reichenau, St. Gallen, Freising, Regensburg, Salzburg, Tegernsee, Passau, Mondsee. Nach der Unterwerfung des Stammes der Sachsen durch Karl den Großen (804) wurden altsächsische Texte zum Zweck der Christianisierung der Sachsen verfasst und niedergeschrieben (vgl. das Altsächsische Taufgelöbnis). Als Grenze zu dem ahd. Gebiet wird die Benrather Linie (auch maken-machen-Linie) angenommen, eine gedachte Linie, die vom Rhein bei Düsseldorf nach Nordosten verläuft und die heutigen hochdeutschen Mundarten im Süden von den niederdeutschen im Norden trennt.

Die ahd. Schriftlichkeit setzt im 8. Jh. ein (siehe Kapitel A.2). Die historischen Rahmenbedingungen dazu schufen die (fränkischen) Karolinger, deren Reich mit dem Tod Kaiser Karls III. anno 888 endete. Insbesondere die Kirchen- und Bildungsreform Kaiser Karls des Großen (geb. 747 oder 748, gest. 814 in Aachen) ist die Ursache dafür, dass „im ahd. Sprachraum Grundlagentexte des christl. Glaubens, der kirchlichen Praxis, der kulturell-politischen Auseinandersetzung und der schulischen Lektüre glossiert, übersetzt, kommentiert und zur Dichtung umgestaltet“ wurden.1

Nach den herausragenden Werken des St. Galler Mönchs Notker III.Notker III. (†1022) findet die ahd. Phase unter dem Geschlecht der Salier (1024‒1125) mit den um die Mitte des 11. Jh. verfassten Schriften ihr Ende und geht allmählich ins Frühmhd. über. Williram von Ebersberg (†1085) widmete seine ahd. Hoheliedparaphrase Heinrich IV., römisch-deutscher König seit 1056.

1.2 MittelhochdeutschMittelhochdeutsch

Während das Ahd. eine Sammelbezeichnung für die Schriftzeugnisse der „Stammesdialekte“ Fränkisch, Alemannisch und Bairisch ist und es noch keine „deutsche“ Sprachgemeinschaft gab, verfestigte sich der um 1090 im vermutlich in Siegburg verfassten Annolied auftauchende Ausdruck diutsch (diutischin sprechin ‚deutsch sprechen‘) als Sprachbegriff. Er findet sich weiterhin in Texten des 11. und 12. Jh. aus allen Mundartgebieten und wird zum Volks- und Raumbegriff (diutschi liute). Der politische Hintergrund für diese Entwicklung ist die Machtentfaltung des (ehemals ostfränkischen) Reiches zur Zeit der salischen (1024‒1125) und staufischen (1125‒1250) Kaiser, auf die im letzten Jh. der mhd. Periode (1250‒1350) als Folge des Interregnums (1254‒1273) wechselnder Herrscherhäuser und territorialer Gewalten der Niedergang folgte.

Der Wechsel der politischen Herrschaft im deutschen Reich ermöglicht es, das Mhd. in drei Phasen einzuteilen:

 Frühmhd. (während der Zeit der Salier etwa ab 1050 bis 1125)

 Klassisches (höfisches) Mhd. (während der Zeit der Staufer)

 Spätmhd. (vom Ende der Staufer bis zu den Mystikern im 14. Jh.)

Die frühmhd. Texte, die besonders im bairisch-österreichischen Raum entstanden (vgl. zuerst das um 1060 verfasste Ezzolied), gehen auf die Wirkung der in Deutschland seit 1070 wirksamen cluniazensischen Klosterreform zurück. Sie verfolgten die Absicht, auch dem Laienstand das asketische Ideal des Mönchtums nahezubringen. Die Verfasser waren vorrangig Geistliche. Ebenfalls von Geistlichen, die aber im Dienst adliger Auftraggeber standen, wurden Versepen verfasst (z.B. das Rolandslied des Pfaffen Konrad, 1170), die auf die aventiure-Romane der höfischen Zeit vorverweisen.2

MittelhochdeutschDie Literatur zur Zeit der Staufer wird von den ritterlichen Epen, der Minne- und Kreuzzugslyrik bestimmt, besonders durch die Werke Hartmanns von AueHartmann von Aue, Wolframs von EschenbachWolfram von Eschenbach, Parzival, Gottfrieds von StraßburgGottfried von Straßburg, Tristan und Isolde, des anonymen Nibelungenlied-DichtersNibelungenlied und Walthers von der Vogelweide. Die Dichtungen der klassischen Autoren sind rhetorisch geformt und von einem speziellen, teils aus dem Französischen entlehnten Wortschatz geprägt, in dem sich das Ideal der ritterlichen Lebensführung ausdrückt. Die „mhd. Dichtersprache“ war auch in der Weise überregional angelegt, als sich im Sprachgebrauch der Dichter um 1200, besonders in den Reimen, eine Vermeidung von Dialektismen und eine Tendenz zum Dialektabbau feststellen lässt.3 Die lautliche Abgrenzung des Mhd. vom Ahd. wird vor allem an der „Nebensilbenabschwächung“ sichtbar. Das bedeutet, dass die im Ahd. noch vollen Vokale der unbetonten Silben im klassischen Mhd. als einförmiges <e> erscheinen oder durch Synkope oder Apokope ausfallen. Dem ahd. sálbōta entspricht mhd. salbete, nhd. salbte.

Spätmhd. Phase (ca. 1250 ‒ ca. 1350): Seit dem 13. Jh. finden immer mehr Menschen Zugang zur Schriftlichkeit. Die Zahl der Städte stieg in Mitteleuropa zwischen 1200 und 1500 von ca. 250 auf ca. 3000. Die Städte boten in den unsicheren Zeiten Schutz. Es bildeten sich neue Kommunikationsgruppen; die Kaufleute brauchten Schulen, in denen Lesen, Schreiben und Rechnen in deutscher Sprache gelernt werden konnte. In diese Zeit fällt der Verfall der höfischen Dichtersprache; das höfische Ideal wurde in den Dichtungen der Zeit zur Mode stilisiert oder von realistischer Dichtung (z.B. Werner der Gartenaere, „Meier Helmbrecht“) verdrängt. Gegenüber dem Versepos in Reimpaaren gewinnen Texte in Prosa die Oberhand. Einerseits ist es die von den Angehörigen des Franziskaner- und Dominikanerordens gepflegte geistliche Predigt (z.B. Berthold von Regensburg), andererseits Fachliteratur, insbesondere die des Rechtswesens. Zuerst wurden Urkunden, in der Mitte des 13. Jh. im Südwesten, in deutscher Sprache ausgestellt. Der Beginn der Rechtskodifikation, z.B. im Sachsenspiegel, fällt in die mittelniederdeutscheMittelniederdeutsch Zeit (s.u.). Für das Geschäfts- und Rechtswesen sind die im Sprachgebiet verbreiteten herrschaftlichen Kanzleien wichtig. Aufgrund der hier verschrifteten Texte können verschiedene Schreiblandschaften ausfindig gemacht werden. Am Ende der spätmhd. Phase stehen die Mystiker und Mystikerinnen (z.B. Mechthild von Magdeburg, Meister EckhartMeister Eckhart), die ihre „Gottsuche und Gotteserkenntnis“4 in mhd. Prosa zum Ausdruck brachten. Den Übergang zur neuen Epoche markiert der Weltgeistliche Konrad von Megenberg, dessen für Laien in Prosa verfasstes naturkundliches „Buch der Natur“ (1348/1350) mit mehr als 100 Handschriften weite Verbreitung fand.

Das MittelniederdeutscheMittelniederdeutsch (von ca. 1200 bis ca. 1650) schließt an das AltsächsischeAltsächsisch an. Sprachräumlich umfasste das Mnd. ganz Norddeutschland und wurde zur Zeit der Hanse die führende Schreibsprache im Norden Mitteleuropas und Lingua franca in der Nordhälfte Europas. Bereits seit dem 12. Jh. trug die Einwanderung deutschsprachiger Siedler vorwiegend aus Flandern, Holland, dem Rheinland und Westfalen in die von Slawen besiedelten Gebiete östlich von Saale und Elbe (Deutsche Ostsiedlung) zur Erweiterung des Sprachgebiets bei. Es entstanden der niederdeutsche Dialekt ostelbisch und der ostmitteldeutsche Raum, dem Martin LutherLuther, Martin entstammte. Wichtige mnd. Sprachdenkmäler sind der Sachsenspiegel Eikes von Repgow, ein um 1225 entstandenes Rechtsbuch, die Sächsische Weltchronik (13. Jh.), das Redentiner Osterspiel (Handschrift 1464), der Frühdruck der Lübecker Bibel (1494) und das Tierepos Reynke de vos (1498 gedruckt in Lübeck).

MittelhochdeutschDer Untergang des MittelniederdeutschenMittelniederdeutsch, jener neben dem Mhd. existierenden deutschen Varietät mit überregionaler Verbreitung, wurde auch ‒ als Folge der Reformation ‒ durch die Ausbreitung des „Meißnischen“, der durch LuthersLuther, Martin BibelübersetzungLuther-Bibel geschaffenen Schreibsprache, bewirkt.

4 443,21 ₽
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